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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

wir uneingeschränkt an England richten. Denn es sind in erster Linie Folgen
der Intrigen König Eduards mit Herrn Delcassöe, die nun ihre Früchte tragen.
Italien und Spanien, seinerzeit durch Eduards des Siebenten Liebenswürdig¬
keit und im Gegensatz zum eigenen Interesse auf die Seite Frankreichs gebracht,
beginnen ihre Fehler vom Jahre 1906 einzusehen. Nun treten sie an den
Bundesgenossen von Algeciras mit Forderungen heran, die diesem augenblick¬
lich recht unbequem sein müssen. Die Italiener wurden seinerzeit gewonnen,
indem die französische Regierung ihnen versprach dem Vorgehen in Tripolis
keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten, -- mit anderen Worten, indem man auf
den Zusammenbruch der Türkei spekulierte und Italien Rechte schenkte, über die
man doch nicht verfügen konnte. Nun erkennen die Italiener, daß sie genas¬
führt wurden und zwar um so mehr, als es immer deutlicher zutage tritt, wie
der englische Einfluß auch in der Türkei zurückgegangen, seit die Intrigen, die
den Bagdadbahnbau aufhielten, zur Kenntnis der türkischen Regierung kamen.
Italien fordert jetzt die Anerkennung des Rechts seinen Einfluß bis an den
Tsadsee ausdehnen zu dürfen, dessen fruchtbare nördliche Ufergürtel bekanntlich
von den Franzosen besetzt sind. Ähnlich steht es mit Spanien. Als die Engländer
durch Vertrag vom 8. April 1904 den Franzosen die Oberhoheit über Marokko
einräumten, versäumten sie nicht, die den Franzosen scheinbar gern überlassene
Position durch ein Sonderabkommen mit Spanien von vornherein zu unter¬
minieren. Der schwache Freund konnte im günstigen Augenblick sehr wohl
gegen den starken ausgespielt werden. In seiner blinden Wut gegen Deutsch¬
land bemerkte Herr Delcassse natürlich das falsche Spiel nicht und tappte in
die Falle. Jetzt präsentiert Spanien Wechsel, die es im Jahre 1906 unter
dem Einfluß Englands noch nicht hervorzuholen wagte. Es beruft sich auf
einen Vertrag mit Marokko aus dem Jahre 1860, der ihm das Recht auf
Besetzung eines Hafens südlich von Agadir einräumt. Bisher hat Spanien von
diesem Recht keinen Gebrauch gemacht, angeblich weil die territorialen Grenzen
nicht mit der erforderlichen Genauigkeit angegeben waren. Jetzt fordert es den
Hafen von Santa Cruz de Mar Pequena etwa 150 Ku südlich von Agadir.

Der französischen Regierung kommen wie gesagt die Forderungen der
beiden bisherigen Freunde höchst ungelegen; sie hat jetzt bei den Verhandlungen
stets mit drei Gegnern zu rechnen, drei Fragern zu antworten, drei Fronten
im Auge zu behalten ohne sich auf England verlassen zu können, das seiner
bisherigen Taktik gemäß seinen stärksten Kolonialgegner in Nordafrika schaden¬
froh im Stich läßt. Wenn Frankreich klug ist, benutzt es endlich die Gelegen¬
heit zu einer restlosen Verständigung mit Deutschland. Am Ende behält doch
nur der Starke und Fleißige Recht und noch so fein eingefädelte Intrigen zer¬
schellen an der Macht wirklich vorhandener Tatsachen.

Im allgemeinen läßt sich in der Presse eine allmähliche Beruhigung wegen
der Marokkofrage feststellen. Die besonnenen Stimmen gewinnen immer mehr
die Oberhand. Nur die Mannesmannpresse tobt weiter, ohne einsehen zu


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wir uneingeschränkt an England richten. Denn es sind in erster Linie Folgen
der Intrigen König Eduards mit Herrn Delcassöe, die nun ihre Früchte tragen.
Italien und Spanien, seinerzeit durch Eduards des Siebenten Liebenswürdig¬
keit und im Gegensatz zum eigenen Interesse auf die Seite Frankreichs gebracht,
beginnen ihre Fehler vom Jahre 1906 einzusehen. Nun treten sie an den
Bundesgenossen von Algeciras mit Forderungen heran, die diesem augenblick¬
lich recht unbequem sein müssen. Die Italiener wurden seinerzeit gewonnen,
indem die französische Regierung ihnen versprach dem Vorgehen in Tripolis
keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten, — mit anderen Worten, indem man auf
den Zusammenbruch der Türkei spekulierte und Italien Rechte schenkte, über die
man doch nicht verfügen konnte. Nun erkennen die Italiener, daß sie genas¬
führt wurden und zwar um so mehr, als es immer deutlicher zutage tritt, wie
der englische Einfluß auch in der Türkei zurückgegangen, seit die Intrigen, die
den Bagdadbahnbau aufhielten, zur Kenntnis der türkischen Regierung kamen.
Italien fordert jetzt die Anerkennung des Rechts seinen Einfluß bis an den
Tsadsee ausdehnen zu dürfen, dessen fruchtbare nördliche Ufergürtel bekanntlich
von den Franzosen besetzt sind. Ähnlich steht es mit Spanien. Als die Engländer
durch Vertrag vom 8. April 1904 den Franzosen die Oberhoheit über Marokko
einräumten, versäumten sie nicht, die den Franzosen scheinbar gern überlassene
Position durch ein Sonderabkommen mit Spanien von vornherein zu unter¬
minieren. Der schwache Freund konnte im günstigen Augenblick sehr wohl
gegen den starken ausgespielt werden. In seiner blinden Wut gegen Deutsch¬
land bemerkte Herr Delcassse natürlich das falsche Spiel nicht und tappte in
die Falle. Jetzt präsentiert Spanien Wechsel, die es im Jahre 1906 unter
dem Einfluß Englands noch nicht hervorzuholen wagte. Es beruft sich auf
einen Vertrag mit Marokko aus dem Jahre 1860, der ihm das Recht auf
Besetzung eines Hafens südlich von Agadir einräumt. Bisher hat Spanien von
diesem Recht keinen Gebrauch gemacht, angeblich weil die territorialen Grenzen
nicht mit der erforderlichen Genauigkeit angegeben waren. Jetzt fordert es den
Hafen von Santa Cruz de Mar Pequena etwa 150 Ku südlich von Agadir.

