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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Begabung der Rassen und Völker

verdient. Die Wissenschaft soll eben nie verteidigen, sondern bloß forschen und
erklären. Finot in seinem bekannten Buche hat uns den Weg gezeigt, den wir
nicht einschlagen sollen.

Die erste Frage, die wir uns gegenwärtig zu stellen haben, ist die, wie
wir uns den Charakter einer Gruppe oder die Verschiedenheit der psychischen
Beanlagung zwischen zwei Menschengruppen denken müssen. Wenn wir allen
mystischen Vorstellungen von der Volksseele fernbleiben wollen, so müssen wir
uns deutlich zu machen versuchen, in welcher Weise sich die eine Rasse von der
anderen oder das eine Volk von dem anderen psychisch unterscheiden kann.
Zwei Möglichkeiten bieten sich dar, die aber auch vereint vorliegen können.
Ich nenne sie die elementare und die distributive Verschiedenheit. Unter der
ersten verstehe ich die psychische Verschiedenheit aller Mitglieder der einen Gruppe
von denen einer anderen. Wenn man z. B. die Neger kindisch nennt, meint
man damit, daß alle Exemplare dieser Rasse die so bezeichnete Eigenart mehr
oder weniger besitzen, und genau so verhält es sich, wenn man die nord¬
amerikanischen Indianer der Grausamkeit bezichtigt: sie werden alle fremden
Leiden weniger zugänglich gedacht als die Mitglieder anderer Rassen. Wenn
aber die Deutschen musikalischer gerühmt werden als andere europäische Völker,
oder wenn den Mischungen von Europäern und Malaien oder von Europäern
und Negern dieser Vorzug in besonders hohem Maße zugesprochen wird, dann
liegen zwei Möglichkeiten vor: entweder alle Deutschen und genannten Misch¬
linge sind musikalisch begabt, oder die Masse bei beiden verhält sich nicht anders
als bei anderen Menschengruppen, aber bei den ersteren kommt ein größerer
Prozentsatz von musikalisch gut Beanlagten vor als bei anderen Völkern.
In diesem Falle sind also die Elemente der Gruppe von denjenigen anderer
nicht zu unterscheiden, die Verteilung der Anlagen ist aber in der einen Gruppe
nicht dieselbe wie in der anderen. Im ersten Falle spreche ich also von elemen¬
taren, im zweiten von distributiven Unterschieden in den verglichenen Volks¬
charakteren.

Diejenige Form der distributiven Verschiedenheit, welche auf einer ungleichen
Verteilung von höherer Beanlagung überhaupt beruht, dürfte von der größten
Bedeutung sein. So wird vielfach von den Engländern behauptet, daß sie
bedeutend mehr tüchtige Leute hervorbringen als irgendein anderes Volk. Es
versteht sich, daß, wenn auch dieser Überschuß an Begabten im englischen Volke
an sich von keiner eigentümlichen Färbung wäre, sein Vorhandensein allein schon
genügen würde, den Engländern einen besonderen Charakter zu verleihen, genau
so wie ein Mensch sich vor einem anderen hervortut, wenn er genau dieselben
Eigenschaften besitzt, nur daß einige Züge bei ihm stärker entwickelt sind, so
daß das eine Individuum nicht mehr als mittelmäßig, das andere als hoch¬
begabt erscheint.

Es ist wohl ohne weiteres klar, daß ein Volk resp, eine Rasse, die durch
den Besitz ausgezeichneter Eigenschaften oder hervorragender Persönlichkeiten vor


Die Begabung der Rassen und Völker

verdient. Die Wissenschaft soll eben nie verteidigen, sondern bloß forschen und
erklären. Finot in seinem bekannten Buche hat uns den Weg gezeigt, den wir
nicht einschlagen sollen.

Die erste Frage, die wir uns gegenwärtig zu stellen haben, ist die, wie
wir uns den Charakter einer Gruppe oder die Verschiedenheit der psychischen
Beanlagung zwischen zwei Menschengruppen denken müssen. Wenn wir allen
mystischen Vorstellungen von der Volksseele fernbleiben wollen, so müssen wir
uns deutlich zu machen versuchen, in welcher Weise sich die eine Rasse von der
anderen oder das eine Volk von dem anderen psychisch unterscheiden kann.
Zwei Möglichkeiten bieten sich dar, die aber auch vereint vorliegen können.
Ich nenne sie die elementare und die distributive Verschiedenheit. Unter der
ersten verstehe ich die psychische Verschiedenheit aller Mitglieder der einen Gruppe
von denen einer anderen. Wenn man z. B. die Neger kindisch nennt, meint
man damit, daß alle Exemplare dieser Rasse die so bezeichnete Eigenart mehr
oder weniger besitzen, und genau so verhält es sich, wenn man die nord¬
amerikanischen Indianer der Grausamkeit bezichtigt: sie werden alle fremden
Leiden weniger zugänglich gedacht als die Mitglieder anderer Rassen. Wenn
aber die Deutschen musikalischer gerühmt werden als andere europäische Völker,
oder wenn den Mischungen von Europäern und Malaien oder von Europäern
und Negern dieser Vorzug in besonders hohem Maße zugesprochen wird, dann
liegen zwei Möglichkeiten vor: entweder alle Deutschen und genannten Misch¬
linge sind musikalisch begabt, oder die Masse bei beiden verhält sich nicht anders
als bei anderen Menschengruppen, aber bei den ersteren kommt ein größerer
Prozentsatz von musikalisch gut Beanlagten vor als bei anderen Völkern.
In diesem Falle sind also die Elemente der Gruppe von denjenigen anderer
nicht zu unterscheiden, die Verteilung der Anlagen ist aber in der einen Gruppe
nicht dieselbe wie in der anderen. Im ersten Falle spreche ich also von elemen¬
taren, im zweiten von distributiven Unterschieden in den verglichenen Volks¬
charakteren.

Diejenige Form der distributiven Verschiedenheit, welche auf einer ungleichen
Verteilung von höherer Beanlagung überhaupt beruht, dürfte von der größten
Bedeutung sein. So wird vielfach von den Engländern behauptet, daß sie
bedeutend mehr tüchtige Leute hervorbringen als irgendein anderes Volk. Es
versteht sich, daß, wenn auch dieser Überschuß an Begabten im englischen Volke
an sich von keiner eigentümlichen Färbung wäre, sein Vorhandensein allein schon
genügen würde, den Engländern einen besonderen Charakter zu verleihen, genau
so wie ein Mensch sich vor einem anderen hervortut, wenn er genau dieselben
Eigenschaften besitzt, nur daß einige Züge bei ihm stärker entwickelt sind, so
daß das eine Individuum nicht mehr als mittelmäßig, das andere als hoch¬
begabt erscheint.

Es ist wohl ohne weiteres klar, daß ein Volk resp, eine Rasse, die durch
den Besitz ausgezeichneter Eigenschaften oder hervorragender Persönlichkeiten vor


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/507>, abgerufen am 01.01.2025.