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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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England

Eröffnung des Panamakanals, welcher nicht, wie seinerzeit der Suezkanal, in
englischen Besitz oder unter seinen Einfluß zu bringen ist, haben wird, ist bei
der vom amerikanischen Standpunkt aus selbstverständlichen Auslegung und
Weiterentwicklung der Monroedoktrin nicht zweifelhaft. Es wäre für die Union
politisch und militärisch ein Unding, wenn sie nicht bei passender Gelegenheit
die Forderung erheben würde, daß die europäischen Staaten, welche noch
Besitzungen am Rande oder in unmittelbarer Nähe des Golfs von Mexiko und
des Karibenmeeres haben, dort ihre Flaggen rieberholen möchten. Kanada bleibt
gleichfalls eine offene Reibungsfläche zwischen der Union und England, wenngleich
letzteres alles tut, um irgend mögliche Konflikte an dieser Stelle zu vermeiden.

Die nächste große Sorge Englands gilt der Erhaltung des dauernden
Besitzes Indiens, das noch immer sein wertvollstes Absatzgebiet darstellt, wenn¬
gleich nicht zu verkennen ist, daß es sich als solches in letzter Zeit erheblich
geschmälert hat, einmal durch langsame Bildung einheimischer Manufakturen,
dann aber auch durch den Boykott englischer Waren in Eingeborenenkreisen.
Als möglicher Angreifer Indiens von außen her kommt auch für die Zukunft
in erster Linie Rußland in Frage. Der Gedanke, Indien durch einen
russischen Angriff zu verlieren, ist England stets deshalb so gefährlich erschienen,
weil es sich hierbei um eine nur auf demi Lande, in Asien selbst, zu erkämpfende
Entscheidung handelt. Die englischen Streitkräfte in Indien sind, wie nicht
anders möglich, an Zahl erheblich geringer, als die des Angreifers, und müssen
sich daher lediglich auf die Defensive beschränken. Eine Einwirkung der Flotte,
etwa ein Vorgehen in der Ostsee, selbst wenn es durch nichts behindert würde,
kann Rußland keinen ernsthaften Schaden zufügen und etwa hierdurch eine Ent¬
scheidung in Indien beeinflussen. Nur des besseren Schutzes Indiens wegen
war deshalb England im vergangenen Jahrhundert bestrebt gewesen, den bis
vor kurzem anscheinend nahe bevorstehenden Zerfall der Türkei aufzuhalten.
Das russische Kreuz auf der Haga Sophia und die Andreasflagge in Kleinasien
und Syrien wären in Verbindung mit dem ja in der Tat erfolgten Vormarsch
der russischen Heere durch die turanischen Khanate eine zu gefährliche Bedrohung
Indiens gewesen. Nach Eröffnung des Suezkanals setzte sich England zunächst
auf Cypern fest und nahm, wenn auch unter scheinbarer Wahrung der Suze-
ränitätsrechte des Sultans, Ägypten in tatsächlichen Besitz, um den näheren
Seeweg nach Indien militärisch zu sichern. Im weiteren Verlauf seiner indisch¬
ägyptischen Politik besetzte es als englisch - ägyptisches Kondominium den
östlichen Sudan, baute die Bahn südwärts über Khartum hinaus und verband
sie mit der Mombassabahn in Ostafrika, um für alle Fälle auch einen gesicherten
Landweg für Truppentransporte an das Gestade des Indischen Ozeans zur
Verfügung zu haben. Die Besetzung Afghanistans erwies sich als zu schwierig
und es wurde daher versucht, den Emir dieses Landes als Puffer gegen Rußland
zu verwenden. Daß der Afghanensürst gleichzeitig von Nußland umworben
wird, ist selbstverständlich.


England

Eröffnung des Panamakanals, welcher nicht, wie seinerzeit der Suezkanal, in
englischen Besitz oder unter seinen Einfluß zu bringen ist, haben wird, ist bei
der vom amerikanischen Standpunkt aus selbstverständlichen Auslegung und
Weiterentwicklung der Monroedoktrin nicht zweifelhaft. Es wäre für die Union
politisch und militärisch ein Unding, wenn sie nicht bei passender Gelegenheit
die Forderung erheben würde, daß die europäischen Staaten, welche noch
Besitzungen am Rande oder in unmittelbarer Nähe des Golfs von Mexiko und
des Karibenmeeres haben, dort ihre Flaggen rieberholen möchten. Kanada bleibt
gleichfalls eine offene Reibungsfläche zwischen der Union und England, wenngleich
letzteres alles tut, um irgend mögliche Konflikte an dieser Stelle zu vermeiden.

