Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Arndt als Agitator und Gffiziosus "das große Land zwischen den Alpen und der Ostsee nur ein Land", das Land Unter diesen so gewonnenen Gesichtspunkten lassen sich die beiden Ausgaben I. Fürsten, Adel und Volk. Eine winzige Änderung schon, die Arndt 1813 auf der vierten Seite vor¬ *) Vgl. "Erinnerungen" 230 -- Werke VII, 204, und "Notgedrungener Bericht" 1,102 mit dem Gedicht "Sankt Christoph" im "Wächter" III, 3--10 (181S). Vgl. E, Müsebeck. Preußische Jahrbücher, August 1904. Von E. Müsebeck als Arndts Werk erwiesen in den Preußischen Jahrbüchern, Juli 1910. 1') sämtlich abgedruckt in den "Ausgewählten Werken". Herausgegeben bon Meisner
und GeerdS, 1908 (Leipzig, Max Hesse). Arndt als Agitator und Gffiziosus „das große Land zwischen den Alpen und der Ostsee nur ein Land", das Land Unter diesen so gewonnenen Gesichtspunkten lassen sich die beiden Ausgaben I. Fürsten, Adel und Volk. Eine winzige Änderung schon, die Arndt 1813 auf der vierten Seite vor¬ *) Vgl. „Erinnerungen" 230 — Werke VII, 204, und „Notgedrungener Bericht" 1,102 mit dem Gedicht „Sankt Christoph" im „Wächter" III, 3—10 (181S). Vgl. E, Müsebeck. Preußische Jahrbücher, August 1904. Von E. Müsebeck als Arndts Werk erwiesen in den Preußischen Jahrbüchern, Juli 1910. 1') sämtlich abgedruckt in den „Ausgewählten Werken". Herausgegeben bon Meisner
und GeerdS, 1908 (Leipzig, Max Hesse). <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0556" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319503"/> <fw type="header" place="top"> Arndt als Agitator und Gffiziosus</fw><lb/> <p xml:id="ID_2609" prev="#ID_2608"> „das große Land zwischen den Alpen und der Ostsee nur ein Land", das Land<lb/> deutscher Kultur, deutscher Sitte, deutschen Geisteslebens. Aber sein starker<lb/> Wirklichkeitssinn, der von jeher den Staat auf die „Leiblichkeit", auf das Macht¬<lb/> prinzip hingewiesen hatte, suchte mit heißem Verlangen einen „starken Herrn",<lb/> der imstande wäre, sein Deutschland zur Einheit zusammen zu zwingen und<lb/> dem Erbfeind die Spitze zu bieten. Es ist die Eigenart jener Epoche gewesen,<lb/> daß der Patriotismus ihrer Helden nicht durchaus angeboren, sondern Sache<lb/> der Weltanschauung, des freien Entschlusses war. So fand sich denn auch Arndt,<lb/> „nachdem er von seinem schwedischen Partikularismus und fast auch von jeder<lb/> deutschen Sonderheit geheilt worden, in der Lage des starken Sankt Christoffel,<lb/> der auf die Wanderung ausging, sich einen Herrn zu suchen""). „Ich hatte<lb/> früher manches Sonderheitsgefühl gegen die Preußen gehabt^), selbst mein alter<lb/> Herr hoffte im Anfang des Jahres 1813 nicht so viel von den Preußen, als<lb/> er gesollt hätte. ... Als nun aber der alte preußische Donner und Blitz alles<lb/> ausschüttelte, da glaubte ich einen Herrn zu sehen, dem wohl ein Stärkerer als<lb/> zehn Christoffel sich gern dienstbar machen möchte; ich glaubte eine auch für die<lb/> Zukunft erhaltende und schirmende Macht Deutschlands zu sehen. Ich ward<lb/> mit voller Liebe und Zuversicht ein Preuße." Die Schrift „Der Bauernstand<lb/> politisch betrachtet" vom Jahre 1810^), dann der Aufruf „An die Preußen"<lb/> (Königsberg 1813), die begeisterte Flugschrift „Das preußische Volk und Heer<lb/> im Jahre 1813" und das leidenschaftlich-kühne Bekennwis für Preußens deutschen<lb/> Beruf „Über Preußens rheinische Mark" 1815f) bezeichnen die Staffeln auf<lb/> diesem Wege, der Arndt vom Weltbürgertum zum Nationalstaat und von<lb/> Österreich zu Preußen führte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2610"> Unter diesen so gewonnenen Gesichtspunkten lassen sich die beiden Ausgaben<lb/> des „Geistes der Zeit II" nunmehr gut vergleichen. Wir betrachten zunächst die<lb/> Äußerungen I. über Fürsten, Adel und Volk, II. über Preußen und Österreich,<lb/> III. Arndts Stellung zu Weltbürgertum und Nationalstaat.</p><lb/> <div n="2"> <head> I. Fürsten, Adel und Volk.</head><lb/> <p xml:id="ID_2611" next="#ID_2612"> Eine winzige Änderung schon, die Arndt 1813 auf der vierten Seite vor¬<lb/> nahm, ist höchst bezeichnend: die Saiten sind entspannt, der Ton ist herabgestimmt.