Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Reichsspiegcl organisierte Kundgebungen wegen der Fleisch- und Wohnungsnot stattgefunden, Die Vorgänge in Kijew und in Wien können natürlich nicht ohne Rück¬ Zu meinem lebhaften Bedauern werde ich gezwungen, meine Mit¬ Reichsspiegcl organisierte Kundgebungen wegen der Fleisch- und Wohnungsnot stattgefunden, Die Vorgänge in Kijew und in Wien können natürlich nicht ohne Rück¬ Zu meinem lebhaften Bedauern werde ich gezwungen, meine Mit¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0586" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319533"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegcl</fw><lb/> <p xml:id="ID_2792" prev="#ID_2791"> organisierte Kundgebungen wegen der Fleisch- und Wohnungsnot stattgefunden,<lb/> die einen durchaus revolutionären Charakter annahmen. Die entsprechenden<lb/> Verhältnisse, die als Vorwand dienen mußten, liegen in Österreich allerdings<lb/> viel ungünstiger als bei uns in Deutschland. Die soziale Gesetzgebung hat bei<lb/> weitem nicht die praktischen Ergebnisse zu verzeichnen wie die deutsche, und die<lb/> Ausbeutung der kleinen Mieter durch die Hausbesitzer hat besonders in Wien<lb/> einen Grad erreicht, der bei uns längst schon unmöglich geworden. Hierzu tritt<lb/> noch die Schwäche der Staatsgewalt, die durch den häufigen Wechsel der<lb/> verantwortlichen Minister in dem parlamentarisch regierten Staatswesen bedingt<lb/> ist. Obwohl diesen Verhältnissen bei Beurteilung der Lage Rechnung getragen<lb/> werden muß, bleibt von den Vorgängen in ^den Straßen Wiens noch genug<lb/> übrig, was ^ausschließlich auf das Schuldkonto der revolutionären Sozial¬<lb/> demokratie zu setzen ist. Dazu gehört vor allen Dingen das Lösen eines Böller¬<lb/> schusses, wie schon jetzt entschuldigend bemerkt wird, „um ein Signal zu geben".<lb/> Die Organisatoren von Straßendemonstrationen kennen die Psyche der Masse<lb/> viel zu genau, als daß sie nicht Hütten voraussehen müssen, welche Folgen der<lb/> Schuß haben mußte. In panischen Schrecken versetzt gingen die Massen<lb/> stellenweise zum Angriff auf öffentliche Gebäude über.</p><lb/> <p xml:id="ID_2793"> Die Vorgänge in Kijew und in Wien können natürlich nicht ohne Rück¬<lb/> wirkung auf die Wahlkämpfe in Deutschland bleiben. Sie werden auf beiden<lb/> Seiten ausgenutzt werden, um die Gegensätze in der Nation noch weiter zu<lb/> vertiefen. Immerhin sollten die rechtsstehenden Parteien jene beklagenswerten<lb/> Erscheinungen nicht dazu ausbeuten, um nun die vielfach vorhandenen Ansätze<lb/> zu sozialem Ausgleich in der Entwicklung zu hemmen.---</p><lb/> <p xml:id="ID_2794" next="#ID_2795"> Zu meinem lebhaften Bedauern werde ich gezwungen, meine Mit¬<lb/> teilungen über eine Mannesmannpresse in Heft 36 zu ergänzen. Meine<lb/> als Warnung gedachten Ausführungen haben nur teilweise die gewünschte<lb/> Wirkung gehabt, daneben aber eine Flut von Beleidigungen und sogar<lb/> eine Denunziation beim Offizier-Ehrenrate durch die Presse entfesselt. Meine<lb/> gewiß ruhige Erklärung in Heft 37 wird mir als „Kneiferei" ausgelegt.<lb/> Die drei angegriffenen Blätter protestieren wiederholt gegen Behauptungen, die<lb/> ich nicht aufgestellt habe. Was beabsichtigen sie damit? was wünschen sie zu<lb/> verschleiern? Dem Chor der Gereizten gesellt sich nun die Deutsche Zeitung<lb/> zu, die sich scheinbar auch getroffen fühlt, wenngleich ich sie bisher nicht erwähnte.<lb/> Sie schreibt: „Für die Offiziösen der Grenzboten gibt es kein ernsthaftes,<lb/> nationales Interesse und darum geben sie sich den Anschein, es auch nicht bei<lb/> anderen zu begreifen." Die Entscheidung darüber, ob die Grenzboten auch unter<lb/> meiner Leitung ernsthafte nationale Interessen verteidigt haben, überlasse ich<lb/> meinen Lesern. Daß aber die Unterstützung der Gebrüder Mannesmann in<lb/> Marokko in dem Maße eine nationale Angelegenheit sei, um ihretwegen einen<lb/> Völkerkrieg zu rechtfertigen, das bestreite ich! Ich habe die sachliche Stellung<lb/> der Grenzboten in der Marokkofrage bereits früher eingehend begründet und</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0586]
