Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Das Glück des Hauses Rottland Paradiesvogel versetzt hatte, verfliegen. Es war auch zu hart: er, der Freiherr, Herr Salentin wollte schon umkehren, als sein Blick auf die Besitzerin der "Merge," sagte er, "du hast doch ein Paar klare Augen im Kopf, hast du "Vögel genug, Herr," erwiderte sie, indem sie das Wacholderreislein aus "Nein, die ordinären mein' ich nicht," erklärte er, "ich wollte nur wissen, ob Das Mädchen richtete sich ein wenig empor und starrte den Freiherrn erstaunt Mergens Bericht befriedigte den alten Herrn durchaus nicht, aber die Art, Das Glück des Hauses Rottland Paradiesvogel versetzt hatte, verfliegen. Es war auch zu hart: er, der Freiherr, Herr Salentin wollte schon umkehren, als sein Blick auf die Besitzerin der „Merge," sagte er, „du hast doch ein Paar klare Augen im Kopf, hast du „Vögel genug, Herr," erwiderte sie, indem sie das Wacholderreislein aus „Nein, die ordinären mein' ich nicht," erklärte er, „ich wollte nur wissen, ob Das Mädchen richtete sich ein wenig empor und starrte den Freiherrn erstaunt Mergens Bericht befriedigte den alten Herrn durchaus nicht, aber die Art, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0523" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319470"/> <fw type="header" place="top"> Das Glück des Hauses Rottland</fw><lb/> <p xml:id="ID_2467" prev="#ID_2466"> Paradiesvogel versetzt hatte, verfliegen. Es war auch zu hart: er, der Freiherr,<lb/> dem weit und breit Wald und Flur gehörte, nannte nur noch ein paar armselige<lb/> Ziegen sein eigen, und die Holzheimer Merge, eine simple Bauerndirne, rühmte<lb/> sich des Besitzes von vier stattlichen Kühen, wie man sie in diesen bösen Zeit¬<lb/> läuften im ganzen oberen Herzogtum nicht schöner hätte antreffen können. Aller¬<lb/> dings, die Holzheimer hatten von alters her das verbriefte Recht, ihr Vieh in den<lb/> Rottländer Wald zu treiben, und die Merge, die seit langem Waise war, hatte es<lb/> sich sauer genug werden lassen, sich selbst und ihre vier Tiere vor den Franzosen<lb/> in Sicherheit zu bringen. Unter unsäglichen Mühen hatte sie einen verlassenen<lb/> Stollen im Mechernicher Holze mit Hacke und Spaten erweitert, bis er zur Bergung<lb/> der Kühe genügend Raum bot, und dann hatte sie ein volles Jahr mutterseelen¬<lb/> allein mit ihrem Vieh an dem entlegenen Zufluchtsort gehaust, hauptsächlich von<lb/> Milch, Wurzeln und Vogeleiern gelebt und sich aus Furcht, ihren Schlupfwinkel<lb/> zu verraten, nur einige wenige Male unter die Menschen gewagt. Dafür war<lb/> sie jetzt aber auch das reichste Bauernmädchen in der ganzen Gegend, und man<lb/> betrachtete sie allenthalben mit einer Mischung von Neid und Bewunderung.</p><lb/> <p xml:id="ID_2468"> Herr Salentin wollte schon umkehren, als sein Blick auf die Besitzerin der<lb/> Kühe fiel, die hinter einem Holzapfelbusche der Länge nach auf dem warmen<lb/> Laubteppich lag, den Hinterkopf mit den schweren schwarzen Flechten in die<lb/> gefalteten Hände stützte und mit ihren gesunden Zähnen an einem Reislein kaute,<lb/> das sie von einem Wacholder abgerissen hatte. Sie schien den alten Herrn schon<lb/> längst bemerkt zu haben, hielt es jedoch für überflüssig, sich zu seiner Begrüßung<lb/> zu erheben, und begnügte sich damit, ihren kurzen Rock ein wenig weiter über die<lb/> nackten Knie zu ziehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2469"> „Merge," sagte er, „du hast doch ein Paar klare Augen im Kopf, hast du<lb/> hier im Busch heut oder die Tage zuvor nicht ein absonderlich Vöglein gesehen?"</p><lb/> <p xml:id="ID_2470"> „Vögel genug, Herr," erwiderte sie, indem sie das Wacholderreislein aus<lb/> dem Munde nahm und hinter das Ohr steckte, „und wenn Ihr den Markolf und<lb/> den Baumpicker absonderlich nennt, so muß ich Eure Frage mit Ja beantworten."</p><lb/> <p xml:id="ID_2471"> „Nein, die ordinären mein' ich nicht," erklärte er, „ich wollte nur wissen, ob<lb/> du ein Vöglein gesehen hast so bunt wie ein Eisvogel, so groß wie eine Merle<lb/> und so flink wie eine Schwalbe; eins, das immerfort in der Luft schweben muß<lb/> und sich nie setzen kann, weil es keine Füße hat."