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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Begabung der Rassen und Völker

recht mit der Behauptung, daß die psychische Erblichkeit den erblichen Rassencharakter
bedingt. Vgl. dazu auch Bechers "Rassedienst", Grenzboten 1911, Ur. 23 und 24.

Man darf aus dem Vorhergehenden aber keineswegs folgern, daß jede
seelische Eigentümlichkeit einer Menschengruppe nun auch notwendig einen Bestand¬
teil ihrer erblichen Psyche ausmache. Denn so sicher gewisse Züge, wie sie auch
entstanden sein mögen, erblichen Charakter haben, beruhen andere auf den
aktuellen Umständen und würden mit diesen sofort oder sehr bald verschwinden.
Sie können schon zur Gewohnheit geworden sein, bereits ein kleines Maß von
Fixierung erlangt haben, ohne deshalb schon erblich zu sein, aber auch weiter
nichts als eine direkte Reaktion auf die Reize der Umgebung bedeuten und mit
diesen wechseln. Nur die induktive Forschung kann und darf entscheiden, welche
Eigentümlichkeiten einer Bevölkerung dem erblichen Bestand angehören und welche
direkt der Umgebung zuzuschreiben sind. Das einzige allgemeine diagnostische
Hilfsmittel zur Unterscheidung der beiden Eigenschaftsgruppen ist wohl die
Beharrlichkeit selbst. Was unter wechselnden Umständen beharrlich bleibt, dem
Wechsel der Umgebung Widerstand leistet, gehört zur Erblichkeitsmasse; was aber
mit den Umständen und zwar in ihrem Sinne wechselt, darf als ihre vergängliche
Wirkung betrachtet werden.

Leider besitzen wir nur sehr wenige Studien, die darauf ausgehen, den
Charakter irgendeiner Rasse oder eines Volkes sorgfältig festzustellen. Eigentlich
wurden alle solche Versuche bloß nebenbei und grenzenlos oberflächlich angestellt.
Selbstverständlich reicht das rein anthropologische Studium nicht einmal aus,
um die höhere von der niedrigeren Begabung zu unterscheiden; die gröberen
hirnanatomischen Methoden sind ungenügend, wie zuletzt Kohlbrugge nachgewiesen
hat, und die seineren beherrschen wir noch viel zu wenig. Die von den
Anthroposoziologen gegebenen Charakteristiken, z. B. die von de Lapouge und
H. S. Chamberlain, sind doch gar zu wild und zu phantastisch begründet, von
einem methodisch-kritischen Nachweise findet sich bei ihnen keine Spur. Cham¬
berlain meint, daß bei den Juden der Wille, bei den Jndocuropäern der
Intellekt besonders entwickelt sei; de Lapouge aber hält die letzteren nicht für
intelligenter als die übrige Menschheit und sieht in der Stärke des Willens
das Merkmal ihrer Unterscheidung! Es sind eben Meinungen, weiter nichts!
Fouillöe ist vielleicht der einzige, der versucht hat, eine Reihe von Völkern
einigermaßen methodisch zu charakterisieren, aber auch er verfährt flüchtig und
oberflächlich, ohne daß viel Überzeugendes dabei herauskommt. Im übrigen
besitzen wir eigentlich nur eine allerdings große Zahl von Charakterschilderungen
einzelner Völker von direkten Beobachtern, die sich oft durch Scharfblick, nicht
aber durch systematische Vollständigkeit und kritische Methode auszeichnen. Unter
diesen ragen u. a. die Schilderung der Russen durch Hehn, die der Chinesen
durch Smith, die der Engländer durch Boulay hervor. Auch Sombarts tiefer
als gewöhnlich angelegte Untersuchung über den jüdischen Volkscharakter genügt
doch den Anforderungen keineswegs, denn er stellt keine genügenden Kontroll-


Die Begabung der Rassen und Völker

recht mit der Behauptung, daß die psychische Erblichkeit den erblichen Rassencharakter
bedingt. Vgl. dazu auch Bechers „Rassedienst", Grenzboten 1911, Ur. 23 und 24.

Man darf aus dem Vorhergehenden aber keineswegs folgern, daß jede
seelische Eigentümlichkeit einer Menschengruppe nun auch notwendig einen Bestand¬
teil ihrer erblichen Psyche ausmache. Denn so sicher gewisse Züge, wie sie auch
entstanden sein mögen, erblichen Charakter haben, beruhen andere auf den
aktuellen Umständen und würden mit diesen sofort oder sehr bald verschwinden.
Sie können schon zur Gewohnheit geworden sein, bereits ein kleines Maß von
Fixierung erlangt haben, ohne deshalb schon erblich zu sein, aber auch weiter
nichts als eine direkte Reaktion auf die Reize der Umgebung bedeuten und mit
diesen wechseln. Nur die induktive Forschung kann und darf entscheiden, welche
Eigentümlichkeiten einer Bevölkerung dem erblichen Bestand angehören und welche
direkt der Umgebung zuzuschreiben sind. Das einzige allgemeine diagnostische
Hilfsmittel zur Unterscheidung der beiden Eigenschaftsgruppen ist wohl die
Beharrlichkeit selbst. Was unter wechselnden Umständen beharrlich bleibt, dem
Wechsel der Umgebung Widerstand leistet, gehört zur Erblichkeitsmasse; was aber
mit den Umständen und zwar in ihrem Sinne wechselt, darf als ihre vergängliche
Wirkung betrachtet werden.

