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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Arndt als Agitator und Gffiziosus

der Saale davonliefen? ... wer da noch lachen konnte, der verdiente die Peitschen¬
hiebe, die er jetzt fühlt. Auch hier gilt der biblische Spruch des ersten der
vier großen Propheten: Dann freut sich der Pöbel, dann frohlocken die Junker,
das wirst Du, Herr, ihnen nicht vergeben.

Doch nicht hierher! ich will keinen Hohn sprechen; er ziemt der Trauer
nicht. Bist du blutig, Wahrheit, und mußt du blutig sein, so scheine der
Ernst durch, der heilen möchte, wo er verwundet.

So wie die Frommen alles auf Gott und auf Satan schieben in letzter
Instanz, so schieben die Schwächlinge dieser Zeit alle Schuld und alles Unheil
gar zu gern auf die Fürsten. Aber ich will die Frage einmal an euch bringen,
und ich muß sie an euch bringen. Ich frage denn: was bedeutetet ihr und
was wolltet ihr bedeuten im Vaterlande? Besteht die Antwort nicht vor der
Frage, wie mag ich es wenden, daß ein Teil der schwarzen Last von den
Fürsten nicht auf euch gewälzt werde?

In unseren Staaten, was bedeutetet ihr? Gesetzlich durch altes Ungesetz,
aber immer einmal gesetzlich, wäret ihr die geborenen Herren nächst den Fürsten;
euer waren die Freiheiten, euer die Herrlichkeiten, euer die Vorrechte und Würden;
ihr wäret die geborenen Befehlhaber und Anführer im Kriege, ihr die geborenen
Räte und Mitregenten im Frieden; ihr wäret die Gespielen, die Erzieher, die
Begleiter, die Zier und der Schmuck der Könige und Fürsten; eure Stimme war
der Befehl, die Erklärung, der Ausspruch für alle. Dies alles, so Großes,
vielleicht so Ungesetzliches, bedeutetet ihr nach deutschen Gesetz. Aber viel mehr
wolltet ihr bedeuten und maßetet ihr euch an, und konntet ihr euch anmaßen;
denn ihr hattet die Macht in Händen. Ich kenne euch, ich habe die
meisten Provinzen Teutschlands gesehen. Ich sage euch denn, wie ihr wäret;
ich weiß leider, daß noch viele Elende unter euch sind, die in größter Schmach
veraltete Erbärmlichkeiten nicht vergessen wollen. Ihr wäret in den meisten
Staaten Teutschlands nicht nur die erste Kaste, sondern auch eine geschlossene
und abgesonderte Kaste, die durch Gemeinschaft mit den übrigen Klassen des Volkes
gleichsam befleckt ward. Dies hätte hingehen mögen, wenn es Stolz gewesen
wäre, nicht Hoffart. O wie wollte ich knieen vor euch, hättet ihr eine geheime
Lehre vorausgehabt vor den übrigen Ständen der Nation, eine geheime Lehre
größerer Ehre, höherer Bildung, heißerer Vaterlandsliebe, ernsterer Aufopferung!
Aber nein, ihr schlösset euch zusammen in eitler Hoffart, nicht achtend auf die
Zeit und ihren Geist, nicht achtend auf das Volk und sein Bedürfnis, nicht
achtend auf euch selbst und eure Ehre. Was geht es mich hier an, in
welcher Zeit der Barbarei und durch welche Not oder welchen Zufall ihr
entsprungen seid; aber ich sage euch, wenn ihr selbst es euch nicht zu sagen
waget, es geht nicht mehr, die Welt trägt sich nicht mehr, wie in alten Zeiten:
Wer nicht mit dem Neuen fortgehen will, muß mit dem Alten sterben. Höret
es! euer Volk, das teutsche Volk, war unter den edelsten, aufgeklärtesten, fort¬
geschrittensten in Künsten und Wissenschaften, in Arbeiten und Erfindungen.


