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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Begabung der Rassen und Völker

Philosophie der Geschichte trug, kennt kaum eine wichtigere Frage als die nach
der Bedeutung der Rasse im Lebensprozesse der Menschheit. Und praktisch:
Nicht nur unsere ganze Kolonialpolitik, unser Verhalten den Eingeborenen unserer
Kolonien gegenüber hängt von der Beantwortung dieser Frage ab; die Lage
aller europäischen Völker wird eine andere sein, je nachdem, ob die vierhundert
Millionen Chinesen notwendig unsere unterwürfigen Kukis bleiben müssen, ob
sie sich zu unseren mehr oder weniger geschickten Nachahmern ausschwingen
können oder ob es ihnen gelingen wird, als unsere ebenbürtigen Mitbewerber
aufzutreten. Ebenso hängt es von dieser Antwort ab, wie wir den Negern
und den Malaien unserer Kolonien gegenüber aufzutreten haben, denn es ist
selbstverständlich, daß man gleich geartete Menschen anders erziehen und behandeln
muß als solche, die von den unseligen ganz verschiedene Vorzüge und Fehler
besitzen, auch wenn man diesen gegenüber von den besten Absichten beseelt ist.
Die afrikanische Kolonialpolitik sowie die Behandlung der Neger in Amerika
könnten unmöglich dieselben bleiben, wenn einmal die Überzeugung durchdringen
sollte, daß die Schwarzen eigentlich verkannte, schlecht erzogene Angelsachsen sind.

Wahrlich, die Frage, ob alle Rassen, welche die Erde trägt, von den äußeren
Umständen abgesehen, dieselbe und gleich hohe Begabung besitzen, ist für Praxis
und Theorie von der allergrößten Bedeutung I Und dennoch ist dieses Problem
durch die Wissenschaft nicht allein nicht gelöst worden -- das hat es ja mit
allen tieferen Problemen gemein --, sondern es wurde sogar nur sehr selten einer
gründlichen, objektiven Erörterung unterzogen. Besonders an der unbedingt
nötigen Objektivität hat es fast immer gefehlt. Einerseits trat der Gegensatz
zwischen den Völkern und Nationalitäten hier hindernd in den Weg, und
anderseits suchte der Haß und der Interessengegensatz zwischen den Rassen in
den fremden Weltteilen, zwischen Weißen und Negern, Weißen und Mongolen
seine Instinkte und Erfahrungen in Theorien umzusetzen. Eine andere Tendenz
vertraten schon seit längerer Zeit der Humanismus und der Kosmopolitismus.
Beide wollen wenigstens einen Grund der Trennung und Feindschaft zwischen
den Völkern und Rassen beseitigen, indem sie ihre angeborene Ungleichheit
leugnen. Die Wesensgleichheit aller Menschen ist ihr Losungswort und die Vor¬
aussetzung aller ihrer Träume und Forderungen.

Im Gegensatze zu diesen Interessenten hat die wissenschaftliche Forschung
sich von den Tendenzen der Sympathie ebenso wie von denen der Antipathie
fernzuhalten. Sie wird sich weder von dem Enthusiasmus der Zeitungen und
der Kongresse noch von den Vorurteilen und dem Egoismus der praktischen
Leute beeinflussen lassen. Sie hat wie immer nur auf die Tatsachen achtzu¬
geben, und sie kann diesen nur gerecht werden, wenn sie allen menschlichen
Erscheinungen teilnehmend und mitfühlend gegenübersteht. Die Wissenschaft
entsagt ihrer Würde, wenn sie, statt objektiv zu forschen, Argumente zu vor¬
gefaßten Meinungen zusammensucht, und es ändert hieran gar nichts, wenn der
in solcher Weise verteidigte Gegenstand unsere Sympathie besitzt und sogar


Die Begabung der Rassen und Völker

Philosophie der Geschichte trug, kennt kaum eine wichtigere Frage als die nach
der Bedeutung der Rasse im Lebensprozesse der Menschheit. Und praktisch:
Nicht nur unsere ganze Kolonialpolitik, unser Verhalten den Eingeborenen unserer
Kolonien gegenüber hängt von der Beantwortung dieser Frage ab; die Lage
aller europäischen Völker wird eine andere sein, je nachdem, ob die vierhundert
Millionen Chinesen notwendig unsere unterwürfigen Kukis bleiben müssen, ob
sie sich zu unseren mehr oder weniger geschickten Nachahmern ausschwingen
können oder ob es ihnen gelingen wird, als unsere ebenbürtigen Mitbewerber
aufzutreten. Ebenso hängt es von dieser Antwort ab, wie wir den Negern
und den Malaien unserer Kolonien gegenüber aufzutreten haben, denn es ist
selbstverständlich, daß man gleich geartete Menschen anders erziehen und behandeln
muß als solche, die von den unseligen ganz verschiedene Vorzüge und Fehler
besitzen, auch wenn man diesen gegenüber von den besten Absichten beseelt ist.
Die afrikanische Kolonialpolitik sowie die Behandlung der Neger in Amerika
könnten unmöglich dieselben bleiben, wenn einmal die Überzeugung durchdringen
sollte, daß die Schwarzen eigentlich verkannte, schlecht erzogene Angelsachsen sind.

Wahrlich, die Frage, ob alle Rassen, welche die Erde trägt, von den äußeren
Umständen abgesehen, dieselbe und gleich hohe Begabung besitzen, ist für Praxis
und Theorie von der allergrößten Bedeutung I Und dennoch ist dieses Problem
durch die Wissenschaft nicht allein nicht gelöst worden — das hat es ja mit
allen tieferen Problemen gemein —, sondern es wurde sogar nur sehr selten einer
gründlichen, objektiven Erörterung unterzogen. Besonders an der unbedingt
nötigen Objektivität hat es fast immer gefehlt. Einerseits trat der Gegensatz
zwischen den Völkern und Nationalitäten hier hindernd in den Weg, und
anderseits suchte der Haß und der Interessengegensatz zwischen den Rassen in
den fremden Weltteilen, zwischen Weißen und Negern, Weißen und Mongolen
seine Instinkte und Erfahrungen in Theorien umzusetzen. Eine andere Tendenz
vertraten schon seit längerer Zeit der Humanismus und der Kosmopolitismus.
Beide wollen wenigstens einen Grund der Trennung und Feindschaft zwischen
den Völkern und Rassen beseitigen, indem sie ihre angeborene Ungleichheit
leugnen. Die Wesensgleichheit aller Menschen ist ihr Losungswort und die Vor¬
aussetzung aller ihrer Träume und Forderungen.

Im Gegensatze zu diesen Interessenten hat die wissenschaftliche Forschung
sich von den Tendenzen der Sympathie ebenso wie von denen der Antipathie
fernzuhalten. Sie wird sich weder von dem Enthusiasmus der Zeitungen und
der Kongresse noch von den Vorurteilen und dem Egoismus der praktischen
Leute beeinflussen lassen. Sie hat wie immer nur auf die Tatsachen achtzu¬
geben, und sie kann diesen nur gerecht werden, wenn sie allen menschlichen
Erscheinungen teilnehmend und mitfühlend gegenübersteht. Die Wissenschaft
entsagt ihrer Würde, wenn sie, statt objektiv zu forschen, Argumente zu vor¬
gefaßten Meinungen zusammensucht, und es ändert hieran gar nichts, wenn der
in solcher Weise verteidigte Gegenstand unsere Sympathie besitzt und sogar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/506>, abgerufen am 29.12.2024.