Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Über Wilhelm Ostwalds llnlturphilosophic wird, ist doch das, was Ostwald zu sagen hat, mit den nötigen Vorbehalten als Er geht von der Frage aus, wie man erkennen könne, ob in einem jungen Es geht natürlich zu weit, anzunehmen, daß gerade die in den Sprachen, ") Es wäre lohnend, die Ostwaldschen Gedanken eingehend mit denen zu vergleichen,
die vor Jahrzehnten Alphonse de Candolle entwickelt hat, und durch die Ostwald nach eigener Angabe beeinflußt worden ist. Wir dürfen daher Ostwald dankbar sein, daß er das Werk de Caudolles, wenn es auch hie und da überholt ist, durch Herausgabe in deutscher Sprache einem breiteren Publikum zugänglich gemacht und dadurch eine Ergänzung und Kontrolle seines eigenen Buches ermöglicht hat. (A. de Candolle, "Zur Geschichte der Wissenschaften und der Gelehrten seit zwei Jahrhunderten", deutsch herausgegeben von W, Ostwald, "Große Männer", Bd. II; XX u. 466 Seiten. Leipzig, Mad. Verlagsgesellschaft 1911.) Über Wilhelm Ostwalds llnlturphilosophic wird, ist doch das, was Ostwald zu sagen hat, mit den nötigen Vorbehalten als Er geht von der Frage aus, wie man erkennen könne, ob in einem jungen Es geht natürlich zu weit, anzunehmen, daß gerade die in den Sprachen, ") Es wäre lohnend, die Ostwaldschen Gedanken eingehend mit denen zu vergleichen,
die vor Jahrzehnten Alphonse de Candolle entwickelt hat, und durch die Ostwald nach eigener Angabe beeinflußt worden ist. Wir dürfen daher Ostwald dankbar sein, daß er das Werk de Caudolles, wenn es auch hie und da überholt ist, durch Herausgabe in deutscher Sprache einem breiteren Publikum zugänglich gemacht und dadurch eine Ergänzung und Kontrolle seines eigenen Buches ermöglicht hat. (A. de Candolle, „Zur Geschichte der Wissenschaften und der Gelehrten seit zwei Jahrhunderten", deutsch herausgegeben von W, Ostwald, „Große Männer", Bd. II; XX u. 466 Seiten. Leipzig, Mad. Verlagsgesellschaft 1911.) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319370"/> <fw type="header" place="top"> Über Wilhelm Ostwalds llnlturphilosophic</fw><lb/> <p xml:id="ID_2057" prev="#ID_2056"> wird, ist doch das, was Ostwald zu sagen hat, mit den nötigen Vorbehalten als<lb/> förderlich für die Erkenntnis zu bezeichnen").</p><lb/> <p xml:id="ID_2058"> Er geht von der Frage aus, wie man erkennen könne, ob in einem jungen<lb/> Menschen die Anlagen zu einem künftigen „Großen Mann" schlummern, und wie<lb/> man diese Anlagen zu wecken und zu pflegen habe, um ihn zu einem solchen zu<lb/> entwickeln. Ein großer Teil der potentiell vorhandenen „Großen Männer" geht<lb/> nämlich, wie Ostwald meint, frühzeitig verloren, weil ihre Begabung nicht erkannt,<lb/> durch falsche Behandlung unterdrückt und zur Entwicklung unfähig gemacht werde.<lb/> Es sei daher sehr wichtig, schon im Schüler den werdenden Forscher zu erkennen.<lb/> Und da meint Ostwald das wichtigste Kriterium in dem Umstand zu sehen,<lb/> daß die begabtesten Schüler nicht mit dem zufrieden sind, was der regelmäßige<lb/> Unterricht ihnen bietet; „denn dieser ist der Tiefe wie der Breite nach auf den<lb/> Durchschnitt eingerichtet". Ich stehe nicht an, mit Ostwald diesen Umstand, wenn<lb/> auch nicht als das, so doch als ein Kennzeichen für den begabten Schüler anzusehen.