Die nächste große Sorge Englands gilt der Erhaltung des dauernden
Besitzes Indiens, das noch immer sein wertvollstes Absatzgebiet darstellt, wenn¬
gleich nicht zu verkennen ist, daß es sich als solches in letzter Zeit erheblich
geschmälert hat, einmal durch langsame Bildung einheimischer Manufakturen,
dann aber auch durch den Boykott englischer Waren in Eingeborenenkreisen.
Als möglicher Angreifer Indiens von außen her kommt auch für die Zukunft
in erster Linie Rußland in Frage. Der Gedanke, Indien durch einen
russischen Angriff zu verlieren, ist England stets deshalb so gefährlich erschienen,
weil es sich hierbei um eine nur auf demi Lande, in Asien selbst, zu erkämpfende
Entscheidung handelt. Die englischen Streitkräfte in Indien sind, wie nicht
anders möglich, an Zahl erheblich geringer, als die des Angreifers, und müssen
sich daher lediglich auf die Defensive beschränken. Eine Einwirkung der Flotte,
etwa ein Vorgehen in der Ostsee, selbst wenn es durch nichts behindert würde,
kann Rußland keinen ernsthaften Schaden zufügen und etwa hierdurch eine Ent¬
scheidung in Indien beeinflussen. Nur des besseren Schutzes Indiens wegen
war deshalb England im vergangenen Jahrhundert bestrebt gewesen, den bis
vor kurzem anscheinend nahe bevorstehenden Zerfall der Türkei aufzuhalten.
Das russische Kreuz auf der Haga Sophia und die Andreasflagge in Kleinasien
und Syrien wären in Verbindung mit dem ja in der Tat erfolgten Vormarsch
der russischen Heere durch die turanischen Khanate eine zu gefährliche Bedrohung
Indiens gewesen. Nach Eröffnung des Suezkanals setzte sich England zunächst
auf Cypern fest und nahm, wenn auch unter scheinbarer Wahrung der Suze-
ränitätsrechte des Sultans, Ägypten in tatsächlichen Besitz, um den näheren
Seeweg nach Indien militärisch zu sichern. Im weiteren Verlauf seiner indisch¬
ägyptischen Politik besetzte es als englisch - ägyptisches Kondominium den
östlichen Sudan, baute die Bahn südwärts über Khartum hinaus und verband
sie mit der Mombassabahn in Ostafrika, um für alle Fälle auch einen gesicherten
Landweg für Truppentransporte an das Gestade des Indischen Ozeans zur
Verfügung zu haben. Die Besetzung Afghanistans erwies sich als zu schwierig
und es wurde daher versucht, den Emir dieses Landes als Puffer gegen Rußland
zu verwenden. Daß der Afghanensürst gleichzeitig von Nußland umworben
wird, ist selbstverständlich.


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[0306] England Eröffnung des Panamakanals, welcher nicht, wie seinerzeit der Suezkanal, in englischen Besitz oder unter seinen Einfluß zu bringen ist, haben wird, ist bei der vom amerikanischen Standpunkt aus selbstverständlichen Auslegung und Weiterentwicklung der Monroedoktrin nicht zweifelhaft. Es wäre für die Union politisch und militärisch ein Unding, wenn sie nicht bei passender Gelegenheit die Forderung erheben würde, daß die europäischen Staaten, welche noch Besitzungen am Rande oder in unmittelbarer Nähe des Golfs von Mexiko und des Karibenmeeres haben, dort ihre Flaggen rieberholen möchten. Kanada bleibt gleichfalls eine offene Reibungsfläche zwischen der Union und England, wenngleich letzteres alles tut, um irgend mögliche Konflikte an dieser Stelle zu vermeiden. Die nächste große Sorge Englands gilt der Erhaltung des dauernden Besitzes Indiens, das noch immer sein wertvollstes Absatzgebiet darstellt, wenn¬ gleich nicht zu verkennen ist, daß es sich als solches in letzter Zeit erheblich geschmälert hat, einmal durch langsame Bildung einheimischer Manufakturen, dann aber auch durch den Boykott englischer Waren in Eingeborenenkreisen. Als möglicher Angreifer Indiens von außen her kommt auch für die Zukunft in erster Linie Rußland in Frage. Der Gedanke, Indien durch einen russischen Angriff zu verlieren, ist England stets deshalb so gefährlich erschienen, weil es sich hierbei um eine nur auf demi Lande, in Asien selbst, zu erkämpfende Entscheidung handelt. Die englischen Streitkräfte in Indien sind, wie nicht anders möglich, an Zahl erheblich geringer, als die des Angreifers, und müssen sich daher lediglich auf die Defensive beschränken. Eine Einwirkung der Flotte, etwa ein Vorgehen in der Ostsee, selbst wenn es durch nichts behindert würde, kann Rußland keinen ernsthaften Schaden zufügen und etwa hierdurch eine Ent¬ scheidung in Indien beeinflussen. Nur des besseren Schutzes Indiens wegen war deshalb England im vergangenen Jahrhundert bestrebt gewesen, den bis vor kurzem anscheinend nahe bevorstehenden Zerfall der Türkei aufzuhalten. Das russische Kreuz auf der Haga Sophia und die Andreasflagge in Kleinasien und Syrien wären in Verbindung mit dem ja in der Tat erfolgten Vormarsch der russischen Heere durch die turanischen Khanate eine zu gefährliche Bedrohung Indiens gewesen. Nach Eröffnung des Suezkanals setzte sich England zunächst auf Cypern fest und nahm, wenn auch unter scheinbarer Wahrung der Suze- ränitätsrechte des Sultans, Ägypten in tatsächlichen Besitz, um den näheren Seeweg nach Indien militärisch zu sichern. Im weiteren Verlauf seiner indisch¬ ägyptischen Politik besetzte es als englisch - ägyptisches Kondominium den östlichen Sudan, baute die Bahn südwärts über Khartum hinaus und verband sie mit der Mombassabahn in Ostafrika, um für alle Fälle auch einen gesicherten Landweg für Truppentransporte an das Gestade des Indischen Ozeans zur Verfügung zu haben. Die Besetzung Afghanistans erwies sich als zu schwierig und es wurde daher versucht, den Emir dieses Landes als Puffer gegen Rußland zu verwenden. Daß der Afghanensürst gleichzeitig von Nußland umworben wird, ist selbstverständlich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/306>, abgerufen am 04.01.2025.