Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Die Politik und die Künstler des Tages und des Parteiintcresses sehen will. Es können also nur beide Teile Die materialistische Geschichtsauffassung, die richtiger die ökonomistische hieße, Die Politik und die Künstler des Tages und des Parteiintcresses sehen will. Es können also nur beide Teile Die materialistische Geschichtsauffassung, die richtiger die ökonomistische hieße, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319297"/> <fw type="header" place="top"> Die Politik und die Künstler</fw><lb/> <p xml:id="ID_1798" prev="#ID_1797"> des Tages und des Parteiintcresses sehen will. Es können also nur beide Teile<lb/> gewinnen, wenn sie sich, soweit möglich, auf halbem Wege entgegenzukommen<lb/> suchen, und den Denkern und Künstlern mag der Schritt leichter werden, wenn<lb/> sie sich immer gegenwärtig halten, daß sie eigentlich weit mehr die Entbehrten,<lb/> Gesuchten, Gebenden als die Empfangenden sind. Die Kluft, die jetzt zwischen<lb/> den verächtlich und verständnislos einander gegenüberstehenden Gruppen gähnt,<lb/> wird sich natürlich nicht von heut zu morgen schließen, wenn sich auch einzelne<lb/> Hände herüber und hinüber strecken, aber unser Volk ist noch jung, hat noch<lb/> alle Fehler der Jugend, alle verworrene, tastende Unreife und Unsicherheit des<lb/> Geschmacks vor allem — aber auch alle Vorzüge und Hoffnungen der Jugend, alle<lb/> tausend Entwicklungsmöglichkeiten, die gerade heut, wenn auch noch in ersten<lb/> schüchternen Lenztrieben, merkbar zum Lichte ringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1799"> Die materialistische Geschichtsauffassung, die richtiger die ökonomistische hieße,<lb/> schießt schon darin übers Ziel hinaus, daß sie so gut wie gar nicht die doch oft<lb/> so bedeutungs- und entscheidungsvollen „Imponderabilien" geistiger und seelischer<lb/> Art in Rechnung stellt. Das ist z. B. eine oft wiederholte, aber darum nicht<lb/> minder zutreffende Wahrheit, daß die Ungleichheit der Bildung, die Ausgeschlossen¬<lb/> heit der Armen von den Mitteln und Werten der höheren Kultur oft weit mehr<lb/> als materielle Not verbitternd wirkt. Auch die ungenügende Durchtränkung der<lb/> Öffentlichkeit mit ästhetischer Kultur ist unserem nationalen Gesamtleben keineswegs<lb/> zuträglich. Das Wohlgefühl, das Heimatbewußtsein der kleinen Kulturelite wird<lb/> zunächst dadurch empfindlich herabgedrückt — nun, um diese feinen und inner¬<lb/> lichen Schmerzen pflegt sich die Mehrzahl nicht eben sonderlich zu kümmern und<lb/> zu grämen — aber solche Teilnahmlosigkeit rächt sich auf die Dauer; ein Volk<lb/> tut im eigensten Interesse wohl daran, seinen Denkern und Künstlern eine gastliche,<lb/> warme Stätte zu bereiten, denn es schmückt damit sein eigenes Haus, macht<lb/> es festlich, unter den Mitvölkern kenntlich und ausgezeichnet, den Nachlebenden<lb/> verehrungswert. Vor allem aber schafft es dadurch eine gesunde Einheitlichkeit<lb/> des völkischen Geistesklimas, gleicht die bedrohlichen Unebenheiten der Kultur<lb/> zwischen hoch und niedrig teilweise aus und schmiedet aus fremden und mi߬<lb/> günstigen Heerlagern wirklich erst ein Volk. Der Hochmut der Gebildeten, mehr<lb/> aber noch der gesellschaftliche Dünkel der oft nur sehr zweifelhaft gebildeten höheren<lb/> Schichten unterschätzt doch wohl ganz beträchtlich die im Volke schlummernden<lb/> Strebsamkeiten und Triebkräfte. Wir vermögen tatsächlich noch gar nicht recht zu<lb/> sagen, wie eng oder weit dem Volke die geistigen Grenzen gesteckt sind; denn dem<lb/> Mittellosen ist noch heut der Aufstieg unendlich erschwert, wenn nicht unmöglich<lb/> gemacht. Es ist ein ganz besonders aufreizender und vergiftender Gedanke, daß<lb/> unser Geistesleben so durchweg plutokmtisch organisiert ist und daß gerade dort,<lb/> wo nur der reine Wille und das starke Können gelten sollte, zuletzt doch auch der<lb/> gemeine Mammon den Ausschlag gibt. Ein gut Teil moderner Barbarei ist gerade<lb/> hierin begründet, und Kapital, Gesellschaftsdruck und Unkultur sind ein schlimmer<lb/> Dreibund. An verheißungsvoller, nur eben wegen der Dürftigkeit der Mittel nur<lb/> allzu bescheidenen Ansätzen zum Besseren fehlt es ja nicht; es bedarf wirklich gar<lb/> keines „Herabsteigens", keines Popularisierens im üblen Sinne, sondern nur einer<lb/> anschaulichen und herzenswarmeu Art, um Interesse, Eifer und Verständnis auch<lb/> in schlichterer Menschen zu erwecken.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0350]
