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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Begabung der Rassen und Völker

den anderen bevorzugt ist, im Wettkampfe der Völker siegen wird und für den
Kulturfortschritt mehr leisten kann.

Von der Bedeutung der psychischen Verschiedenheit der Menschengruppen
sind wir jetzt überzeugt; in wie verschiedener Weise wir sie uns denken können,
wissen wir auch. Es fragt sich aber noch, ob sie wirklich besteht. Finot hat
sie geleugnet, aber ihre Nichtexistenz kaum zu beweisen versucht, denn indem
er auf der einen Seite das Vorhandensein der kollektiven Charaktere bestreitet,
schwelgt er im nächsten Augenblicke im französischen Nationalgenius und erklärt
diesen aus der Mischung gewisser Rasseneigenschaften! Er spricht von den beson¬
deren Eigenschaften längst verschwundener Urrassen und nennt die neue nord¬
amerikanische Volksseele ein wunderschönes Produkt aus vielerlei Mischungen;
wie kann aber die Mischung etwas Schönes ergeben, wenn die Bestandteile der
Mischung sich voneinander nicht unterscheiden?

Wir stehen jetzt der großen Frage gegenüber, ob die Gruppencharaktere
ganz und ohne weiteres aus dem direkten Einflüsse der Umgebung zu erklären
sind und mit dieser sofort und vollständig wechseln, oder ob sie etwas Festes
und Bleibendes bedeuten. Wir müssen gleich und ohne Vorbehalt zugeben, daß
die psychischen Eigentümlichkeiten aller Rassen aus ihrer Umgebung entstanden
sind. Wie könnte es anders sein? Der Charakter, den die Bewohner von
ihrer Umgebung aufgeprägt erhielten, kann nun aber entweder vergänglich sein
wie Schrift im Sande oder beharrlich wie Felseninschrift.

Es handelt sich also gar nicht um die Frage, wie vielfach fälschlich angenommen
wird, ob die Umgebung allmächtig ist oder nicht. Nein, sie und sie allein
gestaltet die Gruppenpsyche in unserem Sinne, ihr Werk kann aber von geringerer
oder größerer Dauer sein. Auf das Maß dieser Vergänglichkeit kommt alles
an. Wurde die Schrift der Umgebung tief genug in den Felsen der Volksseele
eingeritzt, um von der psychischen Erblichkeit betroffen zu werden? Das ist die
entscheidende Frage.

Die Erblichkeit der seelischen Eigenschaften ist also eine der Bedingungen
des erblichen Gruppencharakters. Von Lucas und seinen Vorgängern bis auf
unsere Zeit wurde das große Problem immer wieder erörtert. Seit Galton
kann es wohl im allgemeinen als gelöst betrachtet werden; seit den Arbeiten
von Jörg, Heymans und Wiersma, Pearson haben wir aber auch genauere
Einsicht in die Gesetze der psychischen Erblichkeit, obwohl hier noch unendlich
viel zu tun übrig bleibt. Wir dürfen also annehmen, daß die psychischen
Ergebnisse der Einwirkung der Umgebung im weitesten Sinne in einer ver¬
wandten Menschenmasse erblich gefestigt werden können. Ob und in welchem
Falle dies geschieht, wird vor allem davon abhängen, ob die Einwirkungen
tiefgehende sind und ob sie längere Zeit bestanden haben. Wer also einerseits
die Macht der Umgebungseinwirkung und anderseits die psychische Erblichkeit
anerkennt, muß notwendig die logische Schlußfolgerung, den erblichen Gruppen¬
charakter, in irgendeiner Form auch anerkennen! Schallmayer hat vollständig


Die Begabung der Rassen und Völker

den anderen bevorzugt ist, im Wettkampfe der Völker siegen wird und für den
Kulturfortschritt mehr leisten kann.

Von der Bedeutung der psychischen Verschiedenheit der Menschengruppen
sind wir jetzt überzeugt; in wie verschiedener Weise wir sie uns denken können,
wissen wir auch. Es fragt sich aber noch, ob sie wirklich besteht. Finot hat
sie geleugnet, aber ihre Nichtexistenz kaum zu beweisen versucht, denn indem
er auf der einen Seite das Vorhandensein der kollektiven Charaktere bestreitet,
schwelgt er im nächsten Augenblicke im französischen Nationalgenius und erklärt
diesen aus der Mischung gewisser Rasseneigenschaften! Er spricht von den beson¬
deren Eigenschaften längst verschwundener Urrassen und nennt die neue nord¬
amerikanische Volksseele ein wunderschönes Produkt aus vielerlei Mischungen;
wie kann aber die Mischung etwas Schönes ergeben, wenn die Bestandteile der
Mischung sich voneinander nicht unterscheiden?

Wir stehen jetzt der großen Frage gegenüber, ob die Gruppencharaktere
ganz und ohne weiteres aus dem direkten Einflüsse der Umgebung zu erklären
sind und mit dieser sofort und vollständig wechseln, oder ob sie etwas Festes
und Bleibendes bedeuten. Wir müssen gleich und ohne Vorbehalt zugeben, daß
die psychischen Eigentümlichkeiten aller Rassen aus ihrer Umgebung entstanden
sind. Wie könnte es anders sein? Der Charakter, den die Bewohner von
ihrer Umgebung aufgeprägt erhielten, kann nun aber entweder vergänglich sein
wie Schrift im Sande oder beharrlich wie Felseninschrift.

Es handelt sich also gar nicht um die Frage, wie vielfach fälschlich angenommen
wird, ob die Umgebung allmächtig ist oder nicht. Nein, sie und sie allein
gestaltet die Gruppenpsyche in unserem Sinne, ihr Werk kann aber von geringerer
oder größerer Dauer sein. Auf das Maß dieser Vergänglichkeit kommt alles
an. Wurde die Schrift der Umgebung tief genug in den Felsen der Volksseele
eingeritzt, um von der psychischen Erblichkeit betroffen zu werden? Das ist die
entscheidende Frage.

Die Erblichkeit der seelischen Eigenschaften ist also eine der Bedingungen
des erblichen Gruppencharakters. Von Lucas und seinen Vorgängern bis auf
unsere Zeit wurde das große Problem immer wieder erörtert. Seit Galton
kann es wohl im allgemeinen als gelöst betrachtet werden; seit den Arbeiten
von Jörg, Heymans und Wiersma, Pearson haben wir aber auch genauere
Einsicht in die Gesetze der psychischen Erblichkeit, obwohl hier noch unendlich
viel zu tun übrig bleibt. Wir dürfen also annehmen, daß die psychischen
Ergebnisse der Einwirkung der Umgebung im weitesten Sinne in einer ver¬
wandten Menschenmasse erblich gefestigt werden können. Ob und in welchem
Falle dies geschieht, wird vor allem davon abhängen, ob die Einwirkungen
tiefgehende sind und ob sie längere Zeit bestanden haben. Wer also einerseits
die Macht der Umgebungseinwirkung und anderseits die psychische Erblichkeit
anerkennt, muß notwendig die logische Schlußfolgerung, den erblichen Gruppen¬
charakter, in irgendeiner Form auch anerkennen! Schallmayer hat vollständig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/508>, abgerufen am 04.01.2025.