<lb/> Wer unser Schulwesen kennt, der weiß, daß allerdings in allen Klassen der begabteste<lb/> Bruchteil der Schüler selten auf seine Rechnung kommt, weil der Lehrer gezwungen<lb/> ist, seinen Unterrichtsmaßstab an den Durchschnitt anzulegen, seine Kraft haupt¬<lb/> sächlich zur Förderung schwächer befähigter Schüler zu verwenden. Gewiß wird<lb/> er sich bemühen, sei es durch Hinweise, sei es durch Anregungen, die für den<lb/> Durchschnitt verhallen, den Besten genug zu tun; aber wie oft ist dazu Gelegenheit?<lb/> Und bei dieser Sachlage wird auch bei grundsätzlicher Umgestaltung unseres<lb/> Schulwesens Ostwald schwerlich recht behalten, wenn er sagt: „Da der Genius<lb/> sich vom gewöhnlichen Menschen nur durch die Stufe, nicht aber der Art nach<lb/> unterscheidet, so läßt sich auch verstehen, daß die Schule, die für ihn geeignet ist,<lb/> seinen weniger begabten Mitschülern nicht nur keinen Nachteil, sondern auch die<lb/> beste Entwicklung vermitteln würde, die bei ihrer Begabung noch möglich ist."</p><lb/> <p xml:id="ID_2059" next="#ID_2060"> Es geht natürlich zu weit, anzunehmen, daß gerade die in den Sprachen,<lb/> speziell in den alten Sprachen leistungsunfähigen Schüler schon deshalb als geistig<lb/> bedeutend anzusprechen wären. An einer Reihe von bedeutenden Naturforschern<lb/> hat Ostwald dieses Kennzeichen vorgefunden. Aber wenn diese Leute in den<lb/> Sprachen schlechte Schulleistungen aufzuweisen hatten und dies unter den damals<lb/> herrschenden, mehr als nützlich die alten Sprachen bevorzugenden Schulverhält¬<lb/> nissen, — lag das nicht vielleicht an ihrer einseitig naturwissenschaftlichen Veran¬<lb/> lagung? Und würden diese Schüler heute noch solche Schwierigkeiten in den<lb/> Schulen (RealanstaltenI) finden? Schwerlich. Mithin würden Ostwalds Auf¬<lb/> stellungen in dieser Hinsicht für eine heutige Schulreform nicht viel besagen. Aber<lb/> er betont, daß neben dem überwiegenden Sprachunterricht noch ein zweiter Schädling<lb/> an dem modernen Schulwesen auszurotten sei: die Uniformierung des Schulbetriebs,</p><lb/> <note xml:id="FID_21" place="foot"> ") Es wäre lohnend, die Ostwaldschen Gedanken eingehend mit denen zu vergleichen,<lb/> die vor Jahrzehnten Alphonse de Candolle entwickelt hat, und durch die Ostwald nach eigener<lb/> Angabe beeinflußt worden ist. Wir dürfen daher Ostwald dankbar sein, daß er das Werk<lb/> de Caudolles, wenn es auch hie und da überholt ist, durch Herausgabe in deutscher Sprache<lb/> einem breiteren Publikum zugänglich gemacht und dadurch eine Ergänzung und Kontrolle<lb/> seines eigenen Buches ermöglicht hat. (A. de Candolle, „Zur Geschichte der Wissenschaften<lb/> und der Gelehrten seit zwei Jahrhunderten", deutsch herausgegeben von W, Ostwald,<lb/> „Große Männer", Bd. II; XX u. 466 Seiten. Leipzig, Mad. Verlagsgesellschaft 1911.)</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0423]
Über Wilhelm Ostwalds llnlturphilosophic
wird, ist doch das, was Ostwald zu sagen hat, mit den nötigen Vorbehalten als
förderlich für die Erkenntnis zu bezeichnen").
