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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Christian Dietrich Grabbe

dazwischen, wo einmal der Dichter über ihm gestanden hatte. Ein einziges
Wörtchen, ja es ist hier nur eine Apostrophe, kann die Stimmung vernichten
und die zarte Vorstellung verzerren. In dein Zwiegespräch der Jungvermählten
aus dem "Tragischen Spiel" "Nannette und Maria" findet Grabbe einmal
zarte Töne sür die Freuden der Liebe, die der Ärmste nur in wilder Ver¬
gröberung kennen gelernt hatte. Lyrische Klänge erzittern durch die Sehnsucht
des Mannes und die geheime Furcht Nannettens, der einzigen lieblichen Gestalt
in Grabbes Werken.


Leonardo:

O sprich weiter!

Wie Silbertropfen in die stille See,

So fallen deine Worte in die Brust I (Emporspringend)

Doch schau! Schon sinkt die Sonne!

Nannette:

Freut dich das?

Leonardo:

Warum nicht? Geht mir dafür doch

Die Doppelsonne deines Busens auf.


Kühn, doch schön gesagt. Aber nun kommt der heillose, lüsterne Grabbe
dazwischen, wenn Leonardo fortfährt:


Das wird 'ne helle Nacht!

Trotz innerer Zerrissenheit, trotz mangelnder Weltanschauung, trotz des
Unvermögens, die Natur umzuschmelzen zu stilvollen Kunstwerk, bleibt Grabbe
ein großer Dichter, ein völlig alleinstehender Dramatiker und ein Nurdramatiker.
Was Immermann von ihm sagte, gilt heute, wie vor fünfundsiebzig Jahren: "Der
Geist der Geschichte selbst ist ihm erschienen und hat ihm manches Wort zugeflüstert."
^ "In Grabbe wird zum erstenmal die Geschichte selbst lebendig." (Herrig.)
Das zeigen namentlich die Hohenstaufendramen, einzelnes im Hermann und die
wenigen Stellen im Hannibal, die Grabbe nicht selbst durch geschmacklose Witze
oder Brutalitäten verballhornt hat. Im Hannibal kann man auch von Stilkunst
und Entwicklungsfähigkeit reden. Es ist die letzte große Erhebung und in
mancher Weise zu vergleichen mit den beiden letzten finsteren, aschgrauen Bildern des
Franz Hals; wie dieser, achtzigjährig, "von außen verlassen, im Innern ohne
den nötigen Halt" seine beiden letzten Regentenstücke schuf, so ging es auch
Grabbe. "Wie seine Mitmenschen ihm selbst nur das Notdürftigste zum Fristen
des Lebens verabfolgten, so bewilligte der achtzigjährige Greis den Gestalten in
diesen letzten Gemälden auch gerade nur so viel Zeichnung, so viel Farbe, um
sie als Menschen, als lebendige Menschen erscheinen zu lassen." (Bode.) Grabbe
wurde sparsam in: Aufwand von Worthaufen, er setzte nicht mehr Himmel und
Erde in Bewegung, um einer Leidenschaft die Fackel zu halten; und wenn er
der realen Bühne leider fremd geblieben ist, so lassen die schon vorhandenen
Einrichtungen und das ganze gegenwärtige Suchen nach freierer Bühnengestaltung
doch hoffen, daß Grabbe für die Bühne endgültig wird gewonnen werden können.

Ihm fehlt jede persönliche Lyrik: kein Liebesgedicht, kein lyrisch angehauchter
Brief! Und kein lyrischer Anklang in der Handlung oder der Situation, der


Christian Dietrich Grabbe

dazwischen, wo einmal der Dichter über ihm gestanden hatte. Ein einziges
Wörtchen, ja es ist hier nur eine Apostrophe, kann die Stimmung vernichten
und die zarte Vorstellung verzerren. In dein Zwiegespräch der Jungvermählten
aus dem „Tragischen Spiel" „Nannette und Maria" findet Grabbe einmal
zarte Töne sür die Freuden der Liebe, die der Ärmste nur in wilder Ver¬
gröberung kennen gelernt hatte. Lyrische Klänge erzittern durch die Sehnsucht
des Mannes und die geheime Furcht Nannettens, der einzigen lieblichen Gestalt
in Grabbes Werken.


Leonardo:

O sprich weiter!

Wie Silbertropfen in die stille See,

So fallen deine Worte in die Brust I (Emporspringend)

Doch schau! Schon sinkt die Sonne!

Nannette:

Freut dich das?

Leonardo:

Warum nicht? Geht mir dafür doch

Die Doppelsonne deines Busens auf.


Kühn, doch schön gesagt. Aber nun kommt der heillose, lüsterne Grabbe
dazwischen, wenn Leonardo fortfährt:


Das wird 'ne helle Nacht!