Die Politik und die Künstler
des Tages und des Parteiintcresses sehen will. Es können also nur beide Teile
gewinnen, wenn sie sich, soweit möglich, auf halbem Wege entgegenzukommen
suchen, und den Denkern und Künstlern mag der Schritt leichter werden, wenn
sie sich immer gegenwärtig halten, daß sie eigentlich weit mehr die Entbehrten,
Gesuchten, Gebenden als die Empfangenden sind. Die Kluft, die jetzt zwischen
den verächtlich und verständnislos einander gegenüberstehenden Gruppen gähnt,
wird sich natürlich nicht von heut zu morgen schließen, wenn sich auch einzelne
Hände herüber und hinüber strecken, aber unser Volk ist noch jung, hat noch
alle Fehler der Jugend, alle verworrene, tastende Unreife und Unsicherheit des
Geschmacks vor allem — aber auch alle Vorzüge und Hoffnungen der Jugend, alle
tausend Entwicklungsmöglichkeiten, die gerade heut, wenn auch noch in ersten
schüchternen Lenztrieben, merkbar zum Lichte ringen.
Die materialistische Geschichtsauffassung, die richtiger die ökonomistische hieße,
schießt schon darin übers Ziel hinaus, daß sie so gut wie gar nicht die doch oft
so bedeutungs- und entscheidungsvollen „Imponderabilien" geistiger und seelischer
Art in Rechnung stellt. Das ist z. B. eine oft wiederholte, aber darum nicht
minder zutreffende Wahrheit, daß die Ungleichheit der Bildung, die Ausgeschlossen¬
heit der Armen von den Mitteln und Werten der höheren Kultur oft weit mehr
als materielle Not verbitternd wirkt. Auch die ungenügende Durchtränkung der
Öffentlichkeit mit ästhetischer Kultur ist unserem nationalen Gesamtleben keineswegs
zuträglich. Das Wohlgefühl, das Heimatbewußtsein der kleinen Kulturelite wird
zunächst dadurch empfindlich herabgedrückt — nun, um diese feinen und inner¬
lichen Schmerzen pflegt sich die Mehrzahl nicht eben sonderlich zu kümmern und
zu grämen — aber solche Teilnahmlosigkeit rächt sich auf die Dauer; ein Volk
tut im eigensten Interesse wohl daran, seinen Denkern und Künstlern eine gastliche,
warme Stätte zu bereiten, denn es schmückt damit sein eigenes Haus, macht
es festlich, unter den Mitvölkern kenntlich und ausgezeichnet, den Nachlebenden
verehrungswert. Vor allem aber schafft es dadurch eine gesunde Einheitlichkeit
des völkischen Geistesklimas, gleicht die bedrohlichen Unebenheiten der Kultur
zwischen hoch und niedrig teilweise aus und schmiedet aus fremden und mi߬
günstigen Heerlagern wirklich erst ein Volk. Der Hochmut der Gebildeten, mehr
aber noch der gesellschaftliche Dünkel der oft nur sehr zweifelhaft gebildeten höheren
Schichten unterschätzt doch wohl ganz beträchtlich die im Volke schlummernden
Strebsamkeiten und Triebkräfte. Wir vermögen tatsächlich noch gar nicht recht zu
sagen, wie eng oder weit dem Volke die geistigen Grenzen gesteckt sind; denn dem
Mittellosen ist noch heut der Aufstieg unendlich erschwert, wenn nicht unmöglich
gemacht. Es ist ein ganz besonders aufreizender und vergiftender Gedanke, daß
unser Geistesleben so durchweg plutokmtisch organisiert ist und daß gerade dort,
wo nur der reine Wille und das starke Können gelten sollte, zuletzt doch auch der
gemeine Mammon den Ausschlag gibt. Ein gut Teil moderner Barbarei ist gerade
hierin begründet, und Kapital, Gesellschaftsdruck und Unkultur sind ein schlimmer
Dreibund. An verheißungsvoller, nur eben wegen der Dürftigkeit der Mittel nur
allzu bescheidenen Ansätzen zum Besseren fehlt es ja nicht; es bedarf wirklich gar
keines „Herabsteigens", keines Popularisierens im üblen Sinne, sondern nur einer
anschaulichen und herzenswarmeu Art, um Interesse, Eifer und Verständnis auch
in schlichterer Menschen zu erwecken.
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