Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Reichsspiogel Mark und Knochen, ohne die Kraft und den Willen nationaler Ziele kann kein Wir ersehen aus der Geschichte der mittelalterlichen Kämpfe zwischen Kaiser¬ Wären die Katholikentage das, was sie scheinen wollen, Versammlungen der Reichsspiogel Mark und Knochen, ohne die Kraft und den Willen nationaler Ziele kann kein Wir ersehen aus der Geschichte der mittelalterlichen Kämpfe zwischen Kaiser¬ Wären die Katholikentage das, was sie scheinen wollen, Versammlungen der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319285"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiogel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1763" prev="#ID_1762"> Mark und Knochen, ohne die Kraft und den Willen nationaler Ziele kann kein<lb/> Staat der Welt einen über das Gebiet der sittlichen Volkserziehung hinaus¬<lb/> gehenden Einfluß gestatten, weil er sonst im eigenen Herzen eine zweite Staats¬<lb/> autorität für das landfremde Papsttum aufrichten würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1764"> Wir ersehen aus der Geschichte der mittelalterlichen Kämpfe zwischen Kaiser¬<lb/> macht und Papstherrschaft, wie die schwimmenden Rechtsbegriffe und die Ver¬<lb/> quickung kirchlicher Machtmittel mit weltlichen Zielen den Siegeszug der römischen<lb/> Cäsaren im Priestergewande kennzeichnen. Dieser Dualismus der Begriffe lebt<lb/> in den Katholikentagen fort. Sie erheben den Anspruch, als Versammlungen der<lb/> religiösen Gemeinschaft anerkannt zu werden. Aber wo ist die religiöse und<lb/> kirchliche Verwaltungsfrage, über die gesprochen wird oder auch nur gesprochen<lb/> werden dürfte. Nur staatliche und bürgerliche Interessen bilden den Inhalt der<lb/> Verhandlungen, bei denen alle Einrichtungen der Kirche vom Pontifikalamte bis<lb/> zum Rosenkranze zur Anwendung kommen und bei der in dem sinnverwirrenden<lb/> Weihrauchdampf der religiösen Formen die Macht der Kirche über den Staat immer<lb/> neu und immer kräftiger befestigt wird. Nur leise flackert da und dort das Ver¬<lb/> ständnis für die logische UnHaltbarkeit der ineinander geschobenen Interessen auf;<lb/> so in dem Widerspruch gegen die Resolution, daß „im Namen der Nächstenliebe"<lb/> die mittelständischen Erwerbszweige unterstützt werden sollen. Die praktische<lb/> Folge dieses Beschlusses müßte dazu führen, daß mit Weihwedel und Wasserkessel<lb/> der Eintritt zu den Warmhäusern verwehrt würde. Aber auf Kosten der inneren<lb/> Wahrheit und der Logik wurde diese Resolution doch angenommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1765"> Wären die Katholikentage das, was sie scheinen wollen, Versammlungen der<lb/> religiösen Gemeinschaft, so würden selbst die Andersgläubigen ihnen mit der<lb/> Achtung begegnen, die eine Einzelpersönlichkeit und auch eine Gesamtpersönlichkeit<lb/> beanspruchen können. Aber weil sie es nicht sind, sondern Römerzuge gegen den<lb/> Staat und sein Recht, so erheben den lautesten Widerspruch gegen diese sinn¬<lb/> verwirrende und unwahrhaftige Verklitterung der Begriffe gerade diejenigen<lb/> Katholiken, die in der Kirche die Pflanz- und Pflegestätte sittlicher Anschauungen<lb/> und eines geläuterten Lebens erblicken, wie jene Bischöfe des Mittelalters, die<lb/> treuesten Stützen des erlöschenden fränkischen Kaiserhauses. Der Weg zur Macht des<lb/> Papsttums ist gekennzeichnet durch die Verachtung sittlicher Werte wie der Männer¬<lb/> treue und selbst der kindlichen Liebe in Heinrich dem Fünften, der zu seines Vaters<lb/> Lebzeiten auf päpstliches Gebot gegen ihn kämpfte und ihn nach seinem Tode noch<lb/> neun Jahre in Speier über der Erde verwesen ließ, bis der Papst den Bann von<lb/> ihm löste und seinem Gebein endlich die wohltätige Ruhe des Grabes zuteil<lb/> wurde. Ein unheiliger Geist hielt seinen Einzug in die Kirche und sein Sieges¬<lb/> lauf ist gekennzeichnet durch die Unterwerfung der Staaten und die völlige Willens-<lb/> lofigkeit der Massen einschließlich aller Grade der kirchlichen Würdenträger. Die<lb/> Fähigkeit, aus dieser Fessel anders als durch Katastrophen frei zu werden, ist<lb/> erloschen, weil das Prinzip der Entwicklung durch die Diktatur des Papstes als<lb/> oberster Herr und als höchster Lehrer der Kirche völlig beseitigt ist. Nur auf<lb/> politischem Gebiete haben diese zusammengepreßten Massen das Recht der<lb/> Bewegungsfreiheit und nur auf diesem Gebiete verlangen auch die Schatten¬<lb/> bischöfe der Gegenwart ein Bestimmungsrecht über ihre Herde, das ihnen die<lb/> Verwaltung der eigenen Kirche versagt.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0338]
Reichsspiogel
Mark und Knochen, ohne die Kraft und den Willen nationaler Ziele kann kein
Staat der Welt einen über das Gebiet der sittlichen Volkserziehung hinaus¬
gehenden Einfluß gestatten, weil er sonst im eigenen Herzen eine zweite Staats¬
autorität für das landfremde Papsttum aufrichten würde.
