Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lnglcm!?

Nachdem endlich Japan, auch im Interesse Englands, die russischen Heere
siegreich bis hinter Mukden zurückgedrängt und die russische Flotte bei Tsuschima
versenkt oder genommen hatte, schloß England ein engeres Bündnis mit ihm,
das den Besitz von Indien verbürgen sollte. In weiterer Folge dieses
Bündnisses räumte England die nördliche Hälfte des Stillen Ozeans und gab
Weihaiwei an China zurück, um einstweilen es Japan und der Union zu über¬
lassen, in diesen Gewässern um die Vorherrschaft zu streiten. Singapore bildet
jetzt Englands vorgeschobenstes maritimes Bollwerk gegen die Nordhälfte des
Stillen Weltmeeres. Gleichzeitig wurde die Verteidigung der indischen Nord¬
westgrenze neu organisiert. Der Abschluß des englisch-japanischen Bündnisses
muß als ein in seinen Folgen sehr zweischneidiges Mittel englischer Politik
angesehen werden, da durch ihn das Prestige Japans in ganz Asien und darüber
hinaus als erstes Volk, das ununterbrochen siegreich gegen die sonst überall
überlegene weiße Rasse gefochten hatte, mehr als nötig gehoben wurde. Der
Nimbus der weißen Rasse hat durch die Siege Japans und das erwähnte
Bündnis fraglos einen Stoß erlitten, sowohl in Asien, als auch in Afrika, und
die Folgen könnten in erster Linie England in Indien und in Ägypten, woselbst
nationale, der englischen Herrschaft feindliche Strömungen neuerdings bedenklich
auftreten, im Falle seines möglichen Engagements an europäischen Verwicklungen
treffen. Ob Japan nach der bereits erwähnten Modifizierung des Bündnisses
mit England noch fernerhin als eine zuverlässige Stütze einer Verteidigung
Indiens angesehen werden kann, ist einigermaßen zweifelhaft, wenn auch die
japanischen Diplomaten solchen Anschein erwecken.

Die indische Nordwestgrenze, vom Pamir bis Persien reichend, weist eine
Zone wildzerklüfteter Gebirgsstöcke und tief eingeschnittener Flußtäler auf. Wo
ein Zugang zur Jndusebene führt, sind die Püffe in englischem Besitz und
befestigt und zwei Drittel der anglo-indischen Armee, durch Lord Kitchener neu
organisiert, an dieser Front aufgestellt. Die zeitweise in Indien stehenden eng¬
lischen Truppenteile haben sich dort bislang im Felde gut bewährt und die
Eingeborenen-Regimenter sind bei ihrer geschickten Zusammensetzung aus den
tüchtigsten und miteinander rivalisierenden Stämmen unter der Führung eng¬
lischer Offiziere in Asien ein sehr brauchbares Soldatenmaterial, wenngleich
nach früheren Vorgängen ihre unbedingte Zuverlässigkeit nicht über jeden Zweifel
erhaben und auf religiöse Sitten und Gebräuche jedenfalls peinlichste Rücksicht
genommen werden muß. Was den eventuellen Angreifer betrifft, fo ist Rußlands
Offensivkraft in Zentralasien durch den japanischen Krieg nicht sonderlich geschwächt
worden, wenngleich nicht zu verkennen ist, daß es gegenwärtig finanziell noch stark
unter den Nachwehen des Mandschureifeldzuges und unter den Folgen der Revolution
von 1905 leidet. Ein Angriff Rußlands auf Indien ist daher zurzeit nicht sehr wahr¬
scheinlich und wäre für einen langen Zeitraum ausgeschlossen, wenn es britischer
Politik gelänge, Rußland an einem curopäischenKriege zu beteiligen. Rußlandwürde
hierdurch sürlange Zeit, freilich nicht für immer in seiner asiatischen Politik lahmgelegt.


Lnglcm!?

