Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsspiegel

schätzte 300 bis 400 Millionen Mark) beliefen, bildeten einen Posten von
zweifelhaftem Wert in der Bilanz unseres Geldmarktes. Denn es lag die Gefahr
nahe, daß diese kurzfristigen Gelder eine künstliche Flüssigkeit vortäuschen und zu
übermäßigen Investitionen verleiten könnten, die dann im Moment eines un¬
erwarteten Zurückziehens jener Guthaben eine Bedrängnis auf dem Geldmarkt,
scharfes Anziehen der Zinssätze und eine Kreditnot hätten hervorrufen müssen.
Ähnlich hat man sich wohl auch die finanzielle Situation Deutschlands im
Auslande vorgestellt, und aus dieser Auffassung heraus erklärt sich der frivole
Versuch, durch falsche Gerüchte über die plötzliche Kündigung französischer und
russischer Guthaben in enormen Beträgen Bestürzung und Verwirrung zu erwecken.
Diese dunkeln Machenschaften haben freilich ihr Ziel verfehlt. Die Lügen und
Übertreibungen waren zu handgreiflich, als daß sie selbst überängstliche Gemüter
hätten schrecken können. Denn alsbald stellte sich heraus, daß die Dinge anders
und just umgekehrt lagen, als es unsere guten Freunde im Ausland wünschen
mochten. Deutschland zahlte seine französischen Guthaben zurück, ohne daß
irgendeine fühlbare Anspannung auf dem Geldmarkt entstand; dagegen zeigte
sich plötzlich, daß in Paris, der Metropole der Geldflüssigkeit, eine Geldklemme
im Anzug war, die den schleunigen Einzug aller im Ausland untergebrachten
Gelder notwendig machte. So wurden die französischen Guthaben nicht nur in
Berlin, sondern auch in Brüssel, Wien, London gekündigt. Die Folge war ein
starkes Steigen des Scheckkurses auf Paris, dem auch die Reichsbank durch
starke Abgaben aus ihrem Portefeuille nur unvollkommen wehren konnte. Denn
auffallenderweise wurden die ausländischen Rückzahlungen auf dem Wege der
Anschaffung in Berlin geleistet -- ein sicheres Zeichen dafür, daß jetzt Deutsch¬
land über Guthaben in Paris verfügen kann. Das erscheint rätselhaft; es
erklärt sich aber wohl daraus, daß durch die starken Effektenverkäufe der jüngsten
Zeit große Guthaben im Auslande, namentlich in London und New Dort, ent¬
standen sind, die nunmehr auf dem Weg über Paris reguliert werden. So hat
die Börsenderoute wenigstens den Vorteil gehabt, die Liquidierung unserer Zahlungs¬
verpflichtungen an das Ausland zu beschleunigen und zu erleichtern. Hier wird
drastisch vor Augen geführt, welchen außerordentlichen Wert ein starker Bestand
von ausländischen Effekten für die heimische Volkswirtschaft besitzt. Freilich hat
der durch die Börsenverhältnisse erzwungene Verkauf dieser Werte große Opfer
erfordert; vom Standpunkt der Gesamtheit aus sind diese aber weit gering¬
fügiger als der Schaden, der entstanden wäre, wenn eine solche Aufrechnung nicht
möglich gewesen wäre. Die vielfach verschlungenen Fäden der internationalen
Kapitalsbeziehungen aufzuknüpfen, ist außerordentlich lehrreich. Wer hätte glauben
sollen, daß in Paris, diesem schier unerschöpflichen Geldreservoir der ganzen
Welt, Mediozinssätze von 6 und 7 Prozent bezahlt werden müßten, während
bei uns Geld auf die gleiche Zeitdauer von Mitte bis Ende September nur
mit 2 bis 3 Prozent bewertet wird? In der Tat, wir können damit zufrieden
sein, daß solchergestalt das immer wieder auftauchende Gerede von der finanziellen


Reichsspiegel

schätzte 300 bis 400 Millionen Mark) beliefen, bildeten einen Posten von
zweifelhaftem Wert in der Bilanz unseres Geldmarktes. Denn es lag die Gefahr
nahe, daß diese kurzfristigen Gelder eine künstliche Flüssigkeit vortäuschen und zu
übermäßigen Investitionen verleiten könnten, die dann im Moment eines un¬
erwarteten Zurückziehens jener Guthaben eine Bedrängnis auf dem Geldmarkt,
scharfes Anziehen der Zinssätze und eine Kreditnot hätten hervorrufen müssen.
