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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Literatur

Friedrich Mergner. Ein Lebensbild. Mit
einem Vorwort von August Spari. Leipzig
1910. A. Deichertsche Verlagsbuchhandlung
Reichs. Preis 3 M.

"So ist dieses Buch das schlichte Denkmal
eines Edeln unseres Volkes -- es ist aber
auch ein Ehrenbuch des äußerlich so armen,
innerlich oft so reichen, evangelischen Pfarr¬
hauses". Mit diesen Worten schließt der als
Kulturhistoriker und als Dichter gleich hoch¬
geschätzte Würzburger Archivar spert die ein¬
führende Vorrede zu dem Lebensbilds des
bayerischen, lutherischen Pfarrers Friedrich
Mergner, der von seiner Tochter "mit kind¬
licher Liebe und, was mehr ist, durchaus mit
Wahrheitsliebe gezeichnet" ist. Der Zweck dieses
Buches ist die eigenartige Schilderung eines
deutschen Gelehrtenlebens, das trotz seiner
Schlichtheit doch ein Spiegelbild deutschen
Idealismus und evangelischer Frömmigkeit
ist. Ein Leben, in dem Theorie und Praxis
sich sehr genau miteinander gedeckt haben, ist
wert, auch kommenden Geschlechtern als Vor¬
bild zu dienen, von dem ungestüme Winkel¬
propheten und Schwarmgeister, die mit ihrem
Tatendrang sich überhasten, Ungestüme, die
steter Wechsel ergötzt, Ideologen, die ins
Blaue und Leere hineinstürmen, um den Beifall
der Menge buhlen und von der blöden Masse
das Heil in Staat und Kirche erwarten, von
dem alle, die es angeht, lernen können, wie
leeres Idealisieren in der sittlichen und reli¬
giösen Welt nichts nützt, wenn nicht eine starke,
feste Persönlichkeit das Leben diesseits der
Grenzen von Gut und Böse meistert. Mergner
war Theologe, Dichter, Gelehrter, vor allem
aber Musiker. In allen Lagen des Lebens
hat er sich als edel, fromm, tatkräftig, bedeutend,

[Spaltenumbruch]

als Kirchenpolitiker unabhängig nach oben be¬
währt. Er muß ein Mann gewesen sein, der
viele überragte, vor dem viele, Hohe und
Niedrige, der Jüngling und der Greis am
Stäbe in neidloser Anerkennung sich beugten.
Der Schauplatz seines Lebens hat nicht selten
gewechselt, Regensburg, Erlangen, Friedrichs¬
dorf bei Homburg vor der Höhe, Meinheim,
Pfofeld, Ortenburg, Ditterswind, Muggendorf,
Altstadt Erlangen, Heilbronn. Bürgerliches
Kleinleben aus den Jahren 1813 bis 1891,
wie es in den protestantischen Landesteilen
Bayerns sich abspielt, wird in idyllischen Zügen
liebevoll geschildert, manchmal eine ausführ¬
liche, stets eine höchst feine Malerei. Der Held
der Erzählung, ein religiös orthodoxer Luthe¬
raner vom alten Schlage, entwickelt sich zum
religiösen Komponisten, auf den religiöseKatho-
liken wie Dominikus Mettenleiter aufmerksam
werden, den frommen Laien wie StnatSrat
Hallwachs in Darmstndt zitieren, um seine
Passionsmusik aufzuführen, dein gelehrte Pro¬
fessoren wie Kostim in Friedberg und Spitta
in Straßburg wünschen, daß seine edelgefügten,
tief empfundenen Lieder dem festen Bestände
des deutschen Hausschatzes eingefügt werden
und bleiben. Außer am Helden selbst erfreut
man sich von Herzen an der trefflichen Charak¬
teristik von Mergners Frau, an Mergners
Brüdern, Vettern, Schwägern, den Sperls
und Brauns, lauter Männergestalten, die ihre
tüchtige Herkunft nicht verleugnen. Wohl¬
gelungene Episoden, wie die heimliche Teil¬
nahme der fünf Neuendettelsauer Schwestern
an der Kaiserproklamation zu Versailles be¬
kunden eine feine Hand, die treffliche Schil¬
derungen von Zeit und Ort zu gut beob¬
achteten Stimmungsbildern und ernsten Kultur-
schilderungcn zu gestalten weiß. Das Buch
kann jedermann aus den: Volke lesen und

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Literatur

Friedrich Mergner. Ein Lebensbild. Mit
einem Vorwort von August Spari. Leipzig
1910. A. Deichertsche Verlagsbuchhandlung
Reichs. Preis 3 M.

