Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsspicgel

mit zweifelhafter Legitimation sich einstellen, um die Gunst des Augenblicks
höchst eigennützig auszuschlachten, wird man zugeben, daß alles vermieden
werden muß, was die Lust zu spekulieren begünstigen könnte. Wie einmal die
Stimmung ist, würde jede Nachricht, der man den Stempel amtlichen Ursprungs
anhängen könnte, zu wüster Spekulation ausgenutzt werden, und was noch
schlimmer, es würde eine Nachrichtenfabrikation einsetzen, die keine Grenzen hätte.
Schon jetzt tauchen an der Börse von gewissenlosen Leuten lanzierte Gerüchte
auf und wirken auf die Kurse, und eine gewisse Presse ist nur allzu gern
bereit, dem Sensations- und Spielbedürfnis nachzugeben. Das Gebot größter
Zurückhaltung wird um so stärker, je länger sich derlei Verhandlungen hinziehen.
Es ist nicht anzunehmen, daß, die Verhandlungen vor Ablauf von Monaten
zu Ende kommen. Man übersehe nicht, daß es sich um den Abschluß eines
neuen Staatsvertrages handelt, der Verhältnisse zu berücksichtigen und Gegen¬
sätze auszugleichen hat, die in fünfzigjähriger Entwicklung herangereift sind.
Ich habe die Genugtuung, mich mit meinen Auffassungen über die politische,
strategische und wirtschaftliche Bedeutung Marokkos für Deutschland nunmehr
auch in der guten Gesellschaft des Grafen Reventlow zu befinden. Der Herr
Graf heißt das Vorgehen der deutschen Diplomatie gut. Ich nehme an, daß
die Altdeutschen den Namen dieses ausgezeichneten nationalen Schriftstellers nun
nicht auch als "Schwachkopf" oder "Offiziösen", was nach ihrer Terminologie
ungefähr dasselbe ist, auf die Proskriptionsliste setzen werden, daß sie vielmehr
erkennen werden, wie sie von einigen ihrer Vertrauensmänner zum Werkzeug
für wirtschaftliche Interessen einer verschwindend kleinen Zahl von Personen
gemacht worden sind, die vor etwa zehn Jahren kaum gewußt haben, wo
Marokko liegt, geschweige denn, daß dort etwas zu verdienen ist. Die
Mannesmannpresse (Rheinisch-westfälische Zeitung, Post und Tägliche Rundschau)
ist in erster Linie für die Irreführung des deutschen Publikums verantwortlich
zu machen, die wegen unserer Absichten in Marokko eingetreten ist, und es
wird wohl demnächst angebracht sein, die Fäden bloßzulegen, die die genannten
drei Blätter mit den Herren Mannesmann verknüpfen. Heute sei nur eine Ent¬
stellung der Täglichen Rundschau zurückgewiesen. In Ur. 413 heißt es in
der Wochenschau: "In den Grenzboten werden wir belehrt, wie töricht die
Expansionsgelüste des unleugbar sich immer noch verniehrenden deutschen Volkes
sind, das nicht wie andere Nationen mit geringerer Kinderzahl Neuland braucht,
sondern bloß die Lüneburger Heide und die Ödländereien Westpreußens zu
kolonisieren nötig hat, um völliges Genüge in sich selbst zu finden." Solch
ein Blech hat in den Grenzboten noch nie gestanden, wohl aber wurde unter
Hinweis auf die üble Wendung in der Ostmarkenpolitik der inneren Kolonisation
das Wort geredet.