<lb/> 1809 hieß es: Die Könige und Fürsten verraten „feig und stumm" das Volk<lb/> an die Fremden, 1813 nannte Arndt sie nur noch „bang und stumm". Das<lb/> erinnert unmittelbar an jene bekannte Frage, die Grüner, der ehemalige preußische<lb/> Polizeipräsident, damals Agent des nationalen Kampfes gegen Napoleon, 1812</p><lb/> <note xml:id="FID_40" place="foot"> *) Vgl. „Erinnerungen" 230 — Werke VII, 204, und „Notgedrungener Bericht" 1,102<lb/> mit dem Gedicht „Sankt Christoph" im „Wächter" III, 3—10 (181S).</note><lb/> <note xml:id="FID_41" place="foot"> Vgl. E, Müsebeck. Preußische Jahrbücher, August 1904.</note><lb/> <note xml:id="FID_42" place="foot"> Von E. Müsebeck als Arndts Werk erwiesen in den Preußischen Jahrbüchern,<lb/> Juli 1910.</note><lb/> <note xml:id="FID_43" place="foot"> 1') sämtlich abgedruckt in den „Ausgewählten Werken". Herausgegeben bon Meisner<lb/> und GeerdS, 1908 (Leipzig, Max Hesse).</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0556]
Arndt als Agitator und Gffiziosus
„das große Land zwischen den Alpen und der Ostsee nur ein Land", das Land
deutscher Kultur, deutscher Sitte, deutschen Geisteslebens. Aber sein starker
Wirklichkeitssinn, der von jeher den Staat auf die „Leiblichkeit", auf das Macht¬
prinzip hingewiesen hatte, suchte mit heißem Verlangen einen „starken Herrn",
der imstande wäre, sein Deutschland zur Einheit zusammen zu zwingen und
dem Erbfeind die Spitze zu bieten. Es ist die Eigenart jener Epoche gewesen,
daß der Patriotismus ihrer Helden nicht durchaus angeboren, sondern Sache
der Weltanschauung, des freien Entschlusses war. So fand sich denn auch Arndt,
„nachdem er von seinem schwedischen Partikularismus und fast auch von jeder
deutschen Sonderheit geheilt worden, in der Lage des starken Sankt Christoffel,
der auf die Wanderung ausging, sich einen Herrn zu suchen""). „Ich hatte
früher manches Sonderheitsgefühl gegen die Preußen gehabt^), selbst mein alter
Herr hoffte im Anfang des Jahres 1813 nicht so viel von den Preußen, als
er gesollt hätte. ... Als nun aber der alte preußische Donner und Blitz alles
ausschüttelte, da glaubte ich einen Herrn zu sehen, dem wohl ein Stärkerer als
zehn Christoffel sich gern dienstbar machen möchte; ich glaubte eine auch für die
Zukunft erhaltende und schirmende Macht Deutschlands zu sehen. Ich ward
mit voller Liebe und Zuversicht ein Preuße." Die Schrift „Der Bauernstand
politisch betrachtet" vom Jahre 1810^), dann der Aufruf „An die Preußen"
(Königsberg 1813), die begeisterte Flugschrift „Das preußische Volk und Heer
im Jahre 1813" und das leidenschaftlich-kühne Bekennwis für Preußens deutschen
Beruf „Über Preußens rheinische Mark" 1815f) bezeichnen die Staffeln auf
diesem Wege, der Arndt vom Weltbürgertum zum Nationalstaat und von
Österreich zu Preußen führte.
Unter diesen so gewonnenen Gesichtspunkten lassen sich die beiden Ausgaben
des „Geistes der Zeit II" nunmehr gut vergleichen. Wir betrachten zunächst die
Äußerungen I. über Fürsten, Adel und Volk, II. über Preußen und Österreich,
III. Arndts Stellung zu Weltbürgertum und Nationalstaat.
I. Fürsten, Adel und Volk.
Eine winzige Änderung schon, die Arndt 1813 auf der vierten Seite vor¬
nahm, ist höchst bezeichnend: die Saiten sind entspannt, der Ton ist herabgestimmt.
1809 hieß es: Die Könige und Fürsten verraten „feig und stumm" das Volk
an die Fremden, 1813 nannte Arndt sie nur noch „bang und stumm". Das
erinnert unmittelbar an jene bekannte Frage, die Grüner, der ehemalige preußische
Polizeipräsident, damals Agent des nationalen Kampfes gegen Napoleon, 1812
*) Vgl. „Erinnerungen" 230 — Werke VII, 204, und „Notgedrungener Bericht" 1,102
mit dem Gedicht „Sankt Christoph" im „Wächter" III, 3—10 (181S).
Vgl. E, Müsebeck. Preußische Jahrbücher, August 1904.
Von E. Müsebeck als Arndts Werk erwiesen in den Preußischen Jahrbüchern,
Juli 1910.
1') sämtlich abgedruckt in den „Ausgewählten Werken". Herausgegeben bon Meisner
und GeerdS, 1908 (Leipzig, Max Hesse).
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