Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Reichsspiegel Erwerbung der Bergbaukonzessionen anerkannt. Nun erzählt uns aber Albrecht Ein Argument, das in den letzten Tagen wieder stärker in den Vordergrund Reichsspiegel Erwerbung der Bergbaukonzessionen anerkannt. Nun erzählt uns aber Albrecht Ein Argument, das in den letzten Tagen wieder stärker in den Vordergrund <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319389"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2114" prev="#ID_2113"> Erwerbung der Bergbaukonzessionen anerkannt. Nun erzählt uns aber Albrecht<lb/> Wirth, nach Mitteilungen deutscher Geologen sei Deutschlands Bedarf an<lb/> Eisenerz für etwa zweihundert Jahre durch Jnlandsschätze gedeckt. Entspricht<lb/> diese Angabe der Wirklichkeit, dann fällt jede Besorgnis in dieser Beziehung<lb/> in sich zusammen, und vor allen Dingen eine gewissenhafte Diplomatie begründet<lb/> darauf nicht ihre der Gegenwart dienenden politischen Maßnahmen. Gewiß<lb/> eröffnen die Verhandlungen mit Schweden gelegentlich des letzten Handelsvertrages<lb/> manche unangenehme Perspektive, aber sie berechtigen uns noch lange nicht dazu,<lb/> unsere Reichspolitik lediglich danach zu orientieren, wo sich auf der Erde die<lb/> Erzlager befinden. In zweihundert Jahren sind entweder die Zollgrenzen zwischen<lb/> Deutschland und Schweden längst gefallen oder die deutsche Chemie macht uns<lb/> Eisen aus den Abfällen der Städte. Mit anderen Worten: auch die Sicher¬<lb/> stellung des Erzbedürfnisses rechtfertigt eine Abenteurerpolitik in Marokko nicht,<lb/> wie sie uns von den Altdeutschen vorgeschlagen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_2115" next="#ID_2116"> Ein Argument, das in den letzten Tagen wieder stärker in den Vordergrund<lb/> geschoben wird, wurde in Heft 32 nicht berührt: ein militärpolitisches. Unsere<lb/> Patrioten fürchten, Frankreich werde zugleich mit der Gewinnung Marokkos die<lb/> Möglichkeit erhalten, drei Armeekorps mehr an die deutsche Grenze zu<lb/> schicken; aus Marokko werde es allein neunzigtausend gute Soldaten ziehen<lb/> können. Diese Auffassung ist gedankenlos aus dem Matin übernommen, der sie<lb/> gelegentlich in die Welt setzte, um einer französischen Finanzgruppe die Füllung<lb/> ihrer Taschen zu erleichtern, und vielleicht auch, um in Deutschland zu beunruhigen.<lb/> Da dieser Unsinn aber von deutschen Generalen geglaubt und in der deutschen<lb/> Presse ernsthaft erörtert wird, muß er auch an dieser Stelle ernsthaft abgetan<lb/> werden. — Marokko, ein Land so groß wie Frankreich, hat etwa sieben bis acht<lb/> Millionen unkultivierter Einwohner, die, staatlich nur sehr lose organisiert, einander<lb/> dauernd bekämpfen. Seit ungefähr dreißig Jahren sind Frankreich und Spanien<lb/> bemüht, die Reste des völkischen Staates zu beseitigen und europäische Ein¬<lb/> richtungen an ihre Stelle zu setzen, nicht ohne einander dabei zu belästigen. Wie<lb/> aus den Besprechungen, die seinerzeit zum Sturze Delcassös führten, zu erkennen<lb/> ist, glaubte dieser französische Minister, die Arbeit Frankreichs werde etwa um 1934<lb/> so weit gediehen sein, daß die Republik von Marokko Besitz ergreifen könnte.<lb/> Selbst angenommen, dieser Termin würde eingehalten, könnte somit Frankreich<lb/> frühestens in zwanzig Jahren mit der Organisation marokkanischer Regimenter<lb/> beginnen und frühestens nach Ablauf weiterer zehn Jahre mit einer bis zu gewissen<lb/> Grenzen ausgebildeten marokkanischen Truppenmacht rechnen. So lange hat es<lb/> ungefähr mit den Zuaven aus Algier gedauert. Ob diese Truppenmacht, die mit<lb/> Rücksicht auf die Ausbildungsschwierigkeiten doch in erster Linie aus Infanterie<lb/> bestehen könnte, auch schon so gut diszipliniert wäre, daß sie mit Nutzen die weißen<lb/> Truppen im Feuergefecht ersetzen könnten, möchte ich nicht entscheiden. Viele<lb/> militärisch-technische Momente sprechen dagegen. Die Turkos und Zuaven aber<lb/> haben sich vor vierzig Jahren gut geschlagen. Dagegen muß die Tatsache unan¬<lb/> gefochten bleiben, daß ein eben annektiertes Land, dessen Bevölkerung so aus¬<lb/> gesprochene Heimatliebe zeigt wie die marokkanischen Stämme, einer starken<lb/> Truppenmacht bedarf, um die Interessen des Usurpators zu schützen. Darum<lb/> würde Frankreich in der Stelle des Usurpators für neunzigtausend ausgehobene</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0442]
