Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Elsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus

Die Art und Weise, wie sie, und zwar vor allem der Nouvelliste Wetterlös,
ihn ausübten, trug vielleicht noch mehr als ihre politische Agitation dazu bei,
die nationalen Gegensätze zwischen Einheimischen und Eingewanderten, die in:
größten Teil des Landes schon ganz verschwunden oder doch zum Schlummern
gebracht worden waren, neu zu entfachen. Auf politischem Gebiet ist man an
scharfe Auseinandersetzungen gewöhnt. Da werden auch harte Worte nicht leicht
tragisch genommen, und vor allem pflegen Angriffe des politischen Gegners,
selbst wenn sie gegen die Person gerichtet werden, nur in Ausnahmefällen die
Ehre des Angegriffenen zu verletzen. Auf nationalem und kulturellen Gebiet
ist die Feinfühligkeit glücklicherweise größer. Und gerade hier haben sich die
Wetterlö und Genossen seit Jahren in wahrhaft empörender Weise gegen ihre
altdeutschen Mitbürger vergangen. Deutsche Sitten und Gewohnheiten mußten
ihnen zur Zielscheibe bissigen Spottes und plumpester Witze dienen. Das deutsche
Nationalgefühl wurde mit Hohn überschüttet, deutsche Kulturleistungen in Elsaß-
Lothringen, die dem Lande wahrlich nichts geschadet haben, wurden in den
Staub gezogen und all diesen Herabwürdigungen gegenüber die Vorzüge der
elsaß-lothringischen Kultur und vor allem der "edlen, hochherzigen französischen
Nation" in den Himmel gehoben. Diese unausgesetzten Verunglimpfungen haben
bei der altdeutschen Bevölkerung des Landes, soweit sie nicht alles nationale
Selbstbewußtsein verloren hat, eine an Haß grenzende Erbitterung hervor¬
gerufen, bei den Alt-Elsaß-Lothringern aber, die zum Nationalismus halten,
neben dem Haß noch eine Überhebung und Selbstherrlichkeit großgezogen, die
in einem schreienden Mißverhältnis zu ihren: wahren Kulturniveau, sowie zu
ihren Leistungen auf geistigem und wirtschaftlichem Gebiete steht.

Und was die politischen Nationalisten mit ihrer groben Verhetzung nicht
fertig brachten, besorgte die feinere, stillere Arbeit der literarischen und Ästheten¬
kreise in Straßburg, Colmar, Mülhausen und Metz. Die Bucher, Eccard,
Döllinger, Laugel und wie die Förderer des kulturellen Nationalismus alle
heißen, haben es, unterstützt von französischen Freunden, in systematischer Arbeit
fertig gebracht, eine ganze Generation elsaß-lothringischer Bürgersöhne unter
den Einfluß französischen Geistes- und Kunstlebens zu bringen. Französische
Vorträge, französische Aufführungen, Pflege französischer Erinnerungen und Über¬
lieferungen in gesellschaftlichen und akademischen Vereinigungen haben den Boden
zur Aufnahme der politischen Ideen des Nationalismus bereit gemacht. Denn
auch bei diesen Veranstaltungen geht es selten ohne versteckte oder offene Spitzen
gegen Deutschland und das Deutschtum ab. Vor allem aber haben sie eine
Schranke zwischen den beiden Bevölkerungen errichtet, indem sie dafür sorgten,
daß beide sich einfach nicht mehr verstehen, nicht im sprachlichen Sinne natürlich,
denn über dieses Hindernis käme man gerade hier im Lande verhältnismäßig
leicht hinweg. Nein, die ganze Anschauungsweise der alt-elsaß-lothringischen
Kreise, die unter dem Einfluß jener Personen gestanden haben, ist grund¬
verschieden von der der deutschen Bevölkerung des Landes. Was dem einen


Elsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus

Die Art und Weise, wie sie, und zwar vor allem der Nouvelliste Wetterlös,