</p><lb/> <p xml:id="ID_2472"> Das Mädchen richtete sich ein wenig empor und starrte den Freiherrn erstaunt<lb/> an. Dann lachte sie laut auf und sagte: „Nun weiß ich, was Ihr meint. Was<lb/> Ihr da sucht, das ist der Glücksvogel, von dem mir meine Großmutter selig immer<lb/> erzählt hat. Der hat keine Füße, denn wozu sollt' er sie brauchen? Er flattert<lb/> den Menschen um den Kopf, wenn sie aber die Hand ausstrecken und denken, er<lb/> sollt' sich ihnen auf den Finger setzen, dann narrt er sie und fliegt davon und<lb/> läßt sich nie wieder sehen. Wer ihn aber mit Gewalt an sich bringen will, dem<lb/> ergeht es übel, das hat dazumal einer von den Spanischen erfahren müssen. Der<lb/> vermaß sich, das Vöglein zu schießen, schlug sein Rohr drauf an und drückte ab.<lb/> Da fuhr die Kugel wider eine Mauer und traf ihn selbst in die Stirn, daß er<lb/> tot hinfiel."</p><lb/> <p xml:id="ID_2473"> Mergens Bericht befriedigte den alten Herrn durchaus nicht, aber die Art,<lb/> wie sie zu ihm sprach, reizte ihn, das Gespräch fortzusetzen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0523]
Das Glück des Hauses Rottland
Paradiesvogel versetzt hatte, verfliegen. Es war auch zu hart: er, der Freiherr,
dem weit und breit Wald und Flur gehörte, nannte nur noch ein paar armselige
Ziegen sein eigen, und die Holzheimer Merge, eine simple Bauerndirne, rühmte
sich des Besitzes von vier stattlichen Kühen, wie man sie in diesen bösen Zeit¬
läuften im ganzen oberen Herzogtum nicht schöner hätte antreffen können. Aller¬
dings, die Holzheimer hatten von alters her das verbriefte Recht, ihr Vieh in den
Rottländer Wald zu treiben, und die Merge, die seit langem Waise war, hatte es
sich sauer genug werden lassen, sich selbst und ihre vier Tiere vor den Franzosen
in Sicherheit zu bringen. Unter unsäglichen Mühen hatte sie einen verlassenen
Stollen im Mechernicher Holze mit Hacke und Spaten erweitert, bis er zur Bergung
der Kühe genügend Raum bot, und dann hatte sie ein volles Jahr mutterseelen¬
allein mit ihrem Vieh an dem entlegenen Zufluchtsort gehaust, hauptsächlich von
Milch, Wurzeln und Vogeleiern gelebt und sich aus Furcht, ihren Schlupfwinkel
zu verraten, nur einige wenige Male unter die Menschen gewagt. Dafür war
sie jetzt aber auch das reichste Bauernmädchen in der ganzen Gegend, und man
betrachtete sie allenthalben mit einer Mischung von Neid und Bewunderung.
Herr Salentin wollte schon umkehren, als sein Blick auf die Besitzerin der
Kühe fiel, die hinter einem Holzapfelbusche der Länge nach auf dem warmen
Laubteppich lag, den Hinterkopf mit den schweren schwarzen Flechten in die
gefalteten Hände stützte und mit ihren gesunden Zähnen an einem Reislein kaute,
das sie von einem Wacholder abgerissen hatte. Sie schien den alten Herrn schon
längst bemerkt zu haben, hielt es jedoch für überflüssig, sich zu seiner Begrüßung
zu erheben, und begnügte sich damit, ihren kurzen Rock ein wenig weiter über die
nackten Knie zu ziehen.
„Merge," sagte er, „du hast doch ein Paar klare Augen im Kopf, hast du
hier im Busch heut oder die Tage zuvor nicht ein absonderlich Vöglein gesehen?"
„Vögel genug, Herr," erwiderte sie, indem sie das Wacholderreislein aus
dem Munde nahm und hinter das Ohr steckte, „und wenn Ihr den Markolf und
den Baumpicker absonderlich nennt, so muß ich Eure Frage mit Ja beantworten."
„Nein, die ordinären mein' ich nicht," erklärte er, „ich wollte nur wissen, ob
du ein Vöglein gesehen hast so bunt wie ein Eisvogel, so groß wie eine Merle
und so flink wie eine Schwalbe; eins, das immerfort in der Luft schweben muß
und sich nie setzen kann, weil es keine Füße hat."
Das Mädchen richtete sich ein wenig empor und starrte den Freiherrn erstaunt
an. Dann lachte sie laut auf und sagte: „Nun weiß ich, was Ihr meint. Was
Ihr da sucht, das ist der Glücksvogel, von dem mir meine Großmutter selig immer
erzählt hat. Der hat keine Füße, denn wozu sollt' er sie brauchen? Er flattert
den Menschen um den Kopf, wenn sie aber die Hand ausstrecken und denken, er
sollt' sich ihnen auf den Finger setzen, dann narrt er sie und fliegt davon und
läßt sich nie wieder sehen. Wer ihn aber mit Gewalt an sich bringen will, dem
ergeht es übel, das hat dazumal einer von den Spanischen erfahren müssen. Der
vermaß sich, das Vöglein zu schießen, schlug sein Rohr drauf an und drückte ab.
Da fuhr die Kugel wider eine Mauer und traf ihn selbst in die Stirn, daß er
tot hinfiel."
Mergens Bericht befriedigte den alten Herrn durchaus nicht, aber die Art,
wie sie zu ihm sprach, reizte ihn, das Gespräch fortzusetzen.
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