Nachdem endlich Japan, auch im Interesse Englands, die russischen Heere
siegreich bis hinter Mukden zurückgedrängt und die russische Flotte bei Tsuschima
versenkt oder genommen hatte, schloß England ein engeres Bündnis mit ihm,
das den Besitz von Indien verbürgen sollte. In weiterer Folge dieses
Bündnisses räumte England die nördliche Hälfte des Stillen Ozeans und gab
Weihaiwei an China zurück, um einstweilen es Japan und der Union zu über¬
lassen, in diesen Gewässern um die Vorherrschaft zu streiten. Singapore bildet
jetzt Englands vorgeschobenstes maritimes Bollwerk gegen die Nordhälfte des
Stillen Weltmeeres. Gleichzeitig wurde die Verteidigung der indischen Nord¬
westgrenze neu organisiert. Der Abschluß des englisch-japanischen Bündnisses
muß als ein in seinen Folgen sehr zweischneidiges Mittel englischer Politik
angesehen werden, da durch ihn das Prestige Japans in ganz Asien und darüber
hinaus als erstes Volk, das ununterbrochen siegreich gegen die sonst überall
überlegene weiße Rasse gefochten hatte, mehr als nötig gehoben wurde. Der
Nimbus der weißen Rasse hat durch die Siege Japans und das erwähnte
Bündnis fraglos einen Stoß erlitten, sowohl in Asien, als auch in Afrika, und
die Folgen könnten in erster Linie England in Indien und in Ägypten, woselbst
nationale, der englischen Herrschaft feindliche Strömungen neuerdings bedenklich
auftreten, im Falle seines möglichen Engagements an europäischen Verwicklungen
treffen. Ob Japan nach der bereits erwähnten Modifizierung des Bündnisses
mit England noch fernerhin als eine zuverlässige Stütze einer Verteidigung
Indiens angesehen werden kann, ist einigermaßen zweifelhaft, wenn auch die
japanischen Diplomaten solchen Anschein erwecken.

Die indische Nordwestgrenze, vom Pamir bis Persien reichend, weist eine
Zone wildzerklüfteter Gebirgsstöcke und tief eingeschnittener Flußtäler auf. Wo
ein Zugang zur Jndusebene führt, sind die Püffe in englischem Besitz und
befestigt und zwei Drittel der anglo-indischen Armee, durch Lord Kitchener neu
organisiert, an dieser Front aufgestellt. Die zeitweise in Indien stehenden eng¬
lischen Truppenteile haben sich dort bislang im Felde gut bewährt und die
Eingeborenen-Regimenter sind bei ihrer geschickten Zusammensetzung aus den
tüchtigsten und miteinander rivalisierenden Stämmen unter der Führung eng¬
lischer Offiziere in Asien ein sehr brauchbares Soldatenmaterial, wenngleich
nach früheren Vorgängen ihre unbedingte Zuverlässigkeit nicht über jeden Zweifel
erhaben und auf religiöse Sitten und Gebräuche jedenfalls peinlichste Rücksicht
genommen werden muß. Was den eventuellen Angreifer betrifft, fo ist Rußlands
Offensivkraft in Zentralasien durch den japanischen Krieg nicht sonderlich geschwächt
worden, wenngleich nicht zu verkennen ist, daß es gegenwärtig finanziell noch stark
unter den Nachwehen des Mandschureifeldzuges und unter den Folgen der Revolution
von 1905 leidet. Ein Angriff Rußlands auf Indien ist daher zurzeit nicht sehr wahr¬
scheinlich und wäre für einen langen Zeitraum ausgeschlossen, wenn es britischer
Politik gelänge, Rußland an einem curopäischenKriege zu beteiligen. Rußlandwürde
hierdurch sürlange Zeit, freilich nicht für immer in seiner asiatischen Politik lahmgelegt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319254"/>
          <fw type="header" place="top"> Lnglcm!?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1686"> Nachdem endlich Japan, auch im Interesse Englands, die russischen Heere<lb/>