Die etwa zwanzigtägige Pause -- die Post sagt: der Waffenstillstand --
hat der deutschen Stellung bei den Verhandlungen nichts geschadet, man kann
sogar sagen: die deutsche Position ist besser geworden. Den Dank dafür können


Grenzboten III 1911 61
Reichsspicgel

mit zweifelhafter Legitimation sich einstellen, um die Gunst des Augenblicks
höchst eigennützig auszuschlachten, wird man zugeben, daß alles vermieden
werden muß, was die Lust zu spekulieren begünstigen könnte. Wie einmal die
Stimmung ist, würde jede Nachricht, der man den Stempel amtlichen Ursprungs
anhängen könnte, zu wüster Spekulation ausgenutzt werden, und was noch
schlimmer, es würde eine Nachrichtenfabrikation einsetzen, die keine Grenzen hätte.
Schon jetzt tauchen an der Börse von gewissenlosen Leuten lanzierte Gerüchte
auf und wirken auf die Kurse, und eine gewisse Presse ist nur allzu gern
bereit, dem Sensations- und Spielbedürfnis nachzugeben. Das Gebot größter
Zurückhaltung wird um so stärker, je länger sich derlei Verhandlungen hinziehen.
Es ist nicht anzunehmen, daß, die Verhandlungen vor Ablauf von Monaten
zu Ende kommen. Man übersehe nicht, daß es sich um den Abschluß eines
neuen Staatsvertrages handelt, der Verhältnisse zu berücksichtigen und Gegen¬
sätze auszugleichen hat, die in fünfzigjähriger Entwicklung herangereift sind.
Ich habe die Genugtuung, mich mit meinen Auffassungen über die politische,
strategische und wirtschaftliche Bedeutung Marokkos für Deutschland nunmehr
auch in der guten Gesellschaft des Grafen Reventlow zu befinden. Der Herr
Graf heißt das Vorgehen der deutschen Diplomatie gut. Ich nehme an, daß
die Altdeutschen den Namen dieses ausgezeichneten nationalen Schriftstellers nun
nicht auch als „Schwachkopf" oder „Offiziösen", was nach ihrer Terminologie
ungefähr dasselbe ist, auf die Proskriptionsliste setzen werden, daß sie vielmehr
erkennen werden, wie sie von einigen ihrer Vertrauensmänner zum Werkzeug
für wirtschaftliche Interessen einer verschwindend kleinen Zahl von Personen
gemacht worden sind, die vor etwa zehn Jahren kaum gewußt haben, wo
Marokko liegt, geschweige denn, daß dort etwas zu verdienen ist. Die
Mannesmannpresse (Rheinisch-westfälische Zeitung, Post und Tägliche Rundschau)
ist in erster Linie für die Irreführung des deutschen Publikums verantwortlich
zu machen, die wegen unserer Absichten in Marokko eingetreten ist, und es
wird wohl demnächst angebracht sein, die Fäden bloßzulegen, die die genannten
drei Blätter mit den Herren Mannesmann verknüpfen. Heute sei nur eine Ent¬
stellung der Täglichen Rundschau zurückgewiesen. In Ur. 413 heißt es in
der Wochenschau: „In den Grenzboten werden wir belehrt, wie töricht die
Expansionsgelüste des unleugbar sich immer noch verniehrenden deutschen Volkes
sind, das nicht wie andere Nationen mit geringerer Kinderzahl Neuland braucht,
sondern bloß die Lüneburger Heide und die Ödländereien Westpreußens zu
kolonisieren nötig hat, um völliges Genüge in sich selbst zu finden." Solch
ein Blech hat in den Grenzboten noch nie gestanden, wohl aber wurde unter
Hinweis auf die üble Wendung in der Ostmarkenpolitik der inneren Kolonisation
das Wort geredet.

Die etwa zwanzigtägige Pause — die Post sagt: der Waffenstillstand —
hat der deutschen Stellung bei den Verhandlungen nichts geschadet, man kann
sogar sagen: die deutsche Position ist besser geworden. Den Dank dafür können


