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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Im Hunsrück und Hochwald
von w. Rothe

unsrück! -- Eifel! -- Hu, wie dem Leser bei diesen Namen graust!
Er denkt an rauhe Einöden, über die im Winter der eisige Schnee¬
sturm braust, und auf denen im Sommer die glühende Sonne das
bischen Vegetation erbarmungslos tötet. Weit gefehlet -- Die land¬
läufige Ansicht ist wie so oft falsch.

Über die Eifel hat man durch die Romane von Clara Viebig allmählich ein
richtigeres Bild gewonnen. Aber den Hunsrück kennt man fast gar nicht. Eine
Wanderung durch die Gegend zwischen Mosel und Nahe, den Hunsrück und den
Hochwald, zeigt, daß es auch im deutschen Vaterland noch Gegenden gibt, die der
Entdeckung wert sind.

Der Tourist, der die Nahe besucht, in Kreuznach die Salinen gesehen und
vielleicht bis Münster a. Stein vorgedrungen ist, sollte nicht meinen, nun alle
Schönheit weit und breit erschöpft zu haben, sondern sich noch ein Stündchen auf
die Bahn setzen und bis Oberstein fahren. Während der Fahrt von Kreuznach grüßt
uns die sagenumwobene Ebernburg mit den: von Cauer erbauten Hutten-Sickingen-
Denkmlll. An der mächtigen Granitwand des Rothenfels vorbei fährt der Zug weiter;
Waldböckelheim, Stciudernheim, Kirr, Fischbach fliegen vorüber. In Oberstein bietet
sich schon von dem hochgelegenen Bahnhof aus eine prächtige Aussicht. So weit
das Auge reicht -- hohe Felsen, die die ganze Stadt zu umschließen scheinen!
Ein letzter Sonnenstrahl trifft die Ruine des alten Schlosses und die in den Felsen
gehauene Kirche. Zwei Brüder, die in der alten Burg wohnten, so erzählt die
Sage, waren in heißer Liebe zu einem Burgfräulein entbrannt: in einer dunklen
Stunde stürzte der eine Bruder seinen Nebenbuhler in sinnloser Eifersucht deu steilen
Schloßberg hinab. Ruhelos irrte er seit dieser frevelhaften Tat umher, bis ihn:
ein Eremit den Weg zum Frieden wies. Er begann den harten Felsen aus¬
zuschachten, um eine Kapelle zu errichten, und als er, durch einen plötzlich hervor¬
brechenden Quell gestärkt und von neuer Hoffnung erfüllt, sein Werk vollenden
konnte, fand seine arme Seele den heißersehnten Frieden.

Eng und schmal sind die Straßen Obersteins, man hat das Empfinden, als
ob die Felsen, die dräuend ihre Häupter hie und da über den Häusern empor-




Im Hunsrück und Hochwald
von w. Rothe

unsrück! — Eifel! — Hu, wie dem Leser bei diesen Namen graust!
Er denkt an rauhe Einöden, über die im Winter der eisige Schnee¬
sturm braust, und auf denen im Sommer die glühende Sonne das
bischen Vegetation erbarmungslos tötet. Weit gefehlet — Die land¬
läufige Ansicht ist wie so oft falsch.

Über die Eifel hat man durch die Romane von Clara Viebig allmählich ein
richtigeres Bild gewonnen. Aber den Hunsrück kennt man fast gar nicht. Eine
Wanderung durch die Gegend zwischen Mosel und Nahe, den Hunsrück und den
Hochwald, zeigt, daß es auch im deutschen Vaterland noch Gegenden gibt, die der
Entdeckung wert sind.

