Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.England Staat geworden, bringt England auf seinen Inseln so gut wie nichts zur Ernährung Um allen sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten zum Trotz dennoch Betrachtet man die englische Politik nach Beendigung des Burenkrieges, Die Ausnutzung des deutsch-französischen Gegensatzes fällt noch mehr in England Staat geworden, bringt England auf seinen Inseln so gut wie nichts zur Ernährung Um allen sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten zum Trotz dennoch Betrachtet man die englische Politik nach Beendigung des Burenkrieges, Die Ausnutzung des deutsch-französischen Gegensatzes fällt noch mehr in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0304" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319251"/> <fw type="header" place="top"> England</fw><lb/> <p xml:id="ID_1679" prev="#ID_1678"> Staat geworden, bringt England auf seinen Inseln so gut wie nichts zur Ernährung<lb/> seiner Bevölkerung hervor und ist derart auf die ungehinderte Zufuhr von allen<lb/> Lebensmitteln angewiesen, daß eine Unterbindung der Zufuhren es innerhalb<lb/> von vier Wochen auf die Knie zwingen würde. Heute sichert die englische<lb/> Flotte wohl die ungestörte Ernährung der Inseln, aber auf wie lange noch?<lb/> Inzwischen erklingt, von England ausgeheUd, der Sirenensang, die maritimen<lb/> Rüstungen allseitig einzuschränken. Abgesehen davon, daß hieraus lediglich<lb/> England Nutzen ziehen würde, ist jeder Versuch hierzu aussichtslos, denn zwei<lb/> Seemächte können hierauf nicht eingehen und werden es auch nicht tun: die<lb/> Union und Japan; beide rüsten, um die Vorherrschaft im Stillen Ozean zu<lb/> erringen. Da diese beiden Mächte sich von allen solchen Plänen ausschließen,<lb/> kann auch England, trotz seines Schiedsoertrags mit den Vereinigten Staaten<lb/> und trotz seines überdies schon bedenklich durchlöcherten Bündnisses mit Japan,<lb/> in seinen Rüstungen gleichfalls nicht innehalten und damit fällt der gesamte<lb/> Plan. Nicht unerwähnt mag bleiben, daß die von England befolgte Politik<lb/> des Baues von Dreadnoughts anscheinend ihm nicht den erhofften, nicht mehr<lb/> einzuholenden Vorsprung vor den übrigen Nationen verschafft, sondern im<lb/> Gegenteil einen stetig zunehmenden Ausgleich zwischen den Flottenstärken der<lb/> Seenationen herbeiführt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1680"> Um allen sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten zum Trotz dennoch<lb/> das angestrebte Ziel zu erreichen, verstärkt England nach Möglichkeit die in der<lb/> Hauptsache in den heimischen Gewässern konzentrierte Schlachtflotte und benutzt,<lb/> wenigstens in Europa, die zwischen einzelnen Mächten vorhandenen Reibungs¬<lb/> flächen, um tunlichst die eine Macht durch die andere in Schach zu halten,<lb/> unter Umständen zur See zu schwächen oder zu vernichten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1681"> Betrachtet man die englische Politik nach Beendigung des Burenkrieges,<lb/> so läßt sich dieser Gedanke in seiner europäischen Politik als leitendes Motiv<lb/> überall verfolgen. 1905 erhofften die Engländer nicht die gänzliche Vernichtung<lb/> des baltischen Geschwaders, sondern lediglich ausreichende Schwächung beider Parteien<lb/> zur See. In ihrem Eifer für Japan und vielleicht in Überschätzung der russischen<lb/> Flotte gingen sie zu weit, als sie so lange diplomatisch auf Frankreich drückten,<lb/> bis dieses den Schiffen der verbündeten Nation nicht genügend Zeit zur Re°<lb/> tablierung nach langem Reisemarsch an Altars Küsten gewährte. Sie förderten<lb/> hierdurch ungemein den völligen Untergang der russischen Flotte. Das End¬<lb/> resultat war in diesem Falle für England nicht sehr günstig; die Andreasflagge<lb/> schwand zwar für einen längeren Zeitraum aus den nordeuropäischen Gewässern,<lb/> aber hierdurch wuchs ein neuer Konkurrent in Ostasien heran.</p><lb/> <p xml:id="ID_1682" next="#ID_1683"> Die Ausnutzung des deutsch-französischen Gegensatzes fällt noch mehr in<lb/> die Augen. Im Jahre 1905 bot König Eduard Delcassö englische Unterstützung<lb/> zu Lande und zu Wasser im Kriegsfalle gegen das Deutsche Reich an, und viel<lb/> fehlte damals nicht am Ausbruch eines Krieges, der vom englischen Stand¬<lb/> punkt aus in erster Linie dazu bestimmt war, daß sich die deutscheu und frau-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0304]
England
Staat geworden, bringt England auf seinen Inseln so gut wie nichts zur Ernährung
seiner Bevölkerung hervor und ist derart auf die ungehinderte Zufuhr von allen
Lebensmitteln angewiesen, daß eine Unterbindung der Zufuhren es innerhalb
von vier Wochen auf die Knie zwingen würde. Heute sichert die englische
Flotte wohl die ungestörte Ernährung der Inseln, aber auf wie lange noch?
