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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

lichten Abschlüsse des Phönix, der Rombacher Hüttenwerke und der Rheinischen
Stahlwerke. Alle drei liefern ein glänzendes Bild von der Prosperität des letzten
Jahres, zugleich aber auch einen Beweis für die Skepsis, mit der die Ver¬
waltungen die Entwicklung der nächsten Zukunft beurteilen, denn sie sorgen
durch außergewöhnliche Rückstellungen einem Abflauen der Konjunktur zu begegnen.
Diese augenblickliche Wirtschaftslage macht es unwahrscheinlich, daß die nächste
Zeit uns feste Börsen und steigende Kurse bringen wird. Auch der definitive
günstige Abschluß der Marokkoverhandlungen wird kaum oder doch nur vorüber¬
gehend stimulierend wirken. Viel eher ist zu vermuten, daß mit dem Eintritt
dieses Ereignisses, das keinerlei Überraschungen mehr bringen kann, gerade ein
Rückgang der Kurse einsetzt. Das entspräche einer oft an der Börse zu beob¬
achtenden Erscheinung. Ein großer Teil des Publikums und der Spekulation
erwartet von der endgültigen Lösung des Konfliktes einen neuen Aufschwung,
indem er übersieht, daß die Wirkung dieses Ereignisses heute schon als eskomptiert
gelten muß. Es kann daher kaum ausbleiben, daß, wenn die erhoffte Kurs¬
steigerung nicht eintritt, sich eine gewisse Enttäuschung geltend machen wird, die
in einem mehr oder weniger scharfen Rückgang der Kurse zum Ausdruck kommen
dürste. Unterstützt wird diese Mutmaßung durch eine vergleichende Betrachtung
der Kursbewegung an den Auslandsbörsen. Obwohl nämlich weder in
London noch Paris die politische Beunruhigung eine gleich verhängnisvolle
Rolle gespielt hat wie in Berlin, herrscht an diesen Plätzen eine ausgesprochen
flaue Tendenz, die im wesentlichen auf allgemeinwirtschaftlichen Ursachen beruht
und eine Reaktion gegen die vorangegangene Überspekulation darstellt. Die
Berliner Börse, welche dem gegenüber in den letzten Tagen eine gewisse Wider¬
standskraft zeigte, wird sich auf die Dauer von den nachteiligen Einflüssen
schwacher Auslandsmärkte kaum freihalten können.

Die wichtigste Frage freilich bleibt nach dem Ausschalten der Politik die
nach der Gestaltung der Geldverhältnisse. Wir können aber mit Befriedigung
und großer Genugtuung konstatieren, daß gerade unsere finanzielle Rüstung in
dieser schweren Zeit eine glänzende Belastungsprobe bestanden hat. Deutschland
schneidet bei einem Vergleich mit Paris und London nicht schlecht ab. Trotz
Börsenderoute und politischem Mißtrauen hat der Geldmarkt seine Flüssigkeit
bewahrt; kaum die geringste Einwirkung auf die Zinssätze war zu spüren. Der
Privatdiskont hat sich im Laufe der Woche sogar wieder um ein Viertel Prozent
ermäßigt und so es der Neichsbank ermöglicht, die Maßregel einer Diskont¬
erhöhung hinauszuschieben. Ein Bankdiskont von 4 Prozent, ein Privatdiskont
von Sätze für tägliches Geld von 2V2 bis 3 Prozent in politisch unruhiger
Zeit beweisen zur Genüge, daß unser Markt eine respektable finanzielle Wider¬
standskraft besitzt. Diese ist aber um so höher zu schätzen, als der Geldmarkt
diese Flüssigkeit berechnen konnte, obwohl er den größten Teil der beträchtlichen
Auslandsguthaben zur Rückzahlung gebracht hat. Diese fremden -- namentlich
französischen und belgischen -- Gelder, die sich auf recht hohe Beträge (man