Ähnlich hat man sich wohl auch die finanzielle Situation Deutschlands im
Auslande vorgestellt, und aus dieser Auffassung heraus erklärt sich der frivole
Versuch, durch falsche Gerüchte über die plötzliche Kündigung französischer und
russischer Guthaben in enormen Beträgen Bestürzung und Verwirrung zu erwecken.
Diese dunkeln Machenschaften haben freilich ihr Ziel verfehlt. Die Lügen und
Übertreibungen waren zu handgreiflich, als daß sie selbst überängstliche Gemüter
hätten schrecken können. Denn alsbald stellte sich heraus, daß die Dinge anders
und just umgekehrt lagen, als es unsere guten Freunde im Ausland wünschen
mochten. Deutschland zahlte seine französischen Guthaben zurück, ohne daß
irgendeine fühlbare Anspannung auf dem Geldmarkt entstand; dagegen zeigte
sich plötzlich, daß in Paris, der Metropole der Geldflüssigkeit, eine Geldklemme
im Anzug war, die den schleunigen Einzug aller im Ausland untergebrachten
Gelder notwendig machte. So wurden die französischen Guthaben nicht nur in
Berlin, sondern auch in Brüssel, Wien, London gekündigt. Die Folge war ein
starkes Steigen des Scheckkurses auf Paris, dem auch die Reichsbank durch
starke Abgaben aus ihrem Portefeuille nur unvollkommen wehren konnte. Denn
auffallenderweise wurden die ausländischen Rückzahlungen auf dem Wege der
Anschaffung in Berlin geleistet — ein sicheres Zeichen dafür, daß jetzt Deutsch¬
land über Guthaben in Paris verfügen kann. Das erscheint rätselhaft; es
erklärt sich aber wohl daraus, daß durch die starken Effektenverkäufe der jüngsten
Zeit große Guthaben im Auslande, namentlich in London und New Dort, ent¬
standen sind, die nunmehr auf dem Weg über Paris reguliert werden. So hat
die Börsenderoute wenigstens den Vorteil gehabt, die Liquidierung unserer Zahlungs¬
verpflichtungen an das Ausland zu beschleunigen und zu erleichtern. Hier wird
drastisch vor Augen geführt, welchen außerordentlichen Wert ein starker Bestand
von ausländischen Effekten für die heimische Volkswirtschaft besitzt. Freilich hat
der durch die Börsenverhältnisse erzwungene Verkauf dieser Werte große Opfer
erfordert; vom Standpunkt der Gesamtheit aus sind diese aber weit gering¬
fügiger als der Schaden, der entstanden wäre, wenn eine solche Aufrechnung nicht
möglich gewesen wäre. Die vielfach verschlungenen Fäden der internationalen
Kapitalsbeziehungen aufzuknüpfen, ist außerordentlich lehrreich. Wer hätte glauben
sollen, daß in Paris, diesem schier unerschöpflichen Geldreservoir der ganzen
Welt, Mediozinssätze von 6 und 7 Prozent bezahlt werden müßten, während
bei uns Geld auf die gleiche Zeitdauer von Mitte bis Ende September nur
mit 2 bis 3 Prozent bewertet wird? In der Tat, wir können damit zufrieden
sein, daß solchergestalt das immer wieder auftauchende Gerede von der finanziellen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0590" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319537"/>
            <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2803" prev="#ID_2802" next="#ID_2804"> schätzte 300 bis 400 Millionen Mark) beliefen, bildeten einen Posten von<lb/>
zweifelhaftem Wert in der Bilanz unseres Geldmarktes. Denn es lag die Gefahr<lb/>
nahe, daß diese kurzfristigen Gelder eine künstliche Flüssigkeit vortäuschen und zu<lb/>
übermäßigen Investitionen verleiten könnten, die dann im Moment eines un¬<lb/>
