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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Kulturarbeit des Privatvcrsicherungsweseiis

Hie und da will man mit solchen Maßnahmen dem Staate Einnahmen
verschaffen. Das Hauptmotiv jener allgemeinen Verstaatlichungsidee aber bleibt
doch am Ende der Glaube, es werde durch eine solche Wandlung der soziale
Nutzen, der kulturelle Segen des nationalen Versicherungswesens erheblich gesteigert.

Ist diese, bei uns in einflußreichen Kreise:: stark verbreitete Annahme
richtig? -- Das ist die Frage, die hier einer kurzen Betrachtung unterzogen
werden mag. Sie verdient eine solche öffentliche Erörterung, denn jener Ver¬
staatlichungsglaube ist für den weiteren Werdegang unseres Versicherungswesens
unter Umständen von entscheidendster Bedeutung. Im allgemeinen sozialen
Interesse scheint es da geboten, der fraglichen Auffassung von der sozial-kultu¬
rellen Minderwertigkeit der privaten Betriebsweise etwas näher auf den Grund
zu gehen und sie auf ihren Nichtigkeitsgehalt an Hand unbefangener Wirklich¬
keitsforschung zu prüfen.

Bei dieser Prüfung ergibt sich zunächst, was die erwähnten Einzelvorwürfe
gegen den privaten Versicherungsbetrieb angeht, folgendes: Ein sehr erheblicher
Teil unserer Versicherungsgesellschaften ist überhaupt nicht mit Aktionärdividenden
belastet, weil ihr Betrieb auf dem Gegenseitigkeitssystem beruht. Bei den meisten
Aktiengesellschaften aber gehen die Aktionärbezüge keineswegs über dasjenige Maß
hinaus, das zugestanden werden muß, um im Bedarfsfalle Aktienkapital dem
Versicherungswesen zuzuführen und diesem die in mancher Hinsicht besonders
zweckmäßige Betriebsform der Aktiengesellschaft zu sichern. Auch entspricht in
den meisten Fällen -- insbesondere im Bereiche der sogenannten Schaden¬
versicherung -- dem Aktionärgewinn auch insofern eine angemessene Gegen¬
leistung, als die Aktionäre ein mit großen Schadenchancen verknüpftes Betriebs¬
risiko tragen. Ebenso bilden die Fälle der wesentlich über das sozial notwendige
Maß hinausgehenden Vertragsvergünstigungen der leitenden und aufsichtführenden
Gesellschaftsorgane die Ausnahme. Ma: lasse sich in dieser Beziehung nicht
durch einige wenige "Rieseneinnahmen" hervorragend geschäftstüchtiger, aber
auf höchste Bezahlung Gewicht legender Versicherungsdirektoren irreführen, die
meist allein in weiteren Kreisen bekannt sind und hier zu allerhand ver¬
allgemeinernden Trugschlüssen Anlaß geben; ein gewissenhaftes Studium:
der einschlägigen Verhältnisse bei unseren großen Gegenseitigkeitsgesellschaften
wird den unbefangenen Kritiker davon überzeugen, daß die im Grunde unter
dem Einfluß von Nachfrage und Angebot sich heraufbildende Leistungsbezahlung
im privaten Versicherungsbetriebe zumeist keineswegs die Grenzen des Betriebs¬
notwendigen überschreitet, vielmehr der Regel nach eine richtig rentierende Auf¬
wendung darstellt. Das trifft auch im allgemeinen für den vielbemängelten
Agentenapparat zu, dessen Bedeutung und Nützlichkeit von manchen Beurteilern
des Versicherungswesens recht ungenügend verstanden wird. Auf die Rentabilität
dieses Faktors der Privatversicherung werde ich noch zu sprechen kommen.