Grenzbotsn III 1911 ^
Arndt als Agitator und Gffiziosus

der Saale davonliefen? ... wer da noch lachen konnte, der verdiente die Peitschen¬
hiebe, die er jetzt fühlt. Auch hier gilt der biblische Spruch des ersten der
vier großen Propheten: Dann freut sich der Pöbel, dann frohlocken die Junker,
das wirst Du, Herr, ihnen nicht vergeben.

Doch nicht hierher! ich will keinen Hohn sprechen; er ziemt der Trauer
nicht. Bist du blutig, Wahrheit, und mußt du blutig sein, so scheine der
Ernst durch, der heilen möchte, wo er verwundet.

So wie die Frommen alles auf Gott und auf Satan schieben in letzter
Instanz, so schieben die Schwächlinge dieser Zeit alle Schuld und alles Unheil
gar zu gern auf die Fürsten. Aber ich will die Frage einmal an euch bringen,
und ich muß sie an euch bringen. Ich frage denn: was bedeutetet ihr und
was wolltet ihr bedeuten im Vaterlande? Besteht die Antwort nicht vor der
Frage, wie mag ich es wenden, daß ein Teil der schwarzen Last von den
Fürsten nicht auf euch gewälzt werde?

In unseren Staaten, was bedeutetet ihr? Gesetzlich durch altes Ungesetz,
aber immer einmal gesetzlich, wäret ihr die geborenen Herren nächst den Fürsten;
euer waren die Freiheiten, euer die Herrlichkeiten, euer die Vorrechte und Würden;
ihr wäret die geborenen Befehlhaber und Anführer im Kriege, ihr die geborenen
Räte und Mitregenten im Frieden; ihr wäret die Gespielen, die Erzieher, die
Begleiter, die Zier und der Schmuck der Könige und Fürsten; eure Stimme war
der Befehl, die Erklärung, der Ausspruch für alle. Dies alles, so Großes,
vielleicht so Ungesetzliches, bedeutetet ihr nach deutschen Gesetz. Aber viel mehr
wolltet ihr bedeuten und maßetet ihr euch an, und konntet ihr euch anmaßen;
denn ihr hattet die Macht in Händen. Ich kenne euch, ich habe die
meisten Provinzen Teutschlands gesehen. Ich sage euch denn, wie ihr wäret;
ich weiß leider, daß noch viele Elende unter euch sind, die in größter Schmach
veraltete Erbärmlichkeiten nicht vergessen wollen. Ihr wäret in den meisten
Staaten Teutschlands nicht nur die erste Kaste, sondern auch eine geschlossene
und abgesonderte Kaste, die durch Gemeinschaft mit den übrigen Klassen des Volkes
gleichsam befleckt ward. Dies hätte hingehen mögen, wenn es Stolz gewesen
wäre, nicht Hoffart. O wie wollte ich knieen vor euch, hättet ihr eine geheime
Lehre vorausgehabt vor den übrigen Ständen der Nation, eine geheime Lehre
größerer Ehre, höherer Bildung, heißerer Vaterlandsliebe, ernsterer Aufopferung!
Aber nein, ihr schlösset euch zusammen in eitler Hoffart, nicht achtend auf die
Zeit und ihren Geist, nicht achtend auf das Volk und sein Bedürfnis, nicht
achtend auf euch selbst und eure Ehre. Was geht es mich hier an, in
welcher Zeit der Barbarei und durch welche Not oder welchen Zufall ihr
entsprungen seid; aber ich sage euch, wenn ihr selbst es euch nicht zu sagen
waget, es geht nicht mehr, die Welt trägt sich nicht mehr, wie in alten Zeiten:
Wer nicht mit dem Neuen fortgehen will, muß mit dem Alten sterben. Höret
es! euer Volk, das teutsche Volk, war unter den edelsten, aufgeklärtesten, fort¬
geschrittensten in Künsten und Wissenschaften, in Arbeiten und Erfindungen.


Grenzbotsn III 1911 ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/601>, abgerufen am 04.01.2025.