Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Deutsche Leute auf brasilischer Scholle Einmal sehen sie in ihren Kindern wertvolle Hilfskräfte, und in der Tat ist bei In guter Ruh saß ich an einem Maiabend vor meiner Tür, als ein später Deutsche Leute auf brasilischer Scholle Einmal sehen sie in ihren Kindern wertvolle Hilfskräfte, und in der Tat ist bei In guter Ruh saß ich an einem Maiabend vor meiner Tür, als ein später <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319226"/> <fw type="header" place="top"> Deutsche Leute auf brasilischer Scholle</fw><lb/> <p xml:id="ID_1582" prev="#ID_1581"> Einmal sehen sie in ihren Kindern wertvolle Hilfskräfte, und in der Tat ist bei<lb/> dem System der Ernteteilung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern der Bauer<lb/> meist bald ein wohlhabender Mann, der viele Kinder hat, die den bezahlten Tage¬<lb/> löhner ausschalten. Nicht, daß der Bauer die Schule für überflüssig hielte I Sie<lb/> ist ihm eine Pflegestätte deutscher Sprache, und an dieser hält er mit einer Zähig¬<lb/> keit fest, die vorbildlich ist. Aber er will seine Schule möglichst billig haben, und<lb/> jener Schlaukopf ist mir noch in Erinnerung, der Zwillinge zur Schule sandte:<lb/> Karlchen am Montag, Mittwoch und Freitag, Fritz an den anderen Tagen der<lb/> Woche. Solchergestalt gedachte er, nur für einen Sprößling Schulgeld zu zahlen,<lb/> und zeterte über Gewalt, als wir ihm einen Strich durch die Rechnung machten.<lb/> Welche Fülle der Gesichte drängt sich mir auf, wenn ich an die Meister denke, die<lb/> in den Pikaden die blonde Jugend lehrten I Der Bauer betrachtet sie als Zug¬<lb/> vögel, die bei ihm Unterschlupf suchen, bis sie bessere Schnabelweide erspähen.<lb/> Ein junger Offizier, zur Besserung nach drüben abgeschoben, war nicht der<lb/> übelste, aber er richtete zu große Verheerungen in den Herzen der Pikadenschönen<lb/> an; also mußte er weichen. Seinen Nachfolger sehe ich. der sich als Meister in<lb/> der Beschränktheit erwies; er ließ seine Zöglinge jeden Tag ein paar Kapitel aus<lb/> der Bibel lesen und abschreiben, hielt feierliche Predigten an die ABC-Schützen<lb/> und Umzüge mit ihnen um das Schullokal. — Eine solche Schule ist ein eigen¬<lb/> artiges Ding. Meist ein Lehmbau mit Schulraum und einem Verschlag als Lehrer-<lb/> wohnung; auf einen verheirateten Mann wird nicht gerechnet, höchstens von älteren<lb/> Gemeinden. Der brasilische Staat kümmerte sich unter dem Kaiserreich nicht<lb/> um die deutschen Schulen, die Republik aber erschwerte mancher alten deutschen<lb/> Gemeinde den deutschen Unterricht, indem sie von den Lehrern ein Examen in<lb/> der Landessprache forderte, was nur die wenigsten abzulegen imstande sind.<lb/> Umgekehrt bestätigt die Behörde manchen Parteigenossen als Lehrer, dem die<lb/> Wissenschaft ein total verhülltes Bild zu Sais ist. Die Indolenz und Partei-<lb/> Wirtschaft ist also ein Hemmnis, oft aber auch eine bequeme Hintertür. Ich besinne<lb/> mich auf einen hübschen Fall. Nach den Gesetzen des Landes ist jede körperliche<lb/> Züchtigung verboten und wird mit Gefängnis geahndet. Das bedachte ein Pfarrer<lb/> nicht, der in der Konfirmandenstunde einem Jungen eine wohlverdiente Ohrfeige<lb/> verabreichte. Flugs lief der Vater, ein richtiger Prozeszhansl, zum Kadi. Der<lb/> Richter schätzte den Pastor, fand aber keinen Ausweg, ihn dem Gesetz zu entziehen.<lb/> Da bellte sich seine Miene plötzlich auf. „Haben Sie in Ihrer Bibel nicht irgend¬<lb/> eine Stelle, die eine Züchtigung erlaubt?" Der Pastor zitierte sogleich: Wer seiner<lb/> Rute schonet, der hasset seinen Sohn. Wer seinen Sohn lieb hat, der züchtigt<lb/> ihn. — „Haben Sie eine portugiesische Bibel, damit ich den Text selbst lesen<lb/> kann?" Die war bald herbeigeschafft. Also wurde das Protokoll aufgenommen:<lb/> „Ich, der Richter X. A., habe mich durch den Augenschein überzeugt, daß die<lb/> Prügelstrafe eine religiöse Vorschrift der Protestanten ist. Als Beamter der Republik<lb/> ist es nicht meines Amtes, mich in religiöse Dinge zu mischen. Kläger wird daher<lb/> abgewiesen und zahlt die Kosten des Verfahrens."</p><lb/> <p xml:id="ID_1583" next="#ID_1584"> In guter Ruh saß ich an einem Maiabend vor meiner Tür, als ein später<lb/> Wanderer bei mir einsprach; das ist nichts Ungewöhnliches, und jeder übt die<lb/> Gastfreundschaft als selbstverständliche Pflicht. Der Wanderer suchte eine Lehrer¬<lb/> stelle, da er als guter Protestant von den Katholiken einer Pikade vertrieben war.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
