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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Das deutsch-französische Grenzproblem

Skandinavien. Die lange Wasserscheide, die sie trennt, ist stärker als breite
Meere. Aus demselben Grunde ist die Westküste von Amerika der Gefahr der
Mongolisierung ausgesetzt. Wenn eine große Stadt vor sich einen Fluß und
hinter sich eine Berglehne hat, so überschreitet sie immer erst den Fluß, ehe sie
die Höhe erklimmt (Paris, London). Wir mögen also das Grenzproblem von
der naturwissenschaftlichen Seite fassen, wo wir wollen, nichts spricht für, alles
vielmehr gegen die Auffassung, daß der Rhein oder auch nur ein Teil desselben
die Grenze zwischen zwei Staaten und Völkern bilden könnte.

Der Rhein ist der meist umstrittene Strom Europas. Es ist interessant,
die großen Grenzbewegungen, die er gesehen hat, unter den oben dargelegten
Gesichtspunkten zu prüfen.

Etwa fünfzig Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung war es, als der
Rhein anfing, die Aufmerksamkeit der Römer auf sich zu lenken. Er hatte
damals für eine Zeitlang die Germanen und Kelten auseinander gehalten.
Denn der breite, tiefe und reißende Strom im Verein mit den unzugänglichen
Sumpflaudschaften seiner Ufer bildete für jene Barbaren eine Art Wüste, die
nicht ohne Schwierigkeiten und Gefahren zu überschreiten war. Aber die Bewohner
der einen Seite des Tales konnten die andere zu gut überschauen, als daß der
Gedanke an die natürliche Einheitlichkeit und Zusammengehörigkeit des ganzen
Tales links und rechts des Rheins nicht hätte aufkommen und zu entsprechenden
Taten anreizen müssen. So kam es, daß damals die südwestlichen Germanen
den Rhein überschritten, um sich auch im Elsaß festzusetzen. Das wäre ihnen
Zweifellos endgültig gelungen, wenn sie nicht gerade dem im Werden begriffenen
Weltbezwinger Cäsar in den Weg gekommen wären. Er warf die gefährlichen
Eindringlinge über den Rhein zurück oder vernichtete sie, wie einige andere
Stämme, die den Niederrhein überschritte,: hatten, und machte die Römer zu
Herren des linksrheinischen Landes. Es ist nun bezeichnend, daß eben diesem
Cäsar und seinen Nachfolgern trotz ihrer Überlegenheit in der Kriegskunst und
trotz der starken Wasserplätze, die sie am linken Ufer des Flusses errichtet hatten,
dieser keineswegs als eine sichere Landesmark erschien. Beständige Beunruhi¬
gungen von seiten der Germanen zwangen die Römer, über den Fluß zu gehen
und unter langjährigen Kämpfen alles rechtsrheinische Land etwa im Umfange
des Stromgebietes militärisch zu besetzen. Also das Rheingebiet, nicht der Rheinfluß!

Die Völkerwanderung machte das ganze Rheingebiet germanisch, das übrige
Gallien, namentlich im Osten und Norden, halbgermanisch. Aber die Eroberer
unterlagen bald den, kulturell damals mächtigeren Galliertum. Aus dem Seine-,
Loire-, Garonne- und Rhonebecken wurde während des Mittelalters ein einheit¬
liches französisches Reich zusammengeschweißt. Nur im Maas- und oberen
Moselgebiet (dem alten Herzogtum Lothringen) wehrte sich das Deutschtum kräftig
und lange gegen die Gallisterung. Aber die deutschen Könige hatten keine Zeit für
die Westgrenze des Reichs. Vor dem Interregnum erschöpften sie ihre Kraft in end¬
losen Kämpfen um die Idee der Kaiserwürde. Sie wollten als römische Imperatoren


Das deutsch-französische Grenzproblem

Skandinavien. Die lange Wasserscheide, die sie trennt, ist stärker als breite
Meere. Aus demselben Grunde ist die Westküste von Amerika der Gefahr der
Mongolisierung ausgesetzt. Wenn eine große Stadt vor sich einen Fluß und
hinter sich eine Berglehne hat, so überschreitet sie immer erst den Fluß, ehe sie
die Höhe erklimmt (Paris, London). Wir mögen also das Grenzproblem von
der naturwissenschaftlichen Seite fassen, wo wir wollen, nichts spricht für, alles
vielmehr gegen die Auffassung, daß der Rhein oder auch nur ein Teil desselben
die Grenze zwischen zwei Staaten und Völkern bilden könnte.

Der Rhein ist der meist umstrittene Strom Europas. Es ist interessant,
die großen Grenzbewegungen, die er gesehen hat, unter den oben dargelegten
Gesichtspunkten zu prüfen.

