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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Arndt als Agitator und Äffiziosus

fertigen Arme lähmten. Ich frage euch, dürfen Fürsten, damit sie selbst
kümmerlich herrschen, ihr Volk zu Knechten machen?" (181/82--184--79.)
Denn, wie Arndt später sast gleichlautend im Katechismus verkündet (Kap. V:
"Das Land und das Volk sollen unsterblich sein, aber die Herren und Fürsten
mit ihren Ehren und Schanden sind vergänglich"): "Nur das Volk ist das
Ewige und soll das Ewige sein, und nach dem Sinn und der Not dieses
Volkes muß jeder leiden und tun mit der besten Liebe und Pflicht seiner Zeit"
(416). "Eure Fürsten waren keine Männer und standen selbst in der gefährlichsten
Zeit noch in Zwietracht mit einander. Sie haben euch verraten und in die
Knechtschaft geliefert; ihr werdet euch selbst wieder frei machen." (370--368--157.)
Alle diese revolutionären Folgerungen wurden 1813 entweder ganz getilgt oder
verallgemeinert und stark abgeschwächt. Zwei treffliche Beispiele mögen die
Methode noch kennzeichnen:


[Beginn Spaltensatz]
1309
448: Ach! ihr (deutschen Männer) seid erschreck-
ich keinem Manne verzeihe, der fünf
Schritt weit sehen kann; jetzt ist die
Zeit gekommen, wo ihr euch zu dem
Sinn Einer Nation und Einer Gemein¬
schaft erheben mnszet, wo ihr alle für
Einen und Einer für alle zusammen¬
stehen und fallen mühet. Eure Fürsten
können euch nicht schützen noch retten:
ihren Knechtssinn habt ihr genug gesehen,
nuf denn und helfet euch selbst und tut
die große Notwendigkeit!lich dumm. Schön istesandemMenschen,
daß er sich gewöhnen kann, daß er an alten
Weisen klebt, an langem Wahn hängt --
nur dadurch ist er ein Mensch. Ich ehre
eureLiebe, eure Anhänglichkeit, eure Opfer
für eure Fürsten, teutsche Männer! Aber
jedesmenschlicheDinghat seinMaß. Jetzt
ist diese Anhänglichkeit, diese Liebe, diese
Gerechtigkeit, wie einige von euch sie
nennen, die allerplattesto Dummheit, die
46S: Darum seid nun gerüstet, reißet euch
los von dem leeren Wahn, verbindet
euch zur Einheit und gehet unter einem
teutschen Führer zu Sieg und Tod.
[Spaltenumbruch]
1813
419/420 -- 17g: Ach! ihr wollet die fürchtcr-
liebe Zeit immer noch nicht begreifen!
... Will ich die Liebe und Treue schelten,
wodurch ihr zurückgehalten werdet ? Wahr¬
lich nicht ich, -- aber sie soll euch nicht
binden für den Dienst des fremden
Tyrannen. Es ist eine heiligere und
unverletzlichere Treue und Liebe, welche
jeder teutsche Mann bei der Geburt ge¬
schworen hat, die Liebe und Treue zum
teutschen Baterlande........
430--184:
nicht zum Ungehorsam gegen die Fürsten,
sondern zum Gehorsam gegen das Vater¬
land......

[Ende Spaltensatz]

Es ist kein Zweifel: Arndt hat die letzte Konsequenz der deutsch-nationalen
Idee nicht erst, wie noch Max Lehmann (Stein III. 181) feststellen mußte, im
Soldatenkatechismns gezogen, sondern bereits in der ersten Ausgabe des
"Geistes der Zeit", II. Dadurch wird auch die Auffassung von der Tätigkeit
Arndts unter Stein wesentlich geändert: Arndt hat nicht etwa nur, -- so hat


Arndt als Agitator und Äffiziosus

fertigen Arme lähmten. Ich frage euch, dürfen Fürsten, damit sie selbst
kümmerlich herrschen, ihr Volk zu Knechten machen?" (181/82—184—79.)
Denn, wie Arndt später sast gleichlautend im Katechismus verkündet (Kap. V:
„Das Land und das Volk sollen unsterblich sein, aber die Herren und Fürsten
mit ihren Ehren und Schanden sind vergänglich"): „Nur das Volk ist das
Ewige und soll das Ewige sein, und nach dem Sinn und der Not dieses
Volkes muß jeder leiden und tun mit der besten Liebe und Pflicht seiner Zeit"
(416). „Eure Fürsten waren keine Männer und standen selbst in der gefährlichsten
Zeit noch in Zwietracht mit einander. Sie haben euch verraten und in die
Knechtschaft geliefert; ihr werdet euch selbst wieder frei machen." (370—368—157.)
Alle diese revolutionären Folgerungen wurden 1813 entweder ganz getilgt oder
verallgemeinert und stark abgeschwächt. Zwei treffliche Beispiele mögen die
Methode noch kennzeichnen:


[Beginn Spaltensatz]
1309
448: Ach! ihr (deutschen Männer) seid erschreck-
ich keinem Manne verzeihe, der fünf
Schritt weit sehen kann; jetzt ist die
Zeit gekommen, wo ihr euch zu dem
Sinn Einer Nation und Einer Gemein¬
schaft erheben mnszet, wo ihr alle für
Einen und Einer für alle zusammen¬
stehen und fallen mühet. Eure Fürsten
können euch nicht schützen noch retten:
ihren Knechtssinn habt ihr genug gesehen,
nuf denn und helfet euch selbst und tut
die große Notwendigkeit!lich dumm. Schön istesandemMenschen,
daß er sich gewöhnen kann, daß er an alten
Weisen klebt, an langem Wahn hängt —
nur dadurch ist er ein Mensch. Ich ehre
eureLiebe, eure Anhänglichkeit, eure Opfer
für eure Fürsten, teutsche Männer! Aber
jedesmenschlicheDinghat seinMaß. Jetzt
ist diese Anhänglichkeit, diese Liebe, diese
Gerechtigkeit, wie einige von euch sie
nennen, die allerplattesto Dummheit, die
46S: Darum seid nun gerüstet, reißet euch
los von dem leeren Wahn, verbindet
euch zur Einheit und gehet unter einem
teutschen Führer zu Sieg und Tod.
[Spaltenumbruch]
1813
419/420 — 17g: Ach! ihr wollet die fürchtcr-
liebe Zeit immer noch nicht begreifen!
... Will ich die Liebe und Treue schelten,
wodurch ihr zurückgehalten werdet ? Wahr¬
lich nicht ich, — aber sie soll euch nicht
binden für den Dienst des fremden
Tyrannen. Es ist eine heiligere und
unverletzlichere Treue und Liebe, welche
jeder teutsche Mann bei der Geburt ge¬
schworen hat, die Liebe und Treue zum
teutschen Baterlande........
430—184:
nicht zum Ungehorsam gegen die Fürsten,
sondern zum Gehorsam gegen das Vater¬
land......

[Ende Spaltensatz]

Es ist kein Zweifel: Arndt hat die letzte Konsequenz der deutsch-nationalen
Idee nicht erst, wie noch Max Lehmann (Stein III. 181) feststellen mußte, im
Soldatenkatechismns gezogen, sondern bereits in der ersten Ausgabe des
„Geistes der Zeit", II. Dadurch wird auch die Auffassung von der Tätigkeit
Arndts unter Stein wesentlich geändert: Arndt hat nicht etwa nur, — so hat


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[0605] Arndt als Agitator und Äffiziosus fertigen Arme lähmten. Ich frage euch, dürfen Fürsten, damit sie selbst kümmerlich herrschen, ihr Volk zu Knechten machen?" (181/82—184—79.) Denn, wie Arndt später sast gleichlautend im Katechismus verkündet (Kap. V: „Das Land und das Volk sollen unsterblich sein, aber die Herren und Fürsten mit ihren Ehren und Schanden sind vergänglich"): „Nur das Volk ist das Ewige und soll das Ewige sein, und nach dem Sinn und der Not dieses Volkes muß jeder leiden und tun mit der besten Liebe und Pflicht seiner Zeit" (416). „Eure Fürsten waren keine Männer und standen selbst in der gefährlichsten Zeit noch in Zwietracht mit einander. Sie haben euch verraten und in die Knechtschaft geliefert; ihr werdet euch selbst wieder frei machen." (370—368—157.) Alle diese revolutionären Folgerungen wurden 1813 entweder ganz getilgt oder verallgemeinert und stark abgeschwächt. Zwei treffliche Beispiele mögen die Methode noch kennzeichnen: 1309 448: Ach! ihr (deutschen Männer) seid erschreck- ich keinem Manne verzeihe, der fünf Schritt weit sehen kann; jetzt ist die Zeit gekommen, wo ihr euch zu dem Sinn Einer Nation und Einer Gemein¬ schaft erheben mnszet, wo ihr alle für Einen und Einer für alle zusammen¬ stehen und fallen mühet. Eure Fürsten können euch nicht schützen noch retten: ihren Knechtssinn habt ihr genug gesehen, nuf denn und helfet euch selbst und tut die große Notwendigkeit!lich dumm. Schön istesandemMenschen, daß er sich gewöhnen kann, daß er an alten Weisen klebt, an langem Wahn hängt — nur dadurch ist er ein Mensch. Ich ehre eureLiebe, eure Anhänglichkeit, eure Opfer für eure Fürsten, teutsche Männer! Aber jedesmenschlicheDinghat seinMaß. Jetzt ist diese Anhänglichkeit, diese Liebe, diese Gerechtigkeit, wie einige von euch sie nennen, die allerplattesto Dummheit, die 46S: Darum seid nun gerüstet, reißet euch los von dem leeren Wahn, verbindet euch zur Einheit und gehet unter einem teutschen Führer zu Sieg und Tod. 1813 419/420 — 17g: Ach! ihr wollet die fürchtcr- liebe Zeit immer noch nicht begreifen! ... Will ich die Liebe und Treue schelten, wodurch ihr zurückgehalten werdet ? Wahr¬ lich nicht ich, — aber sie soll euch nicht binden für den Dienst des fremden Tyrannen. Es ist eine heiligere und unverletzlichere Treue und Liebe, welche jeder teutsche Mann bei der Geburt ge¬ schworen hat, die Liebe und Treue zum teutschen Baterlande........ 430—184: nicht zum Ungehorsam gegen die Fürsten, sondern zum Gehorsam gegen das Vater¬ land...... Es ist kein Zweifel: Arndt hat die letzte Konsequenz der deutsch-nationalen Idee nicht erst, wie noch Max Lehmann (Stein III. 181) feststellen mußte, im Soldatenkatechismns gezogen, sondern bereits in der ersten Ausgabe des „Geistes der Zeit", II. Dadurch wird auch die Auffassung von der Tätigkeit Arndts unter Stein wesentlich geändert: Arndt hat nicht etwa nur, — so hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/605>, abgerufen am 04.01.2025.