Der Tourist, der die Nahe besucht, in Kreuznach die Salinen gesehen und
vielleicht bis Münster a. Stein vorgedrungen ist, sollte nicht meinen, nun alle
Schönheit weit und breit erschöpft zu haben, sondern sich noch ein Stündchen auf
die Bahn setzen und bis Oberstein fahren. Während der Fahrt von Kreuznach grüßt
uns die sagenumwobene Ebernburg mit den: von Cauer erbauten Hutten-Sickingen-
Denkmlll. An der mächtigen Granitwand des Rothenfels vorbei fährt der Zug weiter;
Waldböckelheim, Stciudernheim, Kirr, Fischbach fliegen vorüber. In Oberstein bietet
sich schon von dem hochgelegenen Bahnhof aus eine prächtige Aussicht. So weit
das Auge reicht — hohe Felsen, die die ganze Stadt zu umschließen scheinen!
Ein letzter Sonnenstrahl trifft die Ruine des alten Schlosses und die in den Felsen
gehauene Kirche. Zwei Brüder, die in der alten Burg wohnten, so erzählt die
Sage, waren in heißer Liebe zu einem Burgfräulein entbrannt: in einer dunklen
Stunde stürzte der eine Bruder seinen Nebenbuhler in sinnloser Eifersucht deu steilen
Schloßberg hinab. Ruhelos irrte er seit dieser frevelhaften Tat umher, bis ihn:
ein Eremit den Weg zum Frieden wies. Er begann den harten Felsen aus¬
zuschachten, um eine Kapelle zu errichten, und als er, durch einen plötzlich hervor¬
brechenden Quell gestärkt und von neuer Hoffnung erfüllt, sein Werk vollenden
konnte, fand seine arme Seele den heißersehnten Frieden.

Eng und schmal sind die Straßen Obersteins, man hat das Empfinden, als
ob die Felsen, die dräuend ihre Häupter hie und da über den Häusern empor-


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[0372] [Abbildung] Im Hunsrück und Hochwald von w. Rothe unsrück! — Eifel! — Hu, wie dem Leser bei diesen Namen graust! Er denkt an rauhe Einöden, über die im Winter der eisige Schnee¬ sturm braust, und auf denen im Sommer die glühende Sonne das bischen Vegetation erbarmungslos tötet. Weit gefehlet — Die land¬ läufige Ansicht ist wie so oft falsch. Über die Eifel hat man durch die Romane von Clara Viebig allmählich ein richtigeres Bild gewonnen. Aber den Hunsrück kennt man fast gar nicht. Eine Wanderung durch die Gegend zwischen Mosel und Nahe, den Hunsrück und den Hochwald, zeigt, daß es auch im deutschen Vaterland noch Gegenden gibt, die der Entdeckung wert sind. Der Tourist, der die Nahe besucht, in Kreuznach die Salinen gesehen und vielleicht bis Münster a. Stein vorgedrungen ist, sollte nicht meinen, nun alle Schönheit weit und breit erschöpft zu haben, sondern sich noch ein Stündchen auf die Bahn setzen und bis Oberstein fahren. Während der Fahrt von Kreuznach grüßt uns die sagenumwobene Ebernburg mit den: von Cauer erbauten Hutten-Sickingen- Denkmlll. An der mächtigen Granitwand des Rothenfels vorbei fährt der Zug weiter; Waldböckelheim, Stciudernheim, Kirr, Fischbach fliegen vorüber. In Oberstein bietet sich schon von dem hochgelegenen Bahnhof aus eine prächtige Aussicht. So weit das Auge reicht — hohe Felsen, die die ganze Stadt zu umschließen scheinen! Ein letzter Sonnenstrahl trifft die Ruine des alten Schlosses und die in den Felsen gehauene Kirche. Zwei Brüder, die in der alten Burg wohnten, so erzählt die Sage, waren in heißer Liebe zu einem Burgfräulein entbrannt: in einer dunklen Stunde stürzte der eine Bruder seinen Nebenbuhler in sinnloser Eifersucht deu steilen Schloßberg hinab. Ruhelos irrte er seit dieser frevelhaften Tat umher, bis ihn: ein Eremit den Weg zum Frieden wies. Er begann den harten Felsen aus¬ zuschachten, um eine Kapelle zu errichten, und als er, durch einen plötzlich hervor¬ brechenden Quell gestärkt und von neuer Hoffnung erfüllt, sein Werk vollenden konnte, fand seine arme Seele den heißersehnten Frieden. Eng und schmal sind die Straßen Obersteins, man hat das Empfinden, als ob die Felsen, die dräuend ihre Häupter hie und da über den Häusern empor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/372>, abgerufen am 29.12.2024.