Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Stolypin und Rußland einiges Vertrauen bei den politisch tätigen Sjemstwomännern erzeugen können, wenn Zu diesen inneren Schwierigkeiten des Ministeriums Goremykin gesellte Stolypin und Rußland einiges Vertrauen bei den politisch tätigen Sjemstwomännern erzeugen können, wenn Zu diesen inneren Schwierigkeiten des Ministeriums Goremykin gesellte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0596" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319543"/> <fw type="header" place="top"> Stolypin und Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_2814" prev="#ID_2813"> einiges Vertrauen bei den politisch tätigen Sjemstwomännern erzeugen können, wenn<lb/> nicht Stischinski mit seinem ersten Gehilfen Gurko geradezu wie ein rotes Tuch<lb/> auf die gemäßigten Reformer gewirkt hätte. Stischinski hatte seinerzeit in der<lb/> Sjemstwofrage in dem Goremykin feindlichen Lager gestanden und war bekannt<lb/> dafür, daß er es stets verstand, den adligen Familien und damit dem Gro߬<lb/> grundbesitz wirtschaftliche Vorteile zu erlisten. Stischinski war kurz gesagt<lb/> der Vertreter und Vertrauensmann jener Adelskaste, die, durch Alexander<lb/> den Dritten neu gefestigt, vor allen Dingen für die heillose Verwirrung ver¬<lb/> antwortlich gemacht werden muß, die im Jahre 1904 nach der Ermordung<lb/> Plewes aller Welt offenbar geworden ist. Von Stischinski, oder, genauer<lb/> gesagt, von den Hintermännern Stischinskis, etwa Graf d'Horrsre, Pawlow und<lb/> dem Kreise Gringmuts von der Moskowskija Wjedomosti, ging dann auch die<lb/> Sammlung des Großgrundbesitzes auf „nationaler" Basis aus, die das Streben<lb/> Stolypins, eine Erneuerung Rußlands herbeizuführen, zu einem schier un¬<lb/> möglichen Unterfangen stempelte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2815" next="#ID_2816"> Zu diesen inneren Schwierigkeiten des Ministeriums Goremykin gesellte<lb/> sich noch eine weitere, die aber erst dein Ministerium Stolypin besonders lästig<lb/> fallen sollte. Stolypin konnte der Öffentlichkeit nicht zum Bewußtsein bringen,<lb/> daß er der Richtung gebende Mann des Kabinetts sei, weil er als solcher auch<lb/> tatsächlich nicht in Aussicht genommen war. Stolypin ist durch einen reinen<lb/> Zufall in die engere Wahl für den Ministerposten gekommen; im Laufe des<lb/> Monats März 1906 wurde im allerengsten Kreise sein Name zuerst genannt.<lb/> Die Dinge lagen damals so: Der Zar hatte sich entschlossen, dem Grafen Witte<lb/> die Leitung der Reichsgeschäfte abzunehmen und damit einen Mann zu betrauen,<lb/> der besonders das Ressort des Innern durch die Praxis kannte. Gewisse Männer,<lb/> wie Duruowo, Jgnatjew u. a. schieden von vornherein aus, weil ihre Namen allein<lb/> den Terror geradezu provoziert hätten. Es mußte daher Umschau unter den<lb/> Gouverneuren gehalten werden. Einige ältere Herren lehnten die Aufforderung des<lb/> Zaren rundweg ab, andere kamen wegen mangelhafter Vorbildung oder auch als des<lb/> Liberalismus verdächtig nicht in Frage. Träger deutscher Namen wollte man<lb/> gleichfalls nicht nehmen, obwohl unter ihnen mancher brauchbare Maun vorhanden.<lb/> Die Kleigels, Wahl, Plewe hatten deutschem Namen einen eigenen Klang<lb/> gegeben, der die russische Intelligenz nervös zusammenzucken ließ. Da wurde<lb/> die Aufmerksamkeit auf Stolypin durch einen Vorgang gelenkt, der zwar schon<lb/> mehrere Monate zurücklag, aber doch erst jetzt Beachtung fand. Der Gouverneur von<lb/> Ssaratow,P.A.Stolypin, hatte im Jahre1905eine demokratischeÄrzteversaunnlung<lb/> zu Zarytzin vor dem Pöbel gerettet und mit eigener Lebensgefahr mehrere jüdische<lb/> Ärzte gegen Angriffe auf der Straße verteidigt. Stolypin wurde dabei durch<lb/> einen Steinwurf verletzt. Dennoch verhinderte er durch sein imponierendes<lb/> Auftreten, nur gestützt auf die Mitwirkung von zwei oder drei niederen Polizei¬<lb/> organen, ein Blutbad. Die Unruhe in Zarytzin war durch den russischen<lb/> Volksverband hervorgerufen worden, für den Gringmut einige Tage vorher in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0596]
