Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Das Glück des Hauses Rottland gewesen war, dank der französischen Invasion aber zu der ehrenvolleren Stellung Villa, die immer froh war, wenn sie ihre recht anspruchsvollen Herrinnen Dieses schönen Bildes Anblick zu genießen, war ein männliches Wesen berufen, Das Glück des Hauses Rottland gewesen war, dank der französischen Invasion aber zu der ehrenvolleren Stellung Villa, die immer froh war, wenn sie ihre recht anspruchsvollen Herrinnen Dieses schönen Bildes Anblick zu genießen, war ein männliches Wesen berufen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0564" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319511"/> <fw type="header" place="top"> Das Glück des Hauses Rottland</fw><lb/> <p xml:id="ID_2636" prev="#ID_2635"> gewesen war, dank der französischen Invasion aber zu der ehrenvolleren Stellung<lb/> einer Zofe hatte aufrücken dürfen, in den Hof hinunter, um Gerhard den Befehl<lb/> zum Anspannen zu übermitteln.</p><lb/> <p xml:id="ID_2637"> Villa, die immer froh war, wenn sie ihre recht anspruchsvollen Herrinnen<lb/> einmal für ein paar Stunden los wurde, suchte den Knecht mit einem nicht ganz<lb/> uneigennützigen Eifer in Hof, Scheune, Keller und Garten; als sie ihn hier jedoch<lb/> ebenso wenig fand wie im Stall und dabei auch noch die Entdeckung machte, daß<lb/> die Pferde ebenfalls verschwunden waren, kehrte sie mit ehrlich bekümmerten Mienen<lb/> zu den Damen zurück und meldete, daß es mit der Ausfahrt heute wohl nichts<lb/> sein werde. Sie hielt sich für verpflichtet, ein wenig auf den alten Gerhard zu<lb/> schimpfen, der nie zu finden sei, wenn die Herrschaft ihn einmal brauche, während<lb/> er sonst den ganzen Tag in der Gesindestube hocke und faullenze; aber die beiden<lb/> Schwestern kannten ihren teuern Bruder viel zu gut, als daß sie nicht sofort auf<lb/> den Gedanken gekommen wären, er habe ihnen wieder einmal einen Schabernack<lb/> gespielt. Diese Erkenntnis war bitter, doppelt bitter, weil sie, die seine Gast¬<lb/> freundschaft genossen, Böses nicht mit Bösem vergelten und ihm gegenüber nicht<lb/> einmal ihrem nur zu berechtigten Groll Luft machen durften. Dafür suchten sie<lb/> sich einigermaßen zu entschädigen, indem sie gemeinsam tüchtig auf ihren rücksichts¬<lb/> losen Salentin schalten und sich gegenseitig das herzlichste Bedauern darüber aus-<lb/> sprachen, daß das unbarmherzige Schicksal sie zwinge, mit diesem Unmenschen<lb/> unter einem Dache zu wohnen. Und weil die beiden alten Damen nie besser<lb/> miteinander harmonierten, als wenn sie sich über den entarteten Bruder ihr Herz<lb/> ausschütten konnten, so boten sie, nachdem sie ihrer Beredsamkeit eine knappe halbe<lb/> Stunde freien Lauf gelassen hatten, das rührende und erhebende Bild schwester¬<lb/> licher Zärtlichkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_2638"> Dieses schönen Bildes Anblick zu genießen, war ein männliches Wesen berufen,<lb/> das in der Tracht eines Weltgeistlichen, auf dem Haupte den flachen Krempenhut<lb/> der Gesellschaft Jesu und unter dem Arme ein längliches Bündel, auf der Münster-<lb/> eifeler Straße nach Haus Rottland wanderte, um jede der vom letzten Regen her<lb/> stehengebliebenen Pfützen einen weiten Umweg machte und keine wichtigere Auf¬<lb/> gabe zu kennen schien, als seine mit einfachen Stahlschnallen verzierten Schuhe<lb/> vor der Besudelung mit Schlamm und Lehm zu behüten. Es war Pater Ambrosius<lb/> Kernder, ein geistlicher Koadjutor und Lehrer am Jesuitenkollegium, der seit langem<lb/> zu den Freunden des Freiherrn von Friemersheim und seiner Schwestern zählte<lb/> und der Familie, seit er während der Pestzeit auf Haus Rottland die liebevollste<lb/> Gastfreundschaft gefunden hatte, mit aufrichtiger Dankbarkeit zugetan war. Die<lb/> Zuneigung, die er außer dieser Dankbarkeit noch für die Rottländer Herrschaften<lb/> empfand, war allerdings nicht ganz frei von Eigennutz. Nicht, als ob er dabei<lb/> an sich selbst gedacht hätte, denn er war für seine Person von wahrhaft vorbild¬<lb/> licher Anspruchslosigkeit und nahm es mit dem Gelübde der Armut sehr genau,<lb/> aber die bösen Zeiten hatten die Einkünfte des Kollegiums gewaltig geschmälert,<lb/> ehemalige reiche Gönner waren verarmt, die Schüler der Lateinschule hatten sich<lb/> bei der Annäherung der Seuche in alle Winde zerstreut, und auf den stattlichen<lb/> Gebäuden der frommen Väter lasteten drückende Schulden. Da war es ratsam,<lb/> alte Freundschaften sorgsam zu pflegen und in der traurigen Gegenwart kein<lb/> Saatkorn zu sparen, das in einer besseren Zukunft Frucht tragen konnte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0564]
Das Glück des Hauses Rottland
gewesen war, dank der französischen Invasion aber zu der ehrenvolleren Stellung
einer Zofe hatte aufrücken dürfen, in den Hof hinunter, um Gerhard den Befehl
zum Anspannen zu übermitteln.