Reichsspiegel
Erwerbung der Bergbaukonzessionen anerkannt. Nun erzählt uns aber Albrecht
Wirth, nach Mitteilungen deutscher Geologen sei Deutschlands Bedarf an
Eisenerz für etwa zweihundert Jahre durch Jnlandsschätze gedeckt. Entspricht
diese Angabe der Wirklichkeit, dann fällt jede Besorgnis in dieser Beziehung
in sich zusammen, und vor allen Dingen eine gewissenhafte Diplomatie begründet
darauf nicht ihre der Gegenwart dienenden politischen Maßnahmen. Gewiß
eröffnen die Verhandlungen mit Schweden gelegentlich des letzten Handelsvertrages
manche unangenehme Perspektive, aber sie berechtigen uns noch lange nicht dazu,
unsere Reichspolitik lediglich danach zu orientieren, wo sich auf der Erde die
Erzlager befinden. In zweihundert Jahren sind entweder die Zollgrenzen zwischen
Deutschland und Schweden längst gefallen oder die deutsche Chemie macht uns
Eisen aus den Abfällen der Städte. Mit anderen Worten: auch die Sicher¬
stellung des Erzbedürfnisses rechtfertigt eine Abenteurerpolitik in Marokko nicht,
wie sie uns von den Altdeutschen vorgeschlagen wird.
Ein Argument, das in den letzten Tagen wieder stärker in den Vordergrund
geschoben wird, wurde in Heft 32 nicht berührt: ein militärpolitisches. Unsere
Patrioten fürchten, Frankreich werde zugleich mit der Gewinnung Marokkos die
Möglichkeit erhalten, drei Armeekorps mehr an die deutsche Grenze zu
schicken; aus Marokko werde es allein neunzigtausend gute Soldaten ziehen
können. Diese Auffassung ist gedankenlos aus dem Matin übernommen, der sie
gelegentlich in die Welt setzte, um einer französischen Finanzgruppe die Füllung
ihrer Taschen zu erleichtern, und vielleicht auch, um in Deutschland zu beunruhigen.
Da dieser Unsinn aber von deutschen Generalen geglaubt und in der deutschen
Presse ernsthaft erörtert wird, muß er auch an dieser Stelle ernsthaft abgetan
werden. — Marokko, ein Land so groß wie Frankreich, hat etwa sieben bis acht
Millionen unkultivierter Einwohner, die, staatlich nur sehr lose organisiert, einander
dauernd bekämpfen. Seit ungefähr dreißig Jahren sind Frankreich und Spanien
bemüht, die Reste des völkischen Staates zu beseitigen und europäische Ein¬
richtungen an ihre Stelle zu setzen, nicht ohne einander dabei zu belästigen. Wie
aus den Besprechungen, die seinerzeit zum Sturze Delcassös führten, zu erkennen
ist, glaubte dieser französische Minister, die Arbeit Frankreichs werde etwa um 1934
so weit gediehen sein, daß die Republik von Marokko Besitz ergreifen könnte.
Selbst angenommen, dieser Termin würde eingehalten, könnte somit Frankreich
frühestens in zwanzig Jahren mit der Organisation marokkanischer Regimenter
beginnen und frühestens nach Ablauf weiterer zehn Jahre mit einer bis zu gewissen
Grenzen ausgebildeten marokkanischen Truppenmacht rechnen. So lange hat es
ungefähr mit den Zuaven aus Algier gedauert. Ob diese Truppenmacht, die mit
Rücksicht auf die Ausbildungsschwierigkeiten doch in erster Linie aus Infanterie
bestehen könnte, auch schon so gut diszipliniert wäre, daß sie mit Nutzen die weißen
Truppen im Feuergefecht ersetzen könnten, möchte ich nicht entscheiden. Viele
militärisch-technische Momente sprechen dagegen. Die Turkos und Zuaven aber
haben sich vor vierzig Jahren gut geschlagen. Dagegen muß die Tatsache unan¬
gefochten bleiben, daß ein eben annektiertes Land, dessen Bevölkerung so aus¬
gesprochene Heimatliebe zeigt wie die marokkanischen Stämme, einer starken
Truppenmacht bedarf, um die Interessen des Usurpators zu schützen. Darum
würde Frankreich in der Stelle des Usurpators für neunzigtausend ausgehobene
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