erwarteten Zurückziehens jener Guthaben eine Bedrängnis auf dem Geldmarkt,<lb/>
scharfes Anziehen der Zinssätze und eine Kreditnot hätten hervorrufen müssen.<lb/>
Ähnlich hat man sich wohl auch die finanzielle Situation Deutschlands im<lb/>
Auslande vorgestellt, und aus dieser Auffassung heraus erklärt sich der frivole<lb/>
Versuch, durch falsche Gerüchte über die plötzliche Kündigung französischer und<lb/>
russischer Guthaben in enormen Beträgen Bestürzung und Verwirrung zu erwecken.<lb/>
Diese dunkeln Machenschaften haben freilich ihr Ziel verfehlt. Die Lügen und<lb/>
Übertreibungen waren zu handgreiflich, als daß sie selbst überängstliche Gemüter<lb/>
hätten schrecken können. Denn alsbald stellte sich heraus, daß die Dinge anders<lb/>
und just umgekehrt lagen, als es unsere guten Freunde im Ausland wünschen<lb/>
mochten. Deutschland zahlte seine französischen Guthaben zurück, ohne daß<lb/>
irgendeine fühlbare Anspannung auf dem Geldmarkt entstand; dagegen zeigte<lb/>
sich plötzlich, daß in Paris, der Metropole der Geldflüssigkeit, eine Geldklemme<lb/>
im Anzug war, die den schleunigen Einzug aller im Ausland untergebrachten<lb/>
Gelder notwendig machte. So wurden die französischen Guthaben nicht nur in<lb/>
Berlin, sondern auch in Brüssel, Wien, London gekündigt. Die Folge war ein<lb/>
starkes Steigen des Scheckkurses auf Paris, dem auch die Reichsbank durch<lb/>
starke Abgaben aus ihrem Portefeuille nur unvollkommen wehren konnte. Denn<lb/>
auffallenderweise wurden die ausländischen Rückzahlungen auf dem Wege der<lb/>
Anschaffung in Berlin geleistet &#x2014; ein sicheres Zeichen dafür, daß jetzt Deutsch¬<lb/>
land über Guthaben in Paris verfügen kann. Das erscheint rätselhaft; es<lb/>
erklärt sich aber wohl daraus, daß durch die starken Effektenverkäufe der jüngsten<lb/>
Zeit große Guthaben im Auslande, namentlich in London und New Dort, ent¬<lb/>
standen sind, die nunmehr auf dem Weg über Paris reguliert werden. So hat<lb/>
die Börsenderoute wenigstens den Vorteil gehabt, die Liquidierung unserer Zahlungs¬<lb/>
verpflichtungen an das Ausland zu beschleunigen und zu erleichtern. Hier wird<lb/>
drastisch vor Augen geführt, welchen außerordentlichen Wert ein starker Bestand<lb/>
von ausländischen Effekten für die heimische Volkswirtschaft besitzt. Freilich hat<lb/>
der durch die Börsenverhältnisse erzwungene Verkauf dieser Werte große Opfer<lb/>
erfordert; vom Standpunkt der Gesamtheit aus sind diese aber weit gering¬<lb/>
fügiger als der Schaden, der entstanden wäre, wenn eine solche Aufrechnung nicht<lb/>
möglich gewesen wäre. Die vielfach verschlungenen Fäden der internationalen<lb/>
Kapitalsbeziehungen aufzuknüpfen, ist außerordentlich lehrreich. Wer hätte glauben<lb/>
sollen, daß in Paris, diesem schier unerschöpflichen Geldreservoir der ganzen<lb/>
Welt, Mediozinssätze von 6 und 7 Prozent bezahlt werden müßten, während<lb/>
bei uns Geld auf die gleiche Zeitdauer von Mitte bis Ende September nur<lb/>
mit 2 bis 3 Prozent bewertet wird? In der Tat, wir können damit zufrieden<lb/>
