Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Das deutsch-französische Grenzproblem Wachsamkeit und Geschick gesteuert werden. Von der unsichtbaren Unterströmung Da dieser Heilungsprozeß demnach nur auf Kosten des einen oder des Die Zukunft kann niemand mit Sicherheit vorausbestimmen, weil immer Grenzbotsn III 1911 S2
Das deutsch-französische Grenzproblem Wachsamkeit und Geschick gesteuert werden. Von der unsichtbaren Unterströmung Da dieser Heilungsprozeß demnach nur auf Kosten des einen oder des Die Zukunft kann niemand mit Sicherheit vorausbestimmen, weil immer Grenzbotsn III 1911 S2
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319368"/> <fw type="header" place="top"> Das deutsch-französische Grenzproblem</fw><lb/> <p xml:id="ID_2050" prev="#ID_2049"> Wachsamkeit und Geschick gesteuert werden. Von der unsichtbaren Unterströmung<lb/> aber, die die Schiffe treibt, steht nichts darin. Diesen Krieg haben das fran¬<lb/> zösische und deutsche Voll mit gleicher Anteilnahme, wenn auch aus entgegen¬<lb/> gesetzten Gründen, seit langer Zeit gewollt und herbeigesehnt. Sie mußten ihn<lb/> beide wollen, weil durch die unnatürliche Amputation, die Frankreich am Rhein¬<lb/> becken vorgenommen hatte, eine offene Wunde geschaffen worden war, die durch<lb/> die Zeit nicht geheilt werden konnte. Sie zu schließen war nur möglich ent¬<lb/> weder durch Angliederung auch des rechten Oberrheingebiets an Frankreich,<lb/> oder durch Wiedervereinigung des abgetrennten Stückes mit dem alten Körper.</p><lb/> <p xml:id="ID_2051"> Da dieser Heilungsprozeß demnach nur auf Kosten des einen oder des<lb/> anderen erfolgen konnte, aber keiner gutwillig der leidende Teil sein wollte, so<lb/> war der Krieg leider der einzig mögliche Weg zur Gesundung. Die stille, aber<lb/> ohne Unterlaß wirkende Triebkraft, die all die Konflikte heraufbeschworen und<lb/> bis zu einem entscheidenden Zusammenstoß geführt hat, ist die Verletzung eines<lb/> Grundgesetzes der Naturökonomie gewesen, das durch die Beschaffenheit der<lb/> Erdoberfläche gegeben ist. Denn ein Stromsystem ist eine natürliche, organische<lb/> Einheit, deren Hauptwasserader die Mitte des pulsierenden Lebens ist, niemals<lb/> aber eine völkerscheidende Grenze bilden kann. Die unnatürliche Verletzung eines<lb/> solchen Organismus, wie es der Ausschnitt der Südwestecke des Rheinbeckens<lb/> gewesen ist, bleibt eine unheilbare Wunde, die beständig Schmerz verursacht und<lb/> dadurch die Aufmerksamkeit immerfort auf sich lenkt. Sie muß beseitigt werden,<lb/> oder der Organismus geht an ihr zugrunde. Kein Schiedsgerichtsspruch, der<lb/> nicht in diesem Sinn gefällt wird, kann je imstande sein, den Krieg zwischen<lb/> lebenskräftigen Völkern auf die Dauer zu verhindern.</p><lb/> <p xml:id="ID_2052" next="#ID_2053"> Die Zukunft kann niemand mit Sicherheit vorausbestimmen, weil immer<lb/> mindestens ein wesentlicher Faktor in der Rechnung fehlen wird: man weiß<lb/> nicht, auf welcher Seite zur rechten Stunde die tüchtigsten Männer sein werden.<lb/> Sollte es aber den Franzosen wieder ernstlich in den Sinn kommen, in das<lb/> Rheinbecken vorzustoßen, so werden sie nur dann ans dauernden Erfolg rechnen<lb/> können, wenn sie sich mindestens eines natürlichen Abschnittes, z. B. des ganzen<lb/> Oberrheinbeckens zu bemächtigen vermögen. Das aber ist ihnen selbst zur Zeit<lb/> der tiefsten Ohnmacht Deutschlands nicht auf längere Zeit möglich gewesen,<lb/> würde also für die Zukunft den moralischen Ruin des deutschen Volkes und die<lb/> Zertrümmerung des Deutschen Reiches zur unumgänglichen Voraussetzung haben.<lb/> Ein Plan, der nur auf solchem Grunde aufgebaut werdeu kann, sollte von<lb/> vernünftig denkenden Menschen überhaupt nicht in ernste Erwägung gezogen<lb/> werden. Die günstige Gelegenheit ist für Frankreich in der Tat unwiderbringlich<lb/> vorüber. Die gegenwärtige Grenze besteht aus der Wasserscheide des Wasgen-<lb/> waldes und der Festung Metz. Sie schließt das obere, französisch gebliebene<lb/> Moselbecken ab. Wer die Vergangenheit bedenkt, wird sich nicht wundern, daß<lb/> die Deutschen auf diesen Schlagbamu uicht verzichtet haben. Niemand wird<lb/> beweisen können, daß diese Grenze unnatürlich wäre. Frankreich hat vom</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotsn III 1911 S2</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0421]
