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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Arndt als Agitator und Vffiziosus

H. Meisner es noch dargestellt*) -- Steinsche Gedanken "in die volkstümliche
und wirksame Form gebracht", er ist vielmehr in seinem Schaffen höchst selbständig
gewesen, wenigstens in den Gedanken über die Fürsten und den Fahneneid,
soweit, in jener Zeit besonders, von Selbständigkeit die Rede sein kann: Die
urwüchsige Kraft des .Plebejers' schöpfte ja oft genug bewußt und gern aus
der Fülle des Zeitgeistes; hat er ja selbst einmal bekannt, daß er "zuviel
geistiges Rebenblut geschlürft habe, als daß er mattes und abgestandenes Wasser
schlürfen sollte".**)

Es erhebt sich nun die Frage: Wenn Arndt so über die Gesamtheit der
Fürsten urteilte, wie stellte er sich dann zu Preußen und Österreich?


II. Preußen und Österreich.

In seinem Aufsatze in den Preußischen Jahrbüchern August 1904 konnte
E. Müsebeck behaupten: "In keiner seiner damaligen Schriften tritt der Gegensatz
Arndtscher Weltanschauung zu Friedrich dem Großen und dem friderizianischen
Preußen weniger scharf hervor als im .Geist der Zeit II'." Müsebeck lag eben
nur die zweite Ausgabe vor, nur für sie trifft das zu! Hier ist eben alles das,
was Preußen verletzen konnte, durchweg ausgemerzt.

Geben wir zunächst wieder den Ton an, auf den die Änderungen gestimmt
sind: 1809 redete Arndt von den "bangen Preußen", 1313 konnte und mußte
er sie "die braven" nennen (19 -- 13); 1809 hieß es: "Preußen spielte (1805/06)
die Rolle eines politischen Schulknaben, der auch gern eine Kastanie aus der
glühenden Asche holen möchte, dem aber bange ist, sich die Finger zu ver¬
brennen" (89); 1813: "Preußen hatte die günstige Zeit verzaubert" (95--37);
1809: Preußen "überließ sein Volk völlig als ein fremdes, während es seinen
(Napoleons) Raub mit teilen half" (103); 1813: Preußen "schien sein Volk
völlig als ein fremdes zu verlassen" (109--43); 1809: seine Erwerbungen
gaben ihm "viele Unehre und Haß bei seiner Nation" (105); 1813: "wahrlich
bei dem deutschen Volke keine Liebe" (110--44); 1809 tadelte er "die alt-
gebornen und hochgebornen Dummköpfe" (99 -- 104 -- 41), "die schwache
Mittelmäßigkeit des preußischen Kabinets" und "die Partei der Tröpfe, vielleicht
der Verräter", 1813 milder "die bekannte Friedfertigkeit" und "die Partei der
zaubernden Halbheit" (111 -- 116 -- 47), und strich 1813: "Preußen mußte
ein Knechtsgesicht unter Knechten annehmen" (115--120--49). 1809 hatten
die Preußen "von Österreich und Rußland kein Vertrauen und keine Hilfe ver¬
dient", 1813 "konnten sie diese kaum erwarten" (116 -- 121--49).

Seinen: Bemühen, einen Weg zur Einheit zu finden, stellte die Existenz
Preußens, deren Berechtigung er doch auch nicht leugnen konnte, die größten
Schwierigkeiten entgegen. Zwar hatte Arndt merkwürdigerweise 1809 für




") "Werke" I, 34, anscheinend, ebenso wie Rassow, Pommersche Jahrbücher 1906, 229 f.,
in Verkennung der vorsichtigeren Formulierung Lehmanns (III, 17S).
**) Briefe an Charlotte von Kälber. 1373. S, 147/8.
Arndt als Agitator und Vffiziosus

H. Meisner es noch dargestellt*) — Steinsche Gedanken „in die volkstümliche
und wirksame Form gebracht", er ist vielmehr in seinem Schaffen höchst selbständig
gewesen, wenigstens in den Gedanken über die Fürsten und den Fahneneid,
soweit, in jener Zeit besonders, von Selbständigkeit die Rede sein kann: Die
urwüchsige Kraft des .Plebejers' schöpfte ja oft genug bewußt und gern aus
der Fülle des Zeitgeistes; hat er ja selbst einmal bekannt, daß er „zuviel
geistiges Rebenblut geschlürft habe, als daß er mattes und abgestandenes Wasser
schlürfen sollte".**)

Es erhebt sich nun die Frage: Wenn Arndt so über die Gesamtheit der
Fürsten urteilte, wie stellte er sich dann zu Preußen und Österreich?


II. Preußen und Österreich.

In seinem Aufsatze in den Preußischen Jahrbüchern August 1904 konnte
E. Müsebeck behaupten: „In keiner seiner damaligen Schriften tritt der Gegensatz
Arndtscher Weltanschauung zu Friedrich dem Großen und dem friderizianischen
Preußen weniger scharf hervor als im .Geist der Zeit II'." Müsebeck lag eben
nur die zweite Ausgabe vor, nur für sie trifft das zu! Hier ist eben alles das,
was Preußen verletzen konnte, durchweg ausgemerzt.