Was aber schließlich die dem privaten Versicherungswesen vorgeworfene
"Ausbeutung" der Versicherungsinteressenten durch schlechte Vertragsbedingungen


Die Kulturarbeit des Privatvcrsicherungsweseiis

Hie und da will man mit solchen Maßnahmen dem Staate Einnahmen
verschaffen. Das Hauptmotiv jener allgemeinen Verstaatlichungsidee aber bleibt
doch am Ende der Glaube, es werde durch eine solche Wandlung der soziale
Nutzen, der kulturelle Segen des nationalen Versicherungswesens erheblich gesteigert.

Ist diese, bei uns in einflußreichen Kreise:: stark verbreitete Annahme
richtig? — Das ist die Frage, die hier einer kurzen Betrachtung unterzogen
werden mag. Sie verdient eine solche öffentliche Erörterung, denn jener Ver¬
staatlichungsglaube ist für den weiteren Werdegang unseres Versicherungswesens
unter Umständen von entscheidendster Bedeutung. Im allgemeinen sozialen
Interesse scheint es da geboten, der fraglichen Auffassung von der sozial-kultu¬
rellen Minderwertigkeit der privaten Betriebsweise etwas näher auf den Grund
zu gehen und sie auf ihren Nichtigkeitsgehalt an Hand unbefangener Wirklich¬
keitsforschung zu prüfen.

Bei dieser Prüfung ergibt sich zunächst, was die erwähnten Einzelvorwürfe
gegen den privaten Versicherungsbetrieb angeht, folgendes: Ein sehr erheblicher
Teil unserer Versicherungsgesellschaften ist überhaupt nicht mit Aktionärdividenden
belastet, weil ihr Betrieb auf dem Gegenseitigkeitssystem beruht. Bei den meisten
Aktiengesellschaften aber gehen die Aktionärbezüge keineswegs über dasjenige Maß
hinaus, das zugestanden werden muß, um im Bedarfsfalle Aktienkapital dem
Versicherungswesen zuzuführen und diesem die in mancher Hinsicht besonders
zweckmäßige Betriebsform der Aktiengesellschaft zu sichern. Auch entspricht in
den meisten Fällen — insbesondere im Bereiche der sogenannten Schaden¬
versicherung — dem Aktionärgewinn auch insofern eine angemessene Gegen¬
leistung, als die Aktionäre ein mit großen Schadenchancen verknüpftes Betriebs¬
risiko tragen. Ebenso bilden die Fälle der wesentlich über das sozial notwendige
Maß hinausgehenden Vertragsvergünstigungen der leitenden und aufsichtführenden
Gesellschaftsorgane die Ausnahme. Ma: lasse sich in dieser Beziehung nicht
durch einige wenige „Rieseneinnahmen" hervorragend geschäftstüchtiger, aber
auf höchste Bezahlung Gewicht legender Versicherungsdirektoren irreführen, die
meist allein in weiteren Kreisen bekannt sind und hier zu allerhand ver¬
allgemeinernden Trugschlüssen Anlaß geben; ein gewissenhaftes Studium:
der einschlägigen Verhältnisse bei unseren großen Gegenseitigkeitsgesellschaften
wird den unbefangenen Kritiker davon überzeugen, daß die im Grunde unter
dem Einfluß von Nachfrage und Angebot sich heraufbildende Leistungsbezahlung
im privaten Versicherungsbetriebe zumeist keineswegs die Grenzen des Betriebs¬
notwendigen überschreitet, vielmehr der Regel nach eine richtig rentierende Auf¬
wendung darstellt. Das trifft auch im allgemeinen für den vielbemängelten
Agentenapparat zu, dessen Bedeutung und Nützlichkeit von manchen Beurteilern
des Versicherungswesens recht ungenügend verstanden wird. Auf die Rentabilität
dieses Faktors der Privatversicherung werde ich noch zu sprechen kommen.

