Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Englische Politik

sein Vorteil erheischte, wachgehalten, sparsam mit eigenen Kräften, darauf bedacht,
mit dem geringsten Einsatz einen möglichst hohen Gewinn herauszuschlagen.
Es kann hier nicht in aller Breite dargetan werden, wie nun auch in den
bunten Verwicklungen und Wirren des neunzehnten Jahrhunderts, des eigentlich
weltgeschichtlichen Jahrhunderts für England, dieselben Züge feiner Auslands¬
politik hervorstechen. Zum Weltgegensatz erhob sich der russisch-englische, auch
er nicht ohne wirtschaftlichen Hintergrund, aber doch überwiegend ein politischer
Streit um die Vormachtstellung des englischen Volkes schlechthin, der in Asien
seine Reibungsflächen hat und Europa umspannt. Ihrer Überlieferung getreu
bemühte sich auch diesmal die englische Diplomatie, bei den Gegenspielern
Rußlands jeweils um Beistand zu werben. Sie hat sogar das Bündnis mit
der fremden Nasse nicht gescheut und durch Japan den Feind ins Herz getroffen.
Indessen, die Wolken dieser letzten Jahrzehnte hatten sich für England nur
scheinbar zerteilt. Nun ist ihm in der jungen Militärwirtschafts- und Welt¬
macht des Deutschen Reichs ein neuer gefährlicher Nebenbuhler erstanden. Das
jüngere Geschlecht und seine imperialistischen Vorkämpfer haben die unbehagliche
Isolierung Großbritanniens erkannt und setzen sich wider die Schar der an¬
strebenden Mächte, vor allem Deutschland zur Wehr. Die Vorgeschichte dieser
Gegnerschaft, ihre Verschärfung und wachsende Gereiztheit kann hier auch nicht
einmal in flüchtigen Umrissen angedeutet werden; sie haftet zum Teil in dem
Gedächtnis der Zeitgenossen. Die Tatsache besteht: England sieht heute in
Deutschland seinen bedrohlichsten Gegner und führt gegen ihn dieselben jahr¬
hundertelang erprobten Mittel seiner Politik ins Feld.

Der Historiker wird allerdings auch die zahlreichen Gegengewichte nicht
übersehen, die gegen einen kriegerischen Austrag dieser Gegensätze sprechen. Was
Emil Marcks darüber in gedrängter Fülle in Erinnerung bringt, ist so beherzigens¬
wert, daß wir seine Ausführungen im Wortlaut wiedergeben möchten: "Es
würde sich da handeln um die gewaltige Tatsächlichkeit einer uralten und noch
ganz gegenwärtigen Bluts-, Glaubens-, Kulturverwandtschaft der beiden ger¬
manisch-protestantischen Nationen. Es wäre zu erinnern an die überraschende
Tatsächlichkeit unserer politischen Geschichte, daß diese beiden Nationen bisher
in allen größten Völkerkrisen der Neuzeit, in allen Jahrhunderten seit der
Reformation niemals gegeneinander und stets nur gegen alle Dritten mit¬
einander gestanden haben. Es wäre hinzudeuten auf die sehr aufrichtige Fried¬
fertigkeit Deutschlands -- ob auch die englische Meinung an sie nicht glauben
zu können scheint -- und mehr noch auf die Stärke Deutschlands, die am Ende
wohl eindrucksvoller sein wird als unsere Friedenslust,- auf das Dasein anderer
Nebenbuhler Englands in der Welt, denen ein englisch-deutsches erschöpfendes
Ringen lediglich zugute kommen müßte, Nebenbuhler mindestens der Zukunft --
Nordamerika? Rußland I -- auf neue Gewalten von neuen Seiten her -- die
gelbe Rasse, auf Japan selber, den gefährlichen Verbündeten! Und noch eines
würde nicht zu vergessen sein: der seelische Widerstand gegen eine Gewaltpolitik,


Englische Politik

sein Vorteil erheischte, wachgehalten, sparsam mit eigenen Kräften, darauf bedacht,
mit dem geringsten Einsatz einen möglichst hohen Gewinn herauszuschlagen.
