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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Arndt als Agitator und Gffiziosus

sind, ist verhältnismäßig gering. Doch sand ich einige interessante, aber mehr
unbewußte Bekenntnisse Arndts.

Die romantisch-naturphilosophische Überzeugung, daß der Staat ein Orga¬
nismus sei, der nach eigenen, irdischen Gesetzen sich fortentwickle, gehörte schon
seit seiner ersten politischen Schrift "Germanien und Europa" (1803) zu Arndts
festem Gedankengut. Kraft "eines bauernhaften Instinkts" konnte er "auf dem
kürzesten Wege" zur Idee des Nationalstaates gelangen. Das hat Meinecke in
unübertrefflicher Weise gewürdigt. Um so schmerzenreicher war das Suchen
dieses Patrioten aus schwedisch-pommerschen Stamme nach dem Nationalstaat,
nach dem "starken Herrn", der ihm deutsche Einheit und Kraft verbürgte.
Konnte Arndt 1809 ahnen, daß Preußen ihm diese Garantien bieten sollte?

Und doch leuchtet kurz und blitzartig, wohl kaum voll bewußt, der Gedanke
auf (S. 136): Das deutsche Volk hätte durch Preußen einen deutschen Vereinigungs¬
punkt finden können. Dem stehen aber einige Äußerungen gegenüber, welche
Österreich dieselbe Rolle zuweisen: Arndt nannte es "den einzigen Staat, durch
welchen der teutsche Name mit Ehren auf die Nachwelt kommen konnte" (421),
und er wünschte, daß die Fürsten, statt sich Napoleon zu fügen, diesem den
Dienst verweigert hätten, da er den erniedrigen wolle, "dem der Herr das
Szepter über sie gegeben hat" (424). In die rechte Beleuchtung rücken diese
noch tastenden Gedanken erst, wenn wir sie zusammenstellen mit einer Notiz
aus dem Juni 1812, die Arndt auf seiner Reise nach Rußland (vor Steins
Einladung) in sein Tagebuch schrieb: "Ich dachte bei mir: siehe, nun bist du
in Böhmen und mußt zu einem anderen Manne Herr sagen, und tätest es so
gerne, wenn er unter die kaiserlichen Adlerflügel dein Volk versammeln und
schirmen könnte". (Notgedr. Bericht I, 415.)

Bald, als Sehnsucht und Tatendrang ihn 1809 zurückgeführt hatten in
die Heimat, erfuhr er in Berlin, daß die Patrioten unentwegt an: Werke der
Erneuerung und Befreiung arbeiteten; er konnte nun selbst seine erste positive
Arbeit für Preußen leisten in der ausgezeichneten Schrift über den Bauernstand,
die der Bauernbefreiung neueJmpulse geben sollte, aber dochimmer erst als ein erstes
vorsichtiges Fühlungnehmen mit Preußen verstanden werden muß: Noch fanden seine
weiten und hohen geistig-kosmopolitischen und politisch-nationalen Ideen nicht
Raum genug in dem engen und wankenden Gehäuse des preußischen Staates.

Daß die Epoche seines schwedisch-pommerschen Partikularismus und seines
Kosmopolitismus 1813 völlig hinter ihm lag, bekunden zwei kleine Streichungen:
Arndt wandelte den "biederen Schwedenkönig" in den "König von Schweden"
(130---136--56) und tilgte dieZusammenstellung "unsere Gustave und Friederiche",
"unsere größten Männer" (240--241--109). in der so überaus bezeichnend
sein früheres Zwitterwesen, deutsches Kulturgefühl und ererbte Sympathie für
die Schweden zum Ausdruck kommt."

In mancher Äußerung glauben wir im "Geist der Zeit II die fertige
Idee des Nationalstaates zu erkennen: ihm ist "das große Land zwischen den


Grenzboten III 1911 ^
Arndt als Agitator und Gffiziosus

sind, ist verhältnismäßig gering. Doch sand ich einige interessante, aber mehr
unbewußte Bekenntnisse Arndts.

Die romantisch-naturphilosophische Überzeugung, daß der Staat ein Orga¬
nismus sei, der nach eigenen, irdischen Gesetzen sich fortentwickle, gehörte schon
seit seiner ersten politischen Schrift „Germanien und Europa" (1803) zu Arndts
festem Gedankengut. Kraft „eines bauernhaften Instinkts" konnte er „auf dem
kürzesten Wege" zur Idee des Nationalstaates gelangen. Das hat Meinecke in
unübertrefflicher Weise gewürdigt. Um so schmerzenreicher war das Suchen
dieses Patrioten aus schwedisch-pommerschen Stamme nach dem Nationalstaat,
nach dem „starken Herrn", der ihm deutsche Einheit und Kraft verbürgte.
Konnte Arndt 1809 ahnen, daß Preußen ihm diese Garantien bieten sollte?

Und doch leuchtet kurz und blitzartig, wohl kaum voll bewußt, der Gedanke
auf (S. 136): Das deutsche Volk hätte durch Preußen einen deutschen Vereinigungs¬
punkt finden können. Dem stehen aber einige Äußerungen gegenüber, welche
Österreich dieselbe Rolle zuweisen: Arndt nannte es „den einzigen Staat, durch
welchen der teutsche Name mit Ehren auf die Nachwelt kommen konnte" (421),
und er wünschte, daß die Fürsten, statt sich Napoleon zu fügen, diesem den
Dienst verweigert hätten, da er den erniedrigen wolle, „dem der Herr das
Szepter über sie gegeben hat" (424). In die rechte Beleuchtung rücken diese
noch tastenden Gedanken erst, wenn wir sie zusammenstellen mit einer Notiz
aus dem Juni 1812, die Arndt auf seiner Reise nach Rußland (vor Steins
Einladung) in sein Tagebuch schrieb: „Ich dachte bei mir: siehe, nun bist du
in Böhmen und mußt zu einem anderen Manne Herr sagen, und tätest es so
gerne, wenn er unter die kaiserlichen Adlerflügel dein Volk versammeln und
schirmen könnte". (Notgedr. Bericht I, 415.)

