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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Zur Reform der Literatur über die Universitäten

Übung und direkte Einwirkung. Nach unserer jetzigen Einsicht wird dies nur
selten gelingen. Ein Trost liegt darin, daß die Auslese durchaus nicht immer
eine Ausmerzung Lebender zu sein braucht, die Verhinderung neuen Lebens
reicht meistens aus. Und warum sollte ihre absichtliche Lenkung mehr Leid
verursachen, da sie auch ohne unser Zutun doch immer stattfindet?

Unser Erziehungsvermögen im Sinne der Fähigkeit, eine psychische Be¬
gabung zu ändern, ist ohnehin sehr beschränkt; man bedenke doch, daß eine
gegebene Anlage ausbilden etwas ganz anderes ist als sie umbilden. Das
erstere können wir, das letztere nur in sehr geringem Maße. Unsere Erziehungs¬
hoffnung läßt uns beides verwechseln. Der beste Unterricht macht noch keinen
besseren Intellekt, und deshalb wird der den Negern erteilte Unterricht, auch
wenn er zehnmal besser wäre, als er tatsächlich ist, ihre Begabung nicht erhöhen,
sondern höchstens zur vollen Entfaltung bringen. Ebenso wird kein Erziehungs-
system die Zahl ihrer Hochbegabten mehren, obwohl ihnen dies viel mehr als
irgend etwas anderes not täte. Ein besseres Ergebnis können mir eben nur
durch tieser einwirkende, erblich wirksame Mittel erzielen. Welche diese sind,
wissen wir noch nicht, wir fangen erst an sie zu studieren.




Zur Reform der Literatur über die Universitäten
von Dr. Hans Schmidt'" II Z

s ist sehr dankenswert, daß eine Persönlichkeit von dem Rang
und von der Erfahrung Heinrich Waentigs mit der Schrift "Zur
Reform der deutschen Universitäten" das Wort ergriffen hat. Man
kann sich gewiß freuen, daß der Autor den vorhandenen Dis¬
kussionen über ziemlich bekannte Verhältnisse der organisatorischen
und administrativen Seite der Universitäten eine neue hinzufügt.

Man kann sich darüber um so mehr freuen, als dies der Autor mit einer
solid durchgeführten Arbeit tut, die sorgfältig die Tatsachen jener Seite prüft,
und die manches schärfer hervorhebt, als es bisher hervorgehoben worden ist.

Schon einigemal haben "außerordentlich gehaltvolle Ausführungen" sich
um die Universitäten überhaupt und speziell um diese Seiten an ihnen lebhaft
bemüht und haben dabei "Mängel aufgedeckt", auch in dem Sinne, daß dadurch
solche Mängel zum erstenmal für die Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt wurden.

Nachdem bereits eine mannigfache Literatur dieser Art vorangegangen,
haben die Rektoratsrede von Karl Lamprecht 1910 und das Büchlein "Die
Lage der außerordentlichen Professoren an den preußischen Universitäten" 1911 .
sich ein großes Verdienst durch Darlegungen der tatsächlichen Verhältnisse und
durch ein beweiskräftiges Eintreten für ihre Vervollkommnung erhoben. Da ist


Grenzboten III 1911 6 '
Zur Reform der Literatur über die Universitäten

Übung und direkte Einwirkung. Nach unserer jetzigen Einsicht wird dies nur
selten gelingen. Ein Trost liegt darin, daß die Auslese durchaus nicht immer
eine Ausmerzung Lebender zu sein braucht, die Verhinderung neuen Lebens
reicht meistens aus. Und warum sollte ihre absichtliche Lenkung mehr Leid
verursachen, da sie auch ohne unser Zutun doch immer stattfindet?

Unser Erziehungsvermögen im Sinne der Fähigkeit, eine psychische Be¬
gabung zu ändern, ist ohnehin sehr beschränkt; man bedenke doch, daß eine
gegebene Anlage ausbilden etwas ganz anderes ist als sie umbilden. Das
erstere können wir, das letztere nur in sehr geringem Maße. Unsere Erziehungs¬
hoffnung läßt uns beides verwechseln. Der beste Unterricht macht noch keinen
besseren Intellekt, und deshalb wird der den Negern erteilte Unterricht, auch
wenn er zehnmal besser wäre, als er tatsächlich ist, ihre Begabung nicht erhöhen,
sondern höchstens zur vollen Entfaltung bringen. Ebenso wird kein Erziehungs-
system die Zahl ihrer Hochbegabten mehren, obwohl ihnen dies viel mehr als
irgend etwas anderes not täte. Ein besseres Ergebnis können mir eben nur
durch tieser einwirkende, erblich wirksame Mittel erzielen. Welche diese sind,
wissen wir noch nicht, wir fangen erst an sie zu studieren.