siegreich bis hinter Mukden zurückgedrängt und die russische Flotte bei Tsuschima<lb/>
versenkt oder genommen hatte, schloß England ein engeres Bündnis mit ihm,<lb/>
das den Besitz von Indien verbürgen sollte. In weiterer Folge dieses<lb/>
Bündnisses räumte England die nördliche Hälfte des Stillen Ozeans und gab<lb/>
Weihaiwei an China zurück, um einstweilen es Japan und der Union zu über¬<lb/>
lassen, in diesen Gewässern um die Vorherrschaft zu streiten. Singapore bildet<lb/>
jetzt Englands vorgeschobenstes maritimes Bollwerk gegen die Nordhälfte des<lb/>
Stillen Weltmeeres. Gleichzeitig wurde die Verteidigung der indischen Nord¬<lb/>
westgrenze neu organisiert. Der Abschluß des englisch-japanischen Bündnisses<lb/>
muß als ein in seinen Folgen sehr zweischneidiges Mittel englischer Politik<lb/>
angesehen werden, da durch ihn das Prestige Japans in ganz Asien und darüber<lb/>
hinaus als erstes Volk, das ununterbrochen siegreich gegen die sonst überall<lb/>
überlegene weiße Rasse gefochten hatte, mehr als nötig gehoben wurde. Der<lb/>
Nimbus der weißen Rasse hat durch die Siege Japans und das erwähnte<lb/>
Bündnis fraglos einen Stoß erlitten, sowohl in Asien, als auch in Afrika, und<lb/>
die Folgen könnten in erster Linie England in Indien und in Ägypten, woselbst<lb/>
nationale, der englischen Herrschaft feindliche Strömungen neuerdings bedenklich<lb/>
auftreten, im Falle seines möglichen Engagements an europäischen Verwicklungen<lb/>
treffen. Ob Japan nach der bereits erwähnten Modifizierung des Bündnisses<lb/>
mit England noch fernerhin als eine zuverlässige Stütze einer Verteidigung<lb/>
Indiens angesehen werden kann, ist einigermaßen zweifelhaft, wenn auch die<lb/>
japanischen Diplomaten solchen Anschein erwecken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1687"> Die indische Nordwestgrenze, vom Pamir bis Persien reichend, weist eine<lb/>
Zone wildzerklüfteter Gebirgsstöcke und tief eingeschnittener Flußtäler auf. Wo<lb/>
ein Zugang zur Jndusebene führt, sind die Püffe in englischem Besitz und<lb/>
befestigt und zwei Drittel der anglo-indischen Armee, durch Lord Kitchener neu<lb/>
organisiert, an dieser Front aufgestellt. Die zeitweise in Indien stehenden eng¬<lb/>
lischen Truppenteile haben sich dort bislang im Felde gut bewährt und die<lb/>
Eingeborenen-Regimenter sind bei ihrer geschickten Zusammensetzung aus den<lb/>
tüchtigsten und miteinander rivalisierenden Stämmen unter der Führung eng¬<lb/>
lischer Offiziere in Asien ein sehr brauchbares Soldatenmaterial, wenngleich<lb/>
nach früheren Vorgängen ihre unbedingte Zuverlässigkeit nicht über jeden Zweifel<lb/>
erhaben und auf religiöse Sitten und Gebräuche jedenfalls peinlichste Rücksicht<lb/>
genommen werden muß. Was den eventuellen Angreifer betrifft, fo ist Rußlands<lb/>
Offensivkraft in Zentralasien durch den japanischen Krieg nicht sonderlich geschwächt<lb/>
worden, wenngleich nicht zu verkennen ist, daß es gegenwärtig finanziell noch stark<lb/>
unter den Nachwehen des Mandschureifeldzuges und unter den Folgen der Revolution<lb/>
von 1905 leidet. Ein Angriff Rußlands auf Indien ist daher zurzeit nicht sehr wahr¬<lb/>
scheinlich und wäre für einen langen Zeitraum ausgeschlossen, wenn es britischer<lb/>
Politik gelänge, Rußland an einem curopäischenKriege zu beteiligen. Rußlandwürde<lb/>
