Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Reform der Literatur über die Universitäten

weiteren Kreisen Gunst einzuheimsen, wenn sie dabei das einzig zutreffende Wort
für die nottuende Hauptsache unterdrückte: das Wort "Pädagogik". Daß alle
hier in Betracht kommenden Probleme letztlich auf pädagogische zurückgehen, das
ist die Einsicht, auf der sie fußt; und daß sie damit "Schulmeisteret" von unteren
Stufen her in die oberste Bildungsstufe hineintragen wolle, das ist die einsichts¬
lose Ansicht derer, die sich durch jenes Wort davon abschrecken lassen, die Be¬
wegung zuerst kennen zu lernen, ehe man sie beurteilt oder ignoriert.

Daß es eine Wissenschaft vom gesamten Erziehungs-, Unterrichts- und
Schulwesen gibt, historisch wie systematisch, kann man längst wissen. Daß inner¬
halb dieser Wissenschaft die Behandlung der höchsten Bildungsstufe im wesent¬
lichen noch fehlte und nun eben durch jene "hochschulpädagogische" Bewegung
nachgeholt wird, war ein notwendiger Lauf der Dinge; und heute kann an
diesem Fortschritte nicht mehr vorbeigehen, wer auf diesem Gebiet kritisch und
reformatorisch auftritt.

Also eine Wissenschaft von der gesamten akademischen Welt, nur eben vom
Pädagogischen aus und als spezieller Teil der pädagogischen Wissenschaft über¬
haupt, ist das, was die neue (oder eben manchen noch neue) Bewegung will.
Erkenntnis und Förderung -- also erst Theorie und dann Praxis -- des
akademischen Bildungswesens ist im kürzesten der Sinn dessen, was hier
angestrebt wird.

Die gesamte Welt allerdings, die dadurch Gegenstand einer Wissenschaft
wird, kann unstreitig auch von anderen Standpunkten aus behandelt werden
als gerade vom pädagogischen: der Soziologe wird sie auch von sich aus
betrachten, der Jurist erst recht, der Historiker nicht zuletzt; und selbst der
Architekt bekommt für seine Tätigkeit praktisch und theoretisch mit dieser Welt
zu tun. Längst aber ist man es gerade in der akademischen Welt gewöhnt,
daß ein und derselbe Gegenstand von verschiedenen wissenschaftlichen Seiten her
behandelt werden kann und soll. Es fragt sich nur, welche BeHandlungsweise für
ihn besonders nötig ist; und über den Bedarf der akademischen Welt nach
pädagogischer Betrachtung und Behandlung können wenigstens die Kenner der
pädagogischen Wissenschaft einerseits und der akademischen Welt anderseits
keinen Zweifel haben.

Nach dieser Richtung also hat bereits die stille wie auch die öffentliche
Behandlung der Universitätsdinge eine neue Orientierung gefunden; und nach
dieser Richtung hin ist sie auch weiter zu orientieren, ja sogar zu "reformieren".
Nur ist dabei der springende Punkt immer der, daß man endlich über die vielen
meist sehr singulären und individuellen Ansichtsäußerungen, Tadelungen, Reform¬
vorschläge usw. hinauskommen und ebenso zu wirklichen Einsichten vordringen,
die Sache ebenso wissenschaftlich fassen muß, wie sonst auf akademischen Boden
die Objekte wissenschaftlich gefaßt werden.

Es sind dies leider unsäglich triviale Gedankengänge, und sie werden hier
längst nicht zum ersten Male vorgetragen. Aber sie bedürfen eines solchen


Zur Reform der Literatur über die Universitäten

weiteren Kreisen Gunst einzuheimsen, wenn sie dabei das einzig zutreffende Wort
für die nottuende Hauptsache unterdrückte: das Wort „Pädagogik". Daß alle
hier in Betracht kommenden Probleme letztlich auf pädagogische zurückgehen, das
ist die Einsicht, auf der sie fußt; und daß sie damit „Schulmeisteret" von unteren
Stufen her in die oberste Bildungsstufe hineintragen wolle, das ist die einsichts¬
lose Ansicht derer, die sich durch jenes Wort davon abschrecken lassen, die Be¬
wegung zuerst kennen zu lernen, ehe man sie beurteilt oder ignoriert.

Daß es eine Wissenschaft vom gesamten Erziehungs-, Unterrichts- und
Schulwesen gibt, historisch wie systematisch, kann man längst wissen. Daß inner¬
halb dieser Wissenschaft die Behandlung der höchsten Bildungsstufe im wesent¬
lichen noch fehlte und nun eben durch jene „hochschulpädagogische" Bewegung
nachgeholt wird, war ein notwendiger Lauf der Dinge; und heute kann an
diesem Fortschritte nicht mehr vorbeigehen, wer auf diesem Gebiet kritisch und
reformatorisch auftritt.

