Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

daß dadurch die Unabhängigkeit der Richter
beeinträchtigt werde, erledigt sich durch die
Unterscheidung zwischen berechtigten und un¬
berechtigten Einflüssen. Berechtigt sind alle,
die durch Gründe zu wirken suchen, un¬
berechtigt alle anderen, insbesondere solche,
die auf den Richter einen Druck ausüben
wollen dadurch, das; sie ihn in den Konflikt
zwischen seinem Pflichtgefühl und in Gefahr
äußerer Nachteile bringen. Deshalb ist es
allerdings erwünscht, daß der Justizminister
und andere Personen, die auf das persönliche
Geschick des Richters Einfluß ausüben können,
sich der Äußerung ihrer Ansicht enthalten,
aber da die Abgeordneten und die Presse solche
Druckmittel nicht besitzen, so brauchen sie diese
Rücksicht nicht zu nehmen.

In den Angriffen, die gegen diesen meinen
Standpunkt erhoben sind, scheint zunächst
insofern ein Mißverständnis hervorzutreten,
als gemeint wird, ich wolle den Richter ver¬
pflichten, der öffentlichen Meinung bei Bildung
seines Urteils zu folgen. Selbstverständlich
können die in der Öffentlichkeit geltend ge¬
machten Ansichten keinen höheren Wert be¬
anspruchen, als die im Gerichtssaale geäußerten.
Beide dürfen den Richter nur soweit be¬
stimmen, wie er sie nach gewissenhafter Prüfung
berechtigt findet.

Nun wendet man ein, daß nach ausdrück¬
licher Vorschrift des Gesetzes das Gericht sein
Urteil nur stützen dürfe auf die Hauptver¬
handlung und deren Ergebnisse. Dies sei
aber nicht nur geltendes Recht, sondern auch
durchaus zu billigen, da nur hier durch die
Mitwirkung der Parteien, durch Beeidigung
und Gegenüberstellung der Zeugen u. tgi.
diejenige Kontrolle stattfinde, die erforderlich
sei, um die Wahrheit zu ermitteln, während
die öffentliche Meinung aller dieser Sicherungs-
mittel entbehre und deshalb notwendig un¬
zuverlässig sein müßte.

Dabei scheint mir übersehen zu sein, daß
alles dies sich nur beziehen kann auf die Fest¬
stellung von Tatsachen. Aber so wichtig sie
sind, so wenig bilden sie die einzige Unterlage
des Urteils. Neben ihnen handelt es sich
zunächst um die Rechtsvorschriften, und gerade
auf sie wird es häufig da ankommen, wo die
Ansichten auseinandergehen. Immerhin be¬
rühren- wir selbst hiermit noch nicht den

[Spaltenumbruch]

springenden Punkt! er liegt vielmehr an einer
ganz anderen Stelle. Wenn die Öffentlichkeit
an einer gerichtlichen Verhandlung Interesse
nimmt, so wird das selten geschehen wegen
der zufällig dabei beteiligten Personen oder
sonstigen nebensächlichen Punkte des Einzel-
falleS, sondern wegen der prinzipiellen Be¬
deutung der Angelegenheit und ihres Einflusses
auf weite Kreise der Bevölkerung. Deshalb
aber wird es sich fast immer handeln um
allgemeine Gesichtspunkte, mögen sie auf
Politischen, wirtschaftlichem, sozialem oder
kulturellein Gebiete liegen. Ist nun diese
Voraussetzung gegeben, so ist die Entscheidung
notwendig bedingt durch die Stellung, die der
Richter zu diesen Fragen grundsätzlicher Natur
einnimmt, und die öffentliche Erörterung hat
gerade den Zweck, ihn darüber aufzuklären,
welches Gesicht der Einzelfall zeigt, je nach¬
dem man ihn unter diesem oder jenem
Gesichtspunkte betrachtet. DaS steht nicht allein
in keinem Widerspruche zu dem Gesetze, sondern
ist durchaus erforderlich, um dem Richter die
Möglichkeit zu bieten, sich vor der aus seinem
persönlichen Standpunkte ergebenden Gefahr
einer einseitigen Beurteilung nach Kräften zu
schützen. Also nicht in der Ermittlung von
Tatsachen und nicht in erster Linie in der
Erörterung von Rechtsfragen sehe ich den
Wert der öffentlichen Besprechung, sondern
darin, daß Gelegenheit geboten wird, den
Einzelfall unter Beleuchtung des entgegen¬
gesetzten Standpunktes zu betrachten.

Übereinstimmend bringen ferner meine
Gegner eine starke Mißachtung der öffent¬
lichen Meinung zum Ausdruck, indem sie
daraus die Forderung herleiten, ihr möglichst
wenig Einfluß einzuräumen. Ich bin weit
davon entfernt, ihnen hierin grundsätzlich zu
widersprechen und den Wert wechselnder
Strömungen allzu hoch anzuschlagen, habe
vielmehr immer gesucht, mir ihnen gegenüber
meine Selbständigkeit zu wahren. Aber in. E.
kann das nur dahin führen, daß der Richter
sich der Unsicherheit dieser Erkenntnisquelle
bewußt bleibt und deshalb den hervortretenden
Ansichten nicht kritiklos einen unberechtigten
Einfluß auf sein eigenes Urteil gestattet.
Aber nicht allein bedarf es in dieser Richtung
Wohl kaum einer besonderen Warnung, sondern
vor allein ist die Gefahr, die man im Auge

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

daß dadurch die Unabhängigkeit der Richter
beeinträchtigt werde, erledigt sich durch die
Unterscheidung zwischen berechtigten und un¬
berechtigten Einflüssen. Berechtigt sind alle,
die durch Gründe zu wirken suchen, un¬
berechtigt alle anderen, insbesondere solche,
die auf den Richter einen Druck ausüben
wollen dadurch, das; sie ihn in den Konflikt
zwischen seinem Pflichtgefühl und in Gefahr
äußerer Nachteile bringen. Deshalb ist es
allerdings erwünscht, daß der Justizminister
und andere Personen, die auf das persönliche
Geschick des Richters Einfluß ausüben können,
sich der Äußerung ihrer Ansicht enthalten,
aber da die Abgeordneten und die Presse solche
Druckmittel nicht besitzen, so brauchen sie diese
Rücksicht nicht zu nehmen.

In den Angriffen, die gegen diesen meinen
Standpunkt erhoben sind, scheint zunächst
insofern ein Mißverständnis hervorzutreten,
als gemeint wird, ich wolle den Richter ver¬
pflichten, der öffentlichen Meinung bei Bildung
seines Urteils zu folgen. Selbstverständlich
können die in der Öffentlichkeit geltend ge¬
machten Ansichten keinen höheren Wert be¬
anspruchen, als die im Gerichtssaale geäußerten.
Beide dürfen den Richter nur soweit be¬
stimmen, wie er sie nach gewissenhafter Prüfung
berechtigt findet.

Nun wendet man ein, daß nach ausdrück¬
licher Vorschrift des Gesetzes das Gericht sein
Urteil nur stützen dürfe auf die Hauptver¬
handlung und deren Ergebnisse. Dies sei
aber nicht nur geltendes Recht, sondern auch
durchaus zu billigen, da nur hier durch die
Mitwirkung der Parteien, durch Beeidigung
und Gegenüberstellung der Zeugen u. tgi.
diejenige Kontrolle stattfinde, die erforderlich
sei, um die Wahrheit zu ermitteln, während
die öffentliche Meinung aller dieser Sicherungs-
mittel entbehre und deshalb notwendig un¬
zuverlässig sein müßte.

Dabei scheint mir übersehen zu sein, daß
alles dies sich nur beziehen kann auf die Fest¬
stellung von Tatsachen. Aber so wichtig sie
sind, so wenig bilden sie die einzige Unterlage
des Urteils. Neben ihnen handelt es sich
zunächst um die Rechtsvorschriften, und gerade
auf sie wird es häufig da ankommen, wo die
Ansichten auseinandergehen. Immerhin be¬
rühren- wir selbst hiermit noch nicht den

[Spaltenumbruch]

springenden Punkt! er liegt vielmehr an einer
ganz anderen Stelle. Wenn die Öffentlichkeit
an einer gerichtlichen Verhandlung Interesse
nimmt, so wird das selten geschehen wegen
der zufällig dabei beteiligten Personen oder
sonstigen nebensächlichen Punkte des Einzel-
falleS, sondern wegen der prinzipiellen Be¬
deutung der Angelegenheit und ihres Einflusses
auf weite Kreise der Bevölkerung. Deshalb
aber wird es sich fast immer handeln um
allgemeine Gesichtspunkte, mögen sie auf
Politischen, wirtschaftlichem, sozialem oder
kulturellein Gebiete liegen. Ist nun diese
Voraussetzung gegeben, so ist die Entscheidung
notwendig bedingt durch die Stellung, die der
Richter zu diesen Fragen grundsätzlicher Natur
einnimmt, und die öffentliche Erörterung hat
gerade den Zweck, ihn darüber aufzuklären,
welches Gesicht der Einzelfall zeigt, je nach¬
dem man ihn unter diesem oder jenem
Gesichtspunkte betrachtet. DaS steht nicht allein
in keinem Widerspruche zu dem Gesetze, sondern
ist durchaus erforderlich, um dem Richter die
Möglichkeit zu bieten, sich vor der aus seinem
persönlichen Standpunkte ergebenden Gefahr
einer einseitigen Beurteilung nach Kräften zu
schützen. Also nicht in der Ermittlung von
Tatsachen und nicht in erster Linie in der
Erörterung von Rechtsfragen sehe ich den
Wert der öffentlichen Besprechung, sondern
darin, daß Gelegenheit geboten wird, den
Einzelfall unter Beleuchtung des entgegen¬
gesetzten Standpunktes zu betrachten.

Übereinstimmend bringen ferner meine
Gegner eine starke Mißachtung der öffent¬
lichen Meinung zum Ausdruck, indem sie
daraus die Forderung herleiten, ihr möglichst
wenig Einfluß einzuräumen. Ich bin weit
davon entfernt, ihnen hierin grundsätzlich zu
widersprechen und den Wert wechselnder
Strömungen allzu hoch anzuschlagen, habe
vielmehr immer gesucht, mir ihnen gegenüber
meine Selbständigkeit zu wahren. Aber in. E.
kann das nur dahin führen, daß der Richter
sich der Unsicherheit dieser Erkenntnisquelle
bewußt bleibt und deshalb den hervortretenden
Ansichten nicht kritiklos einen unberechtigten
Einfluß auf sein eigenes Urteil gestattet.
Aber nicht allein bedarf es in dieser Richtung
Wohl kaum einer besonderen Warnung, sondern
vor allein ist die Gefahr, die man im Auge

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0534" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319481"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_2531" prev="#ID_2530"> daß dadurch die Unabhängigkeit der Richter<lb/>
beeinträchtigt werde, erledigt sich durch die<lb/>
Unterscheidung zwischen berechtigten und un¬<lb/>
berechtigten Einflüssen. Berechtigt sind alle,<lb/>
die durch Gründe zu wirken suchen, un¬<lb/>
berechtigt alle anderen, insbesondere solche,<lb/>
die auf den Richter einen Druck ausüben<lb/>
wollen dadurch, das; sie ihn in den Konflikt<lb/>
zwischen seinem Pflichtgefühl und in Gefahr<lb/>
äußerer Nachteile bringen. Deshalb ist es<lb/>
allerdings erwünscht, daß der Justizminister<lb/>
und andere Personen, die auf das persönliche<lb/>
Geschick des Richters Einfluß ausüben können,<lb/>
sich der Äußerung ihrer Ansicht enthalten,<lb/>
aber da die Abgeordneten und die Presse solche<lb/>
Druckmittel nicht besitzen, so brauchen sie diese<lb/>
Rücksicht nicht zu nehmen.</p>
            <p xml:id="ID_2532"> In den Angriffen, die gegen diesen meinen<lb/>
Standpunkt erhoben sind, scheint zunächst<lb/>
insofern ein Mißverständnis hervorzutreten,<lb/>
als gemeint wird, ich wolle den Richter ver¬<lb/>
pflichten, der öffentlichen Meinung bei Bildung<lb/>
seines Urteils zu folgen. Selbstverständlich<lb/>
können die in der Öffentlichkeit geltend ge¬<lb/>
machten Ansichten keinen höheren Wert be¬<lb/>
anspruchen, als die im Gerichtssaale geäußerten.<lb/>
Beide dürfen den Richter nur soweit be¬<lb/>
stimmen, wie er sie nach gewissenhafter Prüfung<lb/>
berechtigt findet.</p>
            <p xml:id="ID_2533"> Nun wendet man ein, daß nach ausdrück¬<lb/>
licher Vorschrift des Gesetzes das Gericht sein<lb/>
Urteil nur stützen dürfe auf die Hauptver¬<lb/>
handlung und deren Ergebnisse. Dies sei<lb/>
aber nicht nur geltendes Recht, sondern auch<lb/>
durchaus zu billigen, da nur hier durch die<lb/>
Mitwirkung der Parteien, durch Beeidigung<lb/>
und Gegenüberstellung der Zeugen u. tgi.<lb/>
diejenige Kontrolle stattfinde, die erforderlich<lb/>
sei, um die Wahrheit zu ermitteln, während<lb/>
die öffentliche Meinung aller dieser Sicherungs-<lb/>
mittel entbehre und deshalb notwendig un¬<lb/>
zuverlässig sein müßte.</p>
            <p xml:id="ID_2534" next="#ID_2535"> Dabei scheint mir übersehen zu sein, daß<lb/>
alles dies sich nur beziehen kann auf die Fest¬<lb/>
stellung von Tatsachen. Aber so wichtig sie<lb/>
sind, so wenig bilden sie die einzige Unterlage<lb/>
des Urteils. Neben ihnen handelt es sich<lb/>
zunächst um die Rechtsvorschriften, und gerade<lb/>
auf sie wird es häufig da ankommen, wo die<lb/>
Ansichten auseinandergehen. Immerhin be¬<lb/>
rühren- wir selbst hiermit noch nicht den</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_2535" prev="#ID_2534"> springenden Punkt! er liegt vielmehr an einer<lb/>
ganz anderen Stelle. Wenn die Öffentlichkeit<lb/>
an einer gerichtlichen Verhandlung Interesse<lb/>
nimmt, so wird das selten geschehen wegen<lb/>
der zufällig dabei beteiligten Personen oder<lb/>
sonstigen nebensächlichen Punkte des Einzel-<lb/>
falleS, sondern wegen der prinzipiellen Be¬<lb/>
deutung der Angelegenheit und ihres Einflusses<lb/>
auf weite Kreise der Bevölkerung. Deshalb<lb/>
aber wird es sich fast immer handeln um<lb/>
allgemeine Gesichtspunkte, mögen sie auf<lb/>
Politischen, wirtschaftlichem, sozialem oder<lb/>
kulturellein Gebiete liegen. Ist nun diese<lb/>
Voraussetzung gegeben, so ist die Entscheidung<lb/>
notwendig bedingt durch die Stellung, die der<lb/>
Richter zu diesen Fragen grundsätzlicher Natur<lb/>
einnimmt, und die öffentliche Erörterung hat<lb/>
gerade den Zweck, ihn darüber aufzuklären,<lb/>
welches Gesicht der Einzelfall zeigt, je nach¬<lb/>
dem man ihn unter diesem oder jenem<lb/>
Gesichtspunkte betrachtet. DaS steht nicht allein<lb/>
in keinem Widerspruche zu dem Gesetze, sondern<lb/>
ist durchaus erforderlich, um dem Richter die<lb/>
Möglichkeit zu bieten, sich vor der aus seinem<lb/>
persönlichen Standpunkte ergebenden Gefahr<lb/>
einer einseitigen Beurteilung nach Kräften zu<lb/>
schützen. Also nicht in der Ermittlung von<lb/>
Tatsachen und nicht in erster Linie in der<lb/>
Erörterung von Rechtsfragen sehe ich den<lb/>
Wert der öffentlichen Besprechung, sondern<lb/>
darin, daß Gelegenheit geboten wird, den<lb/>
Einzelfall unter Beleuchtung des entgegen¬<lb/>
gesetzten Standpunktes zu betrachten.</p>
            <p xml:id="ID_2536" next="#ID_2537"> Übereinstimmend bringen ferner meine<lb/>
Gegner eine starke Mißachtung der öffent¬<lb/>
lichen Meinung zum Ausdruck, indem sie<lb/>
daraus die Forderung herleiten, ihr möglichst<lb/>
wenig Einfluß einzuräumen. Ich bin weit<lb/>
davon entfernt, ihnen hierin grundsätzlich zu<lb/>
widersprechen und den Wert wechselnder<lb/>
Strömungen allzu hoch anzuschlagen, habe<lb/>
vielmehr immer gesucht, mir ihnen gegenüber<lb/>
meine Selbständigkeit zu wahren. Aber in. E.<lb/>
kann das nur dahin führen, daß der Richter<lb/>
sich der Unsicherheit dieser Erkenntnisquelle<lb/>
bewußt bleibt und deshalb den hervortretenden<lb/>
Ansichten nicht kritiklos einen unberechtigten<lb/>
Einfluß auf sein eigenes Urteil gestattet.<lb/>
Aber nicht allein bedarf es in dieser Richtung<lb/>
Wohl kaum einer besonderen Warnung, sondern<lb/>
vor allein ist die Gefahr, die man im Auge</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0534] Maßgebliches und Unmaßgebliches daß dadurch die Unabhängigkeit der Richter beeinträchtigt werde, erledigt sich durch die Unterscheidung zwischen berechtigten und un¬ berechtigten Einflüssen. Berechtigt sind alle, die durch Gründe zu wirken suchen, un¬ berechtigt alle anderen, insbesondere solche, die auf den Richter einen Druck ausüben wollen dadurch, das; sie ihn in den Konflikt zwischen seinem Pflichtgefühl und in Gefahr äußerer Nachteile bringen. Deshalb ist es allerdings erwünscht, daß der Justizminister und andere Personen, die auf das persönliche Geschick des Richters Einfluß ausüben können, sich der Äußerung ihrer Ansicht enthalten, aber da die Abgeordneten und die Presse solche Druckmittel nicht besitzen, so brauchen sie diese Rücksicht nicht zu nehmen. In den Angriffen, die gegen diesen meinen Standpunkt erhoben sind, scheint zunächst insofern ein Mißverständnis hervorzutreten, als gemeint wird, ich wolle den Richter ver¬ pflichten, der öffentlichen Meinung bei Bildung seines Urteils zu folgen. Selbstverständlich können die in der Öffentlichkeit geltend ge¬ machten Ansichten keinen höheren Wert be¬ anspruchen, als die im Gerichtssaale geäußerten. Beide dürfen den Richter nur soweit be¬ stimmen, wie er sie nach gewissenhafter Prüfung berechtigt findet. Nun wendet man ein, daß nach ausdrück¬ licher Vorschrift des Gesetzes das Gericht sein Urteil nur stützen dürfe auf die Hauptver¬ handlung und deren Ergebnisse. Dies sei aber nicht nur geltendes Recht, sondern auch durchaus zu billigen, da nur hier durch die Mitwirkung der Parteien, durch Beeidigung und Gegenüberstellung der Zeugen u. tgi. diejenige Kontrolle stattfinde, die erforderlich sei, um die Wahrheit zu ermitteln, während die öffentliche Meinung aller dieser Sicherungs- mittel entbehre und deshalb notwendig un¬ zuverlässig sein müßte. Dabei scheint mir übersehen zu sein, daß alles dies sich nur beziehen kann auf die Fest¬ stellung von Tatsachen. Aber so wichtig sie sind, so wenig bilden sie die einzige Unterlage des Urteils. Neben ihnen handelt es sich zunächst um die Rechtsvorschriften, und gerade auf sie wird es häufig da ankommen, wo die Ansichten auseinandergehen. Immerhin be¬ rühren- wir selbst hiermit noch nicht den springenden Punkt! er liegt vielmehr an einer ganz anderen Stelle. Wenn die Öffentlichkeit an einer gerichtlichen Verhandlung Interesse nimmt, so wird das selten geschehen wegen der zufällig dabei beteiligten Personen oder sonstigen nebensächlichen Punkte des Einzel- falleS, sondern wegen der prinzipiellen Be¬ deutung der Angelegenheit und ihres Einflusses auf weite Kreise der Bevölkerung. Deshalb aber wird es sich fast immer handeln um allgemeine Gesichtspunkte, mögen sie auf Politischen, wirtschaftlichem, sozialem oder kulturellein Gebiete liegen. Ist nun diese Voraussetzung gegeben, so ist die Entscheidung notwendig bedingt durch die Stellung, die der Richter zu diesen Fragen grundsätzlicher Natur einnimmt, und die öffentliche Erörterung hat gerade den Zweck, ihn darüber aufzuklären, welches Gesicht der Einzelfall zeigt, je nach¬ dem man ihn unter diesem oder jenem Gesichtspunkte betrachtet. DaS steht nicht allein in keinem Widerspruche zu dem Gesetze, sondern ist durchaus erforderlich, um dem Richter die Möglichkeit zu bieten, sich vor der aus seinem persönlichen Standpunkte ergebenden Gefahr einer einseitigen Beurteilung nach Kräften zu schützen. Also nicht in der Ermittlung von Tatsachen und nicht in erster Linie in der Erörterung von Rechtsfragen sehe ich den Wert der öffentlichen Besprechung, sondern darin, daß Gelegenheit geboten wird, den Einzelfall unter Beleuchtung des entgegen¬ gesetzten Standpunktes zu betrachten. Übereinstimmend bringen ferner meine Gegner eine starke Mißachtung der öffent¬ lichen Meinung zum Ausdruck, indem sie daraus die Forderung herleiten, ihr möglichst wenig Einfluß einzuräumen. Ich bin weit davon entfernt, ihnen hierin grundsätzlich zu widersprechen und den Wert wechselnder Strömungen allzu hoch anzuschlagen, habe vielmehr immer gesucht, mir ihnen gegenüber meine Selbständigkeit zu wahren. Aber in. E. kann das nur dahin führen, daß der Richter sich der Unsicherheit dieser Erkenntnisquelle bewußt bleibt und deshalb den hervortretenden Ansichten nicht kritiklos einen unberechtigten Einfluß auf sein eigenes Urteil gestattet. Aber nicht allein bedarf es in dieser Richtung Wohl kaum einer besonderen Warnung, sondern vor allein ist die Gefahr, die man im Auge

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/534
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/534>, abgerufen am 01.01.2025.