Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Das deutsch-französische Grenzproblem Der politische Dämmerungszustand am Rhein wurde in der Folge für das Deutsch¬ Aber es wetterleuchtete auch in Deutschland. Die ruhmvolle Zeit des großen Da zuckte es gleich einem Wetterstrahl durch die Dämmerung. Es war Die französische Regierung hat neuerdings eine Kommission eingesetzt, die Das deutsch-französische Grenzproblem Der politische Dämmerungszustand am Rhein wurde in der Folge für das Deutsch¬ Aber es wetterleuchtete auch in Deutschland. Die ruhmvolle Zeit des großen Da zuckte es gleich einem Wetterstrahl durch die Dämmerung. Es war Die französische Regierung hat neuerdings eine Kommission eingesetzt, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319367"/> <fw type="header" place="top"> Das deutsch-französische Grenzproblem</fw><lb/> <p xml:id="ID_2046" prev="#ID_2045"> Der politische Dämmerungszustand am Rhein wurde in der Folge für das Deutsch¬<lb/> tum noch bedrohlicher, als die Armeen Frankreichs immer wieder neue Lorbeeren<lb/> ernteten: in Algier, in der Krim, in Norditalien, in Mexiko, und als gleich<lb/> einen Refrain zum Siegesjubel die Herstellung der Rheingrenze im Tone einer<lb/> Forderung inmitten des französischen Volkes von neuem erhoben wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_2047"> Aber es wetterleuchtete auch in Deutschland. Die ruhmvolle Zeit des großen<lb/> Friedrich, der schmachvolle Zusammenbruch des deutsch-römischen Kaisertums<lb/> der Habsburger, die Erfolge der preußischen Volksheere in den Befreiungskriegen,<lb/> die genialen Leistungen deutscher Männer auf den Gebieten der Wissenschaft,<lb/> Kunst und Litteratur hatten zu einer allgemeinen Wiedergeburt des deutschen<lb/> Nationalbewußtseins geführt. Alle Blicke richteten sich nach dem Rhein. Gelang<lb/> es den Franzosen, ihren Plan durchzuführen, so schien der Zusammenbruch der<lb/> deutschen Nation für unabsehbare Zeiten besiegelt. Daher waren alle Vaterlands¬<lb/> freunde sich darin einig: Wer immer den „Vater Rhein" dem Deutschtum retten<lb/> würde, der werde damit die deutsche Kaiserkrone errungen haben! Der Glaube<lb/> des Volksgemüth, der sich in Liedern äußerte, ließ sie im Rhein versenkt liegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2048"> Da zuckte es gleich einem Wetterstrahl durch die Dämmerung. Es war<lb/> die erstaunliche Kraftentfaltung Preußens in: Jahre 1866, jene Wiederholung<lb/> friderizianischer Tage, die den Damm zwischen dein Osten und dem Westen des<lb/> preußischen Staates beseitigte. Mit einem Male sah sich jetzt Frankreich Auge<lb/> in Auge einem wirklich starken Rivalen am Rhein gegenüber. Man beeilte sich,<lb/> zu retten, was möglich war. Ein geheimes französisch-österreichisches Bündnis<lb/> wurde in die Wege geleitet Süddeutschland sollte vor Preußen „gerettet"<lb/> werden, d. h. das obere Donaubecken wäre in: Falle des Gelingens an Öster¬<lb/> reich, das rechte Oberrheingcbiet an Frankreich angeschlossen worden. Da löste<lb/> der Lufthauch jener hollenzollern-spanischen Thronkandidatur die drohenden<lb/> Lawinen an den Talgehängen. Der große Pilot aber, den Preußen und mit<lb/> ihm Deutschland damals hatte, gab als Losungswort aus: Zum Rhein, zum<lb/> deutschen Rhein! und er lud ganz Deutschland zur Teilnahme ein. Kein ariderer<lb/> Kampfruf wäre so unmittelbar nach dem Bruderkriege von 1866 imstande<lb/> gewesen, alle deutschen Fürsten und Stämme zu einer gemeinsamen großen Tat<lb/> zusammenzuschweißen. Die offene Wunde, die nun über zweihundert Jahre am<lb/> Südwesten des deutschen Reichskörpers blutete, mußte endlich geschlossen werden.<lb/> Die Weise, in der diese Heilung des verletzten deutschen Volks- und Staatskörpers<lb/> gelungen ist, war entscheidend und des großen Gegenstandes würdig, um den es<lb/> sich gehandelt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_2049" next="#ID_2050"> Die französische Regierung hat neuerdings eine Kommission eingesetzt, die<lb/> alle in Paris vorhandenen diplomatischen Akten durchsehen und veröffentlichen<lb/> soll, soweit sie sich auf die Veranlassung zu dem großen Kriege beziehen. Der<lb/> Urheber desselben soll aktenmäßig festgestellt werden. Die „Advokaten" werden<lb/> aber in den Akten vergeblich nach ihm suchen. Sie zeigen allerdings, wie<lb/> zwei gegeneinander treibende Schiffe von ihren Lenkern mit mehr oder weniger</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0420]
Das deutsch-französische Grenzproblem
Der politische Dämmerungszustand am Rhein wurde in der Folge für das Deutsch¬
tum noch bedrohlicher, als die Armeen Frankreichs immer wieder neue Lorbeeren
ernteten: in Algier, in der Krim, in Norditalien, in Mexiko, und als gleich
einen Refrain zum Siegesjubel die Herstellung der Rheingrenze im Tone einer
Forderung inmitten des französischen Volkes von neuem erhoben wurde.
Aber es wetterleuchtete auch in Deutschland. Die ruhmvolle Zeit des großen
Friedrich, der schmachvolle Zusammenbruch des deutsch-römischen Kaisertums
der Habsburger, die Erfolge der preußischen Volksheere in den Befreiungskriegen,
die genialen Leistungen deutscher Männer auf den Gebieten der Wissenschaft,
Kunst und Litteratur hatten zu einer allgemeinen Wiedergeburt des deutschen
Nationalbewußtseins geführt. Alle Blicke richteten sich nach dem Rhein. Gelang
es den Franzosen, ihren Plan durchzuführen, so schien der Zusammenbruch der
deutschen Nation für unabsehbare Zeiten besiegelt. Daher waren alle Vaterlands¬
freunde sich darin einig: Wer immer den „Vater Rhein" dem Deutschtum retten
würde, der werde damit die deutsche Kaiserkrone errungen haben! Der Glaube
des Volksgemüth, der sich in Liedern äußerte, ließ sie im Rhein versenkt liegen.
Da zuckte es gleich einem Wetterstrahl durch die Dämmerung. Es war
die erstaunliche Kraftentfaltung Preußens in: Jahre 1866, jene Wiederholung
friderizianischer Tage, die den Damm zwischen dein Osten und dem Westen des
preußischen Staates beseitigte. Mit einem Male sah sich jetzt Frankreich Auge
in Auge einem wirklich starken Rivalen am Rhein gegenüber. Man beeilte sich,
zu retten, was möglich war. Ein geheimes französisch-österreichisches Bündnis
wurde in die Wege geleitet Süddeutschland sollte vor Preußen „gerettet"
werden, d. h. das obere Donaubecken wäre in: Falle des Gelingens an Öster¬
reich, das rechte Oberrheingcbiet an Frankreich angeschlossen worden. Da löste
der Lufthauch jener hollenzollern-spanischen Thronkandidatur die drohenden
Lawinen an den Talgehängen. Der große Pilot aber, den Preußen und mit
ihm Deutschland damals hatte, gab als Losungswort aus: Zum Rhein, zum
deutschen Rhein! und er lud ganz Deutschland zur Teilnahme ein. Kein ariderer
Kampfruf wäre so unmittelbar nach dem Bruderkriege von 1866 imstande
gewesen, alle deutschen Fürsten und Stämme zu einer gemeinsamen großen Tat
zusammenzuschweißen. Die offene Wunde, die nun über zweihundert Jahre am
Südwesten des deutschen Reichskörpers blutete, mußte endlich geschlossen werden.
Die Weise, in der diese Heilung des verletzten deutschen Volks- und Staatskörpers
gelungen ist, war entscheidend und des großen Gegenstandes würdig, um den es
sich gehandelt hat.
Die französische Regierung hat neuerdings eine Kommission eingesetzt, die
alle in Paris vorhandenen diplomatischen Akten durchsehen und veröffentlichen
soll, soweit sie sich auf die Veranlassung zu dem großen Kriege beziehen. Der
Urheber desselben soll aktenmäßig festgestellt werden. Die „Advokaten" werden
aber in den Akten vergeblich nach ihm suchen. Sie zeigen allerdings, wie
zwei gegeneinander treibende Schiffe von ihren Lenkern mit mehr oder weniger
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