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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Vor lateinisch,,' und griechische Unterricht

Der lateinische und griechische Unterricht
auf dem humanistischen Gymnasium
von Dr, R, papxritz, Professor am Donigymnasium

^^^Fl le alten Sprachen bilden den wichtigsten Lehrgegenstand auf dem
humanistischen Gymnasium. Wäre dies nicht der Fall, so würde
das Gymnasium seinen Charakter verlieren. Der Schreiber dieser
Zeilen ist ein begeisterter Anhänger der humanistischen Bildung.
^ Ich bin weit davon entfernt, die bevorzugte Stellung des Lateinischen
und Griechischen zu bekämpfen, aber ich zweifle, ob es notwendig ist, daß man
diesen beiden Fächern so viel Stunden im Lehrplan einräumt, als es jetzt geschieht.

Man wird mir einwenden, daß man traurige Erfahrungen gemacht hat, als
man, nach der Schulkonferenz von 1890, die Zahl der Stunden in den alten
Sprachen beschränkte. Die Ergebnisse der neunziger Jahre sind kein Beweis für
mich, daß die getroffenen Maßnahmen verfehlt waren. Die meisten Herren, die
damals unterrichteten, empfanden die Neuerungen mit Schmerz, um nicht zu sagen
mit Unwillen. Sie wurden auch in der Tat vor eine schwierige Aufgabe gestellt!
ohne praktische Anleitung, nur nach theoretischen Vorschriften sollten sie ihren
Unterricht völlig umgestalten. Der lateinische Aufsatz siel fort, das Extemporale
sollte nicht mehr dieselbe Bedeutung haben wie früher; anderseits sollte in der
Lektüre bei verringerter Stundenzahl dasselbe geleistet, auf den Inhalt mehr als
früher eingegangen werden. Diesen neueren Aufgaben zeigten sich manche Herren,
die gewiß vortreffliche Charaktere waren, nicht gewachsen, zumal da von Liebe
und Begeisterung für die Sache, d. h. für das Neue im Unterricht, nicht die Rede
war. Jetzt aber liegen die Verhältnisse anders: eine andere Generation von
Pädagogen ist in das reifere Mannesalter getreten. Diese Herren haben als
Lehrer den lateinischen Aufsatz nicht mehr kennen gelernt, sie werden ihm also
nicht so sehr nachtrauern. Diese jüngere Generation -- Männer, die jetzt in den
vierziger Jahren stehen -- hat auch bereits das sogenannte Seminarjahr durch¬
gemacht. So würden jetzt vielleicht andere Resultate erzielt werden als vor
zwanzig Jahren.

Psychologisch interessant ist es, wie viele Philologen an Einzelheiten fest¬
halten, unbekümmert darum, ob sie häufig vorkommen oder nicht. Vor mir liegt:
"LateinischeFormenlehre zum ivörtlichenAuswendigleruen", vonPerthes, Ausgabe L,
besorgt von Gillhausen. Berlin. Weidmann, 1895. Das Büchelchen ist also
fünf (!) Jahre nach der Schulkonferenz von 1890 erschienen.

In dem Vüchelchen finden wir folgende Regel:


Männlich sind die auf mis und Zuis
Und noch dreizehn sonst auf is:
^xis, lapis, orbis, ensis,
k^sscis, lnsel'Z, vermiß mensis,
?ihn!s, posti5, putois,
Endlich natus, LvIIis.

In demselben Büchelchen, das, wie erwähnt, zum wörtlichen Auswendiglernen
bestimmt ist. findet sich u. a. folgendes: suliur luriclum, der blaßgelbe Schwefel,


Vor lateinisch,,' und griechische Unterricht

Der lateinische und griechische Unterricht
auf dem humanistischen Gymnasium
von Dr, R, papxritz, Professor am Donigymnasium

^^^Fl le alten Sprachen bilden den wichtigsten Lehrgegenstand auf dem
humanistischen Gymnasium. Wäre dies nicht der Fall, so würde
das Gymnasium seinen Charakter verlieren. Der Schreiber dieser
Zeilen ist ein begeisterter Anhänger der humanistischen Bildung.
^ Ich bin weit davon entfernt, die bevorzugte Stellung des Lateinischen
und Griechischen zu bekämpfen, aber ich zweifle, ob es notwendig ist, daß man
diesen beiden Fächern so viel Stunden im Lehrplan einräumt, als es jetzt geschieht.

Man wird mir einwenden, daß man traurige Erfahrungen gemacht hat, als
man, nach der Schulkonferenz von 1890, die Zahl der Stunden in den alten
Sprachen beschränkte. Die Ergebnisse der neunziger Jahre sind kein Beweis für
mich, daß die getroffenen Maßnahmen verfehlt waren. Die meisten Herren, die
damals unterrichteten, empfanden die Neuerungen mit Schmerz, um nicht zu sagen
mit Unwillen. Sie wurden auch in der Tat vor eine schwierige Aufgabe gestellt!
ohne praktische Anleitung, nur nach theoretischen Vorschriften sollten sie ihren
Unterricht völlig umgestalten. Der lateinische Aufsatz siel fort, das Extemporale
sollte nicht mehr dieselbe Bedeutung haben wie früher; anderseits sollte in der
Lektüre bei verringerter Stundenzahl dasselbe geleistet, auf den Inhalt mehr als
früher eingegangen werden. Diesen neueren Aufgaben zeigten sich manche Herren,
die gewiß vortreffliche Charaktere waren, nicht gewachsen, zumal da von Liebe
und Begeisterung für die Sache, d. h. für das Neue im Unterricht, nicht die Rede
war. Jetzt aber liegen die Verhältnisse anders: eine andere Generation von
Pädagogen ist in das reifere Mannesalter getreten. Diese Herren haben als
Lehrer den lateinischen Aufsatz nicht mehr kennen gelernt, sie werden ihm also
nicht so sehr nachtrauern. Diese jüngere Generation — Männer, die jetzt in den
vierziger Jahren stehen — hat auch bereits das sogenannte Seminarjahr durch¬
gemacht. So würden jetzt vielleicht andere Resultate erzielt werden als vor
zwanzig Jahren.

