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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspicgel

Er hat sich dabei in eine radiale Feindschaft gegen die großen Städte und gegen
den Handel, gegen den modernen Verkehr und auch gegen die Industrie, die ihm
nach seiner Ansicht die Arbeiter wegnimmt und zur Rücksicht auf den Weltmarkt
und die internationalen Zusammenhänge zwingt, hineinverirrt. Aus dem ursprüng¬
lichen Wahrer und Verfechter der wirtschaftlichen Interessen der landwirtschaftlichen
Produktion ist er der Träger eines ganzen Politischen Systems und einer eigenen
agrarisch-tellurischen Weltanschauung und Kultur geworden. Von der unvermeid¬
lichen Weiterentwicklung der neuen Wirtschaftsformen fürchtet er die schwerste
Benachteiligung, ja den Untergang unseres Volkes und stemmt sich deshalb bewußt
und absichtlich gegen die moderne Entwicklung. Von den aus dem Boden der
gegenwärtigen Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung stehenden Schichten
unseres Volkes ist sonach der Bund der Landwirte mit seinen überzeugten Anhängern
der einzige grundsätzliche Gegner des modernen, auf Industrie, Handel und Verkehr
basierenden Wirtschaftssystems. Alle anderen bürgerlichen Parteien, soweit ihre
Anhänger eben nicht überzeugte Jünger des Bundes der Landwirte sind, bemühen
sich, den Ansprüchen des neuen Deutschlands gerecht zu werden, zwar auf ver¬
schiedenen Wegen, aber an dem ehrlichen Willen ist nicht zu zweifeln.

Dieses ist die augenblickliche Lage, mit der Industrie, Handel und Gewerbe
in Deutschland zu rechnen haben. Auf ihre Gestaltung haben sie daher so ein¬
zuwirken, daß einerseits die allgemeine Grundlage für ihr Gedeihen, d. h. die
notwendige freiheitliche Entwicklung ihnen gesichert, ferner ihnen derjenige Schutz
gewährt wird, den sie gegenüber einer unter besseren Bedingungen und unter
geringerer Belastung arbeitenden Auslandskonkurrenz nötig haben. Dabei ist zu
berücksichtigen, daß alle Zweige des deutschen Erwerbslebens, also sowohl die
Landwirtschaft wie das Gewerbe in engerem Sinne, wie die einzelnen Zweige
der Industrie auf das engste in ihrem Gedeihen miteinander verknüpft und auf¬
einander angewiesen sind, und daß natürlich das Gewerbe nicht in denselben
Fehler der Einseitigkeit verfallen darf, in den der Bund der Landwirte leider
verfallen ist.

Die Bestrebungen, eine solche maßvolle, alle Bedürfnisse gerecht abwägende
Wirtschaftspolitik zu führen, sind alt. Sie haben wiederholt zu Gründungen von
Schutzorganisationen geführt, aber niemals einen vollen Erfolg gehabt, weil einer¬
seits die Einsicht in die wirtschaftlichen Zusammenhänge noch nicht tief genug,
anderseits der wirtschaftliche Egoismus des einzelnen Erwerbszweiges zu mächtig
war, um dauernd in eine stoßkräftige Organisation eingeordnet werden zu können.
Das jüngste und bedeutendste Unternehmen auf dem Gebiete, eine Organisation
des aus das neue Deutschland angewiesenen gesamten Gewerbestandes zu schaffen,
ist der Hansabund. Ihm gelang es gleich in den ersten Monaten seines Be¬
stehens, eine starke, über das ganze Reich ausgedehnte, bis in die letzte Zweig¬
organisation mit eigenem Leben erfüllte Organisation zu schaffen und darin
die gesamte Industrie, den Groß- und Kleinhandel, die Verkehrsgewerbe und das
Handwerk zusammenzufassen.