Inzwischen erklingt, von England ausgeheUd, der Sirenensang, die maritimen
Rüstungen allseitig einzuschränken. Abgesehen davon, daß hieraus lediglich
England Nutzen ziehen würde, ist jeder Versuch hierzu aussichtslos, denn zwei
Seemächte können hierauf nicht eingehen und werden es auch nicht tun: die
Union und Japan; beide rüsten, um die Vorherrschaft im Stillen Ozean zu
erringen. Da diese beiden Mächte sich von allen solchen Plänen ausschließen,
kann auch England, trotz seines Schiedsoertrags mit den Vereinigten Staaten
und trotz seines überdies schon bedenklich durchlöcherten Bündnisses mit Japan,
in seinen Rüstungen gleichfalls nicht innehalten und damit fällt der gesamte
Plan. Nicht unerwähnt mag bleiben, daß die von England befolgte Politik
des Baues von Dreadnoughts anscheinend ihm nicht den erhofften, nicht mehr
einzuholenden Vorsprung vor den übrigen Nationen verschafft, sondern im
Gegenteil einen stetig zunehmenden Ausgleich zwischen den Flottenstärken der
Seenationen herbeiführt.
Um allen sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten zum Trotz dennoch
das angestrebte Ziel zu erreichen, verstärkt England nach Möglichkeit die in der
Hauptsache in den heimischen Gewässern konzentrierte Schlachtflotte und benutzt,
wenigstens in Europa, die zwischen einzelnen Mächten vorhandenen Reibungs¬
flächen, um tunlichst die eine Macht durch die andere in Schach zu halten,
unter Umständen zur See zu schwächen oder zu vernichten.
Betrachtet man die englische Politik nach Beendigung des Burenkrieges,
so läßt sich dieser Gedanke in seiner europäischen Politik als leitendes Motiv
überall verfolgen. 1905 erhofften die Engländer nicht die gänzliche Vernichtung
des baltischen Geschwaders, sondern lediglich ausreichende Schwächung beider Parteien
zur See. In ihrem Eifer für Japan und vielleicht in Überschätzung der russischen
Flotte gingen sie zu weit, als sie so lange diplomatisch auf Frankreich drückten,
bis dieses den Schiffen der verbündeten Nation nicht genügend Zeit zur Re°
tablierung nach langem Reisemarsch an Altars Küsten gewährte. Sie förderten
hierdurch ungemein den völligen Untergang der russischen Flotte. Das End¬
resultat war in diesem Falle für England nicht sehr günstig; die Andreasflagge
schwand zwar für einen längeren Zeitraum aus den nordeuropäischen Gewässern,
aber hierdurch wuchs ein neuer Konkurrent in Ostasien heran.
Die Ausnutzung des deutsch-französischen Gegensatzes fällt noch mehr in
die Augen. Im Jahre 1905 bot König Eduard Delcassö englische Unterstützung
zu Lande und zu Wasser im Kriegsfalle gegen das Deutsche Reich an, und viel
fehlte damals nicht am Ausbruch eines Krieges, der vom englischen Stand¬
punkt aus in erster Linie dazu bestimmt war, daß sich die deutscheu und frau-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |