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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Bis hierher, d> h. zu der Gestaltung der
Dinge, die bis zur Schlacht auf dem Amsel¬
feld Geltung gehabt hat, führt uns der erste
Band von Jireceks Wert, Der zweite Band
soll zunächst die inneren Zustände des mittel¬
alterlichen Serbiens zur Zeit seines Auf¬
schwungs schildern und dann die serbische
Geschichte bis zur Neuzeit weiterführen.

Sein Ziel hat Jirecek auf Seite X der
Einleitung ausgesprochen: "eine quellenmäßig
beglaubigte, zusammenhängende, nüchterne
Darstellung der wichtigsten Ereignisse in der
Geschichte dieser Gebiete". Dadurch bestimmt
sich Inhalt und Darstellungsform des Werkes.
Jireceks Bestreben ist es, den Quellen zu
folgen, soweit es irgend geht! bei einem Stoff,
der meist keine rechte Handhabe zu ausgiebiger
Quellenvergleichung bietet, ist das natürlich
die einzig mögliche Form. Charakteristisch
ist, daß in der Darstellung der cyrilloinetho-
dianischen Frage selbst eine so erwägenswerte
Kritik, wie sie Bruckner geliefert hat, ganz
mit Stillschweigen übergangen wird.

Dein entspricht die Darstellung: nirgends
ein Streben zu pointieren, scharf zu Periodi-
sieren, die Hauptpunkte in eine besonders
helle Beleuchtung zu rücken; die Darstellung
fließt in gleichmäßigem, ruhigem Strome da¬
hin. Dinge, die vom Standpunkt der serbi¬
schen Geschichte nur sekundär sind, werden
ausführlich besprochen usw. Mitunter ist es
nicht ganz leicht, den Faden zu verfolgen.
Und so ist auch die Sprache des Verfassers:
gleichmäßig, unbewegt, objektiv kühl dem
Stoff gegenüber, nicht ohne Humor, besonders
in der Art, wie er die Worte seiner Quellen
zitiert; wer seine Vorlesungen gehört hat,
kennt diesen Humor. AVer das Pathos, das
wahre wie das falsche, ist ihm stets fern ge¬
blieben.

Es ist ein Grundbuch der südslawischen
Geschichte, dessen ersten Band uns Jirecek
hier vorlegt. Und es ist ein hübsches Zu¬
sammentreffen, daß diese Grundlegung einem
Enkel des Mannes verdankt wird, der einst
die südslawische Philologie und Literatur¬
geschichte, in vieler Hinsicht auch die slawische
Geschichtsforschung begründet hat, einem Enkel
Paul Joseph Schafariks.

Prof. Dr. Paul Diels [Spaltenumbruch]
Justiz und Verwaltung

Gerichte und öffentliche Meinung. Mein
unter diesen: Titel in Ur. 12 der Deutschen
Juristenzeitung veröffentlichter Aufsatz hat in
der Presse eine ungewöhnliche Beachtung ge¬
funden, und obgleich die zustimmenden Er¬
klärungen weit überwiegen, sind doch auch
einzelne widersprechende Äußerungen laut
geworden. So hat in Ur. 13 der Juristen¬
zeitung Wirkt. Geh. Legationsrnt Dr. v. Buchka
sich gegen meine Ausführungen gewandt. In
Ur. 34 der Deutschen Tageszeitung nimmt
Landgerichtsrat v. Pfister in Darmstadt im
gegnerischen Sinne das Wort, und in Ur. 3 t
der Grenzboten sucht Dr. Roland Behrend
nachzuweisen, daß meine Auffassung zu u"^
haltbaren Ergebnissen führe. Bei der Wichtig¬
keit der Frage dürfte es gestattet sein, noch¬
mals auf sie zurückzukommen.

Mein Grundgedanke ist der, daß der
Richter bei Bildung seiner Überzeugung und
Fällung seines Urteils keine Quelle unbenutzt
lassen dürfe, die sich ihm bietet, um der Gefahr
einer einseitigen Auffassung vorzubeugen. Erst
wenn er alle überhaupt ernst zu nehmenden
Ansichten gehört und gewürdigt hat, ist alles
geschehen, was in menschlicher Macht steht,
um einen gerechten Spruch zu verbürgen.
Zu diesen Quellen der Erkenntnis sind in. E.
auch die Ansichtsäußerungen zu rechnen, die
in öffentlichen Versammlungen, in den Par¬
lamenten und in der Presse laut werden.
Will man ini Sinne des bisher herrschenden
Dogmas, daß daS "Eingreifen in ein schwe¬
bendes Verfahren" unzulässig sei, die öffent¬
liche Meinung erst dann zu Worte kommen
lassen, wenn das Urteil letzter Instanz ge¬
sprochen ist, so bedeutet das zunächst, dem
Richter ein wertvolles Prüfungsmaterial so
lange zu entziehen, wie er es noch imstande
ist, es zu benutzen, um es zurückzuhalten bis
zu einer Zeit, wo nur noch "retrospektive
Betrachtungen" möglich sind. Das heißt also,
den Brunnen erst zudecken, nachdem das Kind
hineingefallen ist. Aber eS läuft auch darauf
hinaus, eine künstliche Scheidewand aufzu¬
richten zwischen der Rechtsprechung und der
Volksüberzeugung, die im Interesse der
Volkstümlichkeit unseres Rechtswesens durch¬
aus vermieden werden sollte. Das Bedenken,

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Bis hierher, d> h. zu der Gestaltung der
Dinge, die bis zur Schlacht auf dem Amsel¬
feld Geltung gehabt hat, führt uns der erste
Band von Jireceks Wert, Der zweite Band
soll zunächst die inneren Zustände des mittel¬
alterlichen Serbiens zur Zeit seines Auf¬
schwungs schildern und dann die serbische
Geschichte bis zur Neuzeit weiterführen.

Sein Ziel hat Jirecek auf Seite X der
Einleitung ausgesprochen: „eine quellenmäßig
beglaubigte, zusammenhängende, nüchterne
Darstellung der wichtigsten Ereignisse in der
Geschichte dieser Gebiete". Dadurch bestimmt
sich Inhalt und Darstellungsform des Werkes.
Jireceks Bestreben ist es, den Quellen zu
folgen, soweit es irgend geht! bei einem Stoff,
der meist keine rechte Handhabe zu ausgiebiger
Quellenvergleichung bietet, ist das natürlich
die einzig mögliche Form. Charakteristisch
ist, daß in der Darstellung der cyrilloinetho-
dianischen Frage selbst eine so erwägenswerte
Kritik, wie sie Bruckner geliefert hat, ganz
mit Stillschweigen übergangen wird.

Dein entspricht die Darstellung: nirgends
ein Streben zu pointieren, scharf zu Periodi-
sieren, die Hauptpunkte in eine besonders
helle Beleuchtung zu rücken; die Darstellung
fließt in gleichmäßigem, ruhigem Strome da¬
hin. Dinge, die vom Standpunkt der serbi¬
schen Geschichte nur sekundär sind, werden
ausführlich besprochen usw. Mitunter ist es
nicht ganz leicht, den Faden zu verfolgen.
Und so ist auch die Sprache des Verfassers:
gleichmäßig, unbewegt, objektiv kühl dem
Stoff gegenüber, nicht ohne Humor, besonders
in der Art, wie er die Worte seiner Quellen
zitiert; wer seine Vorlesungen gehört hat,
kennt diesen Humor. AVer das Pathos, das
wahre wie das falsche, ist ihm stets fern ge¬
blieben.

Es ist ein Grundbuch der südslawischen
Geschichte, dessen ersten Band uns Jirecek
hier vorlegt. Und es ist ein hübsches Zu¬
sammentreffen, daß diese Grundlegung einem
Enkel des Mannes verdankt wird, der einst
die südslawische Philologie und Literatur¬
geschichte, in vieler Hinsicht auch die slawische
Geschichtsforschung begründet hat, einem Enkel
Paul Joseph Schafariks.