Grenzboten III 1911 61
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0489" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319436"/>
            <fw type="header" place="top"> Reichsspicgel</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2324" prev="#ID_2323"> mit zweifelhafter Legitimation sich einstellen, um die Gunst des Augenblicks<lb/>
höchst eigennützig auszuschlachten, wird man zugeben, daß alles vermieden<lb/>
werden muß, was die Lust zu spekulieren begünstigen könnte. Wie einmal die<lb/>
Stimmung ist, würde jede Nachricht, der man den Stempel amtlichen Ursprungs<lb/>
anhängen könnte, zu wüster Spekulation ausgenutzt werden, und was noch<lb/>
schlimmer, es würde eine Nachrichtenfabrikation einsetzen, die keine Grenzen hätte.<lb/>
Schon jetzt tauchen an der Börse von gewissenlosen Leuten lanzierte Gerüchte<lb/>
auf und wirken auf die Kurse, und eine gewisse Presse ist nur allzu gern<lb/>
bereit, dem Sensations- und Spielbedürfnis nachzugeben. Das Gebot größter<lb/>
Zurückhaltung wird um so stärker, je länger sich derlei Verhandlungen hinziehen.<lb/>
Es ist nicht anzunehmen, daß, die Verhandlungen vor Ablauf von Monaten<lb/>
zu Ende kommen. Man übersehe nicht, daß es sich um den Abschluß eines<lb/>
neuen Staatsvertrages handelt, der Verhältnisse zu berücksichtigen und Gegen¬<lb/>
sätze auszugleichen hat, die in fünfzigjähriger Entwicklung herangereift sind.<lb/>
Ich habe die Genugtuung, mich mit meinen Auffassungen über die politische,<lb/>
strategische und wirtschaftliche Bedeutung Marokkos für Deutschland nunmehr<lb/>
auch in der guten Gesellschaft des Grafen Reventlow zu befinden. Der Herr<lb/>
Graf heißt das Vorgehen der deutschen Diplomatie gut. Ich nehme an, daß<lb/>
die Altdeutschen den Namen dieses ausgezeichneten nationalen Schriftstellers nun<lb/>
nicht auch als &#x201E;Schwachkopf" oder &#x201E;Offiziösen", was nach ihrer Terminologie<lb/>
ungefähr dasselbe ist, auf die Proskriptionsliste setzen werden, daß sie vielmehr<lb/>
erkennen werden, wie sie von einigen ihrer Vertrauensmänner zum Werkzeug<lb/>
für wirtschaftliche Interessen einer verschwindend kleinen Zahl von Personen<lb/>
gemacht worden sind, die vor etwa zehn Jahren kaum gewußt haben, wo<lb/>
Marokko liegt, geschweige denn, daß dort etwas zu verdienen ist. Die<lb/>
Mannesmannpresse (Rheinisch-westfälische Zeitung, Post und Tägliche Rundschau)<lb/>
ist in erster Linie für die Irreführung des deutschen Publikums verantwortlich<lb/>
zu machen, die wegen unserer Absichten in Marokko eingetreten ist, und es<lb/>
wird wohl demnächst angebracht sein, die Fäden bloßzulegen, die die genannten<lb/>
drei Blätter mit den Herren Mannesmann verknüpfen. Heute sei nur eine Ent¬<lb/>
stellung der Täglichen Rundschau zurückgewiesen. In Ur. 413 heißt es in<lb/>
der Wochenschau: &#x201E;In den Grenzboten werden wir belehrt, wie töricht die<lb/>
Expansionsgelüste des unleugbar sich immer noch verniehrenden deutschen Volkes<lb/>
sind, das nicht wie andere Nationen mit geringerer Kinderzahl Neuland braucht,<lb/>
sondern bloß die Lüneburger Heide und die Ödländereien Westpreußens zu<lb/>
kolonisieren nötig hat, um völliges Genüge in sich selbst zu finden." Solch<lb/>
ein Blech hat in den Grenzboten noch nie gestanden, wohl aber wurde unter<lb/>
Hinweis auf die üble Wendung in der Ostmarkenpolitik der inneren Kolonisation<lb/>
das Wort geredet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2325" next="#ID_2326"> Die etwa zwanzigtägige Pause &#x2014; die Post sagt: der Waffenstillstand &#x2014;<lb/>
