Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Aus Anselm Fenerbcichs Briefe" an seine Mutter Dank schuldig.--Vielleicht darf ich gleich nach dem Leben malen, vielleicht muß ich noch Bald sollt Ihr meine Visage gemalt bekommen, Schadow nämlich will mich Grenzvoten III 1911 60
Aus Anselm Fenerbcichs Briefe» an seine Mutter Dank schuldig.—Vielleicht darf ich gleich nach dem Leben malen, vielleicht muß ich noch Bald sollt Ihr meine Visage gemalt bekommen, Schadow nämlich will mich Grenzvoten III 1911 60
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0481" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319428"/> <fw type="header" place="top"> Aus Anselm Fenerbcichs Briefe» an seine Mutter</fw><lb/> <p xml:id="ID_2279" prev="#ID_2278"> Dank schuldig.—Vielleicht darf ich gleich nach dem Leben malen, vielleicht muß ich noch<lb/> tüchtig kopieren, je nun, es ist mir alles recht, da ich fest sitze wie derHelm auf demRitter.<lb/> — Ich hatte letzte Zeit für den Herrn Direktor sehr viel zu tun mit seiner großen Lein¬<lb/> wand, ich bin noch nicht fertig, aber Geduld, ich tue für Schadow alles, er ist so gütig<lb/> und lieb; wenn ich wieder etwas Schweres und Langweiliges für ihn zu tun habe,<lb/> so sagt er immer: „Lassen Sie sich nicht abschrecken, die größten Meister waren<lb/> Lehrlinge in der Werkstätte ihres Lehrers," wenn ich das bedenke und ihn, den<lb/> alten, tüchtigen Meister, dabei ansehe, so wird mir das Schwerste ein Pappenstiel,<lb/> wenn es mich auch hindert im Malen. Das tut nichts, ich lerne ungeheuer, und<lb/> habe an ihn: einen Freund für zeitlebens. — Wie ich die Architekturen aufzuzeichnen<lb/> hatte, wollte ich fast verzweifeln, es wollte nicht voran, drei Tage quälte ich mich<lb/> ab, endlich brachte ich sie zur Hälfte fertig, das andere mache ich Sonntags<lb/> fertig. — Jetzt fällt's leichter, hätte ich einen Bock geschossen, so möchte mir es<lb/> schlimm bekommen sein. — — Neulich sagte noch Schadow zu Itterbach, in meinem<lb/> Beisein, als ich etwas zu pausen hatte für ihn: „Ich kann den Kerl gut brauchen,<lb/> ich werde ihn bald zu meinem Gehilfen machen." Dies einzige Wort entschädigte<lb/> mich für alle Mühe und Arbeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_2280" next="#ID_2281"> Bald sollt Ihr meine Visage gemalt bekommen, Schadow nämlich will mich<lb/> lebensgroß malen als Studie zu seinen: Bilde, das kopiere ich recht getreu et<lb/> voila. — Ferner eine Neuigkeit: als Herr Müller, mit dem ich auf sehr gutem<lb/> Fuße stehe, dieser Tage bei uns war, sagte er, daß Schadow vorhabe, diesen Herbst<lb/> auf sechs Wochen zu ihnen auf den Apollinariusberg zu kommen, da reise ich<lb/> wahrscheinlich mit ihm, besehe die Fresken in der Kirche und Stolzenfels, und<lb/> während er auf seinem Gute ist, gehe ich zu Euch, was auch ohnedies geschähe.<lb/> Das kommt mir sehr gelegen, ich war immer bange, ich könnte nicht lange genug<lb/> zu Euch. — Bis im Herbst will ich ein gutes Stück hinter mich geschafft haben,<lb/> daß ich wenigstens Euch malen kann und alle Lehrgegenstände beendigt habe. —<lb/> Ich glaube nicht, daß ich beim Malen die Anatomie fortsetzen kann, denn es<lb/> nimmt mir zu viel Zeit weg. — Perspektive muß sein, es geht soso, sie macht<lb/> mir viel zu schaffen, auch wird sie immer kitzlicher und schwieriger, ich danke Gott,<lb/> wenn wir sie bis Ostern absolviert haben. — Ich schaffe jetzt an einer Kom¬<lb/> position, ich suchte überall nach Büchern über Böhmen, insbesondere über Prag,<lb/> konnte aber durchaus nichts finden; es wäre ein reicher Schatz, doch fordert es<lb/> ernstes Studium; ich war bei Lessing und sprach viel darüber mit ihm, er meint<lb/> doch, ich solle mich nicht an bestimmte Faldas wenden, das käme erst mit dem<lb/> ernsteren Studium der Geschichte, ich solle komponieren, was mir einfiele, ohne<lb/> mich an historische Genauigkeit und Kostüm zu binden, soviel Figuren ich wolle,<lb/> wie und was ich wolle; doch sagt auch er, gar nicht komponieren wäre schlimmer<lb/> als zuviel; immer komponieren, und sei es ein bloßer Heereszug eines Kaisers. —<lb/> Er riet mir, Beckers Weltgeschichte, zu kaufen. — Er war überhaupt sehr fidel,<lb/> allein mit seiner Frau; sein zweites Wort war: „Nun, hat man Sie noch nicht<lb/> katholisch machen wollen?" Darauf sagte ich ihm ganz unbefangen, bis jetzt seien<lb/> noch keine Versuche gemacht worden, auch würde das sehr wenig nützen. — Doch,<lb/> was schwatze ich alles für dummes Zeug, ich will lieber stillschweigen, aber ich<lb/> bin so voll Freude, Verwirrung, Arbeit, daß es mir für dieses Mal unmöglich ist,<lb/> viel Vernünftiges zusammenzubringen, indes das nächstemal ordentlich, auch dem</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzvoten III 1911 60</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0481]
Aus Anselm Fenerbcichs Briefe» an seine Mutter
Dank schuldig.—Vielleicht darf ich gleich nach dem Leben malen, vielleicht muß ich noch
tüchtig kopieren, je nun, es ist mir alles recht, da ich fest sitze wie derHelm auf demRitter.
