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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

wollen, wie unwürdig ihr Spiel ist und wie sehr geeignet, das Ansehen der
deutschen Presse im In- und Ausland zu schädigen. Selbst die Sedanfeiern
mußten dazu herhalten, die Regierung zu Nutz und Frommen der Herren
Mannesmann zu verunglimpfen. Die Post läßt sogar einen Offizier aus¬
sprechen, am Sedantage sollten Kornblumen mit Trauerflor getragen werden!
Warum? Weil unsere Diplomatie angeblich die Würde des Reiches nicht zu
wahren wisse, weil unsere Diplomatie sich dauernd auf dem Rückzüge befinde.
Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, wie groß der Landzuwachs
Deutschlands seit dem Rücktritt Bismarcks gewesen, wie sich die Handelsbilanzen
mit den Ausfuhrländern gestaltet haben und wie eifersüchtig die Neichsleitung
aufmerkt, daß ja auf der Welt nichts geschieht ohne die Mitwirkung Deutsch¬
lands, um die Haltlosigkeit solcher Behauptungen einzusehen. Wir können somit
die einundvierzigste Wiederkehr des Tages von Sedan mit dem gehobenen
Bewußtsein feiern, daß von den Errungenschaften jenes Tages nichts eingebüßt,
ja, daß auf ihnen ehrlich, tapfer und erfolgreich weiter gebaut worden ist.

Auf welcher Basis die Marokkoverhandlungen weitergeführt werden sollen,
weiß heute noch kein Mensch. Herr von Kiderlen erfährt die französischen
Instruktionen erst am Montag und Herr Cambon dürfte nur dann beruhigt
über die Diskutierbarkeit seiner Forderungen sein, wenn diese sich inhaltlich an
die Vereinbarungen vor der Pause anschließen. Also Geduld und keine theo¬
retischen Erörterungen. Dies um so mehr, als wir glauben, daß Deutschlands
auswärtige Politik gegenwärtig in den Händen eines Mannes liegt, der nicht
nur einen richtigen Begriff von den materiellen Bedürfnissen des Reiches,
sondern auch ein sehr feines Verständnis für ideelle Werte hat.

Wie zu erwarten stand, hat Herr von Kiderlen wegen der Ausführungen
des Sir Fairfax Cartwright in London angefragt. Eine Antwort dürfte in¬
dessen bisher noch kaum eingegangen sein, da die in London maßgebenden
P G, Li, ersonen sich teils aus Reisen, teils auf dem Lande befinden.


Bank und Geld

Börsenderoute und Zahlungseinstellungen -- Spekulationen an auswärtigen Börsen --
New-Aorker Kursverluste -- Bucketshops -- Mißtrauen und Pessimismus -- Über-
spekulatwn in Jndustriewerten -- Die augenblickliche Wirtschaftslage und die Aus¬
sichten der nächsten Zukunft

Die Bilanz des Augustmonats lautet für die Börse recht betrüblich. Zahlungs¬
einstellungen. Selbstmorde, Depotunterschlagungen sind die äußeren Kennzeichen
für die Größe des Zusammenbruchs, der sich vollzogen hat. Und übereinstimmend
geht die Feststellung in allen Fällen dahin, daß es nicht Verluste an der ein¬
heimischen Börse, sondern solche in London und New York sind, welche das
Unheil angerichtet haben. Man erkennt daraus, wie sich das Spekulieren an
auswärtigen Börsen, welches dem Publikum in der unglücklichen Periode des
Börsengesetzes anerzogen worden ist. zu einer unausrottbaren Gewohnheit gestaltet
hat, einer Gewohnheit, von der die verderblichsten Erfahrungen nicht abzuschrecken


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wollen, wie unwürdig ihr Spiel ist und wie sehr geeignet, das Ansehen der
deutschen Presse im In- und Ausland zu schädigen. Selbst die Sedanfeiern
mußten dazu herhalten, die Regierung zu Nutz und Frommen der Herren
Mannesmann zu verunglimpfen. Die Post läßt sogar einen Offizier aus¬
sprechen, am Sedantage sollten Kornblumen mit Trauerflor getragen werden!
Warum? Weil unsere Diplomatie angeblich die Würde des Reiches nicht zu
wahren wisse, weil unsere Diplomatie sich dauernd auf dem Rückzüge befinde.
Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, wie groß der Landzuwachs
Deutschlands seit dem Rücktritt Bismarcks gewesen, wie sich die Handelsbilanzen
mit den Ausfuhrländern gestaltet haben und wie eifersüchtig die Neichsleitung
aufmerkt, daß ja auf der Welt nichts geschieht ohne die Mitwirkung Deutsch¬
lands, um die Haltlosigkeit solcher Behauptungen einzusehen. Wir können somit
die einundvierzigste Wiederkehr des Tages von Sedan mit dem gehobenen
Bewußtsein feiern, daß von den Errungenschaften jenes Tages nichts eingebüßt,
ja, daß auf ihnen ehrlich, tapfer und erfolgreich weiter gebaut worden ist.

Auf welcher Basis die Marokkoverhandlungen weitergeführt werden sollen,
weiß heute noch kein Mensch. Herr von Kiderlen erfährt die französischen
Instruktionen erst am Montag und Herr Cambon dürfte nur dann beruhigt
über die Diskutierbarkeit seiner Forderungen sein, wenn diese sich inhaltlich an
die Vereinbarungen vor der Pause anschließen. Also Geduld und keine theo¬
retischen Erörterungen. Dies um so mehr, als wir glauben, daß Deutschlands
auswärtige Politik gegenwärtig in den Händen eines Mannes liegt, der nicht
nur einen richtigen Begriff von den materiellen Bedürfnissen des Reiches,
sondern auch ein sehr feines Verständnis für ideelle Werte hat.

Wie zu erwarten stand, hat Herr von Kiderlen wegen der Ausführungen
des Sir Fairfax Cartwright in London angefragt. Eine Antwort dürfte in¬
dessen bisher noch kaum eingegangen sein, da die in London maßgebenden
P G, Li, ersonen sich teils aus Reisen, teils auf dem Lande befinden.


Bank und Geld

Börsenderoute und Zahlungseinstellungen — Spekulationen an auswärtigen Börsen —
New-Aorker Kursverluste — Bucketshops — Mißtrauen und Pessimismus — Über-
spekulatwn in Jndustriewerten — Die augenblickliche Wirtschaftslage und die Aus¬
sichten der nächsten Zukunft

Die Bilanz des Augustmonats lautet für die Börse recht betrüblich. Zahlungs¬
einstellungen. Selbstmorde, Depotunterschlagungen sind die äußeren Kennzeichen
für die Größe des Zusammenbruchs, der sich vollzogen hat. Und übereinstimmend
geht die Feststellung in allen Fällen dahin, daß es nicht Verluste an der ein¬
heimischen Börse, sondern solche in London und New York sind, welche das
Unheil angerichtet haben. Man erkennt daraus, wie sich das Spekulieren an
auswärtigen Börsen, welches dem Publikum in der unglücklichen Periode des
Börsengesetzes anerzogen worden ist. zu einer unausrottbaren Gewohnheit gestaltet
hat, einer Gewohnheit, von der die verderblichsten Erfahrungen nicht abzuschrecken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/491>, abgerufen am 04.01.2025.