Also eine Wissenschaft von der gesamten akademischen Welt, nur eben vom
Pädagogischen aus und als spezieller Teil der pädagogischen Wissenschaft über¬
haupt, ist das, was die neue (oder eben manchen noch neue) Bewegung will.
Erkenntnis und Förderung — also erst Theorie und dann Praxis — des
akademischen Bildungswesens ist im kürzesten der Sinn dessen, was hier
angestrebt wird.

Die gesamte Welt allerdings, die dadurch Gegenstand einer Wissenschaft
wird, kann unstreitig auch von anderen Standpunkten aus behandelt werden
als gerade vom pädagogischen: der Soziologe wird sie auch von sich aus
betrachten, der Jurist erst recht, der Historiker nicht zuletzt; und selbst der
Architekt bekommt für seine Tätigkeit praktisch und theoretisch mit dieser Welt
zu tun. Längst aber ist man es gerade in der akademischen Welt gewöhnt,
daß ein und derselbe Gegenstand von verschiedenen wissenschaftlichen Seiten her
behandelt werden kann und soll. Es fragt sich nur, welche BeHandlungsweise für
ihn besonders nötig ist; und über den Bedarf der akademischen Welt nach
pädagogischer Betrachtung und Behandlung können wenigstens die Kenner der
pädagogischen Wissenschaft einerseits und der akademischen Welt anderseits
keinen Zweifel haben.

Nach dieser Richtung also hat bereits die stille wie auch die öffentliche
Behandlung der Universitätsdinge eine neue Orientierung gefunden; und nach
dieser Richtung hin ist sie auch weiter zu orientieren, ja sogar zu „reformieren".
Nur ist dabei der springende Punkt immer der, daß man endlich über die vielen
meist sehr singulären und individuellen Ansichtsäußerungen, Tadelungen, Reform¬
vorschläge usw. hinauskommen und ebenso zu wirklichen Einsichten vordringen,
die Sache ebenso wissenschaftlich fassen muß, wie sonst auf akademischen Boden
die Objekte wissenschaftlich gefaßt werden.