„So ist dieses Buch das schlichte Denkmal
eines Edeln unseres Volkes — es ist aber
auch ein Ehrenbuch des äußerlich so armen,
innerlich oft so reichen, evangelischen Pfarr¬
hauses". Mit diesen Worten schließt der als
Kulturhistoriker und als Dichter gleich hoch¬
geschätzte Würzburger Archivar spert die ein¬
führende Vorrede zu dem Lebensbilds des
bayerischen, lutherischen Pfarrers Friedrich
Mergner, der von seiner Tochter „mit kind¬
licher Liebe und, was mehr ist, durchaus mit
Wahrheitsliebe gezeichnet" ist. Der Zweck dieses
Buches ist die eigenartige Schilderung eines
deutschen Gelehrtenlebens, das trotz seiner
Schlichtheit doch ein Spiegelbild deutschen
Idealismus und evangelischer Frömmigkeit
ist. Ein Leben, in dem Theorie und Praxis
sich sehr genau miteinander gedeckt haben, ist
wert, auch kommenden Geschlechtern als Vor¬
bild zu dienen, von dem ungestüme Winkel¬
propheten und Schwarmgeister, die mit ihrem
Tatendrang sich überhasten, Ungestüme, die
steter Wechsel ergötzt, Ideologen, die ins
Blaue und Leere hineinstürmen, um den Beifall
der Menge buhlen und von der blöden Masse
das Heil in Staat und Kirche erwarten, von
dem alle, die es angeht, lernen können, wie
leeres Idealisieren in der sittlichen und reli¬
giösen Welt nichts nützt, wenn nicht eine starke,
feste Persönlichkeit das Leben diesseits der
Grenzen von Gut und Böse meistert. Mergner
war Theologe, Dichter, Gelehrter, vor allem
aber Musiker. In allen Lagen des Lebens
hat er sich als edel, fromm, tatkräftig, bedeutend,

[Spaltenumbruch]

als Kirchenpolitiker unabhängig nach oben be¬
währt. Er muß ein Mann gewesen sein, der
viele überragte, vor dem viele, Hohe und
Niedrige, der Jüngling und der Greis am
Stäbe in neidloser Anerkennung sich beugten.
Der Schauplatz seines Lebens hat nicht selten
gewechselt, Regensburg, Erlangen, Friedrichs¬
dorf bei Homburg vor der Höhe, Meinheim,
Pfofeld, Ortenburg, Ditterswind, Muggendorf,
Altstadt Erlangen, Heilbronn. Bürgerliches
Kleinleben aus den Jahren 1813 bis 1891,
wie es in den protestantischen Landesteilen
Bayerns sich abspielt, wird in idyllischen Zügen
liebevoll geschildert, manchmal eine ausführ¬
liche, stets eine höchst feine Malerei. Der Held
der Erzählung, ein religiös orthodoxer Luthe¬
raner vom alten Schlage, entwickelt sich zum
religiösen Komponisten, auf den religiöseKatho-
liken wie Dominikus Mettenleiter aufmerksam
werden, den frommen Laien wie StnatSrat
Hallwachs in Darmstndt zitieren, um seine
Passionsmusik aufzuführen, dein gelehrte Pro¬
fessoren wie Kostim in Friedberg und Spitta
in Straßburg wünschen, daß seine edelgefügten,
tief empfundenen Lieder dem festen Bestände
des deutschen Hausschatzes eingefügt werden
und bleiben. Außer am Helden selbst erfreut
man sich von Herzen an der trefflichen Charak¬
teristik von Mergners Frau, an Mergners
Brüdern, Vettern, Schwägern, den Sperls
und Brauns, lauter Männergestalten, die ihre
tüchtige Herkunft nicht verleugnen. Wohl¬
gelungene Episoden, wie die heimliche Teil¬
nahme der fünf Neuendettelsauer Schwestern
an der Kaiserproklamation zu Versailles be¬
kunden eine feine Hand, die treffliche Schil¬
derungen von Zeit und Ort zu gut beob¬
achteten Stimmungsbildern und ernsten Kultur-
schilderungcn zu gestalten weiß. Das Buch
kann jedermann aus den: Volke lesen und