Etwa fünfzig Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung war es, als der
Rhein anfing, die Aufmerksamkeit der Römer auf sich zu lenken. Er hatte
damals für eine Zeitlang die Germanen und Kelten auseinander gehalten.
Denn der breite, tiefe und reißende Strom im Verein mit den unzugänglichen
Sumpflaudschaften seiner Ufer bildete für jene Barbaren eine Art Wüste, die
nicht ohne Schwierigkeiten und Gefahren zu überschreiten war. Aber die Bewohner
der einen Seite des Tales konnten die andere zu gut überschauen, als daß der
Gedanke an die natürliche Einheitlichkeit und Zusammengehörigkeit des ganzen
Tales links und rechts des Rheins nicht hätte aufkommen und zu entsprechenden
Taten anreizen müssen. So kam es, daß damals die südwestlichen Germanen
den Rhein überschritten, um sich auch im Elsaß festzusetzen. Das wäre ihnen
Zweifellos endgültig gelungen, wenn sie nicht gerade dem im Werden begriffenen
Weltbezwinger Cäsar in den Weg gekommen wären. Er warf die gefährlichen
Eindringlinge über den Rhein zurück oder vernichtete sie, wie einige andere
Stämme, die den Niederrhein überschritte,: hatten, und machte die Römer zu
Herren des linksrheinischen Landes. Es ist nun bezeichnend, daß eben diesem
Cäsar und seinen Nachfolgern trotz ihrer Überlegenheit in der Kriegskunst und
trotz der starken Wasserplätze, die sie am linken Ufer des Flusses errichtet hatten,
dieser keineswegs als eine sichere Landesmark erschien. Beständige Beunruhi¬
gungen von seiten der Germanen zwangen die Römer, über den Fluß zu gehen
und unter langjährigen Kämpfen alles rechtsrheinische Land etwa im Umfange
des Stromgebietes militärisch zu besetzen. Also das Rheingebiet, nicht der Rheinfluß!

Die Völkerwanderung machte das ganze Rheingebiet germanisch, das übrige
Gallien, namentlich im Osten und Norden, halbgermanisch. Aber die Eroberer
unterlagen bald den, kulturell damals mächtigeren Galliertum. Aus dem Seine-,
Loire-, Garonne- und Rhonebecken wurde während des Mittelalters ein einheit¬
liches französisches Reich zusammengeschweißt. Nur im Maas- und oberen
Moselgebiet (dem alten Herzogtum Lothringen) wehrte sich das Deutschtum kräftig
und lange gegen die Gallisterung. Aber die deutschen Könige hatten keine Zeit für
die Westgrenze des Reichs. Vor dem Interregnum erschöpften sie ihre Kraft in end¬
losen Kämpfen um die Idee der Kaiserwürde. Sie wollten als römische Imperatoren


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[0417] Das deutsch-französische Grenzproblem Skandinavien. Die lange Wasserscheide, die sie trennt, ist stärker als breite Meere. Aus demselben Grunde ist die Westküste von Amerika der Gefahr der Mongolisierung ausgesetzt. Wenn eine große Stadt vor sich einen Fluß und hinter sich eine Berglehne hat, so überschreitet sie immer erst den Fluß, ehe sie die Höhe erklimmt (Paris, London). Wir mögen also das Grenzproblem von der naturwissenschaftlichen Seite fassen, wo wir wollen, nichts spricht für, alles vielmehr gegen die Auffassung, daß der Rhein oder auch nur ein Teil desselben die Grenze zwischen zwei Staaten und Völkern bilden könnte. Der Rhein ist der meist umstrittene Strom Europas. Es ist interessant, die großen Grenzbewegungen, die er gesehen hat, unter den oben dargelegten Gesichtspunkten zu prüfen. Etwa fünfzig Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung war es, als der Rhein anfing, die Aufmerksamkeit der Römer auf sich zu lenken. Er hatte damals für eine Zeitlang die Germanen und Kelten auseinander gehalten. Denn der breite, tiefe und reißende Strom im Verein mit den unzugänglichen Sumpflaudschaften seiner Ufer bildete für jene Barbaren eine Art Wüste, die nicht ohne Schwierigkeiten und Gefahren zu überschreiten war. Aber die Bewohner der einen Seite des Tales konnten die andere zu gut überschauen, als daß der Gedanke an die natürliche Einheitlichkeit und Zusammengehörigkeit des ganzen Tales links und rechts des Rheins nicht hätte aufkommen und zu entsprechenden Taten anreizen müssen. So kam es, daß damals die südwestlichen Germanen den Rhein überschritten, um sich auch im Elsaß festzusetzen. Das wäre ihnen Zweifellos endgültig gelungen, wenn sie nicht gerade dem im Werden begriffenen Weltbezwinger Cäsar in den Weg gekommen wären. Er warf die gefährlichen Eindringlinge über den Rhein zurück oder vernichtete sie, wie einige andere Stämme, die den Niederrhein überschritte,: hatten, und machte die Römer zu Herren des linksrheinischen Landes. Es ist nun bezeichnend, daß eben diesem Cäsar und seinen Nachfolgern trotz ihrer Überlegenheit in der Kriegskunst und trotz der starken Wasserplätze, die sie am linken Ufer des Flusses errichtet hatten, dieser keineswegs als eine sichere Landesmark erschien. Beständige Beunruhi¬ gungen von seiten der Germanen zwangen die Römer, über den Fluß zu gehen und unter langjährigen Kämpfen alles rechtsrheinische Land etwa im Umfange des Stromgebietes militärisch zu besetzen. Also das Rheingebiet, nicht der Rheinfluß! Die Völkerwanderung machte das ganze Rheingebiet germanisch, das übrige Gallien, namentlich im Osten und Norden, halbgermanisch. Aber die Eroberer unterlagen bald den, kulturell damals mächtigeren Galliertum. Aus dem Seine-, Loire-, Garonne- und Rhonebecken wurde während des Mittelalters ein einheit¬ liches französisches Reich zusammengeschweißt. Nur im Maas- und oberen Moselgebiet (dem alten Herzogtum Lothringen) wehrte sich das Deutschtum kräftig und lange gegen die Gallisterung. Aber die deutschen Könige hatten keine Zeit für die Westgrenze des Reichs. Vor dem Interregnum erschöpften sie ihre Kraft in end¬ losen Kämpfen um die Idee der Kaiserwürde. Sie wollten als römische Imperatoren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/417>, abgerufen am 06.01.2025.