Es kann hier nicht in aller Breite dargetan werden, wie nun auch in den
bunten Verwicklungen und Wirren des neunzehnten Jahrhunderts, des eigentlich
weltgeschichtlichen Jahrhunderts für England, dieselben Züge feiner Auslands¬
politik hervorstechen. Zum Weltgegensatz erhob sich der russisch-englische, auch
er nicht ohne wirtschaftlichen Hintergrund, aber doch überwiegend ein politischer
Streit um die Vormachtstellung des englischen Volkes schlechthin, der in Asien
seine Reibungsflächen hat und Europa umspannt. Ihrer Überlieferung getreu
bemühte sich auch diesmal die englische Diplomatie, bei den Gegenspielern
Rußlands jeweils um Beistand zu werben. Sie hat sogar das Bündnis mit
der fremden Nasse nicht gescheut und durch Japan den Feind ins Herz getroffen.
Indessen, die Wolken dieser letzten Jahrzehnte hatten sich für England nur
scheinbar zerteilt. Nun ist ihm in der jungen Militärwirtschafts- und Welt¬
macht des Deutschen Reichs ein neuer gefährlicher Nebenbuhler erstanden. Das
jüngere Geschlecht und seine imperialistischen Vorkämpfer haben die unbehagliche
Isolierung Großbritanniens erkannt und setzen sich wider die Schar der an¬
strebenden Mächte, vor allem Deutschland zur Wehr. Die Vorgeschichte dieser
Gegnerschaft, ihre Verschärfung und wachsende Gereiztheit kann hier auch nicht
einmal in flüchtigen Umrissen angedeutet werden; sie haftet zum Teil in dem
Gedächtnis der Zeitgenossen. Die Tatsache besteht: England sieht heute in
Deutschland seinen bedrohlichsten Gegner und führt gegen ihn dieselben jahr¬
hundertelang erprobten Mittel seiner Politik ins Feld.

Der Historiker wird allerdings auch die zahlreichen Gegengewichte nicht
übersehen, die gegen einen kriegerischen Austrag dieser Gegensätze sprechen. Was
Emil Marcks darüber in gedrängter Fülle in Erinnerung bringt, ist so beherzigens¬
wert, daß wir seine Ausführungen im Wortlaut wiedergeben möchten: „Es
würde sich da handeln um die gewaltige Tatsächlichkeit einer uralten und noch
ganz gegenwärtigen Bluts-, Glaubens-, Kulturverwandtschaft der beiden ger¬
manisch-protestantischen Nationen. Es wäre zu erinnern an die überraschende
Tatsächlichkeit unserer politischen Geschichte, daß diese beiden Nationen bisher
in allen größten Völkerkrisen der Neuzeit, in allen Jahrhunderten seit der
Reformation niemals gegeneinander und stets nur gegen alle Dritten mit¬
einander gestanden haben. Es wäre hinzudeuten auf die sehr aufrichtige Fried¬
fertigkeit Deutschlands — ob auch die englische Meinung an sie nicht glauben
zu können scheint — und mehr noch auf die Stärke Deutschlands, die am Ende
wohl eindrucksvoller sein wird als unsere Friedenslust,- auf das Dasein anderer
Nebenbuhler Englands in der Welt, denen ein englisch-deutsches erschöpfendes
Ringen lediglich zugute kommen müßte, Nebenbuhler mindestens der Zukunft —
Nordamerika? Rußland I — auf neue Gewalten von neuen Seiten her — die
gelbe Rasse, auf Japan selber, den gefährlichen Verbündeten! Und noch eines
würde nicht zu vergessen sein: der seelische Widerstand gegen eine Gewaltpolitik,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319398"/>
          <fw type="header" place="top"> Englische Politik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2132" prev="#ID_2131"> sein Vorteil erheischte, wachgehalten, sparsam mit eigenen Kräften, darauf bedacht,<lb/>
mit dem geringsten Einsatz einen möglichst hohen Gewinn herauszuschlagen.<lb/>
