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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Arndt als Agitator und Offiziös"?

man gar keine Ahndung hat, was das Volk, welches man regiert, ist, und was
es will, ich sage nicht, was es bedarf? wie ist es möglich, daß man in Fürsten¬
sälen, in dem idealen Schein von Hoheit und Göttlichkeit erzogen sein kann,
ohne daß ein Funken von Tapferkeit und Ehre im Gemüte aufschlage? wie
ist es möglich, daß ihr das Zeitalter nicht begreifen konntet? daß ihr nicht
begreifen konntet, was ihr tun müßtet, um Fürsten zu bleiben, oder um fürstlich
zu endigen? Das Glück beherrscht der Sterbliche nicht, aber die Ehre beherrscht
er. . . Wenn wir nicht andere Zeichen und Beweise hätten, so möchte ich die
Deutschen für eins der dümmsten Völker der Welt halten. Welche Verhärtung
in alten Torheiten und Vorurteilen! welches dumme Hingaffen auf politische
Punkte, die gar nicht mehr waren? welche pedantische Förmlichkeit und kindische
Anhänglichkeit an dem Alten, was wirklich veraltet war! Und das noch immer,
als das Neue wie ein wütender Lavastrom verheerend und überschwemmend
daherbrauste. O nur unsre Dummheit, unsre schlechte Politik hat uns verdorben,
nicht die unüberwindliche Tapferkeit der Franzosen, nicht die einzige Klugheit
ihres Führers" u. s. f.

Statt dessen lesen wir in der Ausgabe von 1813 nur folgende Zeilen:
"Auch die Herrscher und Fürsten des Volks begriffen die Zeit und sich und ihr
Verhältnis in der Zeit nicht."

Arndts ganzer angesammelter Zorn entlud sich vollends in den bitterernsten
Anklagereden S. 414 ff. (--409/10--175), die er 1813 durchweg streichen mußte:
"O der Schwäche, o der Dummheit, wo die höchste Palme des Glanzes aufgesteckt ist,
nach dem niedrigsten Schmutz der Schande zu greifen! wo ein freier Wille schon
unsterblichen Ruhm gibt, durch knechtischen Dienst unsterbliche Schmach zu wollen!
Ihr Fürsten, ihr könnet nicht alle eiserne Männer, ihr könnet nicht alle außer¬
ordentliche Menschen sein; die Natur bringt das Höchste in Jahrhunderten nur
einmal oder zweimal hervor. Nur ein Narr begehrt von euch, daß ihr alle
Kühnes wagen, Großes tun, Ungewöhnliches richten sollet. Aber, ihr Fürsten,
ihr alle könnet und sollet Männer von Ehre sein; ihr sollet den heiligen Schmuck,
der in der Wiege euch umgehängt ward, unbefleckt euren Enkeln überliefern;
ihr sollet nichts dulden noch tun, was in allen Geschichten aller Zeiten als
Verräterei und Knechtschaft steht, denn Freieste heißet ihr, damit das Volk die
Freiheit, Herrlichste heißet ihr, damit das Volk die Ehre begehre. Aber von
dem Rhein bis zum Belt, von der Adria bis zur Nordsee, wo finde ich einen
Einzigen, der groß und fürstlich zu stehen und zu fallen gewagt, der in
Einer großen Geduld, in Einem kühnen Worte die Schande aller vor allen
offenbart, der dem Volke gesagt hätte: helfet euch selber, wir können euch nicht
helfen? Glückselige Männer und Herren, wenn der süßeste Reiz von allen, der
Reiz der Unsterblichkeit, euch lockte! -- ach! ihr seid so dumm! -- glückselige
Männer, so hoch hatte das Glück euch gestellt, daß ihr ohne Arbeit, allein
durch das Gefühl von Ehre unsterblich sein konntet. Kein einziger hat es sein
wollen für so leichten Preis. . .


Arndt als Agitator und Offiziös»?

man gar keine Ahndung hat, was das Volk, welches man regiert, ist, und was
es will, ich sage nicht, was es bedarf? wie ist es möglich, daß man in Fürsten¬
sälen, in dem idealen Schein von Hoheit und Göttlichkeit erzogen sein kann,
ohne daß ein Funken von Tapferkeit und Ehre im Gemüte aufschlage? wie
ist es möglich, daß ihr das Zeitalter nicht begreifen konntet? daß ihr nicht
begreifen konntet, was ihr tun müßtet, um Fürsten zu bleiben, oder um fürstlich
zu endigen? Das Glück beherrscht der Sterbliche nicht, aber die Ehre beherrscht
er. . . Wenn wir nicht andere Zeichen und Beweise hätten, so möchte ich die
Deutschen für eins der dümmsten Völker der Welt halten. Welche Verhärtung
in alten Torheiten und Vorurteilen! welches dumme Hingaffen auf politische
Punkte, die gar nicht mehr waren? welche pedantische Förmlichkeit und kindische
Anhänglichkeit an dem Alten, was wirklich veraltet war! Und das noch immer,
als das Neue wie ein wütender Lavastrom verheerend und überschwemmend
daherbrauste. O nur unsre Dummheit, unsre schlechte Politik hat uns verdorben,
nicht die unüberwindliche Tapferkeit der Franzosen, nicht die einzige Klugheit
ihres Führers" u. s. f.

Statt dessen lesen wir in der Ausgabe von 1813 nur folgende Zeilen:
„Auch die Herrscher und Fürsten des Volks begriffen die Zeit und sich und ihr
Verhältnis in der Zeit nicht."