Villa, die immer froh war, wenn sie ihre recht anspruchsvollen Herrinnen
einmal für ein paar Stunden los wurde, suchte den Knecht mit einem nicht ganz
uneigennützigen Eifer in Hof, Scheune, Keller und Garten; als sie ihn hier jedoch
ebenso wenig fand wie im Stall und dabei auch noch die Entdeckung machte, daß
die Pferde ebenfalls verschwunden waren, kehrte sie mit ehrlich bekümmerten Mienen
zu den Damen zurück und meldete, daß es mit der Ausfahrt heute wohl nichts
sein werde. Sie hielt sich für verpflichtet, ein wenig auf den alten Gerhard zu
schimpfen, der nie zu finden sei, wenn die Herrschaft ihn einmal brauche, während
er sonst den ganzen Tag in der Gesindestube hocke und faullenze; aber die beiden
Schwestern kannten ihren teuern Bruder viel zu gut, als daß sie nicht sofort auf
den Gedanken gekommen wären, er habe ihnen wieder einmal einen Schabernack
gespielt. Diese Erkenntnis war bitter, doppelt bitter, weil sie, die seine Gast¬
freundschaft genossen, Böses nicht mit Bösem vergelten und ihm gegenüber nicht
einmal ihrem nur zu berechtigten Groll Luft machen durften. Dafür suchten sie
sich einigermaßen zu entschädigen, indem sie gemeinsam tüchtig auf ihren rücksichts¬
losen Salentin schalten und sich gegenseitig das herzlichste Bedauern darüber aus-
sprachen, daß das unbarmherzige Schicksal sie zwinge, mit diesem Unmenschen
unter einem Dache zu wohnen. Und weil die beiden alten Damen nie besser
miteinander harmonierten, als wenn sie sich über den entarteten Bruder ihr Herz
ausschütten konnten, so boten sie, nachdem sie ihrer Beredsamkeit eine knappe halbe
Stunde freien Lauf gelassen hatten, das rührende und erhebende Bild schwester¬
licher Zärtlichkeit.
Dieses schönen Bildes Anblick zu genießen, war ein männliches Wesen berufen,
das in der Tracht eines Weltgeistlichen, auf dem Haupte den flachen Krempenhut
der Gesellschaft Jesu und unter dem Arme ein längliches Bündel, auf der Münster-
eifeler Straße nach Haus Rottland wanderte, um jede der vom letzten Regen her
stehengebliebenen Pfützen einen weiten Umweg machte und keine wichtigere Auf¬
gabe zu kennen schien, als seine mit einfachen Stahlschnallen verzierten Schuhe
vor der Besudelung mit Schlamm und Lehm zu behüten. Es war Pater Ambrosius
Kernder, ein geistlicher Koadjutor und Lehrer am Jesuitenkollegium, der seit langem
zu den Freunden des Freiherrn von Friemersheim und seiner Schwestern zählte
und der Familie, seit er während der Pestzeit auf Haus Rottland die liebevollste
Gastfreundschaft gefunden hatte, mit aufrichtiger Dankbarkeit zugetan war. Die
Zuneigung, die er außer dieser Dankbarkeit noch für die Rottländer Herrschaften
empfand, war allerdings nicht ganz frei von Eigennutz. Nicht, als ob er dabei
an sich selbst gedacht hätte, denn er war für seine Person von wahrhaft vorbild¬
licher Anspruchslosigkeit und nahm es mit dem Gelübde der Armut sehr genau,
aber die bösen Zeiten hatten die Einkünfte des Kollegiums gewaltig geschmälert,
ehemalige reiche Gönner waren verarmt, die Schüler der Lateinschule hatten sich
bei der Annäherung der Seuche in alle Winde zerstreut, und auf den stattlichen
Gebäuden der frommen Väter lasteten drückende Schulden. Da war es ratsam,
alte Freundschaften sorgsam zu pflegen und in der traurigen Gegenwart kein
Saatkorn zu sparen, das in einer besseren Zukunft Frucht tragen konnte.
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