Es kann hier nicht in aller Breite dargetan werden, wie nun auch in den<lb/>
bunten Verwicklungen und Wirren des neunzehnten Jahrhunderts, des eigentlich<lb/>
weltgeschichtlichen Jahrhunderts für England, dieselben Züge feiner Auslands¬<lb/>
politik hervorstechen. Zum Weltgegensatz erhob sich der russisch-englische, auch<lb/>
er nicht ohne wirtschaftlichen Hintergrund, aber doch überwiegend ein politischer<lb/>
Streit um die Vormachtstellung des englischen Volkes schlechthin, der in Asien<lb/>
seine Reibungsflächen hat und Europa umspannt. Ihrer Überlieferung getreu<lb/>
bemühte sich auch diesmal die englische Diplomatie, bei den Gegenspielern<lb/>
Rußlands jeweils um Beistand zu werben. Sie hat sogar das Bündnis mit<lb/>
der fremden Nasse nicht gescheut und durch Japan den Feind ins Herz getroffen.<lb/>
Indessen, die Wolken dieser letzten Jahrzehnte hatten sich für England nur<lb/>
scheinbar zerteilt. Nun ist ihm in der jungen Militärwirtschafts- und Welt¬<lb/>
macht des Deutschen Reichs ein neuer gefährlicher Nebenbuhler erstanden. Das<lb/>
jüngere Geschlecht und seine imperialistischen Vorkämpfer haben die unbehagliche<lb/>
Isolierung Großbritanniens erkannt und setzen sich wider die Schar der an¬<lb/>
strebenden Mächte, vor allem Deutschland zur Wehr. Die Vorgeschichte dieser<lb/>
Gegnerschaft, ihre Verschärfung und wachsende Gereiztheit kann hier auch nicht<lb/>
einmal in flüchtigen Umrissen angedeutet werden; sie haftet zum Teil in dem<lb/>
Gedächtnis der Zeitgenossen. Die Tatsache besteht: England sieht heute in<lb/>
Deutschland seinen bedrohlichsten Gegner und führt gegen ihn dieselben jahr¬<lb/>
hundertelang erprobten Mittel seiner Politik ins Feld.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2133" next="#ID_2134"> Der Historiker wird allerdings auch die zahlreichen Gegengewichte nicht<lb/>
übersehen, die gegen einen kriegerischen Austrag dieser Gegensätze sprechen. Was<lb/>
Emil Marcks darüber in gedrängter Fülle in Erinnerung bringt, ist so beherzigens¬<lb/>
wert, daß wir seine Ausführungen im Wortlaut wiedergeben möchten: &#x201E;Es<lb/>
würde sich da handeln um die gewaltige Tatsächlichkeit einer uralten und noch<lb/>
ganz gegenwärtigen Bluts-, Glaubens-, Kulturverwandtschaft der beiden ger¬<lb/>
manisch-protestantischen Nationen. Es wäre zu erinnern an die überraschende<lb/>
Tatsächlichkeit unserer politischen Geschichte, daß diese beiden Nationen bisher<lb/>
in allen größten Völkerkrisen der Neuzeit, in allen Jahrhunderten seit der<lb/>
Reformation niemals gegeneinander und stets nur gegen alle Dritten mit¬<lb/>
einander gestanden haben. Es wäre hinzudeuten auf die sehr aufrichtige Fried¬<lb/>
fertigkeit Deutschlands &#x2014; ob auch die englische Meinung an sie nicht glauben<lb/>
zu können scheint &#x2014; und mehr noch auf die Stärke Deutschlands, die am Ende<lb/>
wohl eindrucksvoller sein wird als unsere Friedenslust,- auf das Dasein anderer<lb/>
Nebenbuhler Englands in der Welt, denen ein englisch-deutsches erschöpfendes<lb/>
Ringen lediglich zugute kommen müßte, Nebenbuhler mindestens der Zukunft &#x2014;<lb/>
Nordamerika? Rußland I &#x2014; auf neue Gewalten von neuen Seiten her &#x2014; die<lb/>
gelbe Rasse, auf Japan selber, den gefährlichen Verbündeten! Und noch eines<lb/>