Geben wir zunächst wieder den Ton an, auf den die Änderungen gestimmt
sind: 1809 redete Arndt von den „bangen Preußen", 1313 konnte und mußte
er sie „die braven" nennen (19 — 13); 1809 hieß es: „Preußen spielte (1805/06)
die Rolle eines politischen Schulknaben, der auch gern eine Kastanie aus der
glühenden Asche holen möchte, dem aber bange ist, sich die Finger zu ver¬
brennen" (89); 1813: „Preußen hatte die günstige Zeit verzaubert" (95—37);
1809: Preußen „überließ sein Volk völlig als ein fremdes, während es seinen
(Napoleons) Raub mit teilen half" (103); 1813: Preußen „schien sein Volk
völlig als ein fremdes zu verlassen" (109—43); 1809: seine Erwerbungen
gaben ihm „viele Unehre und Haß bei seiner Nation" (105); 1813: „wahrlich
bei dem deutschen Volke keine Liebe" (110—44); 1809 tadelte er „die alt-
gebornen und hochgebornen Dummköpfe" (99 — 104 — 41), „die schwache
Mittelmäßigkeit des preußischen Kabinets" und „die Partei der Tröpfe, vielleicht
der Verräter", 1813 milder „die bekannte Friedfertigkeit" und „die Partei der
zaubernden Halbheit" (111 — 116 — 47), und strich 1813: „Preußen mußte
ein Knechtsgesicht unter Knechten annehmen" (115—120—49). 1809 hatten
die Preußen „von Österreich und Rußland kein Vertrauen und keine Hilfe ver¬
dient", 1813 „konnten sie diese kaum erwarten" (116 — 121—49).

Seinen: Bemühen, einen Weg zur Einheit zu finden, stellte die Existenz
Preußens, deren Berechtigung er doch auch nicht leugnen konnte, die größten
Schwierigkeiten entgegen. Zwar hatte Arndt merkwürdigerweise 1809 für




") „Werke" I, 34, anscheinend, ebenso wie Rassow, Pommersche Jahrbücher 1906, 229 f.,
in Verkennung der vorsichtigeren Formulierung Lehmanns (III, 17S).
**) Briefe an Charlotte von Kälber. 1373. S, 147/8.
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[0606] Arndt als Agitator und Vffiziosus H. Meisner es noch dargestellt*) — Steinsche Gedanken „in die volkstümliche und wirksame Form gebracht", er ist vielmehr in seinem Schaffen höchst selbständig gewesen, wenigstens in den Gedanken über die Fürsten und den Fahneneid, soweit, in jener Zeit besonders, von Selbständigkeit die Rede sein kann: Die urwüchsige Kraft des .Plebejers' schöpfte ja oft genug bewußt und gern aus der Fülle des Zeitgeistes; hat er ja selbst einmal bekannt, daß er „zuviel geistiges Rebenblut geschlürft habe, als daß er mattes und abgestandenes Wasser schlürfen sollte".**) Es erhebt sich nun die Frage: Wenn Arndt so über die Gesamtheit der Fürsten urteilte, wie stellte er sich dann zu Preußen und Österreich? II. Preußen und Österreich. In seinem Aufsatze in den Preußischen Jahrbüchern August 1904 konnte E. Müsebeck behaupten: „In keiner seiner damaligen Schriften tritt der Gegensatz Arndtscher Weltanschauung zu Friedrich dem Großen und dem friderizianischen Preußen weniger scharf hervor als im .Geist der Zeit II'." Müsebeck lag eben nur die zweite Ausgabe vor, nur für sie trifft das zu! Hier ist eben alles das, was Preußen verletzen konnte, durchweg ausgemerzt. Geben wir zunächst wieder den Ton an, auf den die Änderungen gestimmt sind: 1809 redete Arndt von den „bangen Preußen", 1313 konnte und mußte er sie „die braven" nennen (19 — 13); 1809 hieß es: „Preußen spielte (1805/06) die Rolle eines politischen Schulknaben, der auch gern eine Kastanie aus der glühenden Asche holen möchte, dem aber bange ist, sich die Finger zu ver¬ brennen" (89); 1813: „Preußen hatte die günstige Zeit verzaubert" (95—37); 1809: Preußen „überließ sein Volk völlig als ein fremdes, während es seinen (Napoleons) Raub mit teilen half" (103); 1813: Preußen „schien sein Volk völlig als ein fremdes zu verlassen" (109—43); 1809: seine Erwerbungen gaben ihm „viele Unehre und Haß bei seiner Nation" (105); 1813: „wahrlich bei dem deutschen Volke keine Liebe" (110—44); 1809 tadelte er „die alt- gebornen und hochgebornen Dummköpfe" (99 — 104 — 41), „die schwache Mittelmäßigkeit des preußischen Kabinets" und „die Partei der Tröpfe, vielleicht der Verräter", 1813 milder „die bekannte Friedfertigkeit" und „die Partei der zaubernden Halbheit" (111 — 116 — 47), und strich 1813: „Preußen mußte ein Knechtsgesicht unter Knechten annehmen" (115—120—49). 1809 hatten die Preußen „von Österreich und Rußland kein Vertrauen und keine Hilfe ver¬ dient", 1813 „konnten sie diese kaum erwarten" (116 — 121—49). Seinen: Bemühen, einen Weg zur Einheit zu finden, stellte die Existenz Preußens, deren Berechtigung er doch auch nicht leugnen konnte, die größten Schwierigkeiten entgegen. Zwar hatte Arndt merkwürdigerweise 1809 für ") „Werke" I, 34, anscheinend, ebenso wie Rassow, Pommersche Jahrbücher 1906, 229 f., in Verkennung der vorsichtigeren Formulierung Lehmanns (III, 17S). **) Briefe an Charlotte von Kälber. 1373. S, 147/8.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/606>, abgerufen am 01.01.2025.