Deutsche Leute auf brasilischer Scholle
Einmal sehen sie in ihren Kindern wertvolle Hilfskräfte, und in der Tat ist bei
dem System der Ernteteilung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern der Bauer
meist bald ein wohlhabender Mann, der viele Kinder hat, die den bezahlten Tage¬
löhner ausschalten. Nicht, daß der Bauer die Schule für überflüssig hielte I Sie
ist ihm eine Pflegestätte deutscher Sprache, und an dieser hält er mit einer Zähig¬
keit fest, die vorbildlich ist. Aber er will seine Schule möglichst billig haben, und
jener Schlaukopf ist mir noch in Erinnerung, der Zwillinge zur Schule sandte:
Karlchen am Montag, Mittwoch und Freitag, Fritz an den anderen Tagen der
Woche. Solchergestalt gedachte er, nur für einen Sprößling Schulgeld zu zahlen,
und zeterte über Gewalt, als wir ihm einen Strich durch die Rechnung machten.
Welche Fülle der Gesichte drängt sich mir auf, wenn ich an die Meister denke, die
in den Pikaden die blonde Jugend lehrten I Der Bauer betrachtet sie als Zug¬
vögel, die bei ihm Unterschlupf suchen, bis sie bessere Schnabelweide erspähen.
Ein junger Offizier, zur Besserung nach drüben abgeschoben, war nicht der
übelste, aber er richtete zu große Verheerungen in den Herzen der Pikadenschönen
an; also mußte er weichen. Seinen Nachfolger sehe ich. der sich als Meister in
der Beschränktheit erwies; er ließ seine Zöglinge jeden Tag ein paar Kapitel aus
der Bibel lesen und abschreiben, hielt feierliche Predigten an die ABC-Schützen
und Umzüge mit ihnen um das Schullokal. — Eine solche Schule ist ein eigen¬
artiges Ding. Meist ein Lehmbau mit Schulraum und einem Verschlag als Lehrer-
wohnung; auf einen verheirateten Mann wird nicht gerechnet, höchstens von älteren
Gemeinden. Der brasilische Staat kümmerte sich unter dem Kaiserreich nicht
um die deutschen Schulen, die Republik aber erschwerte mancher alten deutschen
Gemeinde den deutschen Unterricht, indem sie von den Lehrern ein Examen in
der Landessprache forderte, was nur die wenigsten abzulegen imstande sind.
Umgekehrt bestätigt die Behörde manchen Parteigenossen als Lehrer, dem die
Wissenschaft ein total verhülltes Bild zu Sais ist. Die Indolenz und Partei-
Wirtschaft ist also ein Hemmnis, oft aber auch eine bequeme Hintertür. Ich besinne
mich auf einen hübschen Fall. Nach den Gesetzen des Landes ist jede körperliche
Züchtigung verboten und wird mit Gefängnis geahndet. Das bedachte ein Pfarrer
nicht, der in der Konfirmandenstunde einem Jungen eine wohlverdiente Ohrfeige
verabreichte. Flugs lief der Vater, ein richtiger Prozeszhansl, zum Kadi. Der
Richter schätzte den Pastor, fand aber keinen Ausweg, ihn dem Gesetz zu entziehen.
Da bellte sich seine Miene plötzlich auf. „Haben Sie in Ihrer Bibel nicht irgend¬
eine Stelle, die eine Züchtigung erlaubt?" Der Pastor zitierte sogleich: Wer seiner
Rute schonet, der hasset seinen Sohn. Wer seinen Sohn lieb hat, der züchtigt
ihn. — „Haben Sie eine portugiesische Bibel, damit ich den Text selbst lesen
kann?" Die war bald herbeigeschafft. Also wurde das Protokoll aufgenommen:
„Ich, der Richter X. A., habe mich durch den Augenschein überzeugt, daß die
Prügelstrafe eine religiöse Vorschrift der Protestanten ist. Als Beamter der Republik
ist es nicht meines Amtes, mich in religiöse Dinge zu mischen. Kläger wird daher
abgewiesen und zahlt die Kosten des Verfahrens."
In guter Ruh saß ich an einem Maiabend vor meiner Tür, als ein später
Wanderer bei mir einsprach; das ist nichts Ungewöhnliches, und jeder übt die
Gastfreundschaft als selbstverständliche Pflicht. Der Wanderer suchte eine Lehrer¬
stelle, da er als guter Protestant von den Katholiken einer Pikade vertrieben war.
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