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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Begabung der Rassen und Völker

Absicht umgestalten können. Nach dem Vorhergehenden dürste es selbst¬
verständlich sein, daß wir dazu fähig sind, wenn wir bloß die Bedingung
erfüllen, daß wir dieselben Mächte walten lassen und während ebenso langer
Zeit wie die Natur. Sind wir aber dazu in der Lage? Wahrscheinlich wird
dies selten der Fall sein, weil wir die maßgebenden Faktoren keineswegs
beherrschen und nur sehr selten während so langer Zeit, wie hier erforderlich,
der Einwirkung die gleiche Richtung geben können. Welche politische Maßregel
wurde je jahrtausendelang durchgeführt? Nehmen wir einmal an, daß ein
etwas rauhes Milieu die Arier und späterhin die nordischen Völker zu den
jetzigen Welteroberern erzogen habe, sind wir nun imstande, Neger oder Malaien
oder sonst irgendeine Rasse, deren menschlichen Wert wir erhöhen möchten, in
eine ähnlich rauhe Umgebung zu verpflanzen? Und wenn wir das könnten,
was gewiß nicht der Fall ist, würden wir sie dann bei unseren so sehr ver¬
änderten Lebensverhältnissen in jener Umgebung die erforderlich lange Zeit
festhalten können? Man braucht die Antwort kaum abzuwarten. Die Geschlechter,
die nach uns kommen, würden ja ihren Willen in bezug auf dieses Experiment
zehnmal geändert haben.

Es geschieht aber manchmal etwas anderes, nämlich ein absichtliches,
in nicht ganz belanglosen Motiven wurzeludes Hinüberführen einer fremden Rasse
in neue, vielleicht höhere Verhältnisse, z. B'. wenn wir die Chinesen in
unser modernes industrielles Leben oder die Neger Südafrikas ans ihrer ererbten
Clanverfassung fast unvermittelt in eine individualistische Gesellschaftsform drängen.
Natürlich wird dieser Übergang, indem er ganz neue Anforderungen an den
Charakter dieser Rassen stellt, sowohl durch direkte Anpassung als durch Auslese
einen tiefen Einfluß auf ihre Beanlagung ausüben. Geistig dieselben sind sie
vielleicht schon nach einem Jahrhundert eines so stark veränderten Lebens
gewiß nicht.

Aber eine Erziehung im eigentlichen Sinne des Worts läßt sich dieses
Verfahren doch kaum nennen! Wird eine solche uns möglich sein? Können
wir durch bewußte, absichtliche Maßnahmen die Wirkung der Natur mit ihren
langen Perioden ersetzen? Liegt es in unserer Macht, die letzteren abzukürzen,
die angewandten Mittel zu mildern? Es gibt für die Menschheit kaum ein
höheres Ziel! Wir müssen uus aber klar machen, daß die Menschheit als solche
sich nie ein solches Ziel steckt; was sie zu erreichen vermag, ist immer etwas
ganz anderes, als was ein einziger mit unserer Gesamtkenntnis ausgerüsteter
Mensch in einem Jahrhunderte währenden Leben zustande bringen könnte.
Konsequente Maßnahmen auf sehr lange Zeit hinaus sind von der Menschheit
vorläufig nicht zu erwarten, und solche wären doch zur Erziehung einer Rasse
resp, eines Volkes unbedingt nötig. Die Menschheit ist viel zu heterogen, um
je zu einem methodischen Zusammenwirken zu gelangen.

Eine andere Schwierigkeit besteht in der sehr erwünschten Ersetzung der
Auslese durch andere Umgestaltungsmittel, d. h. also durch Übung oder Nicht-


Die Begabung der Rassen und Völker

Absicht umgestalten können. Nach dem Vorhergehenden dürste es selbst¬
verständlich sein, daß wir dazu fähig sind, wenn wir bloß die Bedingung
erfüllen, daß wir dieselben Mächte walten lassen und während ebenso langer
Zeit wie die Natur. Sind wir aber dazu in der Lage? Wahrscheinlich wird
dies selten der Fall sein, weil wir die maßgebenden Faktoren keineswegs
beherrschen und nur sehr selten während so langer Zeit, wie hier erforderlich,
der Einwirkung die gleiche Richtung geben können. Welche politische Maßregel
wurde je jahrtausendelang durchgeführt? Nehmen wir einmal an, daß ein
etwas rauhes Milieu die Arier und späterhin die nordischen Völker zu den
jetzigen Welteroberern erzogen habe, sind wir nun imstande, Neger oder Malaien
oder sonst irgendeine Rasse, deren menschlichen Wert wir erhöhen möchten, in
eine ähnlich rauhe Umgebung zu verpflanzen? Und wenn wir das könnten,
was gewiß nicht der Fall ist, würden wir sie dann bei unseren so sehr ver¬
änderten Lebensverhältnissen in jener Umgebung die erforderlich lange Zeit
festhalten können? Man braucht die Antwort kaum abzuwarten. Die Geschlechter,
die nach uns kommen, würden ja ihren Willen in bezug auf dieses Experiment
zehnmal geändert haben.