Trotz innerer Zerrissenheit, trotz mangelnder Weltanschauung, trotz des
Unvermögens, die Natur umzuschmelzen zu stilvollen Kunstwerk, bleibt Grabbe
ein großer Dichter, ein völlig alleinstehender Dramatiker und ein Nurdramatiker.
Was Immermann von ihm sagte, gilt heute, wie vor fünfundsiebzig Jahren: „Der
Geist der Geschichte selbst ist ihm erschienen und hat ihm manches Wort zugeflüstert."
^ „In Grabbe wird zum erstenmal die Geschichte selbst lebendig." (Herrig.)
Das zeigen namentlich die Hohenstaufendramen, einzelnes im Hermann und die
wenigen Stellen im Hannibal, die Grabbe nicht selbst durch geschmacklose Witze
oder Brutalitäten verballhornt hat. Im Hannibal kann man auch von Stilkunst
und Entwicklungsfähigkeit reden. Es ist die letzte große Erhebung und in
mancher Weise zu vergleichen mit den beiden letzten finsteren, aschgrauen Bildern des
Franz Hals; wie dieser, achtzigjährig, „von außen verlassen, im Innern ohne
den nötigen Halt" seine beiden letzten Regentenstücke schuf, so ging es auch
Grabbe. „Wie seine Mitmenschen ihm selbst nur das Notdürftigste zum Fristen
des Lebens verabfolgten, so bewilligte der achtzigjährige Greis den Gestalten in
diesen letzten Gemälden auch gerade nur so viel Zeichnung, so viel Farbe, um
sie als Menschen, als lebendige Menschen erscheinen zu lassen." (Bode.) Grabbe
wurde sparsam in: Aufwand von Worthaufen, er setzte nicht mehr Himmel und
Erde in Bewegung, um einer Leidenschaft die Fackel zu halten; und wenn er
der realen Bühne leider fremd geblieben ist, so lassen die schon vorhandenen
Einrichtungen und das ganze gegenwärtige Suchen nach freierer Bühnengestaltung
doch hoffen, daß Grabbe für die Bühne endgültig wird gewonnen werden können.

Ihm fehlt jede persönliche Lyrik: kein Liebesgedicht, kein lyrisch angehauchter
Brief! Und kein lyrischer Anklang in der Handlung oder der Situation, der


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[0409] Christian Dietrich Grabbe dazwischen, wo einmal der Dichter über ihm gestanden hatte. Ein einziges Wörtchen, ja es ist hier nur eine Apostrophe, kann die Stimmung vernichten und die zarte Vorstellung verzerren. In dein Zwiegespräch der Jungvermählten aus dem „Tragischen Spiel" „Nannette und Maria" findet Grabbe einmal zarte Töne sür die Freuden der Liebe, die der Ärmste nur in wilder Ver¬ gröberung kennen gelernt hatte. Lyrische Klänge erzittern durch die Sehnsucht des Mannes und die geheime Furcht Nannettens, der einzigen lieblichen Gestalt in Grabbes Werken. Leonardo: O sprich weiter! Wie Silbertropfen in die stille See, So fallen deine Worte in die Brust I (Emporspringend) Doch schau! Schon sinkt die Sonne! Nannette: Freut dich das? Leonardo: Warum nicht? Geht mir dafür doch Die Doppelsonne deines Busens auf. Kühn, doch schön gesagt. Aber nun kommt der heillose, lüsterne Grabbe dazwischen, wenn Leonardo fortfährt: Das wird 'ne helle Nacht! Trotz innerer Zerrissenheit, trotz mangelnder Weltanschauung, trotz des Unvermögens, die Natur umzuschmelzen zu stilvollen Kunstwerk, bleibt Grabbe ein großer Dichter, ein völlig alleinstehender Dramatiker und ein Nurdramatiker. Was Immermann von ihm sagte, gilt heute, wie vor fünfundsiebzig Jahren: „Der Geist der Geschichte selbst ist ihm erschienen und hat ihm manches Wort zugeflüstert." ^ „In Grabbe wird zum erstenmal die Geschichte selbst lebendig." (Herrig.) Das zeigen namentlich die Hohenstaufendramen, einzelnes im Hermann und die wenigen Stellen im Hannibal, die Grabbe nicht selbst durch geschmacklose Witze oder Brutalitäten verballhornt hat. Im Hannibal kann man auch von Stilkunst und Entwicklungsfähigkeit reden. Es ist die letzte große Erhebung und in mancher Weise zu vergleichen mit den beiden letzten finsteren, aschgrauen Bildern des Franz Hals; wie dieser, achtzigjährig, „von außen verlassen, im Innern ohne den nötigen Halt" seine beiden letzten Regentenstücke schuf, so ging es auch Grabbe. „Wie seine Mitmenschen ihm selbst nur das Notdürftigste zum Fristen des Lebens verabfolgten, so bewilligte der achtzigjährige Greis den Gestalten in diesen letzten Gemälden auch gerade nur so viel Zeichnung, so viel Farbe, um sie als Menschen, als lebendige Menschen erscheinen zu lassen." (Bode.) Grabbe wurde sparsam in: Aufwand von Worthaufen, er setzte nicht mehr Himmel und Erde in Bewegung, um einer Leidenschaft die Fackel zu halten; und wenn er der realen Bühne leider fremd geblieben ist, so lassen die schon vorhandenen Einrichtungen und das ganze gegenwärtige Suchen nach freierer Bühnengestaltung doch hoffen, daß Grabbe für die Bühne endgültig wird gewonnen werden können. Ihm fehlt jede persönliche Lyrik: kein Liebesgedicht, kein lyrisch angehauchter Brief! Und kein lyrischer Anklang in der Handlung oder der Situation, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/409>, abgerufen am 06.01.2025.