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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Christian Dietrich Grabbe

Grundstimmung seiner Helden. Darin steht er weit ab von Kleist und Hebbel,
mit denen man ihn fälschlich zusammengestellt. Hebbel hat ja ausführliche
persönliche Lyrik, und Kleists Helden und Heldinnen, um nur zwei zu nennen,
den Prinzen von Homburg und die Penthesilea, sind von lyrischer Empfindung
geschwellt, wie die dramatischen Helden Goethes. Grabbes Leben gab keine
Ruhe, keine Tiefe, keine Stille her. Er war eine flackernde Leuchte ohne festen Schein,
ohne erwärmende Glut. Seine Sympathien wechselten mit seiner Stimmung.
Seine Jugend begeistert sich an Schillers Idealismus, bald verspottet er seine
Schwärmerei und spricht von "Schillerschen Studentenliebschaftsunrealitäten",
und ein andermal: "Schiller hätte diese Schriftzüge (der Maria und Elisabeth)
näher ansehen sollen, und er würde die naive, galante Maria und die eherne
Elisabeth besser geschildert haben, als geschehen." Auch sonst ist manches gering¬
schätzige Wort von ihm über Schiller, erhalten, und doch heißt es wieder 1835
an Menzel: "Nicht Shakespeare, nicht Goethe -- Schillers Feuer hat mich zum
Dichter gemacht."

Was Grabbe selbst zu seinem körperlichen und sittlichen Untergang bei¬
getragen hat, ist gering gegenüber dem bösen Dämon, der in ihm saß; und
daß er aus Verzweiflung und vielleicht in der Hoffnung auf eine Verbesserung
seiner Vermögenslage in den besten Jahren einen ältlichen, unverträglichen,
korpulenten Blaustrumpf heiratete, wäre zum Lachen, wenn diese Ehe nicht so
tragisch geendet hätte. Er scheint mit Lucie mehr Geduld gehabt zu haben,
als man von ihm erwarten konnte. Ist er krank gewesen, wie Ebstein
beweisen zu können glaubt, so war er doch zur Zeit der Ehe sicher geheilt,
und ganz gewiß ist das nicht der Grund, warum sogleich nach der Vermählung
Zerwürfnisse eintraten. Die waren pekuniärer Natur und kommen allein auf
Rechnung der Frau. Luciens Brief nach Frankfurt vom 19. Januar 1835 mit
der Bitte, den Gatten besuchen zu dürfen, "wenn du mich anders in deinem
Zimmer bei dir aufnehmen willst und kannst", beweist wohl deutlich, daß nicht
die Furcht vor der Krankheit des Mannes die Eheleute auseinander¬
getrieben hat. Zerrissene Verhältnisse, jäh gelöste Freundschaften, Verbitterung
und Enttäuschung hinterließ Grabbe. Nur ein immer verzeihendes, immer
liebendes Augenpaar ist seinem wirren Lebensgang mit ausharrender Geduld
gefolgt: nicht die Gattin, die alte Mutter hat an seinem Sterbebette gesessen
und ihm sanfte Worte aus heimischer Kinderstube zugeflüstert. Sie hat ihn nur
halb verstanden und er hatte sich nicht viel Mühe gegeben, das Verständnis der
Eltern zu gewinnen. Von dem Lebenden hat sie nicht viel gehabt; aber als
ihren Christian der Tod umnachten wollte/ setzte sie sich steif und starr, wie sie
war, an das Bett des Sohnes, an den Platz, den sie sich erst durch die Polizei
von der Schwiegertochter erstreiten mußte. So liegt doch ein Hauch von Liebe
über dem Leben des Gemarterten.




Christian Dietrich Grabbe

Grundstimmung seiner Helden. Darin steht er weit ab von Kleist und Hebbel,
mit denen man ihn fälschlich zusammengestellt. Hebbel hat ja ausführliche
persönliche Lyrik, und Kleists Helden und Heldinnen, um nur zwei zu nennen,
den Prinzen von Homburg und die Penthesilea, sind von lyrischer Empfindung
geschwellt, wie die dramatischen Helden Goethes. Grabbes Leben gab keine
Ruhe, keine Tiefe, keine Stille her. Er war eine flackernde Leuchte ohne festen Schein,
ohne erwärmende Glut. Seine Sympathien wechselten mit seiner Stimmung.
Seine Jugend begeistert sich an Schillers Idealismus, bald verspottet er seine
Schwärmerei und spricht von „Schillerschen Studentenliebschaftsunrealitäten",
und ein andermal: „Schiller hätte diese Schriftzüge (der Maria und Elisabeth)
näher ansehen sollen, und er würde die naive, galante Maria und die eherne
Elisabeth besser geschildert haben, als geschehen." Auch sonst ist manches gering¬
schätzige Wort von ihm über Schiller, erhalten, und doch heißt es wieder 1835
an Menzel: „Nicht Shakespeare, nicht Goethe — Schillers Feuer hat mich zum
Dichter gemacht."