Zur Reform der Literatur über die Universitäten
von Dr. Hans Schmidt'» II Z

s ist sehr dankenswert, daß eine Persönlichkeit von dem Rang
und von der Erfahrung Heinrich Waentigs mit der Schrift „Zur
Reform der deutschen Universitäten" das Wort ergriffen hat. Man
kann sich gewiß freuen, daß der Autor den vorhandenen Dis¬
kussionen über ziemlich bekannte Verhältnisse der organisatorischen
und administrativen Seite der Universitäten eine neue hinzufügt.

Man kann sich darüber um so mehr freuen, als dies der Autor mit einer
solid durchgeführten Arbeit tut, die sorgfältig die Tatsachen jener Seite prüft,
und die manches schärfer hervorhebt, als es bisher hervorgehoben worden ist.

Schon einigemal haben „außerordentlich gehaltvolle Ausführungen" sich
um die Universitäten überhaupt und speziell um diese Seiten an ihnen lebhaft
bemüht und haben dabei „Mängel aufgedeckt", auch in dem Sinne, daß dadurch
solche Mängel zum erstenmal für die Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt wurden.

Nachdem bereits eine mannigfache Literatur dieser Art vorangegangen,
haben die Rektoratsrede von Karl Lamprecht 1910 und das Büchlein „Die
Lage der außerordentlichen Professoren an den preußischen Universitäten" 1911 .
sich ein großes Verdienst durch Darlegungen der tatsächlichen Verhältnisse und
durch ein beweiskräftiges Eintreten für ihre Vervollkommnung erhoben. Da ist


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[0513] Zur Reform der Literatur über die Universitäten Übung und direkte Einwirkung. Nach unserer jetzigen Einsicht wird dies nur selten gelingen. Ein Trost liegt darin, daß die Auslese durchaus nicht immer eine Ausmerzung Lebender zu sein braucht, die Verhinderung neuen Lebens reicht meistens aus. Und warum sollte ihre absichtliche Lenkung mehr Leid verursachen, da sie auch ohne unser Zutun doch immer stattfindet? Unser Erziehungsvermögen im Sinne der Fähigkeit, eine psychische Be¬ gabung zu ändern, ist ohnehin sehr beschränkt; man bedenke doch, daß eine gegebene Anlage ausbilden etwas ganz anderes ist als sie umbilden. Das erstere können wir, das letztere nur in sehr geringem Maße. Unsere Erziehungs¬ hoffnung läßt uns beides verwechseln. Der beste Unterricht macht noch keinen besseren Intellekt, und deshalb wird der den Negern erteilte Unterricht, auch wenn er zehnmal besser wäre, als er tatsächlich ist, ihre Begabung nicht erhöhen, sondern höchstens zur vollen Entfaltung bringen. Ebenso wird kein Erziehungs- system die Zahl ihrer Hochbegabten mehren, obwohl ihnen dies viel mehr als irgend etwas anderes not täte. Ein besseres Ergebnis können mir eben nur durch tieser einwirkende, erblich wirksame Mittel erzielen. Welche diese sind, wissen wir noch nicht, wir fangen erst an sie zu studieren. Zur Reform der Literatur über die Universitäten von Dr. Hans Schmidt'» II Z s ist sehr dankenswert, daß eine Persönlichkeit von dem Rang und von der Erfahrung Heinrich Waentigs mit der Schrift „Zur Reform der deutschen Universitäten" das Wort ergriffen hat. Man kann sich gewiß freuen, daß der Autor den vorhandenen Dis¬ kussionen über ziemlich bekannte Verhältnisse der organisatorischen und administrativen Seite der Universitäten eine neue hinzufügt. Man kann sich darüber um so mehr freuen, als dies der Autor mit einer solid durchgeführten Arbeit tut, die sorgfältig die Tatsachen jener Seite prüft, und die manches schärfer hervorhebt, als es bisher hervorgehoben worden ist. Schon einigemal haben „außerordentlich gehaltvolle Ausführungen" sich um die Universitäten überhaupt und speziell um diese Seiten an ihnen lebhaft bemüht und haben dabei „Mängel aufgedeckt", auch in dem Sinne, daß dadurch solche Mängel zum erstenmal für die Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt wurden. Nachdem bereits eine mannigfache Literatur dieser Art vorangegangen, haben die Rektoratsrede von Karl Lamprecht 1910 und das Büchlein „Die Lage der außerordentlichen Professoren an den preußischen Universitäten" 1911 . sich ein großes Verdienst durch Darlegungen der tatsächlichen Verhältnisse und durch ein beweiskräftiges Eintreten für ihre Vervollkommnung erhoben. Da ist Grenzboten III 1911 6 '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/513>, abgerufen am 04.01.2025.