Psychologisch interessant ist es, wie viele Philologen an Einzelheiten fest¬
halten, unbekümmert darum, ob sie häufig vorkommen oder nicht. Vor mir liegt:
„LateinischeFormenlehre zum ivörtlichenAuswendigleruen", vonPerthes, Ausgabe L,
besorgt von Gillhausen. Berlin. Weidmann, 1895. Das Büchelchen ist also
fünf (!) Jahre nach der Schulkonferenz von 1890 erschienen.

In dem Vüchelchen finden wir folgende Regel:


Männlich sind die auf mis und Zuis
Und noch dreizehn sonst auf is:
^xis, lapis, orbis, ensis,
k^sscis, lnsel'Z, vermiß mensis,
?ihn!s, posti5, putois,
Endlich natus, LvIIis.

In demselben Büchelchen, das, wie erwähnt, zum wörtlichen Auswendiglernen
bestimmt ist. findet sich u. a. folgendes: suliur luriclum, der blaßgelbe Schwefel,


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[0044] Vor lateinisch,,' und griechische Unterricht Der lateinische und griechische Unterricht auf dem humanistischen Gymnasium von Dr, R, papxritz, Professor am Donigymnasium ^^^Fl le alten Sprachen bilden den wichtigsten Lehrgegenstand auf dem humanistischen Gymnasium. Wäre dies nicht der Fall, so würde das Gymnasium seinen Charakter verlieren. Der Schreiber dieser Zeilen ist ein begeisterter Anhänger der humanistischen Bildung. ^ Ich bin weit davon entfernt, die bevorzugte Stellung des Lateinischen und Griechischen zu bekämpfen, aber ich zweifle, ob es notwendig ist, daß man diesen beiden Fächern so viel Stunden im Lehrplan einräumt, als es jetzt geschieht. Man wird mir einwenden, daß man traurige Erfahrungen gemacht hat, als man, nach der Schulkonferenz von 1890, die Zahl der Stunden in den alten Sprachen beschränkte. Die Ergebnisse der neunziger Jahre sind kein Beweis für mich, daß die getroffenen Maßnahmen verfehlt waren. Die meisten Herren, die damals unterrichteten, empfanden die Neuerungen mit Schmerz, um nicht zu sagen mit Unwillen. Sie wurden auch in der Tat vor eine schwierige Aufgabe gestellt! ohne praktische Anleitung, nur nach theoretischen Vorschriften sollten sie ihren Unterricht völlig umgestalten. Der lateinische Aufsatz siel fort, das Extemporale sollte nicht mehr dieselbe Bedeutung haben wie früher; anderseits sollte in der Lektüre bei verringerter Stundenzahl dasselbe geleistet, auf den Inhalt mehr als früher eingegangen werden. Diesen neueren Aufgaben zeigten sich manche Herren, die gewiß vortreffliche Charaktere waren, nicht gewachsen, zumal da von Liebe und Begeisterung für die Sache, d. h. für das Neue im Unterricht, nicht die Rede war. Jetzt aber liegen die Verhältnisse anders: eine andere Generation von Pädagogen ist in das reifere Mannesalter getreten. Diese Herren haben als Lehrer den lateinischen Aufsatz nicht mehr kennen gelernt, sie werden ihm also nicht so sehr nachtrauern. Diese jüngere Generation — Männer, die jetzt in den vierziger Jahren stehen — hat auch bereits das sogenannte Seminarjahr durch¬ gemacht. So würden jetzt vielleicht andere Resultate erzielt werden als vor zwanzig Jahren. Psychologisch interessant ist es, wie viele Philologen an Einzelheiten fest¬ halten, unbekümmert darum, ob sie häufig vorkommen oder nicht. Vor mir liegt: „LateinischeFormenlehre zum ivörtlichenAuswendigleruen", vonPerthes, Ausgabe L, besorgt von Gillhausen. Berlin. Weidmann, 1895. Das Büchelchen ist also fünf (!) Jahre nach der Schulkonferenz von 1890 erschienen. In dem Vüchelchen finden wir folgende Regel: Männlich sind die auf mis und Zuis Und noch dreizehn sonst auf is: ^xis, lapis, orbis, ensis, k^sscis, lnsel'Z, vermiß mensis, ?ihn!s, posti5, putois, Endlich natus, LvIIis. In demselben Büchelchen, das, wie erwähnt, zum wörtlichen Auswendiglernen bestimmt ist. findet sich u. a. folgendes: suliur luriclum, der blaßgelbe Schwefel,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/44>, abgerufen am 29.12.2024.