hat der deutschen Stellung bei den Verhandlungen nichts geschadet, man kann<lb/>
sogar sagen: die deutsche Position ist besser geworden. Den Dank dafür können</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1911 61</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0489] Reichsspicgel mit zweifelhafter Legitimation sich einstellen, um die Gunst des Augenblicks höchst eigennützig auszuschlachten, wird man zugeben, daß alles vermieden werden muß, was die Lust zu spekulieren begünstigen könnte. Wie einmal die Stimmung ist, würde jede Nachricht, der man den Stempel amtlichen Ursprungs anhängen könnte, zu wüster Spekulation ausgenutzt werden, und was noch schlimmer, es würde eine Nachrichtenfabrikation einsetzen, die keine Grenzen hätte. Schon jetzt tauchen an der Börse von gewissenlosen Leuten lanzierte Gerüchte auf und wirken auf die Kurse, und eine gewisse Presse ist nur allzu gern bereit, dem Sensations- und Spielbedürfnis nachzugeben. Das Gebot größter Zurückhaltung wird um so stärker, je länger sich derlei Verhandlungen hinziehen. Es ist nicht anzunehmen, daß, die Verhandlungen vor Ablauf von Monaten zu Ende kommen. Man übersehe nicht, daß es sich um den Abschluß eines neuen Staatsvertrages handelt, der Verhältnisse zu berücksichtigen und Gegen¬ sätze auszugleichen hat, die in fünfzigjähriger Entwicklung herangereift sind. Ich habe die Genugtuung, mich mit meinen Auffassungen über die politische, strategische und wirtschaftliche Bedeutung Marokkos für Deutschland nunmehr auch in der guten Gesellschaft des Grafen Reventlow zu befinden. Der Herr Graf heißt das Vorgehen der deutschen Diplomatie gut. Ich nehme an, daß die Altdeutschen den Namen dieses ausgezeichneten nationalen Schriftstellers nun nicht auch als „Schwachkopf" oder „Offiziösen", was nach ihrer Terminologie ungefähr dasselbe ist, auf die Proskriptionsliste setzen werden, daß sie vielmehr erkennen werden, wie sie von einigen ihrer Vertrauensmänner zum Werkzeug für wirtschaftliche Interessen einer verschwindend kleinen Zahl von Personen gemacht worden sind, die vor etwa zehn Jahren kaum gewußt haben, wo Marokko liegt, geschweige denn, daß dort etwas zu verdienen ist. Die Mannesmannpresse (Rheinisch-westfälische Zeitung, Post und Tägliche Rundschau) ist in erster Linie für die Irreführung des deutschen Publikums verantwortlich zu machen, die wegen unserer Absichten in Marokko eingetreten ist, und es wird wohl demnächst angebracht sein, die Fäden bloßzulegen, die die genannten drei Blätter mit den Herren Mannesmann verknüpfen. Heute sei nur eine Ent¬ stellung der Täglichen Rundschau zurückgewiesen. In Ur. 413 heißt es in der Wochenschau: „In den Grenzboten werden wir belehrt, wie töricht die Expansionsgelüste des unleugbar sich immer noch verniehrenden deutschen Volkes sind, das nicht wie andere Nationen mit geringerer Kinderzahl Neuland braucht, sondern bloß die Lüneburger Heide und die Ödländereien Westpreußens zu kolonisieren nötig hat, um völliges Genüge in sich selbst zu finden." Solch ein Blech hat in den Grenzboten noch nie gestanden, wohl aber wurde unter Hinweis auf die üble Wendung in der Ostmarkenpolitik der inneren Kolonisation das Wort geredet. Die etwa zwanzigtägige Pause — die Post sagt: der Waffenstillstand — hat der deutschen Stellung bei den Verhandlungen nichts geschadet, man kann sogar sagen: die deutsche Position ist besser geworden. Den Dank dafür können Grenzboten III 1911 61

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/489
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/489>, abgerufen am 29.12.2024.