— Ich hatte letzte Zeit für den Herrn Direktor sehr viel zu tun mit seiner großen Lein¬
wand, ich bin noch nicht fertig, aber Geduld, ich tue für Schadow alles, er ist so gütig
und lieb; wenn ich wieder etwas Schweres und Langweiliges für ihn zu tun habe,
so sagt er immer: „Lassen Sie sich nicht abschrecken, die größten Meister waren
Lehrlinge in der Werkstätte ihres Lehrers," wenn ich das bedenke und ihn, den
alten, tüchtigen Meister, dabei ansehe, so wird mir das Schwerste ein Pappenstiel,
wenn es mich auch hindert im Malen. Das tut nichts, ich lerne ungeheuer, und
habe an ihn: einen Freund für zeitlebens. — Wie ich die Architekturen aufzuzeichnen
hatte, wollte ich fast verzweifeln, es wollte nicht voran, drei Tage quälte ich mich
ab, endlich brachte ich sie zur Hälfte fertig, das andere mache ich Sonntags
fertig. — Jetzt fällt's leichter, hätte ich einen Bock geschossen, so möchte mir es
schlimm bekommen sein. — — Neulich sagte noch Schadow zu Itterbach, in meinem
Beisein, als ich etwas zu pausen hatte für ihn: „Ich kann den Kerl gut brauchen,
ich werde ihn bald zu meinem Gehilfen machen." Dies einzige Wort entschädigte
mich für alle Mühe und Arbeit.
Bald sollt Ihr meine Visage gemalt bekommen, Schadow nämlich will mich
lebensgroß malen als Studie zu seinen: Bilde, das kopiere ich recht getreu et
voila. — Ferner eine Neuigkeit: als Herr Müller, mit dem ich auf sehr gutem
Fuße stehe, dieser Tage bei uns war, sagte er, daß Schadow vorhabe, diesen Herbst
auf sechs Wochen zu ihnen auf den Apollinariusberg zu kommen, da reise ich
wahrscheinlich mit ihm, besehe die Fresken in der Kirche und Stolzenfels, und
während er auf seinem Gute ist, gehe ich zu Euch, was auch ohnedies geschähe.
Das kommt mir sehr gelegen, ich war immer bange, ich könnte nicht lange genug
zu Euch. — Bis im Herbst will ich ein gutes Stück hinter mich geschafft haben,
daß ich wenigstens Euch malen kann und alle Lehrgegenstände beendigt habe. —
Ich glaube nicht, daß ich beim Malen die Anatomie fortsetzen kann, denn es
nimmt mir zu viel Zeit weg. — Perspektive muß sein, es geht soso, sie macht
mir viel zu schaffen, auch wird sie immer kitzlicher und schwieriger, ich danke Gott,
wenn wir sie bis Ostern absolviert haben. — Ich schaffe jetzt an einer Kom¬
position, ich suchte überall nach Büchern über Böhmen, insbesondere über Prag,
konnte aber durchaus nichts finden; es wäre ein reicher Schatz, doch fordert es
ernstes Studium; ich war bei Lessing und sprach viel darüber mit ihm, er meint
doch, ich solle mich nicht an bestimmte Faldas wenden, das käme erst mit dem
ernsteren Studium der Geschichte, ich solle komponieren, was mir einfiele, ohne
mich an historische Genauigkeit und Kostüm zu binden, soviel Figuren ich wolle,
wie und was ich wolle; doch sagt auch er, gar nicht komponieren wäre schlimmer
als zuviel; immer komponieren, und sei es ein bloßer Heereszug eines Kaisers. —
Er riet mir, Beckers Weltgeschichte, zu kaufen. — Er war überhaupt sehr fidel,
allein mit seiner Frau; sein zweites Wort war: „Nun, hat man Sie noch nicht
katholisch machen wollen?" Darauf sagte ich ihm ganz unbefangen, bis jetzt seien
noch keine Versuche gemacht worden, auch würde das sehr wenig nützen. — Doch,
was schwatze ich alles für dummes Zeug, ich will lieber stillschweigen, aber ich
bin so voll Freude, Verwirrung, Arbeit, daß es mir für dieses Mal unmöglich ist,
viel Vernünftiges zusammenzubringen, indes das nächstemal ordentlich, auch dem
Grenzvoten III 1911 60
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