Es geschieht aber manchmal etwas anderes, nämlich ein absichtliches,
in nicht ganz belanglosen Motiven wurzeludes Hinüberführen einer fremden Rasse
in neue, vielleicht höhere Verhältnisse, z. B'. wenn wir die Chinesen in
unser modernes industrielles Leben oder die Neger Südafrikas ans ihrer ererbten
Clanverfassung fast unvermittelt in eine individualistische Gesellschaftsform drängen.
Natürlich wird dieser Übergang, indem er ganz neue Anforderungen an den
Charakter dieser Rassen stellt, sowohl durch direkte Anpassung als durch Auslese
einen tiefen Einfluß auf ihre Beanlagung ausüben. Geistig dieselben sind sie
vielleicht schon nach einem Jahrhundert eines so stark veränderten Lebens
gewiß nicht.

Aber eine Erziehung im eigentlichen Sinne des Worts läßt sich dieses
Verfahren doch kaum nennen! Wird eine solche uns möglich sein? Können
wir durch bewußte, absichtliche Maßnahmen die Wirkung der Natur mit ihren
langen Perioden ersetzen? Liegt es in unserer Macht, die letzteren abzukürzen,
die angewandten Mittel zu mildern? Es gibt für die Menschheit kaum ein
höheres Ziel! Wir müssen uus aber klar machen, daß die Menschheit als solche
sich nie ein solches Ziel steckt; was sie zu erreichen vermag, ist immer etwas
ganz anderes, als was ein einziger mit unserer Gesamtkenntnis ausgerüsteter
Mensch in einem Jahrhunderte währenden Leben zustande bringen könnte.
Konsequente Maßnahmen auf sehr lange Zeit hinaus sind von der Menschheit
vorläufig nicht zu erwarten, und solche wären doch zur Erziehung einer Rasse
resp, eines Volkes unbedingt nötig. Die Menschheit ist viel zu heterogen, um
je zu einem methodischen Zusammenwirken zu gelangen.

Eine andere Schwierigkeit besteht in der sehr erwünschten Ersetzung der
Auslese durch andere Umgestaltungsmittel, d. h. also durch Übung oder Nicht-


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[0512] Die Begabung der Rassen und Völker Absicht umgestalten können. Nach dem Vorhergehenden dürste es selbst¬ verständlich sein, daß wir dazu fähig sind, wenn wir bloß die Bedingung erfüllen, daß wir dieselben Mächte walten lassen und während ebenso langer Zeit wie die Natur. Sind wir aber dazu in der Lage? Wahrscheinlich wird dies selten der Fall sein, weil wir die maßgebenden Faktoren keineswegs beherrschen und nur sehr selten während so langer Zeit, wie hier erforderlich, der Einwirkung die gleiche Richtung geben können. Welche politische Maßregel wurde je jahrtausendelang durchgeführt? Nehmen wir einmal an, daß ein etwas rauhes Milieu die Arier und späterhin die nordischen Völker zu den jetzigen Welteroberern erzogen habe, sind wir nun imstande, Neger oder Malaien oder sonst irgendeine Rasse, deren menschlichen Wert wir erhöhen möchten, in eine ähnlich rauhe Umgebung zu verpflanzen? Und wenn wir das könnten, was gewiß nicht der Fall ist, würden wir sie dann bei unseren so sehr ver¬ änderten Lebensverhältnissen in jener Umgebung die erforderlich lange Zeit festhalten können? Man braucht die Antwort kaum abzuwarten. Die Geschlechter, die nach uns kommen, würden ja ihren Willen in bezug auf dieses Experiment zehnmal geändert haben. Es geschieht aber manchmal etwas anderes, nämlich ein absichtliches, in nicht ganz belanglosen Motiven wurzeludes Hinüberführen einer fremden Rasse in neue, vielleicht höhere Verhältnisse, z. B'. wenn wir die Chinesen in unser modernes industrielles Leben oder die Neger Südafrikas ans ihrer ererbten Clanverfassung fast unvermittelt in eine individualistische Gesellschaftsform drängen. Natürlich wird dieser Übergang, indem er ganz neue Anforderungen an den Charakter dieser Rassen stellt, sowohl durch direkte Anpassung als durch Auslese einen tiefen Einfluß auf ihre Beanlagung ausüben. Geistig dieselben sind sie vielleicht schon nach einem Jahrhundert eines so stark veränderten Lebens gewiß nicht. Aber eine Erziehung im eigentlichen Sinne des Worts läßt sich dieses Verfahren doch kaum nennen! Wird eine solche uns möglich sein? Können wir durch bewußte, absichtliche Maßnahmen die Wirkung der Natur mit ihren langen Perioden ersetzen? Liegt es in unserer Macht, die letzteren abzukürzen, die angewandten Mittel zu mildern? Es gibt für die Menschheit kaum ein höheres Ziel! Wir müssen uus aber klar machen, daß die Menschheit als solche sich nie ein solches Ziel steckt; was sie zu erreichen vermag, ist immer etwas ganz anderes, als was ein einziger mit unserer Gesamtkenntnis ausgerüsteter Mensch in einem Jahrhunderte währenden Leben zustande bringen könnte. Konsequente Maßnahmen auf sehr lange Zeit hinaus sind von der Menschheit vorläufig nicht zu erwarten, und solche wären doch zur Erziehung einer Rasse resp, eines Volkes unbedingt nötig. Die Menschheit ist viel zu heterogen, um je zu einem methodischen Zusammenwirken zu gelangen. Eine andere Schwierigkeit besteht in der sehr erwünschten Ersetzung der Auslese durch andere Umgestaltungsmittel, d. h. also durch Übung oder Nicht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/512>, abgerufen am 04.01.2025.