Prof. Dr. Paul Diels [Spaltenumbruch]
Justiz und Verwaltung

Gerichte und öffentliche Meinung. Mein
unter diesen: Titel in Ur. 12 der Deutschen
Juristenzeitung veröffentlichter Aufsatz hat in
der Presse eine ungewöhnliche Beachtung ge¬
funden, und obgleich die zustimmenden Er¬
klärungen weit überwiegen, sind doch auch
einzelne widersprechende Äußerungen laut
geworden. So hat in Ur. 13 der Juristen¬
zeitung Wirkt. Geh. Legationsrnt Dr. v. Buchka
sich gegen meine Ausführungen gewandt. In
Ur. 34 der Deutschen Tageszeitung nimmt
Landgerichtsrat v. Pfister in Darmstadt im
gegnerischen Sinne das Wort, und in Ur. 3 t
der Grenzboten sucht Dr. Roland Behrend
nachzuweisen, daß meine Auffassung zu u»^
haltbaren Ergebnissen führe. Bei der Wichtig¬
keit der Frage dürfte es gestattet sein, noch¬
mals auf sie zurückzukommen.

Mein Grundgedanke ist der, daß der
Richter bei Bildung seiner Überzeugung und
Fällung seines Urteils keine Quelle unbenutzt
lassen dürfe, die sich ihm bietet, um der Gefahr
einer einseitigen Auffassung vorzubeugen. Erst
wenn er alle überhaupt ernst zu nehmenden
Ansichten gehört und gewürdigt hat, ist alles
geschehen, was in menschlicher Macht steht,
um einen gerechten Spruch zu verbürgen.
Zu diesen Quellen der Erkenntnis sind in. E.
auch die Ansichtsäußerungen zu rechnen, die
in öffentlichen Versammlungen, in den Par¬
lamenten und in der Presse laut werden.
Will man ini Sinne des bisher herrschenden
Dogmas, daß daS „Eingreifen in ein schwe¬
bendes Verfahren" unzulässig sei, die öffent¬
liche Meinung erst dann zu Worte kommen
lassen, wenn das Urteil letzter Instanz ge¬
sprochen ist, so bedeutet das zunächst, dem
Richter ein wertvolles Prüfungsmaterial so
lange zu entziehen, wie er es noch imstande
ist, es zu benutzen, um es zurückzuhalten bis
zu einer Zeit, wo nur noch „retrospektive
Betrachtungen" möglich sind. Das heißt also,
den Brunnen erst zudecken, nachdem das Kind
hineingefallen ist. Aber eS läuft auch darauf
hinaus, eine künstliche Scheidewand aufzu¬
richten zwischen der Rechtsprechung und der
Volksüberzeugung, die im Interesse der
Volkstümlichkeit unseres Rechtswesens durch¬
aus vermieden werden sollte. Das Bedenken,