Reichsspiegcl
organisierte Kundgebungen wegen der Fleisch- und Wohnungsnot stattgefunden,
die einen durchaus revolutionären Charakter annahmen. Die entsprechenden
Verhältnisse, die als Vorwand dienen mußten, liegen in Österreich allerdings
viel ungünstiger als bei uns in Deutschland. Die soziale Gesetzgebung hat bei
weitem nicht die praktischen Ergebnisse zu verzeichnen wie die deutsche, und die
Ausbeutung der kleinen Mieter durch die Hausbesitzer hat besonders in Wien
einen Grad erreicht, der bei uns längst schon unmöglich geworden. Hierzu tritt
noch die Schwäche der Staatsgewalt, die durch den häufigen Wechsel der
verantwortlichen Minister in dem parlamentarisch regierten Staatswesen bedingt
ist. Obwohl diesen Verhältnissen bei Beurteilung der Lage Rechnung getragen
werden muß, bleibt von den Vorgängen in ^den Straßen Wiens noch genug
übrig, was ^ausschließlich auf das Schuldkonto der revolutionären Sozial¬
demokratie zu setzen ist. Dazu gehört vor allen Dingen das Lösen eines Böller¬
schusses, wie schon jetzt entschuldigend bemerkt wird, „um ein Signal zu geben".
Die Organisatoren von Straßendemonstrationen kennen die Psyche der Masse
viel zu genau, als daß sie nicht Hütten voraussehen müssen, welche Folgen der
Schuß haben mußte. In panischen Schrecken versetzt gingen die Massen
stellenweise zum Angriff auf öffentliche Gebäude über.
Die Vorgänge in Kijew und in Wien können natürlich nicht ohne Rück¬
wirkung auf die Wahlkämpfe in Deutschland bleiben. Sie werden auf beiden
Seiten ausgenutzt werden, um die Gegensätze in der Nation noch weiter zu
vertiefen. Immerhin sollten die rechtsstehenden Parteien jene beklagenswerten
Erscheinungen nicht dazu ausbeuten, um nun die vielfach vorhandenen Ansätze
zu sozialem Ausgleich in der Entwicklung zu hemmen.---
Zu meinem lebhaften Bedauern werde ich gezwungen, meine Mit¬
teilungen über eine Mannesmannpresse in Heft 36 zu ergänzen. Meine
als Warnung gedachten Ausführungen haben nur teilweise die gewünschte
Wirkung gehabt, daneben aber eine Flut von Beleidigungen und sogar
eine Denunziation beim Offizier-Ehrenrate durch die Presse entfesselt. Meine
gewiß ruhige Erklärung in Heft 37 wird mir als „Kneiferei" ausgelegt.
Die drei angegriffenen Blätter protestieren wiederholt gegen Behauptungen, die
ich nicht aufgestellt habe. Was beabsichtigen sie damit? was wünschen sie zu
verschleiern? Dem Chor der Gereizten gesellt sich nun die Deutsche Zeitung
zu, die sich scheinbar auch getroffen fühlt, wenngleich ich sie bisher nicht erwähnte.
Sie schreibt: „Für die Offiziösen der Grenzboten gibt es kein ernsthaftes,
nationales Interesse und darum geben sie sich den Anschein, es auch nicht bei
anderen zu begreifen." Die Entscheidung darüber, ob die Grenzboten auch unter
meiner Leitung ernsthafte nationale Interessen verteidigt haben, überlasse ich
meinen Lesern. Daß aber die Unterstützung der Gebrüder Mannesmann in
Marokko in dem Maße eine nationale Angelegenheit sei, um ihretwegen einen
Völkerkrieg zu rechtfertigen, das bestreite ich! Ich habe die sachliche Stellung
der Grenzboten in der Marokkofrage bereits früher eingehend begründet und
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