würde nicht zu vergessen sein: der seelische Widerstand gegen eine Gewaltpolitik,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0451] Englische Politik sein Vorteil erheischte, wachgehalten, sparsam mit eigenen Kräften, darauf bedacht, mit dem geringsten Einsatz einen möglichst hohen Gewinn herauszuschlagen. Es kann hier nicht in aller Breite dargetan werden, wie nun auch in den bunten Verwicklungen und Wirren des neunzehnten Jahrhunderts, des eigentlich weltgeschichtlichen Jahrhunderts für England, dieselben Züge feiner Auslands¬ politik hervorstechen. Zum Weltgegensatz erhob sich der russisch-englische, auch er nicht ohne wirtschaftlichen Hintergrund, aber doch überwiegend ein politischer Streit um die Vormachtstellung des englischen Volkes schlechthin, der in Asien seine Reibungsflächen hat und Europa umspannt. Ihrer Überlieferung getreu bemühte sich auch diesmal die englische Diplomatie, bei den Gegenspielern Rußlands jeweils um Beistand zu werben. Sie hat sogar das Bündnis mit der fremden Nasse nicht gescheut und durch Japan den Feind ins Herz getroffen. Indessen, die Wolken dieser letzten Jahrzehnte hatten sich für England nur scheinbar zerteilt. Nun ist ihm in der jungen Militärwirtschafts- und Welt¬ macht des Deutschen Reichs ein neuer gefährlicher Nebenbuhler erstanden. Das jüngere Geschlecht und seine imperialistischen Vorkämpfer haben die unbehagliche Isolierung Großbritanniens erkannt und setzen sich wider die Schar der an¬ strebenden Mächte, vor allem Deutschland zur Wehr. Die Vorgeschichte dieser Gegnerschaft, ihre Verschärfung und wachsende Gereiztheit kann hier auch nicht einmal in flüchtigen Umrissen angedeutet werden; sie haftet zum Teil in dem Gedächtnis der Zeitgenossen. Die Tatsache besteht: England sieht heute in Deutschland seinen bedrohlichsten Gegner und führt gegen ihn dieselben jahr¬ hundertelang erprobten Mittel seiner Politik ins Feld. Der Historiker wird allerdings auch die zahlreichen Gegengewichte nicht übersehen, die gegen einen kriegerischen Austrag dieser Gegensätze sprechen. Was Emil Marcks darüber in gedrängter Fülle in Erinnerung bringt, ist so beherzigens¬ wert, daß wir seine Ausführungen im Wortlaut wiedergeben möchten: „Es würde sich da handeln um die gewaltige Tatsächlichkeit einer uralten und noch ganz gegenwärtigen Bluts-, Glaubens-, Kulturverwandtschaft der beiden ger¬ manisch-protestantischen Nationen. Es wäre zu erinnern an die überraschende Tatsächlichkeit unserer politischen Geschichte, daß diese beiden Nationen bisher in allen größten Völkerkrisen der Neuzeit, in allen Jahrhunderten seit der Reformation niemals gegeneinander und stets nur gegen alle Dritten mit¬ einander gestanden haben. Es wäre hinzudeuten auf die sehr aufrichtige Fried¬ fertigkeit Deutschlands — ob auch die englische Meinung an sie nicht glauben zu können scheint — und mehr noch auf die Stärke Deutschlands, die am Ende wohl eindrucksvoller sein wird als unsere Friedenslust,- auf das Dasein anderer Nebenbuhler Englands in der Welt, denen ein englisch-deutsches erschöpfendes Ringen lediglich zugute kommen müßte, Nebenbuhler mindestens der Zukunft — Nordamerika? Rußland I — auf neue Gewalten von neuen Seiten her — die gelbe Rasse, auf Japan selber, den gefährlichen Verbündeten! Und noch eines würde nicht zu vergessen sein: der seelische Widerstand gegen eine Gewaltpolitik,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/451
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/451>, abgerufen am 01.01.2025.