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[0533] Maßgebliches und Unmaßgebliches Bis hierher, d> h. zu der Gestaltung der Dinge, die bis zur Schlacht auf dem Amsel¬ feld Geltung gehabt hat, führt uns der erste Band von Jireceks Wert, Der zweite Band soll zunächst die inneren Zustände des mittel¬ alterlichen Serbiens zur Zeit seines Auf¬ schwungs schildern und dann die serbische Geschichte bis zur Neuzeit weiterführen. Sein Ziel hat Jirecek auf Seite X der Einleitung ausgesprochen: „eine quellenmäßig beglaubigte, zusammenhängende, nüchterne Darstellung der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte dieser Gebiete". Dadurch bestimmt sich Inhalt und Darstellungsform des Werkes. Jireceks Bestreben ist es, den Quellen zu folgen, soweit es irgend geht! bei einem Stoff, der meist keine rechte Handhabe zu ausgiebiger Quellenvergleichung bietet, ist das natürlich die einzig mögliche Form. Charakteristisch ist, daß in der Darstellung der cyrilloinetho- dianischen Frage selbst eine so erwägenswerte Kritik, wie sie Bruckner geliefert hat, ganz mit Stillschweigen übergangen wird. Dein entspricht die Darstellung: nirgends ein Streben zu pointieren, scharf zu Periodi- sieren, die Hauptpunkte in eine besonders helle Beleuchtung zu rücken; die Darstellung fließt in gleichmäßigem, ruhigem Strome da¬ hin. Dinge, die vom Standpunkt der serbi¬ schen Geschichte nur sekundär sind, werden ausführlich besprochen usw. Mitunter ist es nicht ganz leicht, den Faden zu verfolgen. Und so ist auch die Sprache des Verfassers: gleichmäßig, unbewegt, objektiv kühl dem Stoff gegenüber, nicht ohne Humor, besonders in der Art, wie er die Worte seiner Quellen zitiert; wer seine Vorlesungen gehört hat, kennt diesen Humor. AVer das Pathos, das wahre wie das falsche, ist ihm stets fern ge¬ blieben. Es ist ein Grundbuch der südslawischen Geschichte, dessen ersten Band uns Jirecek hier vorlegt. Und es ist ein hübsches Zu¬ sammentreffen, daß diese Grundlegung einem Enkel des Mannes verdankt wird, der einst die südslawische Philologie und Literatur¬ geschichte, in vieler Hinsicht auch die slawische Geschichtsforschung begründet hat, einem Enkel Paul Joseph Schafariks. Prof. Dr. Paul Diels Justiz und Verwaltung Gerichte und öffentliche Meinung. Mein unter diesen: Titel in Ur. 12 der Deutschen Juristenzeitung veröffentlichter Aufsatz hat in der Presse eine ungewöhnliche Beachtung ge¬ funden, und obgleich die zustimmenden Er¬ klärungen weit überwiegen, sind doch auch einzelne widersprechende Äußerungen laut geworden. So hat in Ur. 13 der Juristen¬ zeitung Wirkt. Geh. Legationsrnt Dr. v. Buchka sich gegen meine Ausführungen gewandt. In Ur. 34 der Deutschen Tageszeitung nimmt Landgerichtsrat v. Pfister in Darmstadt im gegnerischen Sinne das Wort, und in Ur. 3 t der Grenzboten sucht Dr. Roland Behrend nachzuweisen, daß meine Auffassung zu u»^ haltbaren Ergebnissen führe. Bei der Wichtig¬ keit der Frage dürfte es gestattet sein, noch¬ mals auf sie zurückzukommen. Mein Grundgedanke ist der, daß der Richter bei Bildung seiner Überzeugung und Fällung seines Urteils keine Quelle unbenutzt lassen dürfe, die sich ihm bietet, um der Gefahr einer einseitigen Auffassung vorzubeugen. Erst wenn er alle überhaupt ernst zu nehmenden Ansichten gehört und gewürdigt hat, ist alles geschehen, was in menschlicher Macht steht, um einen gerechten Spruch zu verbürgen. Zu diesen Quellen der Erkenntnis sind in. E. auch die Ansichtsäußerungen zu rechnen, die in öffentlichen Versammlungen, in den Par¬ lamenten und in der Presse laut werden. Will man ini Sinne des bisher herrschenden Dogmas, daß daS „Eingreifen in ein schwe¬ bendes Verfahren" unzulässig sei, die öffent¬ liche Meinung erst dann zu Worte kommen lassen, wenn das Urteil letzter Instanz ge¬ sprochen ist, so bedeutet das zunächst, dem Richter ein wertvolles Prüfungsmaterial so lange zu entziehen, wie er es noch imstande ist, es zu benutzen, um es zurückzuhalten bis zu einer Zeit, wo nur noch „retrospektive Betrachtungen" möglich sind. Das heißt also, den Brunnen erst zudecken, nachdem das Kind hineingefallen ist. Aber eS läuft auch darauf hinaus, eine künstliche Scheidewand aufzu¬ richten zwischen der Rechtsprechung und der Volksüberzeugung, die im Interesse der Volkstümlichkeit unseres Rechtswesens durch¬ aus vermieden werden sollte. Das Bedenken,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/533>, abgerufen am 01.01.2025.