Stolypin und Rußland
einiges Vertrauen bei den politisch tätigen Sjemstwomännern erzeugen können, wenn
nicht Stischinski mit seinem ersten Gehilfen Gurko geradezu wie ein rotes Tuch
auf die gemäßigten Reformer gewirkt hätte. Stischinski hatte seinerzeit in der
Sjemstwofrage in dem Goremykin feindlichen Lager gestanden und war bekannt
dafür, daß er es stets verstand, den adligen Familien und damit dem Gro߬
grundbesitz wirtschaftliche Vorteile zu erlisten. Stischinski war kurz gesagt
der Vertreter und Vertrauensmann jener Adelskaste, die, durch Alexander
den Dritten neu gefestigt, vor allen Dingen für die heillose Verwirrung ver¬
antwortlich gemacht werden muß, die im Jahre 1904 nach der Ermordung
Plewes aller Welt offenbar geworden ist. Von Stischinski, oder, genauer
gesagt, von den Hintermännern Stischinskis, etwa Graf d'Horrsre, Pawlow und
dem Kreise Gringmuts von der Moskowskija Wjedomosti, ging dann auch die
Sammlung des Großgrundbesitzes auf „nationaler" Basis aus, die das Streben
Stolypins, eine Erneuerung Rußlands herbeizuführen, zu einem schier un¬
möglichen Unterfangen stempelte.
Zu diesen inneren Schwierigkeiten des Ministeriums Goremykin gesellte
sich noch eine weitere, die aber erst dein Ministerium Stolypin besonders lästig
fallen sollte. Stolypin konnte der Öffentlichkeit nicht zum Bewußtsein bringen,
daß er der Richtung gebende Mann des Kabinetts sei, weil er als solcher auch
tatsächlich nicht in Aussicht genommen war. Stolypin ist durch einen reinen
Zufall in die engere Wahl für den Ministerposten gekommen; im Laufe des
Monats März 1906 wurde im allerengsten Kreise sein Name zuerst genannt.
Die Dinge lagen damals so: Der Zar hatte sich entschlossen, dem Grafen Witte
die Leitung der Reichsgeschäfte abzunehmen und damit einen Mann zu betrauen,
der besonders das Ressort des Innern durch die Praxis kannte. Gewisse Männer,
wie Duruowo, Jgnatjew u. a. schieden von vornherein aus, weil ihre Namen allein
den Terror geradezu provoziert hätten. Es mußte daher Umschau unter den
Gouverneuren gehalten werden. Einige ältere Herren lehnten die Aufforderung des
Zaren rundweg ab, andere kamen wegen mangelhafter Vorbildung oder auch als des
Liberalismus verdächtig nicht in Frage. Träger deutscher Namen wollte man
gleichfalls nicht nehmen, obwohl unter ihnen mancher brauchbare Maun vorhanden.
Die Kleigels, Wahl, Plewe hatten deutschem Namen einen eigenen Klang
gegeben, der die russische Intelligenz nervös zusammenzucken ließ. Da wurde
die Aufmerksamkeit auf Stolypin durch einen Vorgang gelenkt, der zwar schon
mehrere Monate zurücklag, aber doch erst jetzt Beachtung fand. Der Gouverneur von
Ssaratow,P.A.Stolypin, hatte im Jahre1905eine demokratischeÄrzteversaunnlung
zu Zarytzin vor dem Pöbel gerettet und mit eigener Lebensgefahr mehrere jüdische
Ärzte gegen Angriffe auf der Straße verteidigt. Stolypin wurde dabei durch
einen Steinwurf verletzt. Dennoch verhinderte er durch sein imponierendes
Auftreten, nur gestützt auf die Mitwirkung von zwei oder drei niederen Polizei¬
organen, ein Blutbad. Die Unruhe in Zarytzin war durch den russischen
Volksverband hervorgerufen worden, für den Gringmut einige Tage vorher in
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