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[0484] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Literatur Friedrich Mergner. Ein Lebensbild. Mit einem Vorwort von August Spari. Leipzig 1910. A. Deichertsche Verlagsbuchhandlung Reichs. Preis 3 M. „So ist dieses Buch das schlichte Denkmal eines Edeln unseres Volkes — es ist aber auch ein Ehrenbuch des äußerlich so armen, innerlich oft so reichen, evangelischen Pfarr¬ hauses". Mit diesen Worten schließt der als Kulturhistoriker und als Dichter gleich hoch¬ geschätzte Würzburger Archivar spert die ein¬ führende Vorrede zu dem Lebensbilds des bayerischen, lutherischen Pfarrers Friedrich Mergner, der von seiner Tochter „mit kind¬ licher Liebe und, was mehr ist, durchaus mit Wahrheitsliebe gezeichnet" ist. Der Zweck dieses Buches ist die eigenartige Schilderung eines deutschen Gelehrtenlebens, das trotz seiner Schlichtheit doch ein Spiegelbild deutschen Idealismus und evangelischer Frömmigkeit ist. Ein Leben, in dem Theorie und Praxis sich sehr genau miteinander gedeckt haben, ist wert, auch kommenden Geschlechtern als Vor¬ bild zu dienen, von dem ungestüme Winkel¬ propheten und Schwarmgeister, die mit ihrem Tatendrang sich überhasten, Ungestüme, die steter Wechsel ergötzt, Ideologen, die ins Blaue und Leere hineinstürmen, um den Beifall der Menge buhlen und von der blöden Masse das Heil in Staat und Kirche erwarten, von dem alle, die es angeht, lernen können, wie leeres Idealisieren in der sittlichen und reli¬ giösen Welt nichts nützt, wenn nicht eine starke, feste Persönlichkeit das Leben diesseits der Grenzen von Gut und Böse meistert. Mergner war Theologe, Dichter, Gelehrter, vor allem aber Musiker. In allen Lagen des Lebens hat er sich als edel, fromm, tatkräftig, bedeutend, als Kirchenpolitiker unabhängig nach oben be¬ währt. Er muß ein Mann gewesen sein, der viele überragte, vor dem viele, Hohe und Niedrige, der Jüngling und der Greis am Stäbe in neidloser Anerkennung sich beugten. Der Schauplatz seines Lebens hat nicht selten gewechselt, Regensburg, Erlangen, Friedrichs¬ dorf bei Homburg vor der Höhe, Meinheim, Pfofeld, Ortenburg, Ditterswind, Muggendorf, Altstadt Erlangen, Heilbronn. Bürgerliches Kleinleben aus den Jahren 1813 bis 1891, wie es in den protestantischen Landesteilen Bayerns sich abspielt, wird in idyllischen Zügen liebevoll geschildert, manchmal eine ausführ¬ liche, stets eine höchst feine Malerei. Der Held der Erzählung, ein religiös orthodoxer Luthe¬ raner vom alten Schlage, entwickelt sich zum religiösen Komponisten, auf den religiöseKatho- liken wie Dominikus Mettenleiter aufmerksam werden, den frommen Laien wie StnatSrat Hallwachs in Darmstndt zitieren, um seine Passionsmusik aufzuführen, dein gelehrte Pro¬ fessoren wie Kostim in Friedberg und Spitta in Straßburg wünschen, daß seine edelgefügten, tief empfundenen Lieder dem festen Bestände des deutschen Hausschatzes eingefügt werden und bleiben. Außer am Helden selbst erfreut man sich von Herzen an der trefflichen Charak¬ teristik von Mergners Frau, an Mergners Brüdern, Vettern, Schwägern, den Sperls und Brauns, lauter Männergestalten, die ihre tüchtige Herkunft nicht verleugnen. Wohl¬ gelungene Episoden, wie die heimliche Teil¬ nahme der fünf Neuendettelsauer Schwestern an der Kaiserproklamation zu Versailles be¬ kunden eine feine Hand, die treffliche Schil¬ derungen von Zeit und Ort zu gut beob¬ achteten Stimmungsbildern und ernsten Kultur- schilderungcn zu gestalten weiß. Das Buch kann jedermann aus den: Volke lesen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/484>, abgerufen am 01.01.2025.