sein, daß solchergestalt das immer wieder auftauchende Gerede von der finanziellen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0590] Reichsspiegel schätzte 300 bis 400 Millionen Mark) beliefen, bildeten einen Posten von zweifelhaftem Wert in der Bilanz unseres Geldmarktes. Denn es lag die Gefahr nahe, daß diese kurzfristigen Gelder eine künstliche Flüssigkeit vortäuschen und zu übermäßigen Investitionen verleiten könnten, die dann im Moment eines un¬ erwarteten Zurückziehens jener Guthaben eine Bedrängnis auf dem Geldmarkt, scharfes Anziehen der Zinssätze und eine Kreditnot hätten hervorrufen müssen. Ähnlich hat man sich wohl auch die finanzielle Situation Deutschlands im Auslande vorgestellt, und aus dieser Auffassung heraus erklärt sich der frivole Versuch, durch falsche Gerüchte über die plötzliche Kündigung französischer und russischer Guthaben in enormen Beträgen Bestürzung und Verwirrung zu erwecken. Diese dunkeln Machenschaften haben freilich ihr Ziel verfehlt. Die Lügen und Übertreibungen waren zu handgreiflich, als daß sie selbst überängstliche Gemüter hätten schrecken können. Denn alsbald stellte sich heraus, daß die Dinge anders und just umgekehrt lagen, als es unsere guten Freunde im Ausland wünschen mochten. Deutschland zahlte seine französischen Guthaben zurück, ohne daß irgendeine fühlbare Anspannung auf dem Geldmarkt entstand; dagegen zeigte sich plötzlich, daß in Paris, der Metropole der Geldflüssigkeit, eine Geldklemme im Anzug war, die den schleunigen Einzug aller im Ausland untergebrachten Gelder notwendig machte. So wurden die französischen Guthaben nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel, Wien, London gekündigt. Die Folge war ein starkes Steigen des Scheckkurses auf Paris, dem auch die Reichsbank durch starke Abgaben aus ihrem Portefeuille nur unvollkommen wehren konnte. Denn auffallenderweise wurden die ausländischen Rückzahlungen auf dem Wege der Anschaffung in Berlin geleistet — ein sicheres Zeichen dafür, daß jetzt Deutsch¬ land über Guthaben in Paris verfügen kann. Das erscheint rätselhaft; es erklärt sich aber wohl daraus, daß durch die starken Effektenverkäufe der jüngsten Zeit große Guthaben im Auslande, namentlich in London und New Dort, ent¬ standen sind, die nunmehr auf dem Weg über Paris reguliert werden. So hat die Börsenderoute wenigstens den Vorteil gehabt, die Liquidierung unserer Zahlungs¬ verpflichtungen an das Ausland zu beschleunigen und zu erleichtern. Hier wird drastisch vor Augen geführt, welchen außerordentlichen Wert ein starker Bestand von ausländischen Effekten für die heimische Volkswirtschaft besitzt. Freilich hat der durch die Börsenverhältnisse erzwungene Verkauf dieser Werte große Opfer erfordert; vom Standpunkt der Gesamtheit aus sind diese aber weit gering¬ fügiger als der Schaden, der entstanden wäre, wenn eine solche Aufrechnung nicht möglich gewesen wäre. Die vielfach verschlungenen Fäden der internationalen Kapitalsbeziehungen aufzuknüpfen, ist außerordentlich lehrreich. Wer hätte glauben sollen, daß in Paris, diesem schier unerschöpflichen Geldreservoir der ganzen Welt, Mediozinssätze von 6 und 7 Prozent bezahlt werden müßten, während bei uns Geld auf die gleiche Zeitdauer von Mitte bis Ende September nur mit 2 bis 3 Prozent bewertet wird? In der Tat, wir können damit zufrieden sein, daß solchergestalt das immer wieder auftauchende Gerede von der finanziellen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/590
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/590>, abgerufen am 29.12.2024.