Wir ersehen aus der Geschichte der mittelalterlichen Kämpfe zwischen Kaiser¬
macht und Papstherrschaft, wie die schwimmenden Rechtsbegriffe und die Ver¬
quickung kirchlicher Machtmittel mit weltlichen Zielen den Siegeszug der römischen
Cäsaren im Priestergewande kennzeichnen. Dieser Dualismus der Begriffe lebt
in den Katholikentagen fort. Sie erheben den Anspruch, als Versammlungen der
religiösen Gemeinschaft anerkannt zu werden. Aber wo ist die religiöse und
kirchliche Verwaltungsfrage, über die gesprochen wird oder auch nur gesprochen
werden dürfte. Nur staatliche und bürgerliche Interessen bilden den Inhalt der
Verhandlungen, bei denen alle Einrichtungen der Kirche vom Pontifikalamte bis
zum Rosenkranze zur Anwendung kommen und bei der in dem sinnverwirrenden
Weihrauchdampf der religiösen Formen die Macht der Kirche über den Staat immer
neu und immer kräftiger befestigt wird. Nur leise flackert da und dort das Ver¬
ständnis für die logische UnHaltbarkeit der ineinander geschobenen Interessen auf;
so in dem Widerspruch gegen die Resolution, daß „im Namen der Nächstenliebe"
die mittelständischen Erwerbszweige unterstützt werden sollen. Die praktische
Folge dieses Beschlusses müßte dazu führen, daß mit Weihwedel und Wasserkessel
der Eintritt zu den Warmhäusern verwehrt würde. Aber auf Kosten der inneren
Wahrheit und der Logik wurde diese Resolution doch angenommen.
Wären die Katholikentage das, was sie scheinen wollen, Versammlungen der
religiösen Gemeinschaft, so würden selbst die Andersgläubigen ihnen mit der
Achtung begegnen, die eine Einzelpersönlichkeit und auch eine Gesamtpersönlichkeit
beanspruchen können. Aber weil sie es nicht sind, sondern Römerzuge gegen den
Staat und sein Recht, so erheben den lautesten Widerspruch gegen diese sinn¬
verwirrende und unwahrhaftige Verklitterung der Begriffe gerade diejenigen
Katholiken, die in der Kirche die Pflanz- und Pflegestätte sittlicher Anschauungen
und eines geläuterten Lebens erblicken, wie jene Bischöfe des Mittelalters, die
treuesten Stützen des erlöschenden fränkischen Kaiserhauses. Der Weg zur Macht des
Papsttums ist gekennzeichnet durch die Verachtung sittlicher Werte wie der Männer¬
treue und selbst der kindlichen Liebe in Heinrich dem Fünften, der zu seines Vaters
Lebzeiten auf päpstliches Gebot gegen ihn kämpfte und ihn nach seinem Tode noch
neun Jahre in Speier über der Erde verwesen ließ, bis der Papst den Bann von
ihm löste und seinem Gebein endlich die wohltätige Ruhe des Grabes zuteil
wurde. Ein unheiliger Geist hielt seinen Einzug in die Kirche und sein Sieges¬
lauf ist gekennzeichnet durch die Unterwerfung der Staaten und die völlige Willens-
lofigkeit der Massen einschließlich aller Grade der kirchlichen Würdenträger. Die
Fähigkeit, aus dieser Fessel anders als durch Katastrophen frei zu werden, ist
erloschen, weil das Prinzip der Entwicklung durch die Diktatur des Papstes als
oberster Herr und als höchster Lehrer der Kirche völlig beseitigt ist. Nur auf
politischem Gebiete haben diese zusammengepreßten Massen das Recht der
Bewegungsfreiheit und nur auf diesem Gebiete verlangen auch die Schatten¬
bischöfe der Gegenwart ein Bestimmungsrecht über ihre Herde, das ihnen die
Verwaltung der eigenen Kirche versagt.
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