Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Elsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus

wählen zu sichern. Als sich freilich herausstellte, daß der Nationalbund doch nicht
die Zugkraft besaß, deren er sich in feiner Gründungskundgebung gerühmt hatte,
als besonders der Lothringer Block eine merkliche Erkaltung seiner Begeisterung
für den Nationalblock erkennen ließ und nicht nur von einer Verschmelzung mit
ihm absah, sondern sogar auf ein grundsätzliches Wahlbündnis mit ihm ver¬
zichtete, bekam auch das Zentrum wieder etwas Mut, zumal sich einzelne Kreis¬
vereine seiner Organisation gegen jede Gemeinschaft mit dem Nationalbund aus¬
gesprochen hatten. Zwar vermied es alles, was das Wahlbündnis mit diesem
hätte gefährden können, versuchte aber doch, gewisse Schranken zwischen sich und
ihm für den künftigen Landtag zu errichten, indem es beschloß, daß die Mit¬
glieder der Zentrumsfraktion nicht gleichzeitig Mitglieder der Nationalfraktion
werden dürften. Der Fehler, den es beim ersten Erscheinen des National¬
bundes gemacht hatte, ließ sich aber nicht wieder gut machen. Die eifrigsten
Agitatoren des Nationalbundes ziehen als Kandidaten des Zentrums in den
Wahlkampf, und obendrein muß dieses erleben, daß seinen nicht nationalistischen
Kandidaten hier und da noch rationalistisch gefärbte Gegenkandidaten gegen¬
über gestellt werden.

Mag also die Fraktion des Nationalbundes selbst in der Zweiten Kammer
des Landtags auch recht klein werden -- man rechnet auf allerhöchsteres fünf
Mann --, so wird-im elsaß-lothringischen Zentrum nach wie vor ein rationa¬
listischer Flügel bestehen, der überall, wo es sich um Fragen handelt, denen
eine nationale Seite abgewonnen werden kann, mit dem Nationalbund gemein¬
same Sache machen wird. Und außerdem werden voraussichtlich auch noch ein
paar sogenannte unabhängige Kandidaten gewählt werden, die nach der Wahl
aus ihrer nationalistischen Gesinnung, die ihnen vorher hinderlich sein könnte,
kein Hehl mehr machen werden.

Alles in allem wird man daher mit einer ziemlich starken Vertretung der
nationalistischen Richtung im neuen Landtage zu rechnen haben. Und da der
Teil des Zentrums, der aus nationalen Gründen nichts mit dem Nationalbund
zu tun haben will, in konfessionellen Dingen auf seine Unterstützung angewiesen
ist, wird die gesamte Zentrumsfraktion wie im alten Landesausschuß schließlich
doch den beifallspendenden Chor für die nationalistischen Redner bilden.

Mit dieser historischen Entwicklung des politischen Nationalismus hängt
seine verhetzende Tätigkeit auf nationalem Gebiet auf das engste zusammen.
Gleichzeitig greift diese aber auch so weit aus das kulturelle Gebiet über, daß
sich hier politischer und kultureller Nationalismus nicht mehr trennen lassen.

Obwohl die ganze Wirksamkeit der Wetterlö, Preiß, Blumenthal, Collin
(Priester in Metz) sie zunächst auf das politische Gebiet verwies, führte sie die
unbeschränkte Verfügung über mehrere elsaß-lothringische Zeitungen -- Nouvelliste
d'Alsace-Lorraine, Elsässer Kurier, Elsässischer Volksbote, Blumenthals Volks¬
partei, Journal d'Alsace-Lorraine, Lorrain und einige kleinere -- ganz von
selbst auch zu einem gewissen Einfluß auf die kulturelle Entwicklung des Landes.


Elsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus

wählen zu sichern. Als sich freilich herausstellte, daß der Nationalbund doch nicht
die Zugkraft besaß, deren er sich in feiner Gründungskundgebung gerühmt hatte,
als besonders der Lothringer Block eine merkliche Erkaltung seiner Begeisterung
für den Nationalblock erkennen ließ und nicht nur von einer Verschmelzung mit
ihm absah, sondern sogar auf ein grundsätzliches Wahlbündnis mit ihm ver¬
zichtete, bekam auch das Zentrum wieder etwas Mut, zumal sich einzelne Kreis¬
vereine seiner Organisation gegen jede Gemeinschaft mit dem Nationalbund aus¬
gesprochen hatten. Zwar vermied es alles, was das Wahlbündnis mit diesem
hätte gefährden können, versuchte aber doch, gewisse Schranken zwischen sich und
ihm für den künftigen Landtag zu errichten, indem es beschloß, daß die Mit¬
glieder der Zentrumsfraktion nicht gleichzeitig Mitglieder der Nationalfraktion
werden dürften. Der Fehler, den es beim ersten Erscheinen des National¬
bundes gemacht hatte, ließ sich aber nicht wieder gut machen. Die eifrigsten
Agitatoren des Nationalbundes ziehen als Kandidaten des Zentrums in den
Wahlkampf, und obendrein muß dieses erleben, daß seinen nicht nationalistischen
Kandidaten hier und da noch rationalistisch gefärbte Gegenkandidaten gegen¬
über gestellt werden.