ihn ausübten, trug vielleicht noch mehr als ihre politische Agitation dazu bei,
die nationalen Gegensätze zwischen Einheimischen und Eingewanderten, die in:
größten Teil des Landes schon ganz verschwunden oder doch zum Schlummern
gebracht worden waren, neu zu entfachen. Auf politischem Gebiet ist man an
scharfe Auseinandersetzungen gewöhnt. Da werden auch harte Worte nicht leicht
tragisch genommen, und vor allem pflegen Angriffe des politischen Gegners,
selbst wenn sie gegen die Person gerichtet werden, nur in Ausnahmefällen die
Ehre des Angegriffenen zu verletzen. Auf nationalem und kulturellen Gebiet
ist die Feinfühligkeit glücklicherweise größer. Und gerade hier haben sich die
Wetterlö und Genossen seit Jahren in wahrhaft empörender Weise gegen ihre
altdeutschen Mitbürger vergangen. Deutsche Sitten und Gewohnheiten mußten
ihnen zur Zielscheibe bissigen Spottes und plumpester Witze dienen. Das deutsche
Nationalgefühl wurde mit Hohn überschüttet, deutsche Kulturleistungen in Elsaß-
Lothringen, die dem Lande wahrlich nichts geschadet haben, wurden in den
Staub gezogen und all diesen Herabwürdigungen gegenüber die Vorzüge der
elsaß-lothringischen Kultur und vor allem der „edlen, hochherzigen französischen
Nation" in den Himmel gehoben. Diese unausgesetzten Verunglimpfungen haben
bei der altdeutschen Bevölkerung des Landes, soweit sie nicht alles nationale
Selbstbewußtsein verloren hat, eine an Haß grenzende Erbitterung hervor¬
gerufen, bei den Alt-Elsaß-Lothringern aber, die zum Nationalismus halten,
neben dem Haß noch eine Überhebung und Selbstherrlichkeit großgezogen, die
in einem schreienden Mißverhältnis zu ihren: wahren Kulturniveau, sowie zu
ihren Leistungen auf geistigem und wirtschaftlichem Gebiete steht.

Und was die politischen Nationalisten mit ihrer groben Verhetzung nicht
fertig brachten, besorgte die feinere, stillere Arbeit der literarischen und Ästheten¬
kreise in Straßburg, Colmar, Mülhausen und Metz. Die Bucher, Eccard,
Döllinger, Laugel und wie die Förderer des kulturellen Nationalismus alle
heißen, haben es, unterstützt von französischen Freunden, in systematischer Arbeit
fertig gebracht, eine ganze Generation elsaß-lothringischer Bürgersöhne unter
den Einfluß französischen Geistes- und Kunstlebens zu bringen. Französische
Vorträge, französische Aufführungen, Pflege französischer Erinnerungen und Über¬
lieferungen in gesellschaftlichen und akademischen Vereinigungen haben den Boden
zur Aufnahme der politischen Ideen des Nationalismus bereit gemacht. Denn
auch bei diesen Veranstaltungen geht es selten ohne versteckte oder offene Spitzen
gegen Deutschland und das Deutschtum ab. Vor allem aber haben sie eine
Schranke zwischen den beiden Bevölkerungen errichtet, indem sie dafür sorgten,
daß beide sich einfach nicht mehr verstehen, nicht im sprachlichen Sinne natürlich,
denn über dieses Hindernis käme man gerade hier im Lande verhältnismäßig
leicht hinweg. Nein, die ganze Anschauungsweise der alt-elsaß-lothringischen
Kreise, die unter dem Einfluß jener Personen gestanden haben, ist grund¬
verschieden von der der deutschen Bevölkerung des Landes. Was dem einen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0551" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319498"/>
          <fw type="header" place="top"> Elsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2590" prev="#ID_2589"> Die Art und Weise, wie sie, und zwar vor allem der Nouvelliste Wetterlös,<lb/>
ihn ausübten, trug vielleicht noch mehr als ihre politische Agitation dazu bei,<lb/>
die nationalen Gegensätze zwischen Einheimischen und Eingewanderten, die in:<lb/>
größten Teil des Landes schon ganz verschwunden oder doch zum Schlummern<lb/>
gebracht worden waren, neu zu entfachen. Auf politischem Gebiet ist man an<lb/>
scharfe Auseinandersetzungen gewöhnt. Da werden auch harte Worte nicht leicht<lb/>
tragisch genommen, und vor allem pflegen Angriffe des politischen Gegners,<lb/>
selbst wenn sie gegen die Person gerichtet werden, nur in Ausnahmefällen die<lb/>
Ehre des Angegriffenen zu verletzen. Auf nationalem und kulturellen Gebiet<lb/>
ist die Feinfühligkeit glücklicherweise größer. Und gerade hier haben sich die<lb/>
Wetterlö und Genossen seit Jahren in wahrhaft empörender Weise gegen ihre<lb/>
altdeutschen Mitbürger vergangen. Deutsche Sitten und Gewohnheiten mußten<lb/>
ihnen zur Zielscheibe bissigen Spottes und plumpester Witze dienen. Das deutsche<lb/>
Nationalgefühl wurde mit Hohn überschüttet, deutsche Kulturleistungen in Elsaß-<lb/>
Lothringen, die dem Lande wahrlich nichts geschadet haben, wurden in den<lb/>
Staub gezogen und all diesen Herabwürdigungen gegenüber die Vorzüge der<lb/>
elsaß-lothringischen Kultur und vor allem der &#x201E;edlen, hochherzigen französischen<lb/>
Nation" in den Himmel gehoben. Diese unausgesetzten Verunglimpfungen haben<lb/>
bei der altdeutschen Bevölkerung des Landes, soweit sie nicht alles nationale<lb/>
Selbstbewußtsein verloren hat, eine an Haß grenzende Erbitterung hervor¬<lb/>
gerufen, bei den Alt-Elsaß-Lothringern aber, die zum Nationalismus halten,<lb/>
neben dem Haß noch eine Überhebung und Selbstherrlichkeit großgezogen, die<lb/>
in einem schreienden Mißverhältnis zu ihren: wahren Kulturniveau, sowie zu<lb/>
ihren Leistungen auf geistigem und wirtschaftlichem Gebiete steht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2591" next="#ID_2592"> Und was die politischen Nationalisten mit ihrer groben Verhetzung nicht<lb/>
fertig brachten, besorgte die feinere, stillere Arbeit der literarischen und Ästheten¬<lb/>
kreise in Straßburg, Colmar, Mülhausen und Metz. Die Bucher, Eccard,<lb/>
Döllinger, Laugel und wie die Förderer des kulturellen Nationalismus alle<lb/>
heißen, haben es, unterstützt von französischen Freunden, in systematischer Arbeit<lb/>
fertig gebracht, eine ganze Generation elsaß-lothringischer Bürgersöhne unter<lb/>
den Einfluß französischen Geistes- und Kunstlebens zu bringen. Französische<lb/>
Vorträge, französische Aufführungen, Pflege französischer Erinnerungen und Über¬<lb/>
lieferungen in gesellschaftlichen und akademischen Vereinigungen haben den Boden<lb/>
zur Aufnahme der politischen Ideen des Nationalismus bereit gemacht. Denn<lb/>
auch bei diesen Veranstaltungen geht es selten ohne versteckte oder offene Spitzen<lb/>
gegen Deutschland und das Deutschtum ab. Vor allem aber haben sie eine<lb/>
Schranke zwischen den beiden Bevölkerungen errichtet, indem sie dafür sorgten,<lb/>
daß beide sich einfach nicht mehr verstehen, nicht im sprachlichen Sinne natürlich,<lb/>
denn über dieses Hindernis käme man gerade hier im Lande verhältnismäßig<lb/>
leicht hinweg. Nein, die ganze Anschauungsweise der alt-elsaß-lothringischen<lb/>
Kreise, die unter dem Einfluß jener Personen gestanden haben, ist grund¬<lb/>