Nach dem Vorhergesagten ist es ohne weiteres erklärlich, daß der Bund der
Landwirte mit seiner agrarisch-tellurischen Weltanschauung vom ersten Tage ab
ein heftiger und entschiedener Gegner des Hansabundes war und geblieben ist.
Denn gerade die agrarisch-tellurische Weltanschauung kann die Oberhand nicht


Grenzboten III 1911 ^
Reichsspicgel

Er hat sich dabei in eine radiale Feindschaft gegen die großen Städte und gegen
den Handel, gegen den modernen Verkehr und auch gegen die Industrie, die ihm
nach seiner Ansicht die Arbeiter wegnimmt und zur Rücksicht auf den Weltmarkt
und die internationalen Zusammenhänge zwingt, hineinverirrt. Aus dem ursprüng¬
lichen Wahrer und Verfechter der wirtschaftlichen Interessen der landwirtschaftlichen
Produktion ist er der Träger eines ganzen Politischen Systems und einer eigenen
agrarisch-tellurischen Weltanschauung und Kultur geworden. Von der unvermeid¬
lichen Weiterentwicklung der neuen Wirtschaftsformen fürchtet er die schwerste
Benachteiligung, ja den Untergang unseres Volkes und stemmt sich deshalb bewußt
und absichtlich gegen die moderne Entwicklung. Von den aus dem Boden der
gegenwärtigen Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung stehenden Schichten
unseres Volkes ist sonach der Bund der Landwirte mit seinen überzeugten Anhängern
der einzige grundsätzliche Gegner des modernen, auf Industrie, Handel und Verkehr
basierenden Wirtschaftssystems. Alle anderen bürgerlichen Parteien, soweit ihre
Anhänger eben nicht überzeugte Jünger des Bundes der Landwirte sind, bemühen
sich, den Ansprüchen des neuen Deutschlands gerecht zu werden, zwar auf ver¬
schiedenen Wegen, aber an dem ehrlichen Willen ist nicht zu zweifeln.

Dieses ist die augenblickliche Lage, mit der Industrie, Handel und Gewerbe
in Deutschland zu rechnen haben. Auf ihre Gestaltung haben sie daher so ein¬
zuwirken, daß einerseits die allgemeine Grundlage für ihr Gedeihen, d. h. die
notwendige freiheitliche Entwicklung ihnen gesichert, ferner ihnen derjenige Schutz
gewährt wird, den sie gegenüber einer unter besseren Bedingungen und unter
geringerer Belastung arbeitenden Auslandskonkurrenz nötig haben. Dabei ist zu
berücksichtigen, daß alle Zweige des deutschen Erwerbslebens, also sowohl die
Landwirtschaft wie das Gewerbe in engerem Sinne, wie die einzelnen Zweige
der Industrie auf das engste in ihrem Gedeihen miteinander verknüpft und auf¬
einander angewiesen sind, und daß natürlich das Gewerbe nicht in denselben
Fehler der Einseitigkeit verfallen darf, in den der Bund der Landwirte leider
verfallen ist.

Die Bestrebungen, eine solche maßvolle, alle Bedürfnisse gerecht abwägende
Wirtschaftspolitik zu führen, sind alt. Sie haben wiederholt zu Gründungen von
Schutzorganisationen geführt, aber niemals einen vollen Erfolg gehabt, weil einer¬
seits die Einsicht in die wirtschaftlichen Zusammenhänge noch nicht tief genug,
anderseits der wirtschaftliche Egoismus des einzelnen Erwerbszweiges zu mächtig
war, um dauernd in eine stoßkräftige Organisation eingeordnet werden zu können.
Das jüngste und bedeutendste Unternehmen auf dem Gebiete, eine Organisation
des aus das neue Deutschland angewiesenen gesamten Gewerbestandes zu schaffen,
ist der Hansabund. Ihm gelang es gleich in den ersten Monaten seines Be¬
stehens, eine starke, über das ganze Reich ausgedehnte, bis in die letzte Zweig¬
organisation mit eigenem Leben erfüllte Organisation zu schaffen und darin
die gesamte Industrie, den Groß- und Kleinhandel, die Verkehrsgewerbe und das
Handwerk zusammenzufassen.

Nach dem Vorhergesagten ist es ohne weiteres erklärlich, daß der Bund der
Landwirte mit seiner agrarisch-tellurischen Weltanschauung vom ersten Tage ab
ein heftiger und entschiedener Gegner des Hansabundes war und geblieben ist.
Denn gerade die agrarisch-tellurische Weltanschauung kann die Oberhand nicht


Grenzboten III 1911 ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/341>, abgerufen am 04.01.2025.