Arndts ganzer angesammelter Zorn entlud sich vollends in den bitterernsten
Anklagereden S. 414 ff. (—409/10—175), die er 1813 durchweg streichen mußte:
„O der Schwäche, o der Dummheit, wo die höchste Palme des Glanzes aufgesteckt ist,
nach dem niedrigsten Schmutz der Schande zu greifen! wo ein freier Wille schon
unsterblichen Ruhm gibt, durch knechtischen Dienst unsterbliche Schmach zu wollen!
Ihr Fürsten, ihr könnet nicht alle eiserne Männer, ihr könnet nicht alle außer¬
ordentliche Menschen sein; die Natur bringt das Höchste in Jahrhunderten nur
einmal oder zweimal hervor. Nur ein Narr begehrt von euch, daß ihr alle
Kühnes wagen, Großes tun, Ungewöhnliches richten sollet. Aber, ihr Fürsten,
ihr alle könnet und sollet Männer von Ehre sein; ihr sollet den heiligen Schmuck,
der in der Wiege euch umgehängt ward, unbefleckt euren Enkeln überliefern;
ihr sollet nichts dulden noch tun, was in allen Geschichten aller Zeiten als
Verräterei und Knechtschaft steht, denn Freieste heißet ihr, damit das Volk die
Freiheit, Herrlichste heißet ihr, damit das Volk die Ehre begehre. Aber von
dem Rhein bis zum Belt, von der Adria bis zur Nordsee, wo finde ich einen
Einzigen, der groß und fürstlich zu stehen und zu fallen gewagt, der in
Einer großen Geduld, in Einem kühnen Worte die Schande aller vor allen
offenbart, der dem Volke gesagt hätte: helfet euch selber, wir können euch nicht
helfen? Glückselige Männer und Herren, wenn der süßeste Reiz von allen, der
Reiz der Unsterblichkeit, euch lockte! — ach! ihr seid so dumm! — glückselige
Männer, so hoch hatte das Glück euch gestellt, daß ihr ohne Arbeit, allein
durch das Gefühl von Ehre unsterblich sein konntet. Kein einziger hat es sein
wollen für so leichten Preis. . .


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[0558] Arndt als Agitator und Offiziös»? man gar keine Ahndung hat, was das Volk, welches man regiert, ist, und was es will, ich sage nicht, was es bedarf? wie ist es möglich, daß man in Fürsten¬ sälen, in dem idealen Schein von Hoheit und Göttlichkeit erzogen sein kann, ohne daß ein Funken von Tapferkeit und Ehre im Gemüte aufschlage? wie ist es möglich, daß ihr das Zeitalter nicht begreifen konntet? daß ihr nicht begreifen konntet, was ihr tun müßtet, um Fürsten zu bleiben, oder um fürstlich zu endigen? Das Glück beherrscht der Sterbliche nicht, aber die Ehre beherrscht er. . . Wenn wir nicht andere Zeichen und Beweise hätten, so möchte ich die Deutschen für eins der dümmsten Völker der Welt halten. Welche Verhärtung in alten Torheiten und Vorurteilen! welches dumme Hingaffen auf politische Punkte, die gar nicht mehr waren? welche pedantische Förmlichkeit und kindische Anhänglichkeit an dem Alten, was wirklich veraltet war! Und das noch immer, als das Neue wie ein wütender Lavastrom verheerend und überschwemmend daherbrauste. O nur unsre Dummheit, unsre schlechte Politik hat uns verdorben, nicht die unüberwindliche Tapferkeit der Franzosen, nicht die einzige Klugheit ihres Führers" u. s. f. Statt dessen lesen wir in der Ausgabe von 1813 nur folgende Zeilen: „Auch die Herrscher und Fürsten des Volks begriffen die Zeit und sich und ihr Verhältnis in der Zeit nicht." Arndts ganzer angesammelter Zorn entlud sich vollends in den bitterernsten Anklagereden S. 414 ff. (—409/10—175), die er 1813 durchweg streichen mußte: „O der Schwäche, o der Dummheit, wo die höchste Palme des Glanzes aufgesteckt ist, nach dem niedrigsten Schmutz der Schande zu greifen! wo ein freier Wille schon unsterblichen Ruhm gibt, durch knechtischen Dienst unsterbliche Schmach zu wollen! Ihr Fürsten, ihr könnet nicht alle eiserne Männer, ihr könnet nicht alle außer¬ ordentliche Menschen sein; die Natur bringt das Höchste in Jahrhunderten nur einmal oder zweimal hervor. Nur ein Narr begehrt von euch, daß ihr alle Kühnes wagen, Großes tun, Ungewöhnliches richten sollet. Aber, ihr Fürsten, ihr alle könnet und sollet Männer von Ehre sein; ihr sollet den heiligen Schmuck, der in der Wiege euch umgehängt ward, unbefleckt euren Enkeln überliefern; ihr sollet nichts dulden noch tun, was in allen Geschichten aller Zeiten als Verräterei und Knechtschaft steht, denn Freieste heißet ihr, damit das Volk die Freiheit, Herrlichste heißet ihr, damit das Volk die Ehre begehre. Aber von dem Rhein bis zum Belt, von der Adria bis zur Nordsee, wo finde ich einen Einzigen, der groß und fürstlich zu stehen und zu fallen gewagt, der in Einer großen Geduld, in Einem kühnen Worte die Schande aller vor allen offenbart, der dem Volke gesagt hätte: helfet euch selber, wir können euch nicht helfen? Glückselige Männer und Herren, wenn der süßeste Reiz von allen, der Reiz der Unsterblichkeit, euch lockte! — ach! ihr seid so dumm! — glückselige Männer, so hoch hatte das Glück euch gestellt, daß ihr ohne Arbeit, allein durch das Gefühl von Ehre unsterblich sein konntet. Kein einziger hat es sein wollen für so leichten Preis. . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/558>, abgerufen am 01.01.2025.