Was Grabbe selbst zu seinem körperlichen und sittlichen Untergang bei¬
getragen hat, ist gering gegenüber dem bösen Dämon, der in ihm saß; und
daß er aus Verzweiflung und vielleicht in der Hoffnung auf eine Verbesserung
seiner Vermögenslage in den besten Jahren einen ältlichen, unverträglichen,
korpulenten Blaustrumpf heiratete, wäre zum Lachen, wenn diese Ehe nicht so
tragisch geendet hätte. Er scheint mit Lucie mehr Geduld gehabt zu haben,
als man von ihm erwarten konnte. Ist er krank gewesen, wie Ebstein
beweisen zu können glaubt, so war er doch zur Zeit der Ehe sicher geheilt,
und ganz gewiß ist das nicht der Grund, warum sogleich nach der Vermählung
Zerwürfnisse eintraten. Die waren pekuniärer Natur und kommen allein auf
Rechnung der Frau. Luciens Brief nach Frankfurt vom 19. Januar 1835 mit
der Bitte, den Gatten besuchen zu dürfen, „wenn du mich anders in deinem
Zimmer bei dir aufnehmen willst und kannst", beweist wohl deutlich, daß nicht
die Furcht vor der Krankheit des Mannes die Eheleute auseinander¬
getrieben hat. Zerrissene Verhältnisse, jäh gelöste Freundschaften, Verbitterung
und Enttäuschung hinterließ Grabbe. Nur ein immer verzeihendes, immer
liebendes Augenpaar ist seinem wirren Lebensgang mit ausharrender Geduld
gefolgt: nicht die Gattin, die alte Mutter hat an seinem Sterbebette gesessen
und ihm sanfte Worte aus heimischer Kinderstube zugeflüstert. Sie hat ihn nur
halb verstanden und er hatte sich nicht viel Mühe gegeben, das Verständnis der
Eltern zu gewinnen. Von dem Lebenden hat sie nicht viel gehabt; aber als
ihren Christian der Tod umnachten wollte/ setzte sie sich steif und starr, wie sie
war, an das Bett des Sohnes, an den Platz, den sie sich erst durch die Polizei
von der Schwiegertochter erstreiten mußte. So liegt doch ein Hauch von Liebe
über dem Leben des Gemarterten.




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[0410] Christian Dietrich Grabbe Grundstimmung seiner Helden. Darin steht er weit ab von Kleist und Hebbel, mit denen man ihn fälschlich zusammengestellt. Hebbel hat ja ausführliche persönliche Lyrik, und Kleists Helden und Heldinnen, um nur zwei zu nennen, den Prinzen von Homburg und die Penthesilea, sind von lyrischer Empfindung geschwellt, wie die dramatischen Helden Goethes. Grabbes Leben gab keine Ruhe, keine Tiefe, keine Stille her. Er war eine flackernde Leuchte ohne festen Schein, ohne erwärmende Glut. Seine Sympathien wechselten mit seiner Stimmung. Seine Jugend begeistert sich an Schillers Idealismus, bald verspottet er seine Schwärmerei und spricht von „Schillerschen Studentenliebschaftsunrealitäten", und ein andermal: „Schiller hätte diese Schriftzüge (der Maria und Elisabeth) näher ansehen sollen, und er würde die naive, galante Maria und die eherne Elisabeth besser geschildert haben, als geschehen." Auch sonst ist manches gering¬ schätzige Wort von ihm über Schiller, erhalten, und doch heißt es wieder 1835 an Menzel: „Nicht Shakespeare, nicht Goethe — Schillers Feuer hat mich zum Dichter gemacht." Was Grabbe selbst zu seinem körperlichen und sittlichen Untergang bei¬ getragen hat, ist gering gegenüber dem bösen Dämon, der in ihm saß; und daß er aus Verzweiflung und vielleicht in der Hoffnung auf eine Verbesserung seiner Vermögenslage in den besten Jahren einen ältlichen, unverträglichen, korpulenten Blaustrumpf heiratete, wäre zum Lachen, wenn diese Ehe nicht so tragisch geendet hätte. Er scheint mit Lucie mehr Geduld gehabt zu haben, als man von ihm erwarten konnte. Ist er krank gewesen, wie Ebstein beweisen zu können glaubt, so war er doch zur Zeit der Ehe sicher geheilt, und ganz gewiß ist das nicht der Grund, warum sogleich nach der Vermählung Zerwürfnisse eintraten. Die waren pekuniärer Natur und kommen allein auf Rechnung der Frau. Luciens Brief nach Frankfurt vom 19. Januar 1835 mit der Bitte, den Gatten besuchen zu dürfen, „wenn du mich anders in deinem Zimmer bei dir aufnehmen willst und kannst", beweist wohl deutlich, daß nicht die Furcht vor der Krankheit des Mannes die Eheleute auseinander¬ getrieben hat. Zerrissene Verhältnisse, jäh gelöste Freundschaften, Verbitterung und Enttäuschung hinterließ Grabbe. Nur ein immer verzeihendes, immer liebendes Augenpaar ist seinem wirren Lebensgang mit ausharrender Geduld gefolgt: nicht die Gattin, die alte Mutter hat an seinem Sterbebette gesessen und ihm sanfte Worte aus heimischer Kinderstube zugeflüstert. Sie hat ihn nur halb verstanden und er hatte sich nicht viel Mühe gegeben, das Verständnis der Eltern zu gewinnen. Von dem Lebenden hat sie nicht viel gehabt; aber als ihren Christian der Tod umnachten wollte/ setzte sie sich steif und starr, wie sie war, an das Bett des Sohnes, an den Platz, den sie sich erst durch die Polizei von der Schwiegertochter erstreiten mußte. So liegt doch ein Hauch von Liebe über dem Leben des Gemarterten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/410>, abgerufen am 16.01.2025.