Mag also die Fraktion des Nationalbundes selbst in der Zweiten Kammer
des Landtags auch recht klein werden — man rechnet auf allerhöchsteres fünf
Mann —, so wird-im elsaß-lothringischen Zentrum nach wie vor ein rationa¬
listischer Flügel bestehen, der überall, wo es sich um Fragen handelt, denen
eine nationale Seite abgewonnen werden kann, mit dem Nationalbund gemein¬
same Sache machen wird. Und außerdem werden voraussichtlich auch noch ein
paar sogenannte unabhängige Kandidaten gewählt werden, die nach der Wahl
aus ihrer nationalistischen Gesinnung, die ihnen vorher hinderlich sein könnte,
kein Hehl mehr machen werden.

Alles in allem wird man daher mit einer ziemlich starken Vertretung der
nationalistischen Richtung im neuen Landtage zu rechnen haben. Und da der
Teil des Zentrums, der aus nationalen Gründen nichts mit dem Nationalbund
zu tun haben will, in konfessionellen Dingen auf seine Unterstützung angewiesen
ist, wird die gesamte Zentrumsfraktion wie im alten Landesausschuß schließlich
doch den beifallspendenden Chor für die nationalistischen Redner bilden.

Mit dieser historischen Entwicklung des politischen Nationalismus hängt
seine verhetzende Tätigkeit auf nationalem Gebiet auf das engste zusammen.
Gleichzeitig greift diese aber auch so weit aus das kulturelle Gebiet über, daß
sich hier politischer und kultureller Nationalismus nicht mehr trennen lassen.