Das deutsch-französische Grenzproblem
Wachsamkeit und Geschick gesteuert werden. Von der unsichtbaren Unterströmung
aber, die die Schiffe treibt, steht nichts darin. Diesen Krieg haben das fran¬
zösische und deutsche Voll mit gleicher Anteilnahme, wenn auch aus entgegen¬
gesetzten Gründen, seit langer Zeit gewollt und herbeigesehnt. Sie mußten ihn
beide wollen, weil durch die unnatürliche Amputation, die Frankreich am Rhein¬
becken vorgenommen hatte, eine offene Wunde geschaffen worden war, die durch
die Zeit nicht geheilt werden konnte. Sie zu schließen war nur möglich ent¬
weder durch Angliederung auch des rechten Oberrheingebiets an Frankreich,
oder durch Wiedervereinigung des abgetrennten Stückes mit dem alten Körper.
Da dieser Heilungsprozeß demnach nur auf Kosten des einen oder des
anderen erfolgen konnte, aber keiner gutwillig der leidende Teil sein wollte, so
war der Krieg leider der einzig mögliche Weg zur Gesundung. Die stille, aber
ohne Unterlaß wirkende Triebkraft, die all die Konflikte heraufbeschworen und
bis zu einem entscheidenden Zusammenstoß geführt hat, ist die Verletzung eines
Grundgesetzes der Naturökonomie gewesen, das durch die Beschaffenheit der
Erdoberfläche gegeben ist. Denn ein Stromsystem ist eine natürliche, organische
Einheit, deren Hauptwasserader die Mitte des pulsierenden Lebens ist, niemals
aber eine völkerscheidende Grenze bilden kann. Die unnatürliche Verletzung eines
solchen Organismus, wie es der Ausschnitt der Südwestecke des Rheinbeckens
gewesen ist, bleibt eine unheilbare Wunde, die beständig Schmerz verursacht und
dadurch die Aufmerksamkeit immerfort auf sich lenkt. Sie muß beseitigt werden,
oder der Organismus geht an ihr zugrunde. Kein Schiedsgerichtsspruch, der
nicht in diesem Sinn gefällt wird, kann je imstande sein, den Krieg zwischen
lebenskräftigen Völkern auf die Dauer zu verhindern.
Die Zukunft kann niemand mit Sicherheit vorausbestimmen, weil immer
mindestens ein wesentlicher Faktor in der Rechnung fehlen wird: man weiß
nicht, auf welcher Seite zur rechten Stunde die tüchtigsten Männer sein werden.
Sollte es aber den Franzosen wieder ernstlich in den Sinn kommen, in das
Rheinbecken vorzustoßen, so werden sie nur dann ans dauernden Erfolg rechnen
können, wenn sie sich mindestens eines natürlichen Abschnittes, z. B. des ganzen
Oberrheinbeckens zu bemächtigen vermögen. Das aber ist ihnen selbst zur Zeit
der tiefsten Ohnmacht Deutschlands nicht auf längere Zeit möglich gewesen,
würde also für die Zukunft den moralischen Ruin des deutschen Volkes und die
Zertrümmerung des Deutschen Reiches zur unumgänglichen Voraussetzung haben.
Ein Plan, der nur auf solchem Grunde aufgebaut werdeu kann, sollte von
vernünftig denkenden Menschen überhaupt nicht in ernste Erwägung gezogen
werden. Die günstige Gelegenheit ist für Frankreich in der Tat unwiderbringlich
vorüber. Die gegenwärtige Grenze besteht aus der Wasserscheide des Wasgen-
waldes und der Festung Metz. Sie schließt das obere, französisch gebliebene
Moselbecken ab. Wer die Vergangenheit bedenkt, wird sich nicht wundern, daß
die Deutschen auf diesen Schlagbamu uicht verzichtet haben. Niemand wird
beweisen können, daß diese Grenze unnatürlich wäre. Frankreich hat vom
Grenzbotsn III 1911 S2
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