Leider besitzen wir nur sehr wenige Studien, die darauf ausgehen, den
Charakter irgendeiner Rasse oder eines Volkes sorgfältig festzustellen. Eigentlich
wurden alle solche Versuche bloß nebenbei und grenzenlos oberflächlich angestellt.
Selbstverständlich reicht das rein anthropologische Studium nicht einmal aus,
um die höhere von der niedrigeren Begabung zu unterscheiden; die gröberen
hirnanatomischen Methoden sind ungenügend, wie zuletzt Kohlbrugge nachgewiesen
hat, und die seineren beherrschen wir noch viel zu wenig. Die von den
Anthroposoziologen gegebenen Charakteristiken, z. B. die von de Lapouge und
H. S. Chamberlain, sind doch gar zu wild und zu phantastisch begründet, von
einem methodisch-kritischen Nachweise findet sich bei ihnen keine Spur. Cham¬
berlain meint, daß bei den Juden der Wille, bei den Jndocuropäern der
Intellekt besonders entwickelt sei; de Lapouge aber hält die letzteren nicht für
intelligenter als die übrige Menschheit und sieht in der Stärke des Willens
das Merkmal ihrer Unterscheidung! Es sind eben Meinungen, weiter nichts!
Fouillöe ist vielleicht der einzige, der versucht hat, eine Reihe von Völkern
einigermaßen methodisch zu charakterisieren, aber auch er verfährt flüchtig und
oberflächlich, ohne daß viel Überzeugendes dabei herauskommt. Im übrigen
besitzen wir eigentlich nur eine allerdings große Zahl von Charakterschilderungen
einzelner Völker von direkten Beobachtern, die sich oft durch Scharfblick, nicht
aber durch systematische Vollständigkeit und kritische Methode auszeichnen. Unter
diesen ragen u. a. die Schilderung der Russen durch Hehn, die der Chinesen
durch Smith, die der Engländer durch Boulay hervor. Auch Sombarts tiefer
als gewöhnlich angelegte Untersuchung über den jüdischen Volkscharakter genügt
doch den Anforderungen keineswegs, denn er stellt keine genügenden Kontroll-


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[0509] Die Begabung der Rassen und Völker recht mit der Behauptung, daß die psychische Erblichkeit den erblichen Rassencharakter bedingt. Vgl. dazu auch Bechers „Rassedienst", Grenzboten 1911, Ur. 23 und 24. Man darf aus dem Vorhergehenden aber keineswegs folgern, daß jede seelische Eigentümlichkeit einer Menschengruppe nun auch notwendig einen Bestand¬ teil ihrer erblichen Psyche ausmache. Denn so sicher gewisse Züge, wie sie auch entstanden sein mögen, erblichen Charakter haben, beruhen andere auf den aktuellen Umständen und würden mit diesen sofort oder sehr bald verschwinden. Sie können schon zur Gewohnheit geworden sein, bereits ein kleines Maß von Fixierung erlangt haben, ohne deshalb schon erblich zu sein, aber auch weiter nichts als eine direkte Reaktion auf die Reize der Umgebung bedeuten und mit diesen wechseln. Nur die induktive Forschung kann und darf entscheiden, welche Eigentümlichkeiten einer Bevölkerung dem erblichen Bestand angehören und welche direkt der Umgebung zuzuschreiben sind. Das einzige allgemeine diagnostische Hilfsmittel zur Unterscheidung der beiden Eigenschaftsgruppen ist wohl die Beharrlichkeit selbst. Was unter wechselnden Umständen beharrlich bleibt, dem Wechsel der Umgebung Widerstand leistet, gehört zur Erblichkeitsmasse; was aber mit den Umständen und zwar in ihrem Sinne wechselt, darf als ihre vergängliche Wirkung betrachtet werden. Leider besitzen wir nur sehr wenige Studien, die darauf ausgehen, den Charakter irgendeiner Rasse oder eines Volkes sorgfältig festzustellen. Eigentlich wurden alle solche Versuche bloß nebenbei und grenzenlos oberflächlich angestellt. Selbstverständlich reicht das rein anthropologische Studium nicht einmal aus, um die höhere von der niedrigeren Begabung zu unterscheiden; die gröberen hirnanatomischen Methoden sind ungenügend, wie zuletzt Kohlbrugge nachgewiesen hat, und die seineren beherrschen wir noch viel zu wenig. Die von den Anthroposoziologen gegebenen Charakteristiken, z. B. die von de Lapouge und H. S. Chamberlain, sind doch gar zu wild und zu phantastisch begründet, von einem methodisch-kritischen Nachweise findet sich bei ihnen keine Spur. Cham¬ berlain meint, daß bei den Juden der Wille, bei den Jndocuropäern der Intellekt besonders entwickelt sei; de Lapouge aber hält die letzteren nicht für intelligenter als die übrige Menschheit und sieht in der Stärke des Willens das Merkmal ihrer Unterscheidung! Es sind eben Meinungen, weiter nichts! Fouillöe ist vielleicht der einzige, der versucht hat, eine Reihe von Völkern einigermaßen methodisch zu charakterisieren, aber auch er verfährt flüchtig und oberflächlich, ohne daß viel Überzeugendes dabei herauskommt. Im übrigen besitzen wir eigentlich nur eine allerdings große Zahl von Charakterschilderungen einzelner Völker von direkten Beobachtern, die sich oft durch Scharfblick, nicht aber durch systematische Vollständigkeit und kritische Methode auszeichnen. Unter diesen ragen u. a. die Schilderung der Russen durch Hehn, die der Chinesen durch Smith, die der Engländer durch Boulay hervor. Auch Sombarts tiefer als gewöhnlich angelegte Untersuchung über den jüdischen Volkscharakter genügt doch den Anforderungen keineswegs, denn er stellt keine genügenden Kontroll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/509>, abgerufen am 04.01.2025.