Was aber schließlich die dem privaten Versicherungswesen vorgeworfene
»Ausbeutung" der Versicherungsinteressenten durch schlechte Vertragsbedingungen


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[0499] Die Kulturarbeit des Privatvcrsicherungsweseiis Hie und da will man mit solchen Maßnahmen dem Staate Einnahmen verschaffen. Das Hauptmotiv jener allgemeinen Verstaatlichungsidee aber bleibt doch am Ende der Glaube, es werde durch eine solche Wandlung der soziale Nutzen, der kulturelle Segen des nationalen Versicherungswesens erheblich gesteigert. Ist diese, bei uns in einflußreichen Kreise:: stark verbreitete Annahme richtig? — Das ist die Frage, die hier einer kurzen Betrachtung unterzogen werden mag. Sie verdient eine solche öffentliche Erörterung, denn jener Ver¬ staatlichungsglaube ist für den weiteren Werdegang unseres Versicherungswesens unter Umständen von entscheidendster Bedeutung. Im allgemeinen sozialen Interesse scheint es da geboten, der fraglichen Auffassung von der sozial-kultu¬ rellen Minderwertigkeit der privaten Betriebsweise etwas näher auf den Grund zu gehen und sie auf ihren Nichtigkeitsgehalt an Hand unbefangener Wirklich¬ keitsforschung zu prüfen. Bei dieser Prüfung ergibt sich zunächst, was die erwähnten Einzelvorwürfe gegen den privaten Versicherungsbetrieb angeht, folgendes: Ein sehr erheblicher Teil unserer Versicherungsgesellschaften ist überhaupt nicht mit Aktionärdividenden belastet, weil ihr Betrieb auf dem Gegenseitigkeitssystem beruht. Bei den meisten Aktiengesellschaften aber gehen die Aktionärbezüge keineswegs über dasjenige Maß hinaus, das zugestanden werden muß, um im Bedarfsfalle Aktienkapital dem Versicherungswesen zuzuführen und diesem die in mancher Hinsicht besonders zweckmäßige Betriebsform der Aktiengesellschaft zu sichern. Auch entspricht in den meisten Fällen — insbesondere im Bereiche der sogenannten Schaden¬ versicherung — dem Aktionärgewinn auch insofern eine angemessene Gegen¬ leistung, als die Aktionäre ein mit großen Schadenchancen verknüpftes Betriebs¬ risiko tragen. Ebenso bilden die Fälle der wesentlich über das sozial notwendige Maß hinausgehenden Vertragsvergünstigungen der leitenden und aufsichtführenden Gesellschaftsorgane die Ausnahme. Ma: lasse sich in dieser Beziehung nicht durch einige wenige „Rieseneinnahmen" hervorragend geschäftstüchtiger, aber auf höchste Bezahlung Gewicht legender Versicherungsdirektoren irreführen, die meist allein in weiteren Kreisen bekannt sind und hier zu allerhand ver¬ allgemeinernden Trugschlüssen Anlaß geben; ein gewissenhaftes Studium: der einschlägigen Verhältnisse bei unseren großen Gegenseitigkeitsgesellschaften wird den unbefangenen Kritiker davon überzeugen, daß die im Grunde unter dem Einfluß von Nachfrage und Angebot sich heraufbildende Leistungsbezahlung im privaten Versicherungsbetriebe zumeist keineswegs die Grenzen des Betriebs¬ notwendigen überschreitet, vielmehr der Regel nach eine richtig rentierende Auf¬ wendung darstellt. Das trifft auch im allgemeinen für den vielbemängelten Agentenapparat zu, dessen Bedeutung und Nützlichkeit von manchen Beurteilern des Versicherungswesens recht ungenügend verstanden wird. Auf die Rentabilität dieses Faktors der Privatversicherung werde ich noch zu sprechen kommen. Was aber schließlich die dem privaten Versicherungswesen vorgeworfene »Ausbeutung" der Versicherungsinteressenten durch schlechte Vertragsbedingungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/499>, abgerufen am 01.01.2025.