Er geht von der Frage aus, wie man erkennen könne, ob in einem jungen
Menschen die Anlagen zu einem künftigen „Großen Mann" schlummern, und wie
man diese Anlagen zu wecken und zu pflegen habe, um ihn zu einem solchen zu
entwickeln. Ein großer Teil der potentiell vorhandenen „Großen Männer" geht
nämlich, wie Ostwald meint, frühzeitig verloren, weil ihre Begabung nicht erkannt,
durch falsche Behandlung unterdrückt und zur Entwicklung unfähig gemacht werde.
Es sei daher sehr wichtig, schon im Schüler den werdenden Forscher zu erkennen.
Und da meint Ostwald das wichtigste Kriterium in dem Umstand zu sehen,
daß die begabtesten Schüler nicht mit dem zufrieden sind, was der regelmäßige
Unterricht ihnen bietet; „denn dieser ist der Tiefe wie der Breite nach auf den
Durchschnitt eingerichtet". Ich stehe nicht an, mit Ostwald diesen Umstand, wenn
auch nicht als das, so doch als ein Kennzeichen für den begabten Schüler anzusehen.
Wer unser Schulwesen kennt, der weiß, daß allerdings in allen Klassen der begabteste
Bruchteil der Schüler selten auf seine Rechnung kommt, weil der Lehrer gezwungen
ist, seinen Unterrichtsmaßstab an den Durchschnitt anzulegen, seine Kraft haupt¬
sächlich zur Förderung schwächer befähigter Schüler zu verwenden. Gewiß wird
er sich bemühen, sei es durch Hinweise, sei es durch Anregungen, die für den
Durchschnitt verhallen, den Besten genug zu tun; aber wie oft ist dazu Gelegenheit?
Und bei dieser Sachlage wird auch bei grundsätzlicher Umgestaltung unseres
Schulwesens Ostwald schwerlich recht behalten, wenn er sagt: „Da der Genius
sich vom gewöhnlichen Menschen nur durch die Stufe, nicht aber der Art nach
unterscheidet, so läßt sich auch verstehen, daß die Schule, die für ihn geeignet ist,
seinen weniger begabten Mitschülern nicht nur keinen Nachteil, sondern auch die
beste Entwicklung vermitteln würde, die bei ihrer Begabung noch möglich ist."
Es geht natürlich zu weit, anzunehmen, daß gerade die in den Sprachen,
speziell in den alten Sprachen leistungsunfähigen Schüler schon deshalb als geistig
bedeutend anzusprechen wären. An einer Reihe von bedeutenden Naturforschern
hat Ostwald dieses Kennzeichen vorgefunden. Aber wenn diese Leute in den
Sprachen schlechte Schulleistungen aufzuweisen hatten und dies unter den damals
herrschenden, mehr als nützlich die alten Sprachen bevorzugenden Schulverhält¬
nissen, — lag das nicht vielleicht an ihrer einseitig naturwissenschaftlichen Veran¬
lagung? Und würden diese Schüler heute noch solche Schwierigkeiten in den
Schulen (RealanstaltenI) finden? Schwerlich. Mithin würden Ostwalds Auf¬
stellungen in dieser Hinsicht für eine heutige Schulreform nicht viel besagen. Aber
er betont, daß neben dem überwiegenden Sprachunterricht noch ein zweiter Schädling
an dem modernen Schulwesen auszurotten sei: die Uniformierung des Schulbetriebs,
") Es wäre lohnend, die Ostwaldschen Gedanken eingehend mit denen zu vergleichen,
die vor Jahrzehnten Alphonse de Candolle entwickelt hat, und durch die Ostwald nach eigener
Angabe beeinflußt worden ist. Wir dürfen daher Ostwald dankbar sein, daß er das Werk
de Caudolles, wenn es auch hie und da überholt ist, durch Herausgabe in deutscher Sprache
einem breiteren Publikum zugänglich gemacht und dadurch eine Ergänzung und Kontrolle
seines eigenen Buches ermöglicht hat. (A. de Candolle, „Zur Geschichte der Wissenschaften
und der Gelehrten seit zwei Jahrhunderten", deutsch herausgegeben von W, Ostwald,
„Große Männer", Bd. II; XX u. 466 Seiten. Leipzig, Mad. Verlagsgesellschaft 1911.)
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