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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Über Wilhelm Vstwalds Unliurxhilosoxhie

deutschen Reichskörper noch andere wertvolle Glieder losgerissen: Verdun,
Nancy, Epinal, Behar?on. Diese Lostrennungen gleichen regelrechten Amputa¬
tionen, deren Wunden vernarben konnten. Niemand denkt daran, sie zurück¬
gewinnen zu wollen.

Die aus mehr als drei Jahrhunderte sich erstreckenden Kämpfe um das
Rheinbecken haben Frankreich schließlich nur einen mäßigen Gewinn gebracht,
nämlich die Landschaften der oben genannten Städte. Diesen Zuwachs haben
die Franzosen auf der anderen Seite sehr teuer bezahlt. Während sie ihre Auf¬
merksamkeit auf das Rheinbecken richteten, nahmen ihnen die Engländer ein
riesiges, äußerst wertvolles Kolonialreich ab und legten damit den Grund zu
ihrer eigenen Weltherrschaft und wirtschaftlichen Großmacht. Ja sogar die
Deutschen haben von den französischen Eroberungsplänen nicht zu unterschätzende
Vorteile gehabt, denn diese haben sich schließlich als mächtige Milbewirker der
Vereinigung der deutschen Stämme zu einem Reiche erwiesen, das seinerseits
wiederum die Voraussetzung zu dem kraftvollen wirtschaftlichen Aufschwung der
Deutschen geworden ist.

Nichts in der Welt ist so teuer als der Witz. Beide Nationen haben
reichlich dafür gezahlt. Die Deutschen haben gelernt, daß es für sie keine größere
Sünde gibt als die Uneinigkeit. Die Revanchelust der Franzosen erzieht uns
immer mehr zur Einigkeit. Ob aber für unsere westlichen Nachbarn der beständig
still und laut genährte Vergeltungsgedanke des Witzes Ende ist, wird die Zu¬
kunft lehren!




Über Wilhelm Gstwalds Aulturphilosophie
von Dr. Wilhelm Martin Becker Die großen Männer

Nach dem bereits Gesagten kann Ostwalds Bestimmung des großen Mannes
nicht mehr verwunderlich sein: "Alle Menschen, welche uns neue Möglichkeiten
der Voraussicht und des Prophezeiens eröffnen, nennen wir große Männer",
und da diese Definition ihm selbst zu eng scheint, fügt er hinzu, "denen
wir erhebliche lebensfördernde (-- im Ostwaldschen Sinne: Verbesserung
des Güteverhältnisses, Erhöhung des ökonomischen Koeffizienten) Umgestaltungen
unserer Zustände verdanken". Zu den letzteren gehört u. a. Bismarck mit der früher,
Heft 34, S. 365 gegebenen Begründung. Energetisch betrachtet ist ein großer Mann
"ein Apparat, der große Leistungen verrichten kann"; die Leistungen sind um so
größer, je höher der wirtschaftliche Koeffizient bei der Umsetzung der Energien dnrch
ihn ist. Obgleich sonach die Persönlichkeit zu kurz kommt und auch tatsächlich der
Begriff des großen Mannes mit dem des bedeutenden Naturforschers gleichgesetzt


Über Wilhelm Vstwalds Unliurxhilosoxhie

deutschen Reichskörper noch andere wertvolle Glieder losgerissen: Verdun,
Nancy, Epinal, Behar?on. Diese Lostrennungen gleichen regelrechten Amputa¬
tionen, deren Wunden vernarben konnten. Niemand denkt daran, sie zurück¬
gewinnen zu wollen.

Die aus mehr als drei Jahrhunderte sich erstreckenden Kämpfe um das
Rheinbecken haben Frankreich schließlich nur einen mäßigen Gewinn gebracht,
nämlich die Landschaften der oben genannten Städte. Diesen Zuwachs haben
die Franzosen auf der anderen Seite sehr teuer bezahlt. Während sie ihre Auf¬
merksamkeit auf das Rheinbecken richteten, nahmen ihnen die Engländer ein
riesiges, äußerst wertvolles Kolonialreich ab und legten damit den Grund zu
ihrer eigenen Weltherrschaft und wirtschaftlichen Großmacht. Ja sogar die
Deutschen haben von den französischen Eroberungsplänen nicht zu unterschätzende
Vorteile gehabt, denn diese haben sich schließlich als mächtige Milbewirker der
Vereinigung der deutschen Stämme zu einem Reiche erwiesen, das seinerseits
wiederum die Voraussetzung zu dem kraftvollen wirtschaftlichen Aufschwung der
Deutschen geworden ist.

