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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Kulturarbeit des j^rivatversicheruugswesens

einem weniger wertvollen Konsum entzogen werden. Durch die Gewährung
der Sicherheit wird ferner ein bedeutsamer psychischer Einfluß erzielt und dem
Unternehmungsgeist und Wagemut im Volksleben die erforderliche Entwicklung
ermöglicht. Vor allem aber wird im eintretenden Schadenfalle -- so bei Wert¬
vernichtung durch Brand, Seeverlust, Hagelschlag, Tod des Versorgers -- die
als Zelle des Volkskörpers so grundwichtige Einzelwirtschaft mehr oder minder
in ihrer sozialen Funktion wirksam erhalten.

Diese für die Erhaltung und Mehrung der Gesundheit des Volkslebens
ungemein wertvollen Wirkungen des Versicherungswesens, die ein jeder in ihrer
alle heutigen Lebensverhältnisse durchdringenden Entfaltung bei einigem Zusehen
und Nachdenken unschwer sich klar machen kann, werden bei uns von Wissen¬
schaft und Publikum, von den Regierungen und den politischen Parteien voll¬
auf anerkannt. Sie sind es, auf die jenes allgemeine Urteil sich gründet, daß
das Versicherungswesen für die nationale Gegenwart und Zukunft eine hohe
Bedeutung besitzt.

Eben dieses Urteil aber neigt bei vielen Zeitgenossen dahin, den sozialen
Wert des Versicherungswesens verschieden hoch zu bemessen, je nach der Betriebs¬
form, deren man sich beim Versichern bedient. Ganz besonders geht in weiten
Kreisen -- bei Männern der Wissenschaft, der Politik, der Presse, der Regierung --
die Meinung um, der Privatbetrieb sei hier grundsätzlich weniger wertvoll als
der öffentlich-rechtlich organisierte Betrieb; vor allem die staatliche Zwangs-
versicherung sei ihm an nützlicher Wirksamkeit erheblich überlegen. Dem Privat¬
versicherungswesen werden dabei der Gewinn der Aktionäre, die Höhe des Ein¬
kommens der leitenden und der Aufsicht führenden Personen und das Agenten¬
wesen als wertmindernde Momente angerechnet. Auch behauptet man, daß hier
die Gewinnsucht dahin führe, die im sozialen Interesse begründeten Rechte der
Nutznießer des Versicherungsvertrages bei der Fassung der Vertragsklauseln und
bei der Schadenregulierung zu vergewaltigen.

Aus solchen und ähnlichen Gründen hat man zum Schutze der Interessen
der Versicherten zunächst eine weitgehende machtvolle Staatsaufsicht gefordert,
die den antisozialen Neigungen und Gewohnheiten der Privatversicherer ein
Ende bereiten und so den nationalen Nutzen unseres Versicherungswesens heben
soll. Hierbei aber bleiben die Wünsche Vieler, die sich -- manchmal ohne tiefere
und umfassendere Sachkenntnis -- mit dem Problem der Vervollkommnung des
Versicherungswesens beschäftigen, nicht stehen. Man verlangt nicht nur eine
Ergänzung der privaten Versorgung des Versicherungsbedürfnisses durch die
öffentlich-rechtlich organisierte, man trachtet vielmehr letzten Endes nach einer
völligen Verdrängung der Privatversicherung durch die Staatsversicherung. Der
gegenwärtig in Italien zur Entscheidung stehende Antrag auf Verstaatlichung
des gesamten nationalen Lebensversicherungswesens ist auch manchen deutschen
Sozialreformern -- und zwar nicht nur den Anhängern des sozialdemokratischen
Fortschrittsprogramms -- aus der Seele gesprochen.


Die Kulturarbeit des j^rivatversicheruugswesens

einem weniger wertvollen Konsum entzogen werden. Durch die Gewährung
der Sicherheit wird ferner ein bedeutsamer psychischer Einfluß erzielt und dem
Unternehmungsgeist und Wagemut im Volksleben die erforderliche Entwicklung
ermöglicht. Vor allem aber wird im eintretenden Schadenfalle — so bei Wert¬
vernichtung durch Brand, Seeverlust, Hagelschlag, Tod des Versorgers — die
als Zelle des Volkskörpers so grundwichtige Einzelwirtschaft mehr oder minder
in ihrer sozialen Funktion wirksam erhalten.

Diese für die Erhaltung und Mehrung der Gesundheit des Volkslebens
ungemein wertvollen Wirkungen des Versicherungswesens, die ein jeder in ihrer
alle heutigen Lebensverhältnisse durchdringenden Entfaltung bei einigem Zusehen
und Nachdenken unschwer sich klar machen kann, werden bei uns von Wissen¬
schaft und Publikum, von den Regierungen und den politischen Parteien voll¬
auf anerkannt. Sie sind es, auf die jenes allgemeine Urteil sich gründet, daß
das Versicherungswesen für die nationale Gegenwart und Zukunft eine hohe
Bedeutung besitzt.

Eben dieses Urteil aber neigt bei vielen Zeitgenossen dahin, den sozialen
Wert des Versicherungswesens verschieden hoch zu bemessen, je nach der Betriebs¬
form, deren man sich beim Versichern bedient. Ganz besonders geht in weiten
Kreisen — bei Männern der Wissenschaft, der Politik, der Presse, der Regierung —
die Meinung um, der Privatbetrieb sei hier grundsätzlich weniger wertvoll als
der öffentlich-rechtlich organisierte Betrieb; vor allem die staatliche Zwangs-
versicherung sei ihm an nützlicher Wirksamkeit erheblich überlegen. Dem Privat¬
versicherungswesen werden dabei der Gewinn der Aktionäre, die Höhe des Ein¬
kommens der leitenden und der Aufsicht führenden Personen und das Agenten¬
wesen als wertmindernde Momente angerechnet. Auch behauptet man, daß hier
die Gewinnsucht dahin führe, die im sozialen Interesse begründeten Rechte der
Nutznießer des Versicherungsvertrages bei der Fassung der Vertragsklauseln und
bei der Schadenregulierung zu vergewaltigen.

Aus solchen und ähnlichen Gründen hat man zum Schutze der Interessen
der Versicherten zunächst eine weitgehende machtvolle Staatsaufsicht gefordert,
die den antisozialen Neigungen und Gewohnheiten der Privatversicherer ein
Ende bereiten und so den nationalen Nutzen unseres Versicherungswesens heben
soll. Hierbei aber bleiben die Wünsche Vieler, die sich — manchmal ohne tiefere
und umfassendere Sachkenntnis — mit dem Problem der Vervollkommnung des
Versicherungswesens beschäftigen, nicht stehen. Man verlangt nicht nur eine
Ergänzung der privaten Versorgung des Versicherungsbedürfnisses durch die
öffentlich-rechtlich organisierte, man trachtet vielmehr letzten Endes nach einer
völligen Verdrängung der Privatversicherung durch die Staatsversicherung. Der
gegenwärtig in Italien zur Entscheidung stehende Antrag auf Verstaatlichung
des gesamten nationalen Lebensversicherungswesens ist auch manchen deutschen
Sozialreformern — und zwar nicht nur den Anhängern des sozialdemokratischen
Fortschrittsprogramms — aus der Seele gesprochen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/498>, abgerufen am 29.12.2024.