hierdurch sürlange Zeit, freilich nicht für immer in seiner asiatischen Politik lahmgelegt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0307] Lnglcm!? Nachdem endlich Japan, auch im Interesse Englands, die russischen Heere siegreich bis hinter Mukden zurückgedrängt und die russische Flotte bei Tsuschima versenkt oder genommen hatte, schloß England ein engeres Bündnis mit ihm, das den Besitz von Indien verbürgen sollte. In weiterer Folge dieses Bündnisses räumte England die nördliche Hälfte des Stillen Ozeans und gab Weihaiwei an China zurück, um einstweilen es Japan und der Union zu über¬ lassen, in diesen Gewässern um die Vorherrschaft zu streiten. Singapore bildet jetzt Englands vorgeschobenstes maritimes Bollwerk gegen die Nordhälfte des Stillen Weltmeeres. Gleichzeitig wurde die Verteidigung der indischen Nord¬ westgrenze neu organisiert. Der Abschluß des englisch-japanischen Bündnisses muß als ein in seinen Folgen sehr zweischneidiges Mittel englischer Politik angesehen werden, da durch ihn das Prestige Japans in ganz Asien und darüber hinaus als erstes Volk, das ununterbrochen siegreich gegen die sonst überall überlegene weiße Rasse gefochten hatte, mehr als nötig gehoben wurde. Der Nimbus der weißen Rasse hat durch die Siege Japans und das erwähnte Bündnis fraglos einen Stoß erlitten, sowohl in Asien, als auch in Afrika, und die Folgen könnten in erster Linie England in Indien und in Ägypten, woselbst nationale, der englischen Herrschaft feindliche Strömungen neuerdings bedenklich auftreten, im Falle seines möglichen Engagements an europäischen Verwicklungen treffen. Ob Japan nach der bereits erwähnten Modifizierung des Bündnisses mit England noch fernerhin als eine zuverlässige Stütze einer Verteidigung Indiens angesehen werden kann, ist einigermaßen zweifelhaft, wenn auch die japanischen Diplomaten solchen Anschein erwecken. Die indische Nordwestgrenze, vom Pamir bis Persien reichend, weist eine Zone wildzerklüfteter Gebirgsstöcke und tief eingeschnittener Flußtäler auf. Wo ein Zugang zur Jndusebene führt, sind die Püffe in englischem Besitz und befestigt und zwei Drittel der anglo-indischen Armee, durch Lord Kitchener neu organisiert, an dieser Front aufgestellt. Die zeitweise in Indien stehenden eng¬ lischen Truppenteile haben sich dort bislang im Felde gut bewährt und die Eingeborenen-Regimenter sind bei ihrer geschickten Zusammensetzung aus den tüchtigsten und miteinander rivalisierenden Stämmen unter der Führung eng¬ lischer Offiziere in Asien ein sehr brauchbares Soldatenmaterial, wenngleich nach früheren Vorgängen ihre unbedingte Zuverlässigkeit nicht über jeden Zweifel erhaben und auf religiöse Sitten und Gebräuche jedenfalls peinlichste Rücksicht genommen werden muß. Was den eventuellen Angreifer betrifft, fo ist Rußlands Offensivkraft in Zentralasien durch den japanischen Krieg nicht sonderlich geschwächt worden, wenngleich nicht zu verkennen ist, daß es gegenwärtig finanziell noch stark unter den Nachwehen des Mandschureifeldzuges und unter den Folgen der Revolution von 1905 leidet. Ein Angriff Rußlands auf Indien ist daher zurzeit nicht sehr wahr¬ scheinlich und wäre für einen langen Zeitraum ausgeschlossen, wenn es britischer Politik gelänge, Rußland an einem curopäischenKriege zu beteiligen. Rußlandwürde hierdurch sürlange Zeit, freilich nicht für immer in seiner asiatischen Politik lahmgelegt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/307
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/307>, abgerufen am 04.01.2025.