Nichts in der Welt ist so teuer als der Witz. Beide Nationen haben
reichlich dafür gezahlt. Die Deutschen haben gelernt, daß es für sie keine größere
Sünde gibt als die Uneinigkeit. Die Revanchelust der Franzosen erzieht uns
immer mehr zur Einigkeit. Ob aber für unsere westlichen Nachbarn der beständig
still und laut genährte Vergeltungsgedanke des Witzes Ende ist, wird die Zu¬
kunft lehren!




Über Wilhelm Gstwalds Aulturphilosophie
von Dr. Wilhelm Martin Becker Die großen Männer

Nach dem bereits Gesagten kann Ostwalds Bestimmung des großen Mannes
nicht mehr verwunderlich sein: „Alle Menschen, welche uns neue Möglichkeiten
der Voraussicht und des Prophezeiens eröffnen, nennen wir große Männer",
und da diese Definition ihm selbst zu eng scheint, fügt er hinzu, „denen
wir erhebliche lebensfördernde (— im Ostwaldschen Sinne: Verbesserung
des Güteverhältnisses, Erhöhung des ökonomischen Koeffizienten) Umgestaltungen
unserer Zustände verdanken". Zu den letzteren gehört u. a. Bismarck mit der früher,
Heft 34, S. 365 gegebenen Begründung. Energetisch betrachtet ist ein großer Mann
„ein Apparat, der große Leistungen verrichten kann"; die Leistungen sind um so
größer, je höher der wirtschaftliche Koeffizient bei der Umsetzung der Energien dnrch
ihn ist. Obgleich sonach die Persönlichkeit zu kurz kommt und auch tatsächlich der
Begriff des großen Mannes mit dem des bedeutenden Naturforschers gleichgesetzt


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[0422] Über Wilhelm Vstwalds Unliurxhilosoxhie deutschen Reichskörper noch andere wertvolle Glieder losgerissen: Verdun, Nancy, Epinal, Behar?on. Diese Lostrennungen gleichen regelrechten Amputa¬ tionen, deren Wunden vernarben konnten. Niemand denkt daran, sie zurück¬ gewinnen zu wollen. Die aus mehr als drei Jahrhunderte sich erstreckenden Kämpfe um das Rheinbecken haben Frankreich schließlich nur einen mäßigen Gewinn gebracht, nämlich die Landschaften der oben genannten Städte. Diesen Zuwachs haben die Franzosen auf der anderen Seite sehr teuer bezahlt. Während sie ihre Auf¬ merksamkeit auf das Rheinbecken richteten, nahmen ihnen die Engländer ein riesiges, äußerst wertvolles Kolonialreich ab und legten damit den Grund zu ihrer eigenen Weltherrschaft und wirtschaftlichen Großmacht. Ja sogar die Deutschen haben von den französischen Eroberungsplänen nicht zu unterschätzende Vorteile gehabt, denn diese haben sich schließlich als mächtige Milbewirker der Vereinigung der deutschen Stämme zu einem Reiche erwiesen, das seinerseits wiederum die Voraussetzung zu dem kraftvollen wirtschaftlichen Aufschwung der Deutschen geworden ist. Nichts in der Welt ist so teuer als der Witz. Beide Nationen haben reichlich dafür gezahlt. Die Deutschen haben gelernt, daß es für sie keine größere Sünde gibt als die Uneinigkeit. Die Revanchelust der Franzosen erzieht uns immer mehr zur Einigkeit. Ob aber für unsere westlichen Nachbarn der beständig still und laut genährte Vergeltungsgedanke des Witzes Ende ist, wird die Zu¬ kunft lehren! Über Wilhelm Gstwalds Aulturphilosophie von Dr. Wilhelm Martin Becker Die großen Männer Nach dem bereits Gesagten kann Ostwalds Bestimmung des großen Mannes nicht mehr verwunderlich sein: „Alle Menschen, welche uns neue Möglichkeiten der Voraussicht und des Prophezeiens eröffnen, nennen wir große Männer", und da diese Definition ihm selbst zu eng scheint, fügt er hinzu, „denen wir erhebliche lebensfördernde (— im Ostwaldschen Sinne: Verbesserung des Güteverhältnisses, Erhöhung des ökonomischen Koeffizienten) Umgestaltungen unserer Zustände verdanken". Zu den letzteren gehört u. a. Bismarck mit der früher, Heft 34, S. 365 gegebenen Begründung. Energetisch betrachtet ist ein großer Mann „ein Apparat, der große Leistungen verrichten kann"; die Leistungen sind um so größer, je höher der wirtschaftliche Koeffizient bei der Umsetzung der Energien dnrch ihn ist. Obgleich sonach die Persönlichkeit zu kurz kommt und auch tatsächlich der Begriff des großen Mannes mit dem des bedeutenden Naturforschers gleichgesetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/422>, abgerufen am 29.12.2024.