Es sind dies leider unsäglich triviale Gedankengänge, und sie werden hier
längst nicht zum ersten Male vorgetragen. Aber sie bedürfen eines solchen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319462"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Reform der Literatur über die Universitäten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2421" prev="#ID_2420"> weiteren Kreisen Gunst einzuheimsen, wenn sie dabei das einzig zutreffende Wort<lb/>
für die nottuende Hauptsache unterdrückte: das Wort &#x201E;Pädagogik". Daß alle<lb/>
hier in Betracht kommenden Probleme letztlich auf pädagogische zurückgehen, das<lb/>
ist die Einsicht, auf der sie fußt; und daß sie damit &#x201E;Schulmeisteret" von unteren<lb/>
Stufen her in die oberste Bildungsstufe hineintragen wolle, das ist die einsichts¬<lb/>
lose Ansicht derer, die sich durch jenes Wort davon abschrecken lassen, die Be¬<lb/>
wegung zuerst kennen zu lernen, ehe man sie beurteilt oder ignoriert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2422"> Daß es eine Wissenschaft vom gesamten Erziehungs-, Unterrichts- und<lb/>
Schulwesen gibt, historisch wie systematisch, kann man längst wissen. Daß inner¬<lb/>
halb dieser Wissenschaft die Behandlung der höchsten Bildungsstufe im wesent¬<lb/>
lichen noch fehlte und nun eben durch jene &#x201E;hochschulpädagogische" Bewegung<lb/>
nachgeholt wird, war ein notwendiger Lauf der Dinge; und heute kann an<lb/>
diesem Fortschritte nicht mehr vorbeigehen, wer auf diesem Gebiet kritisch und<lb/>
reformatorisch auftritt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2423"> Also eine Wissenschaft von der gesamten akademischen Welt, nur eben vom<lb/>
Pädagogischen aus und als spezieller Teil der pädagogischen Wissenschaft über¬<lb/>
haupt, ist das, was die neue (oder eben manchen noch neue) Bewegung will.<lb/>
Erkenntnis und Förderung &#x2014; also erst Theorie und dann Praxis &#x2014; des<lb/>
akademischen Bildungswesens ist im kürzesten der Sinn dessen, was hier<lb/>
angestrebt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2424"> Die gesamte Welt allerdings, die dadurch Gegenstand einer Wissenschaft<lb/>
wird, kann unstreitig auch von anderen Standpunkten aus behandelt werden<lb/>
als gerade vom pädagogischen: der Soziologe wird sie auch von sich aus<lb/>
betrachten, der Jurist erst recht, der Historiker nicht zuletzt; und selbst der<lb/>
Architekt bekommt für seine Tätigkeit praktisch und theoretisch mit dieser Welt<lb/>
zu tun. Längst aber ist man es gerade in der akademischen Welt gewöhnt,<lb/>
daß ein und derselbe Gegenstand von verschiedenen wissenschaftlichen Seiten her<lb/>
behandelt werden kann und soll. Es fragt sich nur, welche BeHandlungsweise für<lb/>
ihn besonders nötig ist; und über den Bedarf der akademischen Welt nach<lb/>
pädagogischer Betrachtung und Behandlung können wenigstens die Kenner der<lb/>
pädagogischen Wissenschaft einerseits und der akademischen Welt anderseits<lb/>
keinen Zweifel haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2425"> Nach dieser Richtung also hat bereits die stille wie auch die öffentliche<lb/>
Behandlung der Universitätsdinge eine neue Orientierung gefunden; und nach<lb/>
dieser Richtung hin ist sie auch weiter zu orientieren, ja sogar zu &#x201E;reformieren".<lb/>
Nur ist dabei der springende Punkt immer der, daß man endlich über die vielen<lb/>
meist sehr singulären und individuellen Ansichtsäußerungen, Tadelungen, Reform¬<lb/>
vorschläge usw. hinauskommen und ebenso zu wirklichen Einsichten vordringen,<lb/>
die Sache ebenso wissenschaftlich fassen muß, wie sonst auf akademischen Boden<lb/>
die Objekte wissenschaftlich gefaßt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2426" next="#ID_2427"> Es sind dies leider unsäglich triviale Gedankengänge, und sie werden hier<lb/>
längst nicht zum ersten Male vorgetragen. Aber sie bedürfen eines solchen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0515] Zur Reform der Literatur über die Universitäten weiteren Kreisen Gunst einzuheimsen, wenn sie dabei das einzig zutreffende Wort für die nottuende Hauptsache unterdrückte: das Wort „Pädagogik". Daß alle hier in Betracht kommenden Probleme letztlich auf pädagogische zurückgehen, das ist die Einsicht, auf der sie fußt; und daß sie damit „Schulmeisteret" von unteren Stufen her in die oberste Bildungsstufe hineintragen wolle, das ist die einsichts¬ lose Ansicht derer, die sich durch jenes Wort davon abschrecken lassen, die Be¬ wegung zuerst kennen zu lernen, ehe man sie beurteilt oder ignoriert. Daß es eine Wissenschaft vom gesamten Erziehungs-, Unterrichts- und Schulwesen gibt, historisch wie systematisch, kann man längst wissen. Daß inner¬ halb dieser Wissenschaft die Behandlung der höchsten Bildungsstufe im wesent¬ lichen noch fehlte und nun eben durch jene „hochschulpädagogische" Bewegung nachgeholt wird, war ein notwendiger Lauf der Dinge; und heute kann an diesem Fortschritte nicht mehr vorbeigehen, wer auf diesem Gebiet kritisch und reformatorisch auftritt. Also eine Wissenschaft von der gesamten akademischen Welt, nur eben vom Pädagogischen aus und als spezieller Teil der pädagogischen Wissenschaft über¬ haupt, ist das, was die neue (oder eben manchen noch neue) Bewegung will. Erkenntnis und Förderung — also erst Theorie und dann Praxis — des akademischen Bildungswesens ist im kürzesten der Sinn dessen, was hier angestrebt wird. Die gesamte Welt allerdings, die dadurch Gegenstand einer Wissenschaft wird, kann unstreitig auch von anderen Standpunkten aus behandelt werden als gerade vom pädagogischen: der Soziologe wird sie auch von sich aus betrachten, der Jurist erst recht, der Historiker nicht zuletzt; und selbst der Architekt bekommt für seine Tätigkeit praktisch und theoretisch mit dieser Welt zu tun. Längst aber ist man es gerade in der akademischen Welt gewöhnt, daß ein und derselbe Gegenstand von verschiedenen wissenschaftlichen Seiten her behandelt werden kann und soll. Es fragt sich nur, welche BeHandlungsweise für ihn besonders nötig ist; und über den Bedarf der akademischen Welt nach pädagogischer Betrachtung und Behandlung können wenigstens die Kenner der pädagogischen Wissenschaft einerseits und der akademischen Welt anderseits keinen Zweifel haben. Nach dieser Richtung also hat bereits die stille wie auch die öffentliche Behandlung der Universitätsdinge eine neue Orientierung gefunden; und nach dieser Richtung hin ist sie auch weiter zu orientieren, ja sogar zu „reformieren". Nur ist dabei der springende Punkt immer der, daß man endlich über die vielen meist sehr singulären und individuellen Ansichtsäußerungen, Tadelungen, Reform¬ vorschläge usw. hinauskommen und ebenso zu wirklichen Einsichten vordringen, die Sache ebenso wissenschaftlich fassen muß, wie sonst auf akademischen Boden die Objekte wissenschaftlich gefaßt werden. Es sind dies leider unsäglich triviale Gedankengänge, und sie werden hier längst nicht zum ersten Male vorgetragen. Aber sie bedürfen eines solchen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/515
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/515>, abgerufen am 04.01.2025.