Der französischen Regierung kommen wie gesagt die Forderungen der
beiden bisherigen Freunde höchst ungelegen; sie hat jetzt bei den Verhandlungen
stets mit drei Gegnern zu rechnen, drei Fragern zu antworten, drei Fronten
im Auge zu behalten ohne sich auf England verlassen zu können, das seiner
bisherigen Taktik gemäß seinen stärksten Kolonialgegner in Nordafrika schaden¬
froh im Stich läßt. Wenn Frankreich klug ist, benutzt es endlich die Gelegen¬
heit zu einer restlosen Verständigung mit Deutschland. Am Ende behält doch
nur der Starke und Fleißige Recht und noch so fein eingefädelte Intrigen zer¬
schellen an der Macht wirklich vorhandener Tatsachen.

Im allgemeinen läßt sich in der Presse eine allmähliche Beruhigung wegen
der Marokkofrage feststellen. Die besonnenen Stimmen gewinnen immer mehr
die Oberhand. Nur die Mannesmannpresse tobt weiter, ohne einsehen zu


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[0490] Reichsspiegel wir uneingeschränkt an England richten. Denn es sind in erster Linie Folgen der Intrigen König Eduards mit Herrn Delcassöe, die nun ihre Früchte tragen. Italien und Spanien, seinerzeit durch Eduards des Siebenten Liebenswürdig¬ keit und im Gegensatz zum eigenen Interesse auf die Seite Frankreichs gebracht, beginnen ihre Fehler vom Jahre 1906 einzusehen. Nun treten sie an den Bundesgenossen von Algeciras mit Forderungen heran, die diesem augenblick¬ lich recht unbequem sein müssen. Die Italiener wurden seinerzeit gewonnen, indem die französische Regierung ihnen versprach dem Vorgehen in Tripolis keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten, — mit anderen Worten, indem man auf den Zusammenbruch der Türkei spekulierte und Italien Rechte schenkte, über die man doch nicht verfügen konnte. Nun erkennen die Italiener, daß sie genas¬ führt wurden und zwar um so mehr, als es immer deutlicher zutage tritt, wie der englische Einfluß auch in der Türkei zurückgegangen, seit die Intrigen, die den Bagdadbahnbau aufhielten, zur Kenntnis der türkischen Regierung kamen. Italien fordert jetzt die Anerkennung des Rechts seinen Einfluß bis an den Tsadsee ausdehnen zu dürfen, dessen fruchtbare nördliche Ufergürtel bekanntlich von den Franzosen besetzt sind. Ähnlich steht es mit Spanien. Als die Engländer durch Vertrag vom 8. April 1904 den Franzosen die Oberhoheit über Marokko einräumten, versäumten sie nicht, die den Franzosen scheinbar gern überlassene Position durch ein Sonderabkommen mit Spanien von vornherein zu unter¬ minieren. Der schwache Freund konnte im günstigen Augenblick sehr wohl gegen den starken ausgespielt werden. In seiner blinden Wut gegen Deutsch¬ land bemerkte Herr Delcassse natürlich das falsche Spiel nicht und tappte in die Falle. Jetzt präsentiert Spanien Wechsel, die es im Jahre 1906 unter dem Einfluß Englands noch nicht hervorzuholen wagte. Es beruft sich auf einen Vertrag mit Marokko aus dem Jahre 1860, der ihm das Recht auf Besetzung eines Hafens südlich von Agadir einräumt. Bisher hat Spanien von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht, angeblich weil die territorialen Grenzen nicht mit der erforderlichen Genauigkeit angegeben waren. Jetzt fordert es den Hafen von Santa Cruz de Mar Pequena etwa 150 Ku südlich von Agadir. Der französischen Regierung kommen wie gesagt die Forderungen der beiden bisherigen Freunde höchst ungelegen; sie hat jetzt bei den Verhandlungen stets mit drei Gegnern zu rechnen, drei Fragern zu antworten, drei Fronten im Auge zu behalten ohne sich auf England verlassen zu können, das seiner bisherigen Taktik gemäß seinen stärksten Kolonialgegner in Nordafrika schaden¬ froh im Stich läßt. Wenn Frankreich klug ist, benutzt es endlich die Gelegen¬ heit zu einer restlosen Verständigung mit Deutschland. Am Ende behält doch nur der Starke und Fleißige Recht und noch so fein eingefädelte Intrigen zer¬ schellen an der Macht wirklich vorhandener Tatsachen. Im allgemeinen läßt sich in der Presse eine allmähliche Beruhigung wegen der Marokkofrage feststellen. Die besonnenen Stimmen gewinnen immer mehr die Oberhand. Nur die Mannesmannpresse tobt weiter, ohne einsehen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/490>, abgerufen am 01.01.2025.