Bald, als Sehnsucht und Tatendrang ihn 1809 zurückgeführt hatten in
die Heimat, erfuhr er in Berlin, daß die Patrioten unentwegt an: Werke der
Erneuerung und Befreiung arbeiteten; er konnte nun selbst seine erste positive
Arbeit für Preußen leisten in der ausgezeichneten Schrift über den Bauernstand,
die der Bauernbefreiung neueJmpulse geben sollte, aber dochimmer erst als ein erstes
vorsichtiges Fühlungnehmen mit Preußen verstanden werden muß: Noch fanden seine
weiten und hohen geistig-kosmopolitischen und politisch-nationalen Ideen nicht
Raum genug in dem engen und wankenden Gehäuse des preußischen Staates.

Daß die Epoche seines schwedisch-pommerschen Partikularismus und seines
Kosmopolitismus 1813 völlig hinter ihm lag, bekunden zwei kleine Streichungen:
Arndt wandelte den „biederen Schwedenkönig" in den „König von Schweden"
(130-—136—56) und tilgte dieZusammenstellung „unsere Gustave und Friederiche",
„unsere größten Männer" (240—241—109). in der so überaus bezeichnend
sein früheres Zwitterwesen, deutsches Kulturgefühl und ererbte Sympathie für
die Schweden zum Ausdruck kommt."

In mancher Äußerung glauben wir im „Geist der Zeit II die fertige
Idee des Nationalstaates zu erkennen: ihm ist „das große Land zwischen den


Grenzboten III 1911 ^
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[0609] Arndt als Agitator und Gffiziosus sind, ist verhältnismäßig gering. Doch sand ich einige interessante, aber mehr unbewußte Bekenntnisse Arndts. Die romantisch-naturphilosophische Überzeugung, daß der Staat ein Orga¬ nismus sei, der nach eigenen, irdischen Gesetzen sich fortentwickle, gehörte schon seit seiner ersten politischen Schrift „Germanien und Europa" (1803) zu Arndts festem Gedankengut. Kraft „eines bauernhaften Instinkts" konnte er „auf dem kürzesten Wege" zur Idee des Nationalstaates gelangen. Das hat Meinecke in unübertrefflicher Weise gewürdigt. Um so schmerzenreicher war das Suchen dieses Patrioten aus schwedisch-pommerschen Stamme nach dem Nationalstaat, nach dem „starken Herrn", der ihm deutsche Einheit und Kraft verbürgte. Konnte Arndt 1809 ahnen, daß Preußen ihm diese Garantien bieten sollte? Und doch leuchtet kurz und blitzartig, wohl kaum voll bewußt, der Gedanke auf (S. 136): Das deutsche Volk hätte durch Preußen einen deutschen Vereinigungs¬ punkt finden können. Dem stehen aber einige Äußerungen gegenüber, welche Österreich dieselbe Rolle zuweisen: Arndt nannte es „den einzigen Staat, durch welchen der teutsche Name mit Ehren auf die Nachwelt kommen konnte" (421), und er wünschte, daß die Fürsten, statt sich Napoleon zu fügen, diesem den Dienst verweigert hätten, da er den erniedrigen wolle, „dem der Herr das Szepter über sie gegeben hat" (424). In die rechte Beleuchtung rücken diese noch tastenden Gedanken erst, wenn wir sie zusammenstellen mit einer Notiz aus dem Juni 1812, die Arndt auf seiner Reise nach Rußland (vor Steins Einladung) in sein Tagebuch schrieb: „Ich dachte bei mir: siehe, nun bist du in Böhmen und mußt zu einem anderen Manne Herr sagen, und tätest es so gerne, wenn er unter die kaiserlichen Adlerflügel dein Volk versammeln und schirmen könnte". (Notgedr. Bericht I, 415.) Bald, als Sehnsucht und Tatendrang ihn 1809 zurückgeführt hatten in die Heimat, erfuhr er in Berlin, daß die Patrioten unentwegt an: Werke der Erneuerung und Befreiung arbeiteten; er konnte nun selbst seine erste positive Arbeit für Preußen leisten in der ausgezeichneten Schrift über den Bauernstand, die der Bauernbefreiung neueJmpulse geben sollte, aber dochimmer erst als ein erstes vorsichtiges Fühlungnehmen mit Preußen verstanden werden muß: Noch fanden seine weiten und hohen geistig-kosmopolitischen und politisch-nationalen Ideen nicht Raum genug in dem engen und wankenden Gehäuse des preußischen Staates. Daß die Epoche seines schwedisch-pommerschen Partikularismus und seines Kosmopolitismus 1813 völlig hinter ihm lag, bekunden zwei kleine Streichungen: Arndt wandelte den „biederen Schwedenkönig" in den „König von Schweden" (130-—136—56) und tilgte dieZusammenstellung „unsere Gustave und Friederiche", „unsere größten Männer" (240—241—109). in der so überaus bezeichnend sein früheres Zwitterwesen, deutsches Kulturgefühl und ererbte Sympathie für die Schweden zum Ausdruck kommt." In mancher Äußerung glauben wir im „Geist der Zeit II die fertige Idee des Nationalstaates zu erkennen: ihm ist „das große Land zwischen den Grenzboten III 1911 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/609>, abgerufen am 29.12.2024.