verschieden von der der deutschen Bevölkerung des Landes. Was dem einen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0551] Elsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus Die Art und Weise, wie sie, und zwar vor allem der Nouvelliste Wetterlös, ihn ausübten, trug vielleicht noch mehr als ihre politische Agitation dazu bei, die nationalen Gegensätze zwischen Einheimischen und Eingewanderten, die in: größten Teil des Landes schon ganz verschwunden oder doch zum Schlummern gebracht worden waren, neu zu entfachen. Auf politischem Gebiet ist man an scharfe Auseinandersetzungen gewöhnt. Da werden auch harte Worte nicht leicht tragisch genommen, und vor allem pflegen Angriffe des politischen Gegners, selbst wenn sie gegen die Person gerichtet werden, nur in Ausnahmefällen die Ehre des Angegriffenen zu verletzen. Auf nationalem und kulturellen Gebiet ist die Feinfühligkeit glücklicherweise größer. Und gerade hier haben sich die Wetterlö und Genossen seit Jahren in wahrhaft empörender Weise gegen ihre altdeutschen Mitbürger vergangen. Deutsche Sitten und Gewohnheiten mußten ihnen zur Zielscheibe bissigen Spottes und plumpester Witze dienen. Das deutsche Nationalgefühl wurde mit Hohn überschüttet, deutsche Kulturleistungen in Elsaß- Lothringen, die dem Lande wahrlich nichts geschadet haben, wurden in den Staub gezogen und all diesen Herabwürdigungen gegenüber die Vorzüge der elsaß-lothringischen Kultur und vor allem der „edlen, hochherzigen französischen Nation" in den Himmel gehoben. Diese unausgesetzten Verunglimpfungen haben bei der altdeutschen Bevölkerung des Landes, soweit sie nicht alles nationale Selbstbewußtsein verloren hat, eine an Haß grenzende Erbitterung hervor¬ gerufen, bei den Alt-Elsaß-Lothringern aber, die zum Nationalismus halten, neben dem Haß noch eine Überhebung und Selbstherrlichkeit großgezogen, die in einem schreienden Mißverhältnis zu ihren: wahren Kulturniveau, sowie zu ihren Leistungen auf geistigem und wirtschaftlichem Gebiete steht. Und was die politischen Nationalisten mit ihrer groben Verhetzung nicht fertig brachten, besorgte die feinere, stillere Arbeit der literarischen und Ästheten¬ kreise in Straßburg, Colmar, Mülhausen und Metz. Die Bucher, Eccard, Döllinger, Laugel und wie die Förderer des kulturellen Nationalismus alle heißen, haben es, unterstützt von französischen Freunden, in systematischer Arbeit fertig gebracht, eine ganze Generation elsaß-lothringischer Bürgersöhne unter den Einfluß französischen Geistes- und Kunstlebens zu bringen. Französische Vorträge, französische Aufführungen, Pflege französischer Erinnerungen und Über¬ lieferungen in gesellschaftlichen und akademischen Vereinigungen haben den Boden zur Aufnahme der politischen Ideen des Nationalismus bereit gemacht. Denn auch bei diesen Veranstaltungen geht es selten ohne versteckte oder offene Spitzen gegen Deutschland und das Deutschtum ab. Vor allem aber haben sie eine Schranke zwischen den beiden Bevölkerungen errichtet, indem sie dafür sorgten, daß beide sich einfach nicht mehr verstehen, nicht im sprachlichen Sinne natürlich, denn über dieses Hindernis käme man gerade hier im Lande verhältnismäßig leicht hinweg. Nein, die ganze Anschauungsweise der alt-elsaß-lothringischen Kreise, die unter dem Einfluß jener Personen gestanden haben, ist grund¬ verschieden von der der deutschen Bevölkerung des Landes. Was dem einen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/551
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/551>, abgerufen am 01.01.2025.