Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Arndt als Agitator und Gffiziosus Höret es! sollten denn die, welche sich die Ersten und Freiesten in ihm nannten, Doch wollet ihr immer noch die Schwerter und Scepter halten -- und An euch muß ich mich halten wegen der Ratlosigkeit, Feigheit, Schlechtigkeit Aber was habt ihr getan, noch in dieser Zeit getan, wo die fürchterlichen Arndt als Agitator und Gffiziosus Höret es! sollten denn die, welche sich die Ersten und Freiesten in ihm nannten, Doch wollet ihr immer noch die Schwerter und Scepter halten — und An euch muß ich mich halten wegen der Ratlosigkeit, Feigheit, Schlechtigkeit Aber was habt ihr getan, noch in dieser Zeit getan, wo die fürchterlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0602" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319549"/> <fw type="header" place="top"> Arndt als Agitator und Gffiziosus</fw><lb/> <p xml:id="ID_2833" prev="#ID_2832"> Höret es! sollten denn die, welche sich die Ersten und Freiesten in ihm nannten,<lb/> nicht die Gebildetsten, Kunstreichsten, Ehrenvollsten gewesen sein? Doch sie waren<lb/> es nicht, weil sie sich immer geschlossen hielten, anch der höheren Bildung, dem<lb/> edleren Sinn, dem freieren Geist der Nation sich geschlossen hielten. Solchen<lb/> Adel hat man nirgends in Europa gesehen. Nicht blos Träger von Korporal¬<lb/> stöcken, nicht blos Hasenhetzer, die aus ihren Freihufen lagen, sondern Männer,<lb/> die ihre Jugend in Studien verlebt hatten und Staatsämter bekleideten, hatten<lb/> sie nicht den Ton, den Glauben, sich außerordentlich herabzulassen, wenn<lb/> sie einen Bürger, den ausgezeichnetsten, gebildetsten Bürger, durch eine Tat,<lb/> eine Kunst, eine Erfindung vielleicht einen unsterblichen Mann, nur in ihre<lb/> Gesellschaft aufnahmen? war es den meisten der hoch- und hochwohlgeborenen<lb/> Nasen nicht, als sei irgendein Geruch im Bürgerblute, der etwas Unausstehliches<lb/> habe? So bliebet ihr stehen, vereinzelt und arm stehen, und der Sinn, die<lb/> Ehre, der Glanz der Nation war bei euch nur in der Einbildung, nicht in dem<lb/> Gefühl; ihr bliebet stehen, gleich Stöcken und Steinen und seid hingestolpert<lb/> wie Stöcke und Steine.</p><lb/> <p xml:id="ID_2834"> Doch wollet ihr immer noch die Schwerter und Scepter halten — und<lb/> sie sind zerbrochen in euren Händen, zerbrochen in Schande, und Narren und<lb/> Buben spielen mit ihren Trümmern. Eure elende Eitelkeit, eure aufgeblasene<lb/> Unwissenheit, eure unbegeisterte Ehrlosigkeit säeten Haß und Zwietracht im Frieden<lb/> und konnten im Kriege Mut und Hoheit weder fassen noch erzeugen. So standet<lb/> ihr fern von dem Volk und fern von seiner Kraft und Würde. Des¬<lb/> wegen muß ich so sprechen von eurer dicken Zahl! Die Edlen und Tapfern<lb/> eurer Kaste werden mir danken, denn sie gehören nicht zu euch.</p><lb/> <p xml:id="ID_2835"> An euch muß ich mich halten wegen der Ratlosigkeit, Feigheit, Schlechtigkeit<lb/> unserer Fürsten. Wie ihr es auch wenden möget, ihr möget nimmer entrinnen,<lb/> daß die Schuld nicht düster und schwer auf euch laste. Ihr trüget nach den<lb/> Verfassungen des Vaterlandes das Regiment und die Fürsten; die Darstellung,<lb/> der Rat, der Entschluß, die Ausführung, selbst das Größte, die Fortschreitung<lb/> oder die Hemmung des ganzen Volkes war bei euch. Wäret ihr Männer von<lb/> Tätigkeit, Kraft und Ehre, so mußten die Fürsten Tätigkeit, Kraft und Ehre<lb/> offenbaren; wähltet ihr das Glorreiche, sie konnten das Schändliche nicht wählen;<lb/> sprächet ihr Wahrheit, sie konnten nicht Trug tun; wachtet ihr für das Vater¬<lb/> land, sie durften nicht schlafen für das Vaterland.