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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Aus Anselm Feuerbachs Briefen an seine Mutter

und jetzt steigt sie zu meinem Bacchus und mahnt mich recht an die alten Griechen,
an die schöne Zeit, wo die Götter noch unter Menschen schritten, jetzt aber haben
sie die Erde längst verlassen. -- Doch was schwatze ich da; ja, lieber Vater, ich
komme mit dem ernsten Vorsatze hin, gründlich zu studieren, all mein Denken und
Trachten Dir zu vertrauen und mir Rats zu holen, den ich sehr bedarf; könntest
Du meinem Wissensdrang eine bestimmte Richtung geben, daß ich nur aus dieser
verfluchten Allgemeinheit der Ideen, an der außer Lessing, aus Mangel an gediegener
Bildung, alle leiden, herauskomme; ich glühe vor Sehnsucht, das darzubringen,
was ich fühle und will, ich möchte nicht bloß Nachäffer und Anstreicher nach der
Natur werden, ich möchte gerne Seele, Poesie haben, es schlummert in mir, aber
es muß geweckt werden, und jetzt ist der Zeitpunkt, jetzt bin ich feurig und jung,
habe zwar noch mit Anfangsgründen zu tun, bin aber im Begriff, in die Seele
der Malerei einzudringen, ich grübele und denke und irre hin und her, und könnte
so mein ganzes Leben lang irren, wenn ich nicht jemand hätte, der mich beruhigt
und weiterführt; ich vertraue mich Dir ganz an, denn ich weiß, Du hast dasselbe
gefühlt wie ich, das sind Perioden, aber sie müssen geleitet und gelenkt werden.
Es tauchen mir oft wunderliche Ideen auf, Träume, Phantasien, ich fürchte mich
vor der Nüchternheit und Hohlheit, die die jetzige Welt regiert, man muß sich
zurückflüchten zu den alten Göttern, die in seliger, kräftiger, naturwahrer Poesie
den Menschen darstellen, wie er sein sollte; in die Zukunft flüchten geht auch nicht,
denn welche Zukunft steht denn unseren Geld- und Maschinenmenschen bevor; man
könnte Heilige malen, allein die sind jetzt so fade wie faule Äpfel; man kann sie
malen, aber nur keine schmachtenden Engel, keinen blondgelockten, gekräuselten Christus
als Osterlamm, nein, einen Südländer mit schwarzem Haare, tiefliegenden, seelenvollen
Augen, Ideal in allem, aber nur nicht fade. Das Alte Testament, das hat noch Kraft,
da lebt und webt noch der alte Gott mit seinen Menschen; auch das Neue Testament
ist göttlich und begeisternd, aber es ist kein Feld mehr für uns. Geschichtlich
mittelalterliche Gegenstände, wie Lessing sie malt, ist auch ausgezeichnet, aber bis
jetzt ist es mir noch nicht das, was ich will, es kann sein, daß das Gefühl aus
Mangel an Geschichtskenntnis entspringt, darum eben soll sie auch ein Haupt-
studium sein. -- Man sagt, der echte Maler müsse alles können, das ist schon
gut, aber eine echte Seelenrichtung tut doch not, denn nur um Gottes willen
keine Gemeinplätze, es brauchen ja nicht gerade historische Momente zu sein, es
können tiefe poetische Empfindungen sein, aber nur muß die Handlung ergreifend
und klar sein, auch dürfen keine Modellgestalten umherwandeln, die ebensogut
Griechen, Ägypter oder Mongolen vorstellen können. . . .




Aus Anselm Feuerbachs Briefen an seine Mutter

und jetzt steigt sie zu meinem Bacchus und mahnt mich recht an die alten Griechen,
an die schöne Zeit, wo die Götter noch unter Menschen schritten, jetzt aber haben
sie die Erde längst verlassen. — Doch was schwatze ich da; ja, lieber Vater, ich
komme mit dem ernsten Vorsatze hin, gründlich zu studieren, all mein Denken und
Trachten Dir zu vertrauen und mir Rats zu holen, den ich sehr bedarf; könntest
Du meinem Wissensdrang eine bestimmte Richtung geben, daß ich nur aus dieser
verfluchten Allgemeinheit der Ideen, an der außer Lessing, aus Mangel an gediegener
Bildung, alle leiden, herauskomme; ich glühe vor Sehnsucht, das darzubringen,
was ich fühle und will, ich möchte nicht bloß Nachäffer und Anstreicher nach der
Natur werden, ich möchte gerne Seele, Poesie haben, es schlummert in mir, aber
es muß geweckt werden, und jetzt ist der Zeitpunkt, jetzt bin ich feurig und jung,
habe zwar noch mit Anfangsgründen zu tun, bin aber im Begriff, in die Seele
der Malerei einzudringen, ich grübele und denke und irre hin und her, und könnte
so mein ganzes Leben lang irren, wenn ich nicht jemand hätte, der mich beruhigt
und weiterführt; ich vertraue mich Dir ganz an, denn ich weiß, Du hast dasselbe
gefühlt wie ich, das sind Perioden, aber sie müssen geleitet und gelenkt werden.
Es tauchen mir oft wunderliche Ideen auf, Träume, Phantasien, ich fürchte mich
vor der Nüchternheit und Hohlheit, die die jetzige Welt regiert, man muß sich
zurückflüchten zu den alten Göttern, die in seliger, kräftiger, naturwahrer Poesie
den Menschen darstellen, wie er sein sollte; in die Zukunft flüchten geht auch nicht,
denn welche Zukunft steht denn unseren Geld- und Maschinenmenschen bevor; man
könnte Heilige malen, allein die sind jetzt so fade wie faule Äpfel; man kann sie
malen, aber nur keine schmachtenden Engel, keinen blondgelockten, gekräuselten Christus
als Osterlamm, nein, einen Südländer mit schwarzem Haare, tiefliegenden, seelenvollen
Augen, Ideal in allem, aber nur nicht fade. Das Alte Testament, das hat noch Kraft,
da lebt und webt noch der alte Gott mit seinen Menschen; auch das Neue Testament
ist göttlich und begeisternd, aber es ist kein Feld mehr für uns. Geschichtlich
mittelalterliche Gegenstände, wie Lessing sie malt, ist auch ausgezeichnet, aber bis
jetzt ist es mir noch nicht das, was ich will, es kann sein, daß das Gefühl aus
Mangel an Geschichtskenntnis entspringt, darum eben soll sie auch ein Haupt-
studium sein. — Man sagt, der echte Maler müsse alles können, das ist schon
gut, aber eine echte Seelenrichtung tut doch not, denn nur um Gottes willen
keine Gemeinplätze, es brauchen ja nicht gerade historische Momente zu sein, es
können tiefe poetische Empfindungen sein, aber nur muß die Handlung ergreifend
und klar sein, auch dürfen keine Modellgestalten umherwandeln, die ebensogut
Griechen, Ägypter oder Mongolen vorstellen können. . . .




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/483>, abgerufen am 04.01.2025.