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lichten Abschlüsse des Phönix, der Rombacher Hüttenwerke und der Rheinischen
Stahlwerke. Alle drei liefern ein glänzendes Bild von der Prosperität des letzten
Jahres, zugleich aber auch einen Beweis für die Skepsis, mit der die Ver¬
waltungen die Entwicklung der nächsten Zukunft beurteilen, denn sie sorgen
durch außergewöhnliche Rückstellungen einem Abflauen der Konjunktur zu begegnen.
Diese augenblickliche Wirtschaftslage macht es unwahrscheinlich, daß die nächste
Zeit uns feste Börsen und steigende Kurse bringen wird. Auch der definitive
günstige Abschluß der Marokkoverhandlungen wird kaum oder doch nur vorüber¬
gehend stimulierend wirken. Viel eher ist zu vermuten, daß mit dem Eintritt
dieses Ereignisses, das keinerlei Überraschungen mehr bringen kann, gerade ein
Rückgang der Kurse einsetzt. Das entspräche einer oft an der Börse zu beob¬
achtenden Erscheinung. Ein großer Teil des Publikums und der Spekulation
erwartet von der endgültigen Lösung des Konfliktes einen neuen Aufschwung,
indem er übersieht, daß die Wirkung dieses Ereignisses heute schon als eskomptiert
gelten muß. Es kann daher kaum ausbleiben, daß, wenn die erhoffte Kurs¬
steigerung nicht eintritt, sich eine gewisse Enttäuschung geltend machen wird, die
in einem mehr oder weniger scharfen Rückgang der Kurse zum Ausdruck kommen
dürste. Unterstützt wird diese Mutmaßung durch eine vergleichende Betrachtung
der Kursbewegung an den Auslandsbörsen. Obwohl nämlich weder in
London noch Paris die politische Beunruhigung eine gleich verhängnisvolle
Rolle gespielt hat wie in Berlin, herrscht an diesen Plätzen eine ausgesprochen
flaue Tendenz, die im wesentlichen auf allgemeinwirtschaftlichen Ursachen beruht
und eine Reaktion gegen die vorangegangene Überspekulation darstellt. Die
Berliner Börse, welche dem gegenüber in den letzten Tagen eine gewisse Wider¬
standskraft zeigte, wird sich auf die Dauer von den nachteiligen Einflüssen
schwacher Auslandsmärkte kaum freihalten können.

Die wichtigste Frage freilich bleibt nach dem Ausschalten der Politik die
nach der Gestaltung der Geldverhältnisse. Wir können aber mit Befriedigung
und großer Genugtuung konstatieren, daß gerade unsere finanzielle Rüstung in
dieser schweren Zeit eine glänzende Belastungsprobe bestanden hat. Deutschland
schneidet bei einem Vergleich mit Paris und London nicht schlecht ab. Trotz
Börsenderoute und politischem Mißtrauen hat der Geldmarkt seine Flüssigkeit
bewahrt; kaum die geringste Einwirkung auf die Zinssätze war zu spüren. Der
Privatdiskont hat sich im Laufe der Woche sogar wieder um ein Viertel Prozent
ermäßigt und so es der Neichsbank ermöglicht, die Maßregel einer Diskont¬
erhöhung hinauszuschieben. Ein Bankdiskont von 4 Prozent, ein Privatdiskont
von Sätze für tägliches Geld von 2V2 bis 3 Prozent in politisch unruhiger
Zeit beweisen zur Genüge, daß unser Markt eine respektable finanzielle Wider¬
standskraft besitzt. Diese ist aber um so höher zu schätzen, als der Geldmarkt
diese Flüssigkeit berechnen konnte, obwohl er den größten Teil der beträchtlichen
Auslandsguthaben zur Rückzahlung gebracht hat. Diese fremden — namentlich
französischen und belgischen — Gelder, die sich auf recht hohe Beträge (man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/589>, abgerufen am 01.01.2025.