</p><lb/> <p xml:id="ID_2836" next="#ID_2837"> Aber was habt ihr getan, noch in dieser Zeit getan, wo die fürchterlichen<lb/> Wogen der Zerstörung und Umkehrung sich von allen Seiten über das<lb/> unglückliche Europa hinwälzten? was habt ihr getan in den letzten fünf¬<lb/> zehn, zehn, ja in den letzten fünf Jahren noch? Sorglos der Gefahren, die<lb/> drohten, unbewußt des Geistes, der in der Zeit strebt, gefühllos der Not, die<lb/> über dem Vaterlande hing, uneingedenk der Macht der Erinnerungen der Väter,<lb/> uneingedenk der heiligerer Macht der Pflichten, wäret ihr dem Pöbel gleich, aber<lb/> viel schlechter als er, weil ihr als Pöbel verachtetet, was euch nicht gleich war.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0602]
Arndt als Agitator und Gffiziosus
Höret es! sollten denn die, welche sich die Ersten und Freiesten in ihm nannten,
nicht die Gebildetsten, Kunstreichsten, Ehrenvollsten gewesen sein? Doch sie waren
es nicht, weil sie sich immer geschlossen hielten, anch der höheren Bildung, dem
edleren Sinn, dem freieren Geist der Nation sich geschlossen hielten. Solchen
Adel hat man nirgends in Europa gesehen. Nicht blos Träger von Korporal¬
stöcken, nicht blos Hasenhetzer, die aus ihren Freihufen lagen, sondern Männer,
die ihre Jugend in Studien verlebt hatten und Staatsämter bekleideten, hatten
sie nicht den Ton, den Glauben, sich außerordentlich herabzulassen, wenn
sie einen Bürger, den ausgezeichnetsten, gebildetsten Bürger, durch eine Tat,
eine Kunst, eine Erfindung vielleicht einen unsterblichen Mann, nur in ihre
Gesellschaft aufnahmen? war es den meisten der hoch- und hochwohlgeborenen
Nasen nicht, als sei irgendein Geruch im Bürgerblute, der etwas Unausstehliches
habe? So bliebet ihr stehen, vereinzelt und arm stehen, und der Sinn, die
Ehre, der Glanz der Nation war bei euch nur in der Einbildung, nicht in dem
Gefühl; ihr bliebet stehen, gleich Stöcken und Steinen und seid hingestolpert
wie Stöcke und Steine.
Doch wollet ihr immer noch die Schwerter und Scepter halten — und
sie sind zerbrochen in euren Händen, zerbrochen in Schande, und Narren und
Buben spielen mit ihren Trümmern. Eure elende Eitelkeit, eure aufgeblasene
Unwissenheit, eure unbegeisterte Ehrlosigkeit säeten Haß und Zwietracht im Frieden
und konnten im Kriege Mut und Hoheit weder fassen noch erzeugen. So standet
ihr fern von dem Volk und fern von seiner Kraft und Würde. Des¬
wegen muß ich so sprechen von eurer dicken Zahl! Die Edlen und Tapfern
eurer Kaste werden mir danken, denn sie gehören nicht zu euch.
An euch muß ich mich halten wegen der Ratlosigkeit, Feigheit, Schlechtigkeit
unserer Fürsten. Wie ihr es auch wenden möget, ihr möget nimmer entrinnen,
daß die Schuld nicht düster und schwer auf euch laste. Ihr trüget nach den
Verfassungen des Vaterlandes das Regiment und die Fürsten; die Darstellung,
der Rat, der Entschluß, die Ausführung, selbst das Größte, die Fortschreitung
oder die Hemmung des ganzen Volkes war bei euch. Wäret ihr Männer von
Tätigkeit, Kraft und Ehre, so mußten die Fürsten Tätigkeit, Kraft und Ehre
offenbaren; wähltet ihr das Glorreiche, sie konnten das Schändliche nicht wählen;
sprächet ihr Wahrheit, sie konnten nicht Trug tun; wachtet ihr für das Vater¬
land, sie durften nicht schlafen für das Vaterland.
Aber was habt ihr getan, noch in dieser Zeit getan, wo die fürchterlichen
Wogen der Zerstörung und Umkehrung sich von allen Seiten über das
unglückliche Europa hinwälzten? was habt ihr getan in den letzten fünf¬
zehn, zehn, ja in den letzten fünf Jahren noch? Sorglos der Gefahren, die
drohten, unbewußt des Geistes, der in der Zeit strebt, gefühllos der Not, die
über dem Vaterlande hing, uneingedenk der Macht der Erinnerungen der Väter,
uneingedenk der heiligerer Macht der Pflichten, wäret ihr dem Pöbel gleich, aber
viel schlechter als er, weil ihr als Pöbel verachtetet, was euch nicht gleich war.
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