Obwohl die ganze Wirksamkeit der Wetterlö, Preiß, Blumenthal, Collin
(Priester in Metz) sie zunächst auf das politische Gebiet verwies, führte sie die
unbeschränkte Verfügung über mehrere elsaß-lothringische Zeitungen — Nouvelliste
d'Alsace-Lorraine, Elsässer Kurier, Elsässischer Volksbote, Blumenthals Volks¬
partei, Journal d'Alsace-Lorraine, Lorrain und einige kleinere — ganz von
selbst auch zu einem gewissen Einfluß auf die kulturelle Entwicklung des Landes.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0550" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319497"/>
          <fw type="header" place="top"> Elsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2585" prev="#ID_2584"> wählen zu sichern. Als sich freilich herausstellte, daß der Nationalbund doch nicht<lb/>
die Zugkraft besaß, deren er sich in feiner Gründungskundgebung gerühmt hatte,<lb/>
als besonders der Lothringer Block eine merkliche Erkaltung seiner Begeisterung<lb/>
für den Nationalblock erkennen ließ und nicht nur von einer Verschmelzung mit<lb/>
ihm absah, sondern sogar auf ein grundsätzliches Wahlbündnis mit ihm ver¬<lb/>
zichtete, bekam auch das Zentrum wieder etwas Mut, zumal sich einzelne Kreis¬<lb/>
vereine seiner Organisation gegen jede Gemeinschaft mit dem Nationalbund aus¬<lb/>
gesprochen hatten. Zwar vermied es alles, was das Wahlbündnis mit diesem<lb/>
hätte gefährden können, versuchte aber doch, gewisse Schranken zwischen sich und<lb/>
ihm für den künftigen Landtag zu errichten, indem es beschloß, daß die Mit¬<lb/>
glieder der Zentrumsfraktion nicht gleichzeitig Mitglieder der Nationalfraktion<lb/>
werden dürften. Der Fehler, den es beim ersten Erscheinen des National¬<lb/>
bundes gemacht hatte, ließ sich aber nicht wieder gut machen. Die eifrigsten<lb/>
Agitatoren des Nationalbundes ziehen als Kandidaten des Zentrums in den<lb/>
Wahlkampf, und obendrein muß dieses erleben, daß seinen nicht nationalistischen<lb/>
Kandidaten hier und da noch rationalistisch gefärbte Gegenkandidaten gegen¬<lb/>
über gestellt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2586"> Mag also die Fraktion des Nationalbundes selbst in der Zweiten Kammer<lb/>
des Landtags auch recht klein werden &#x2014; man rechnet auf allerhöchsteres fünf<lb/>
Mann &#x2014;, so wird-im elsaß-lothringischen Zentrum nach wie vor ein rationa¬<lb/>
listischer Flügel bestehen, der überall, wo es sich um Fragen handelt, denen<lb/>
eine nationale Seite abgewonnen werden kann, mit dem Nationalbund gemein¬<lb/>
same Sache machen wird. Und außerdem werden voraussichtlich auch noch ein<lb/>
paar sogenannte unabhängige Kandidaten gewählt werden, die nach der Wahl<lb/>
aus ihrer nationalistischen Gesinnung, die ihnen vorher hinderlich sein könnte,<lb/>
kein Hehl mehr machen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2587"> Alles in allem wird man daher mit einer ziemlich starken Vertretung der<lb/>
nationalistischen Richtung im neuen Landtage zu rechnen haben. Und da der<lb/>
Teil des Zentrums, der aus nationalen Gründen nichts mit dem Nationalbund<lb/>
zu tun haben will, in konfessionellen Dingen auf seine Unterstützung angewiesen<lb/>
ist, wird die gesamte Zentrumsfraktion wie im alten Landesausschuß schließlich<lb/>
doch den beifallspendenden Chor für die nationalistischen Redner bilden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2588"> Mit dieser historischen Entwicklung des politischen Nationalismus hängt<lb/>
seine verhetzende Tätigkeit auf nationalem Gebiet auf das engste zusammen.<lb/>
Gleichzeitig greift diese aber auch so weit aus das kulturelle Gebiet über, daß<lb/>
sich hier politischer und kultureller Nationalismus nicht mehr trennen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2589" next="#ID_2590"> Obwohl die ganze Wirksamkeit der Wetterlö, Preiß, Blumenthal, Collin<lb/>
(Priester in Metz) sie zunächst auf das politische Gebiet verwies, führte sie die<lb/>
unbeschränkte Verfügung über mehrere elsaß-lothringische Zeitungen &#x2014; Nouvelliste<lb/>
d'Alsace-Lorraine, Elsässer Kurier, Elsässischer Volksbote, Blumenthals Volks¬<lb/>
partei, Journal d'Alsace-Lorraine, Lorrain und einige kleinere &#x2014; ganz von<lb/>
selbst auch zu einem gewissen Einfluß auf die kulturelle Entwicklung des Landes.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0550] Elsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus wählen zu sichern. Als sich freilich herausstellte, daß der Nationalbund doch nicht die Zugkraft besaß, deren er sich in feiner Gründungskundgebung gerühmt hatte, als besonders der Lothringer Block eine merkliche Erkaltung seiner Begeisterung für den Nationalblock erkennen ließ und nicht nur von einer Verschmelzung mit ihm absah, sondern sogar auf ein grundsätzliches Wahlbündnis mit ihm ver¬ zichtete, bekam auch das Zentrum wieder etwas Mut, zumal sich einzelne Kreis¬ vereine seiner Organisation gegen jede Gemeinschaft mit dem Nationalbund aus¬ gesprochen hatten. Zwar vermied es alles, was das Wahlbündnis mit diesem hätte gefährden können, versuchte aber doch, gewisse Schranken zwischen sich und ihm für den künftigen Landtag zu errichten, indem es beschloß, daß die Mit¬ glieder der Zentrumsfraktion nicht gleichzeitig Mitglieder der Nationalfraktion werden dürften. Der Fehler, den es beim ersten Erscheinen des National¬ bundes gemacht hatte, ließ sich aber nicht wieder gut machen. Die eifrigsten Agitatoren des Nationalbundes ziehen als Kandidaten des Zentrums in den Wahlkampf, und obendrein muß dieses erleben, daß seinen nicht nationalistischen Kandidaten hier und da noch rationalistisch gefärbte Gegenkandidaten gegen¬ über gestellt werden. Mag also die Fraktion des Nationalbundes selbst in der Zweiten Kammer des Landtags auch recht klein werden — man rechnet auf allerhöchsteres fünf Mann —, so wird-im elsaß-lothringischen Zentrum nach wie vor ein rationa¬ listischer Flügel bestehen, der überall, wo es sich um Fragen handelt, denen eine nationale Seite abgewonnen werden kann, mit dem Nationalbund gemein¬ same Sache machen wird. Und außerdem werden voraussichtlich auch noch ein paar sogenannte unabhängige Kandidaten gewählt werden, die nach der Wahl aus ihrer nationalistischen Gesinnung, die ihnen vorher hinderlich sein könnte, kein Hehl mehr machen werden. Alles in allem wird man daher mit einer ziemlich starken Vertretung der nationalistischen Richtung im neuen Landtage zu rechnen haben. Und da der Teil des Zentrums, der aus nationalen Gründen nichts mit dem Nationalbund zu tun haben will, in konfessionellen Dingen auf seine Unterstützung angewiesen ist, wird die gesamte Zentrumsfraktion wie im alten Landesausschuß schließlich doch den beifallspendenden Chor für die nationalistischen Redner bilden. Mit dieser historischen Entwicklung des politischen Nationalismus hängt seine verhetzende Tätigkeit auf nationalem Gebiet auf das engste zusammen. Gleichzeitig greift diese aber auch so weit aus das kulturelle Gebiet über, daß sich hier politischer und kultureller Nationalismus nicht mehr trennen lassen. Obwohl die ganze Wirksamkeit der Wetterlö, Preiß, Blumenthal, Collin (Priester in Metz) sie zunächst auf das politische Gebiet verwies, führte sie die unbeschränkte Verfügung über mehrere elsaß-lothringische Zeitungen — Nouvelliste d'Alsace-Lorraine, Elsässer Kurier, Elsässischer Volksbote, Blumenthals Volks¬ partei, Journal d'Alsace-Lorraine, Lorrain und einige kleinere — ganz von selbst auch zu einem gewissen Einfluß auf die kulturelle Entwicklung des Landes.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/550
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/550>, abgerufen am 04.01.2025.